der Steuerfahnder und der Schreiner
Morgens, gegen 6:15 kommt Bertram regelmäßig ins Finanzamt. Er ist Steuerfahnder. Sitzt im 12. Stock. Schaut über die ganze Stadt. Er liebt „seinen Hochsitz“, wie er es nennt. Hat den Überblick über alle seine Untertanen. Und manchmal geht er sogar zu ihnen … mit Durchsuchungsbeschluss. Heute ist Bürotag. Es liegen viele rote unbearbeitete Akten auf seinem Schreibtisch. Er macht seinen Laptop an, gibt sein Passwort ein und lässt die Programme starten. Er zieht sich die oberste Akte vom Stapel. Eine von vielen. Er hat längst aufgehört, die Akten zu zählen. Am Anfang hatte er noch gezählt, wie viele Akten er abzuarbeiten hatte. Doch es kamen immer neue hinzu und weniger kamen zum endgültigen Abtrag. Kein Wunder. Sie waren auch chronisch unterbesetzt. 4 Planstellen fehlten Ihnen schon seit mindestens 2 Jahren. Sparen hieß die Devise. Dabei rechnete sich doch die Besetzung einer Fahnderstelle. Sie kostete etwa 40.000 bis 50.000 € pro Jahr, brächte aber zumindest in Wirtschaftsschwerpunkten wie dem Rhein-Main-Gebiet, im Ruhrgebiet, in Hamburg München und Berlin mindestens 1,5 Mio. Euro pro Jahr ein. Er hatte mal gelesen, dass die Personalkosten pro Steuerfahnder sich (durchschnittlich) auf etwa 80.000 Euro im Jahr inklusive der Pensionsansprüche belaufen sollen. Er erinnert sich noch gut an sein Anwärtergehalt, das bei knapp 1.000 € brutto monatlich lag. Jetzt hat er fast 3.100 € monatlich … brutto. Immer noch viel zu wenig, wenn er seine Arbeitsbedingungen, seine Überstunden und seine Effizienz sieht. Die Steuerfahnder dürften überhaupt die effizientesten Beamten sein, denkt Bertram. Warum überhaupt die Fahndung nicht weiter aufgestockt wurde, verstand er nicht. Die Deutsche Steuergewerkschaft hatte letzt erst bei einem Rundschreiben dargelegt, dass rund 2.100 Steuerfahnder bundesweit Mehreinnahmen von rund 1,6 Milliarden Euro ermittelt hätten. Das sind immer noch etwa 800.000 € pro Fahnder, also immer noch mehr als das 10-fache, was er inklusive Pensionskosten p.a. kostet. Was davon allerdings festgesetzt bzw. durch Urteile herabgesetzt wurde bzw. letztlich beigetrieben werden konnte, war nicht mitgeteilt. Dennoch wird es immer noch rund das Neunfache der eigenen Kosten sein, denkt Bertram. Hätte er das zu entscheiden, würden nicht nur alle Planstellen besetzt werden, er würde die Abteilung auch weiter aufstocken … doch ihn fragte je keiner und er hatte es auch nicht zu entscheiden. Also wuchs so langsam sein Aktenberg, ohne dass er zählte, wie viele offene Akten er nun genau vor sich hatte. Aber selbst, wenn sich die Fahnder nicht so gut rechnen würden, Kontrollen müssen sein. Davon ist Bertram überzeugt. Viele Fahnder denken genauso. Man kann keine Gesetze erlassen und die Umsetzung nicht kontrollieren. Das ist wie mit Geschwindigkeitsbeschränkungen: nur 30er oder 50er Schilder aufstellen ohne Radarkontrollen macht keinen Sinn. Dann nimmt die Schilder keiner ernst. Dann macht jeder was er will. So sieht das Bertram auch für das Steuerrecht: ohne die Betriebsprüfung und ohne die Fahndung macht auch jeder im Steuerrecht was er will. Daher muss die Kontrolle sein, gleichgültig ob sich die Fahnder rechnen oder nicht, meint Bertram. Die Deutsche Steuergewerkschaft hatte erst kürzlich geschätzt, dass durch zu wenig Fahnder der Bundesrepublik Steuerausfälle von rund 30 Milliarden pro Jahr bescherten. Aber was konnte da Bertram schon ausrichten? Er nahm es nur so zur Kenntnis. Er hatte sich hier um seine Fälle zu kümmern.
Die Akte, die er gezogen hatte, betraf einen Schreiner. Ein Schreiner, der Einiges Schwarz gemacht hat. Er ist von zwei Kunden angezeigt worden. Die anonymen Anzeigen sind von der Steuerfahndung in den Veranlagungsbezirk gegeben worden. Die Verdachtsmomente waren zu diffus um eine Fahndung zu rechtfertigen. Vom Bezirk sind sie als Prüfungsvorschlag zur Betriebsprüfung gewandert. Die Prüferin fand einige Ansatzpunkte, holte die Fahndung hinzu und die durchsuchte und beschlagnahmte alle Unterlagen, die sie fand. So schließt sich der Kreis. Da hätte die Steufa (Steuerfahndung) auch gleich… aber egal. Nun haben sie in der Asservatenkammer 32 Akten von dem Schreiner, die auf Durcharbeitung warten … und ein Anwalt hat sich auch schon bestellt … der will Akteneinsicht, bekommt er aber momentan nicht. Die Steufa hat schon abgelehnt. Die Bustra (Bußgeld- und Strafsachenstelle) schreibt dann einfach, dass die Akteneinsicht die weiteren Ermittlungen gefährden würde und beruft sich einfach auf § 147 Abs. 2 StPO. Die meisten Verteidiger schlucken das. Einfach lächerlich. Aber nicht sein Problem. Er legt die Akte wieder weg. Er hat jetzt keine Lust, die beschlagnahmten Akten aus dem Asservatenraum zu ziehen. Er müsste, hat aber keine Lust. Wird sich erst mal einen Kaffee holen. Bei der Helga. Die ist morgens auch schon so früh da, wie überhaupt viele seiner Kolleginnen und Kollegen. Sein Zimmerpartner, der Joachim, müsste auch jeden Augenblick kommen.
Bertram schlägt die Akte von seinem Schreiner wieder auf. Lustlos und ziellos blättert er darin herum. Wenn doch nur das Bargeld nicht wäre, denkt er, Dann könnte man auch keinen Schreiber schwarz bezahlen. Und die anderen Hinterziehungen wären auch nicht möglich. Bargeld abschaffen als Lösung zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung? Wie müsste dann bezahlt werden? Nur noch per Karte, alles per Banküberweisung. Dann wäre alles fürs Finanzamt kontrollierbar. Bei den Gastwirten, Bäckern, Metzgern, Schrotthändlern, Autoverkäufern … und bei allen Handwerkern .. auch bei meinem Schreiner, denkt Bertram. Eine Welt ohne Steuerhinterziehung … einfach nur durch Abschaffung vom Bargeld? Einfach so? Ob das funktioniert? Wofür brauchen wir Bargeld? Kann nicht wirklich alles unbar bezahlt werden? Bertram lehnt sich zurück und lächelt. Was ein Gedanke. Bargeld abschaffen als Superlösung gegen Hinterziehung. Einfach alles per Karte oder bei Dauerkunden per Einzugsermächtigung. Warum soll man nicht einkaufen und sich zuvor bei seinem Discounter oder Supermarkt registrieren lassen können. Der bucht den die Lebensmittelrechnung gleich vom Konto ab. Alle Gastwirte könnten sich bei ihren Großhändlern und anderen Einkaufsquellen registrieren lassen und dann gegen Abbuchung oder per Visacard, American Express oder anderen Geldkarten dann einkaufen. Dann würden sicher der gesamte Wareneinsatz erfasst werden und die Möglichkeit der sog. Parallelverkürzung wäre abgeschafft: dann könnte keiner mehr beim Discounter oder wo auch immer bar einkaufen ohne Erfassung des Einkaufs in der Buchhaltung und dann könnten die so eingekauften Artikel bzw. die daraus zubereiteten Speisen und Getränke nicht schwarz verkauft werden. Damit wäre zumindest ein Kreislauf der schwarzen Umsätze blockiert. Auch Schwarzarbeiter gäbe es dann nicht mehr: wie sollten sie ohne Bargeld bezahlt werden können? Wie sollte die Entlohnung neben der offiziellen geringfügigen Beschäftigung funktionieren, wenn Bargeld abgeschafft wäre? Ob es dann Tauschgeschäfte gäbe? Eine Parallelwährung? Aber wenn Lebensmittel und Getränke vollständig erfasst wären, könnten diese nicht einfach als Geldersatz, als Bezahlung für Überstunden etc. mitgegeben den Angestellten mitgegeben werden. Denn der Schwund würde auffallen und wie sollte der Gastwirt dann diesen erhöhten Schwund erklären? Während die Staatsminister über höhere Strafen, Abschaffung der Selbstanzeige, usw. diskutieren, sitzt er, der kleine und unbedeutende Steuerfahnder Bertram im 12. Stock seines Finanzamtes und bekämpft die Steuerhinterziehungen einfach, indem er kurzer Hand das Bargeld abschafft. Keine schwarzen Konten mehr in Luxemburg, Liechtenstein, in der Schweiz oder sonstwo. Keine Schwarzarbeit, keine schwarzen Kassen, keine schwarzen Konten, keine Parallelverkürzungen, keine manipulierten Kassen, einfach durch kein Bargeld mehr. Ob das geht? Das Bargeld müsste dann doch mindestens europaweit abgeschafft werden. Alle Zahlungssysteme stellen um auf bargeldlos, also auf Einzugsermächtigungen und Plastikkarten. Was machen dann die Prostituierten? Das Gewerbe wird nicht aussterben … aber ob alle Kunden über Visacard oder American Express oder per Einzugsermächtigung zahlen wollen? Ob das per Alleingang in Europa geht oder ob das weltweit erfolgen muss?, fragt sich Bertram. Was würde der Handel sagen? Braucht der wirklich Bargeld? Für was? Brauchen die Gaststätten Bargeld? Die Bäcker? Die Metzger? Die Autohändler? Die Prostituierten? Für was? Doch nur, um die Einnahmen steuerfrei am Fiskus vorbei zu schleusen … aber sonst … gibt es keine Gründe… nur die Hinterziehungsabsicht. Also: das ganze Bargeld abschaffen, das sorgt für mehr Steuergerechtigkeit. Denn wenn alles über die Konten dann läuft, dann trauen auch viele sich nicht mehr, etwas nicht zu erklären. Und auch die Kassenmanipulationssysteme wären erledigt: wenn der Einkauf sicher feststeht, kann der Gastwirt die Kasse nicht mehr manipulieren. Denn der Einkauf muss schließlich verbraucht werden… und wer kauft verderbliche Waren nach, wenn die Lager noch voll sind? Man muss doch bei verderblichen Waren annehmen, dass diese Produkte nahezu aufgebraucht sind, wenn sie nachgekauft werden, wenn es sich nicht gerade um ein ganz außerordentlich günstiges Angebot handelt. Also muss der Lagerbestand vor dem Nachkauf in den Verkauf gegangen sein … also müssen die Umsätze dazu passen, die lassen sich nicht wegmanipulieren. Dann sollte der Verkauf von den Händlern und Großhändlern zeitgleich automatisch ohne Eingriffsmöglichkeiten dem Finanzamt mit übermittelt würde. Am Effektivsten wäre wohl mit der Abbuchung vom Konto des Gastwirts gleich eine automatisierte Kontrollmitteilung an das Finanzamt, so dass zur Steuernummer die Einkäufe elektronisch ans Finanzamt mit übermittelt würden. Und dann am Besten jeden Abend bei jedem Abschluss, bei jedem Z-Bon eine automatisierte Kontrollmitteilung an das zuständige Finanzamt unter der Steuernummer. Andere Kassensysteme dürften dann einfach nicht mehr zugelassen werden. Dann könnten Auffälligkeiten sofort elektronisch im Finanzamt zu Warnhinweisen und Prüfungsvorschlägen führen. Auch doppelte oder vergessene Z-Bons könnten so sofort auffallen, so dass am nächsten Tag der Umsatzsteuersonderprüfer mit der Umsatzsteuernachschau bei dem so auffälligen Betrieb nachschauen könnte. Auch sollten Rechnungen der Handwerker nur mit einer vom Finanzamt autorisierten laufenden Nummer gültig sein, die man sich nach dem Modell einer Frankiermaschine beschaffen könnte, dann aber die ausgedruckten Rechnungsbeträge und die Empfänger der Rechnungen gleich ans Finanzamt automatisiert zurückmelden müsste … etwa die Rechnung im Entwurf dem Finanzamt übermitteln, das dann eine Kontrollnummer für diese Rechnung vergibt. So könnte nicht nur der zu erwartende Umsatz vorab schon kontrolliert und hochgerechnet werden, es würden auch fehlende Rechnungen bzw. fehlende Rechnungseingänge schnell auffallen. Auch Umsatzsteuerkarusselle könnten so wirksam bekämpft werden. Derartige Vernetzungen und die Abschaffung des Bargelds führte dann, so denkt sich Bertram, zu mehr Belastungsgleichheit, mehr Steuerehrlichkeit und mehr Steuergerechtigkeit … Bertram freut sich … so einfach ist das … Sein Zimmernachbar kommt gerade rein, „Moin Bertram“, sagt der. „Guten Morgen Joachim“, sagt Bertram freundlich. Joachim grinst … „bist Du schon lange da? Du grinst, als hättest Du den schwersten Deiner Fälle gelöst … ?“ Bertram grinst und kontert: „nicht den schwersten meiner Fälle, nein, den schwersten unserer aller Fälle: die Hinterziehung durch Schwarzgeld.“ Da lacht Joachim: „also hast Du das Ei des Kolumbus entdeckt … Dein Lieblingsthema … na, dann schieß los … wie lautet die Patentlösung?“ Bertram sagt, nach einer kleinen Pause leise, um die Spannung zu erhöhen, fast flüsternd, als dürfe die Patentlösung noch keiner hören: „wir schaffen das Bargeld ab. Alle Bezahlen nur noch mit Plastikgeld und per Einzugsermächtigung! Und wir kontrollieren die Bank- bzw. Kapitalströme und auch bei den Verkäufern: alle liefern in Echtzeit die Umsatzdaten. Steuernummer 01 verkauft an Steuernummer 02. Da kann man auch hinterher nichts mehr stornieren und löschen bzw. wir bekommen die Stornos zeitgleich übermittelt und können dann ggf. sofort reagieren.“ Joachim schaut ihn ungläubig an, … und dann lacht er lauthals los. „Ach so, so einfach … dann schaffen wir einfach das Bargeld ab und alle Problem sind gelöst —?!“ Wiederholt er laut lachend. Nachdem er sich beruhigt hat, sich die Tränen aus den Augen gewischt hat, sagt er: „so ein Quatsch, da macht doch keiner mit. Hast Du mal an den Handel gedacht? Der steht Kopf und dann gleich beim Minister … vergiss es. Eine bargeldlose Welt?“ „Und was machst Du im Urlaub? Wenn Du im Ausland bis und kein Bargeld hast?“, setzt Joachim nach. „Dann musst Du an der Grenze mit Deiner Karte die dortige Währung eben abheben … dann sehen wir auch wer wann wo im Urlaub ist und was er ver
braucht“, sagt Bertram. „Das gibt Rückschlüsse auf seinen Lebenswandel und mögliche andere Geldquellen, die wir noch nicht kennen. Da fällt Geldwäsche genauso auf, wie ein Nichtabheben von Geld im Urlaub und eine offensichtlich anderweitige Urlaubsfinanzierung. Hat also z.B. jemand ein Haus in einem Land, das bei dem bargeldlosen System nicht mitmacht, dann muss er dennoch sein Haus bezahlen, also die Verbrauchskosten und von irgendwas dort leben. Lässt er kein Geld der dortigen Währung von seinem Konto abbuchen, ist klar, dass er anderweitige Einnahmen hat, von denen er dort lebt, also etwa sein Haus vermietet hatte und von den Mieteinkünften dort nun in seinem Urlaub lebt. Dann wissen wir aber, dass wir hier nachhaken müssen…“ sagt Bertram. „Glaube mir, das wäre die Lösung. Und wir könnten uns dann um die anderen Fälle kümmern …“ Welche anderen Fälle?“ fragt Joachim… „ dann sind wir bald arbeitslos!“ „Nee, glaube ich nicht“, sagt Bertram, „… dann wird es neue Ausweichbewegungen geben und denen müssen wir dann nachermitteln…. „