Digitale Betriebsprüfung und Statistikwahn
Momentan sind die Veränderungen in der steuerlichen Betriebsprüfung fast erdrutschartig. Seit dem digitalen Datenzugriff, der zum 1.1.2002 eingeführt wurde und der nach der damaligen Begründung der Finanzverwaltung nur ein Einsichtsrecht in die elektronischen Daten geben sollte, hat sich viel verändert. Die Finanzverwaltung will nicht nur die elektronischen Daten sich ansehen, sondern sie will sie auch elektronisch verproben. Dabei ist die Pflicht zur Einreichung aller Daten auf elektronischem Wege bis hin zur E-Bilanz nur ein weiterer Schritt auf dem Wege zur voll elektronischen Steuer- bzw. Betriebsprüfung. Auffällige Steuererklärungen werden aussortiert bzw. vom Programm Fehler -Hinweise und Korrekturen oder Korrekturvorschläge veranlasst. Bei der Betriebsprüfung ist das nicht anders: der Prüfer schiebt die Daten-CD in seinen Rechner und schon laufen die ersten Makros ab, die ihm Auffälligkeiten, Unplausibilität oder Abweichungen von der Norm geben.
So sinnvoll diese Rationalisierung bei der Finanzverwaltung ist und so sehr damit PC- gesteuert und quasi vollautomatisch damit eine Gleichmäßigkeit der Besteuerung zumindest nach den PC-Programmen der Finanzverwaltung sichergestellt ist, so schwierig ist dann die Prüfung des Restes der Steuerpflichtigen teilweise für die übrig gebliebenen Finanzbeamten, die dann die Fehler- Hinweislisten oder die Unplausibilität prüfen sollen, die das Verständnis für die Fehler-Hinweise bzw. für die sachgerechte weitere Behandlung dieser Fehler -Hinweislisten und angeblichen Unplausibilitäten entfalten müssen. Denn natürlich ist nicht jeder Fehlerhinweis das PC- Programms tatsächlich ein Fehler. Es sind allenfalls Indizien, wenn das Programm vermeintliche Fehler oder Abweichungen von der Norm oder den Vergleichsbetrieben oder den erwarteten Zahlen auswirft. Und natürlich ist nicht jede Abweichung von der Norm die Aufdeckung eines Fehlers oder gar die Aufdeckung einer Hinterziehung. Hier gibt es ganz offensichtlich zwei Probleme, die bislang öffentlich noch nicht so wirklich diskutiert werden, die aber in der Praxis sehr deutlich hervortreten: ein gewisses Nichtwissen über das, was eigentlich in den PC-Programmen passiert und warum Fehler- Hinweise kommen bzw. was diese Unplausibilität eigentlich sagen, verbunden mit einer PC-und Obrigkeits-Gläubigkeit. Wenn hier der PC Abweichungen von Durchschnittssätzen auswirft, dann muss da doch ein Fehler vorliegen. Wenn hier der PC der Finanzverwaltung eine Unplausibilität aufzeigt, muss doch die Steuererklärung falsch sein. Da wird Statistik für bare Münze genommen und Prüfungsansätze bzw. Prüfungsvorschläge mit einem Nachweis von Fehlern verwechselt. Reiner Menschenverstand oder sollte ich vielleicht besser sagen das eigene Nachdenken ist wertvoller und richtiger, als sich stur oder stupide auf das Ergebnis der Maschine zu verlassen. Dabei ist natürlich längst nicht jede Abweichung von der Norm ein Nachweis für einen Fehler. Sind die Rohgewinnsaufschlagsätze bei einem Berichtsbetrieb niedriger als bei dem Durchschnitt, heißt das nicht, dass hier Einnahmen nicht erklärt wurden. Sind die Personalkosten eines Betriebes geringer als im Durchschnitt oder als die erwartete Relation zu den Umsätzen, heißt das nicht, dass zu wenig Personal angemeldet wurde oder gar teilweise oder ganz schwarz bezahlt wurde. Sind die Umsätze bei einem Handwerker in einem Monat oder in einem Quartal niedriger, als in den übrigen Monaten, heißt das nicht, dass er in dem betreffenden Zeitraum Arbeitsleistungen schwarz kassiert hat. Ist der Wareneinkauf in einem Monat geringer, als in den anderen 11, aber der Umsatz genauso stark, heißt das nicht zwingend, dass schwarz diazugekauft wurde und eine Schattenwirtschaft durch eine Parallelverkürzung vorliegt; da können auch einfach nur Vorräte aufgebraucht worden sein, so dass nur ein geringer Teil an Frischeprodukten nachgekauft werden musste. Werden Pizzakartons oder andere Wirtschaftsgüter nachgekauft, kann man nicht zwingend daraus ableiten, dass der Warenbestand bei null oder nahe null war: manchmal gibt es Sonderangebote die zu einen verfrühten Nachkauf führen. Oder der Lagerbestand ist nicht oder nicht richtig gezählt worden, oder es war ein Kommunikationsfehler oder … oder … oder. Deswegen kann man aber nicht im unterjährigen Zeitreihenvergleich schließen, dass wegen des Pizzakartonnachkaufs alle Pizzakartons bis zu diesem Zeitpunkt (fast) ganz aufgebraucht waren und folglich der bisherige Karton-Bestand nun durch Außerhausverkäufe in diesem Zeitraum verkauft worden sein muss und die Differenz zu den gebuchten außer-Haus-Verkäufen nun hinterzogen sein muss…
Versteht man Statistik richtig, dann können sich aus Abweichungen von dem Durchschnitt Auffälligkeiten ergeben. Dann kann es Sinn machen, wenn es hier erhebliche Abweichungen gibt, nachzufragen und zu recherchieren. Es muss aber stets auch zugunsten des Steuerpflichtigen hinterfragt werden, ob dieser Abweichungen nicht auch eine – steuerhinterziehungsmäßig gesehen – harmlose Erklärung haben können, die nichts mit einer Hinterziehung zu tun hat. Nur allzu of wird aber in der Praxis jede Abweichung gleich mit einer Hinterziehung gleichgesetzt. Das liegt natürlich an der falschen These, dass Abweichungen vom Durchschnitt oder von der erwarteten Norm eine Hinterziehung begründen würden. Dies ist natürlich Unsinn. Abweichungen von der Norm belegen niemals die Hinterziehung. Diese Abweichungen, diese Unplausibilität können natürlich eine Ursache in der Hinterziehung haben, können aber genauso gut ganz andere Hintergründe haben. Machen wir uns dies einfach einmal deutlich:
die neu eingestellte Mitarbeiterin ist engagiert, freut sich auf ihren neuen Job und erledigt ihre Aufgabe perfekt. Nach einer gewissen anfangs Zeit der Einarbeitung ist ihre Arbeitsleistung bei 100. Im Laufe der Zeit kommt zwar immer mehr Routine, aber auch Frust: Streit mit einer anderen Mitarbeiterin, Mobbing vielleicht von einem Kollegen, Ärger über eine angeblich oder tatsächlich um gerechte Behandlung vom Chef usw. Sie sucht insgeheim nach einer neuen Stelle. Ihre Arbeitsleistung sinkt auf 70. Da ihr Output um 30 sinkt, heißt das nun, dass 30 Einheiten schwarz kassiert werden?
Ein Betrieb optimiert seine Arbeitsabläufe und hat ein gutes Betriebsklima. Die Mitarbeiter sind engagiert. Der Betrieb kommt weniger Mitarbeitern aus, als andere Betriebe. Sind deswegen nun in Höhe der Differenz zu dem Durchschnittsbetrieb schwarze Kolonnen beschäftigt? Liegt deswegen eine Lohnsteuerhinterziehung und ein Sozialabgabenbetrug (Nichtabführung von Arbeitsentgelten gemäß § 266 a StGB)?
Ein Schreiner hat hochwertige Aufträge, gut zahlende Kundschaft und 3 fleißige Gesellen. Er hat mit seinen drei Gesellen doppelt so viel Umsatz, wie eine von der Lage und der Größe her vergleichbare Schreinerei am selben Ort. Hat nun der erste Schreiner schwarz beschäftigte Gesellen? Kann deswegen nun Lohnsteuerhinterziehung und Sozialabgabenbetrug angenommen werden?
Ein Sanitär-und Heizungsfachbetrieb macht mit zwei Meistern, vier Gesellen und zwei Lehrlingen nur 80.000 € Gewinn pro Jahr. Das Finanzamt rechnet ihm vor, dass er pro Geselle mindestens 30.000 € Gewinn pro Jahr machen müsste – dies sei jedenfalls bei anderen Vergleichsbetrieben so. Dazu käme natürlich noch das, was er selbst erwirtschaftet. Das Finanzamt meint, er müsse dabei mindestens einen Gewinn von 200.000 € pro Jahr machen. Zuschätzung erlaubt?
Oder noch drastischer: Das FA erklärt dem Sanitärfachmann, er rechne seine beiden Meister mit 55 € pro Stunde ab, die Gesellen jeweils mit 43 € pro Stunde und den einen der beiden Lehrlinge mit 28 €, den anderen mit 26 € pro Stunde. Das Material verkauf er durchschnittlich mit einem Rohgwinnaufschlag von 22 % und das führe zu folgender Nachkalkulation:
Die Umsätze einer Eisdiele sind in der Schönwetterperiode nicht hoch genug. Das Finanzamt vergleicht die Wetterdaten des Wetteramtes mit den Umsätzen. Dazu Verbotes weiter die Niederschlagsstatistik für die Region. Es war sonnig, warm und trocken. Warum aber steigende Umsätze der Eisdiele nicht oder nicht entsprechend? Nun ist es zwar bekannt, dass die besten Umsätze in einer Eisdiele zwischen 20-32° erfolgen und, wenn es noch heißer ist, die Umsätze eher wieder rückläufig werden. Trotzdem meint das Finanzamt, dass die Umsätze im Verhältnis zu den Schlechtwetterperioden viel zu gering sind. Zu Schätzung erlaubt? Hinterziehung nachgewiesen?
Bei einer Pizzeria wird aufgrund des gleichmäßigen Verpackungsschachteln- Nachkaufs angenommen, dass alle Pizzaschachteln verkauft wurden. Ein anfangs- und Endbestand wird zwar nicht festgestellt, aber aufgrund das Schachtel-Nachkaufs auf ein mehr Umsatz bei den außer-Haus-Verkäufen geschlossen. Auf die Idee, dass versehentlich zu viel inhouse- Umsätze gebucht wurden und nun die Umsatzsteuer für diese Umsätze von 19 auf 7 % reduziert werden müsse, kommt der Prüfer nicht. Er meint, dass natürlich der Mehr-Umsatz insgesamt nicht gebucht worden wäre, der mit den Pizza-Verpackungsschachteln nachgewiesen wäre. dass Pizzaschachteln wegen falschen Aufdrucks zurückgeliefert worden sein könnten oder verträgt oder beschädigt waren, nass geworden sein könnten oder auch Speisereste von inhouse Kunden darin verpackt worden wäre oder aus Kulanz auch natürlich Spitzen im außer Haus Verkauf auf zwei Portionen in zwei getrennten Verpackungen aufgeteilt worden sein könnten, kommt er nicht. Nachweis für mehr Umsätze geglückt?
Ein Betriebsprüfer will Portionen in einem Dönerbetrieb nach kalkulieren und kauft zwecks späterer Verprobungen einen Döner. Diesen wiegt er sorgfältig aus und stellt die einzelnen Beilagen bzw. Zutaten dann grammgenau fest. Zwei Jahre später prüft er diesen Prüfungszeitraum, indem er den Testeinkauf gemacht hatte und kalkuliert über den wahren Einsatz den rechnerischen, fiktiv zu erzielenden Umsatz nach. Wen wundert es, dass er bei dieser idealtypischen Betrachtung auf eine höhere Ausbeute kommt, als tatsächlich erklärt? Losgelöst von der Frage, ob ein einmaliger Einkauf überhaupt repräsentativ sein kann und weiter losgelöst von der Frage, ob sich nicht Portionsgrößen oder Zusammensetzung im Laufe von mehreren Jahren in einem Betrieb finden können in einem Jahr repräsentativ für drei Prüfungszeiträume sein kann, gibt es natürlich auch Schwund, Eigenverbrauch, Verderb, heruntergefallene Ware, Gratisabgaben, Geschäftsfreunde-Essen usw. Typischerweise meint die BP, dass dies mit 3 % abgegolten sein soll. Aber welche Betrieb hat tatsächlich nur einen schon und Verderb und Verlust von bloß 3 %? Und wie lässt es sich annehmen, dass stets ein Betrieb die optimale Ausbeute erarbeitet, die sich aus der rein rechnerischen Idealkurve sozusagen unter optimalen Laborbedingungen erwirtschaften ließe, ist wenig realistisch. Zuschätzung erlaubt?
Bei einer Nachkalkulation einer Gaststätte errechnet sich unter Idealbedingungen ein Mehrerlös pro Jahr von 80.000 €. Natürlich ist längst ein Steuerstrafverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung eingeleitet und der Prüfungszeitraum von drei auf zehn Jahre erweitert. Die sich so errichtende Hochschätzung von rund 1 Million mehr Erlöse ist für den Gastwirt natürlich extrem existenzbedrohend. Neben den Fragezeichen wie unter Textziffer 7 dargestellt wirft sich hier eine ganz andere Frage auf: die Kellnerinnen und Kellner haben kassiert. Haben die möglicherweise Umsatz schwarz abkassiert? Was ist, wenn die „vergessen“ haben, das ein oder andere Eis, den ein oder anderen Aperitif, Digestif, das ein oder andere Getränk oder Kaffee etc. zu bonieren und diesen dann einfach mal kurz per Hand auf dem elektronischen Kassenbon handschriftlich nachberechnet und selbst eingesteckt haben? Hinterziehung des Gastwirts oder Veruntreuungen durch das Personal? Nachkalkulation und Zuschätzung beim Gastwirt berechtigt? Steuerstrafrechtliche Verurteilung des Gastwirts berechtigt?
Natürlich gibt es auch bei den Steuerpflichtigen schwarze Schafe. Einige wenige Urteile, die veröffentlicht wurden, zeigen scheinbar deutliche Hinterziehungen. Damit wird Stimmung gemacht. Ganze Branchen kommen durch einige wenige in Verruf. Ob dies an einer schlechten Verteidigung liegt – teilweise lässt sich aus den Urteilen entnehmen, dass die Steuerpflichtigen auch vor dem Finanzgericht sich selbst verteidigten, was natürlich möglich ist, aber möglicherweise nicht die beste Verteidigung ist und wenn man sich dann ganz offensichtlich fehlende Beweisanträge ansieht und teilweise unsinnige Diskussionen über Scheinprobleme, dann kommt bei diesen Verurteilungen viel zusammen: möglicherweise kein Geld oder falscher Geiz, sich einen richtig guten Anwalt zu leisten oder der naive Glaube, das Gericht werde von einem helfen. Das Gericht kann aber nur soweit helfen, wie der Vortrag reicht bzw. wie die Beweisanträge das Gericht zum Nachdenken bringen. Ansonsten besteht natürlich auch für die Gefahr, dass Vorverurteilungen oder scheinbare Plausibilität hin rasch zu einer negativen Entscheidung führen können. Insoweit ist es natürlich in solchen Fällen schwieriger aber wichtigste Aufgabe, den Sachverhalt zu analysieren und detailliert vorzutragen und aus pauschalen Vorverurteilungen herauszukommen und die Beteiligten als auch das Gericht zu einer kritischen, unvoreingenommenen Würdigung das scheinbar klaren Sachverhalts zu bringen. Dabei muss man wissen, dass das Finanzamt häufig nur im Stile eines zivilrechtlichen Beibringungsgrundsatzes nur das vorträgt, was für die Mehrergebnisse der Finanzverwaltung – so wie es sich für eine Behörde gehören würde – neutral und offen den gesamten Sachverhalt mit allen Pro contra Argumente dem Gericht zur Prüfung vorzulegen. Dabei muss man weiter wissen, dass die Finanzverwaltung auch Geheimakten führt, die schon die Aufschrift tragen, „nur für den internen Gebrauch bestimmt“ bzw. auch „im Falle eines Finanzrechtsstreits nicht dem Finanzgericht vorlegen“ führt. Vor dem Hintergrund dieser dann bestrittenen Urteile über diese schlimmen Hinterziehungsfälle wird dann das Hinterzieherbild der Steuerpflichtigen weiter geprägt und gepflegt. Nur allzu schnell sind dann statistische Abweichungen nicht bloß Indiz zum weiter prüfen, sondern vermeintlicher Beleg für eine angebliche Steuerhinterziehung. Stimmungsmache im Finanzamt, natürlich auch einige wirklich schlimme Hinterziehungsfälle und eine gewisse Jagdlust mancher Fahnder gepaart mit Erfahrungen aus anfänglichen Messergebnissen, die möglicherweise später im Laufe eines Verfahrens zerplatzen, dann aber nicht mehr so wahrgenommen werden oder mit irgendwelchen Begründungen abgetan werden, führen dann in so manchen statistischen Auffälligkeiten gleich zu Vorurteilen und Vorverurteilungen nach dem Motto: „aha, wieder so einer!“
Und noch was zur Stimmungsmache: es gibt natürliche viele Fälle, in denen die Finanzverwaltung schief liegt: falsche Schätzungsmethoden, unrichtige, teils völlig überzogene Feststellungen, übertriebene Ansätze, falsche Ermittlungen, unzutreffende Behauptungen, unhaltbare rechtliche Positionen, die versucht werden durchzusetzen. Mit aller Gewalt wird dann die Position vertreten, dauernd in den Schreiben die Aussichtslosigkeit des Beraters oder des Mandanten behauptet und die Rücknahme des Einspruchs angeregt und die vorbereitete Rücknahme stets mitgeschickt – eine echte psychologische Kriegsführung – bis zu dem Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung. Und dann wird, wenn der Berichterstatter beim Finanzamt anruft und die Aussichtslosigkeit der Position verdeutlicht, schnell abgeholfen um so ein unterliegendes zitterfähiges Urteil zu verhindern. Statistisch ist das dann eine Erledigung der anderen Art und es gibt keine Urteile, die die überzogenen, falschen Schätzungs- und Verwerfungsansätze der Finanzverwaltung zeigen. Dann belieben die paar wenigen Fälle der Hinterzieher zum Veröffentlichen und die Unsinnigkeiten der Verwaltung verschwinden mehr oder weniger in einer nicht veröffentlichungsfähigen Grauzone … und es bleibt das schiefe Bild bei der Rechtsprechungsrecherche im räume stehen, wie böse die Steuerpflichtigen sind und wie Recht die Finanzverwaltung hat. In wievielen Fällen aber die Finanzverwaltung über das Ziel hinausschoss und völlig zu Unrecht unbescholtene Bürger drangsalierte, verschwindet in einer unbekannten Anonymität. Klar dass die Finanzverwaltung solche Zahlen auch nicht veröffentlicht ….
Zurück zur digitalen Betriebsprüfung und den neuen Prüfungsmethoden:
Die Finanzverwaltung will gar nicht mehr so sehr die Hauptbuchführung prüfen, sondern immer mehr die Vorsysteme (Datenvorsysteme= DaVos) sich anschauen. Die Vorsysteme sind eben nicht durch einen Steuerberater überwacht und geprüft, so dass hier vermeintliche Missverständnisse oder Unklarheiten noch nicht ausgeräumt sind. Aus Sicht der Finanzverwaltung will diese daher die Daten -Vorsysteme nun verstärkt sich anschauen, um hier Unplausibilitäten zwischen Vorsystem und Hauptbuchführung zu finden was dann wiederum für eine Hinterziehung sprechen soll.
So sehr die Bekämpfung von Steuerhinterziehung natürlich richtig und wichtig ist, muss natürlich andererseits dabei auch bedacht werden, dass viele Vorsysteme nicht perfekt beherrscht werden und manche Unklarheit dort einfach bestehen bleibt, weil sie nicht erheblich ist. ….. Noch nicht erheblich ist. Spätestens wenn der Betriebsprüfer kommt und sich das Daten -Vorsystem sich ansieht, bleibt so manchem Steuerpflichtigen dann der Kloß im Hals stecken. Unklarheiten in dem Vorsystem zur Hauptbuchführung können sehr bedrohlich werden, weil der Betriebsprüfer daraus Missverständnisse zur Hauptbuchführung entwickelt und dann meint, dass sich hieraus schwarze Umsätze ergeben/belegen sollen.
Und was sind eigentlich Vorsysteme? Elektronische Kassen, PC-Kassen, klar. Was noch? Taxameter, Wegstreckenzählerm Elektron. Wiegekassen, aber auch der Outlook-Kalender, das elektronische Zählwerk an dem Kaffeeautomaten, der nicht aus steuerlichen Gründen aber aus Wartungsgründen mitzählt. Aber solche Zähler gibts auch am Kopierer, am Scanner, aber auch der Tacho, alle Geräte am Bau mit Betriebsstundenzählern (Dumper, Bagger, Kräne, Loks, Lkws, Boote, Flugzeuge, usw.) Was ist eigentlich mit den Tachoscheiben, bzw. den Daten – müssen die nicht aus steuerlichen Gründen dann auch 10 Jahre als Vorsystem aufgehoben werden? Auch whats app oder emails? Barscannercodes oder QR-Codes? Ist auch die Fitnesstracker-Uhr ein Vorsystem, da es Arbeitszeit und Entspannungs- und Erholungs- und Ruhephasen aufzeichnet? Big Data ist watching you ….
Haben Sie schon mal über ihren (z.B.) Outlook -Terminkalender nachgedacht? Ein Kunde der einen Termin hat, dann aber einfach nicht kommt? Wird dieser Kunde mit dem Termin dann nicht gelöscht, ist das dann ein schwarzer Umsatz? Und wenn Sie den Kunden löschen – Sie wissen doch, im PC kann man nie etwas vollständig löschen – ist das Löschen dann nicht besonders verräterisch und belegt geradezu die Hinterziehung? Aber was machen Sie, wenn ein Kunde für einen Besprechungstermin einen Termin bei Ihnen geordert hat und nun kommt der einfach nicht? Wie beweisen Sie, dass er nicht kam und sie nicht schwarz für das Beratungsgespräch bezahlte? Wie kann man ein Nichts beweisen? Und wenn Sie jetzt ganz ausführlich dokumentieren, dass dieser Termin nicht zustande kam, ist das nicht auch auffällig? Wer macht sich über so einen vergebens blockierten Termin tatsächlich so viele Gedanken und soviel Arbeit? Ist das nicht auch auffällig?
In dem Dilemma, dass die richtige Hinterziehung von nur einfachen unbedeutenden Fehlern so schwierig abzugrenzen ist, sind einige Fahnder und Betriebsprüfer sehr statistik-afin —und behaupten, da Hinterziehungen ja so schwer nachweisbar sind, dass deswegen die Beweislast für die Finanzverwaltung herabgesetzt werden soll und Unklarheiten oder bloße Auffälligkeiten im Sinne von Abweichungen von dem Durchschnitt oder statistisch erwarteten Zahlen (Chi-Quadrat, Benfords Law, Quanlitschätzung, Zeitreihenvergleich usw.) schon die Mehrergebnisse bzw. die Hinterziehung belegen sollen.
Dies ist nicht nur ein gefährlicher, sondern letztendlich falscher Weg. Nach § 158 AO sind die Aufzeichnungen und die Unterlagen, die der Steuerpflichtige gefertigt hat, der Besteuerung zugrunde zu legen. Damit gewährt der Gesetzgeber dem Steuerpflichtigen erst einmal einen Vertrauensvorschuss. Dies ist auch Ausfluss der Unschuldsvermutung. Erst einmal ist davon auszugehen, dass die vorgelegte Buchführung und die vorgelegten Aufzeichnungen zutreffend sind. Und ist es nicht so, dass Abweichungen völlig normal sind? Sind wir nicht alle Individualisten und sind nicht alle Betriebe unterschiedlich? Ist es insoweit nicht völlig normal, dass es auch starke Unterschiede zwischen den einzelnen Betrieben gibt? Das kann an Glück, Fleiß, Lagevorteilen, Werbung, Geschick, Verkaufstalent, Ideenreichtum, Sympathie des Inhabers, der hübschen Bedienung oder an 1.000 anderen Gründen liegen.
In diesem Zusammenhang sind natürlich die Zugriffsrechte der Finanzverwaltung einerseits und das Dokumentationsverhalten bzw. auch die Dokumentationspflichten der Steuerpflichtigen andererseits wichtig. Viele Steuerberater gehen dazu schon über, interne Verlobungen der Buchführung des Steuerpflichtigen zu machen, um ihn vor späteren Überraschungen bei der BP abzusichern. So können zwar gleich Auffälligkeiten oder und Plausibilität gefunden werden und dann möglichst rasch dokumentiert werden, die sonst vielleicht dem Inhaber gar nicht bewusst geworden wären und dann im Laufe der Jahre untergegangen und in Vergessenheit geraten worden wären – bis dann der Betriebsprüfer die Plausibilitätskontrollen anstellt.
Aber was ist mit all jenen Steuerpflichtigen, die sich das nicht leisten können oder von ihre Beratern gar nicht auf diese Möglichkeiten hingewiesen werden oder diese Notwendigkeiten noch gar für notwendig erachten …? Alles leichte Opfer für die kommenden Prüfungen?
Während die Rechtsprechung eigentlich eine Verwerfung der Buchführung nur wegen statistischen Abweichungen zu Recht nicht zulässt, soll aber in Zusammenhang mit anderen Fehlern ggf. dann doch eine Zuschätzung möglich sein … Das ist aber natürlich falsch: wie kann ein unerheblicher Fehler in Kombination mit anderen unerheblichen Fehlern auf einmal zu einem erheblichen Fehler erstarken. Null ist null. Und 3 oder 5 mal null gibt ich nicht 1, 3 oder 5, sondern bleibt null!
Zwei aktuelle Urteile des BFH verdienen in diesem Kontext Beachtung:
In dem Urteil des BFH vom 16.12.2014 – X R 42/13 (BStBl 2015 II S. 519), X R 29/13 und X R 47/13, bestätigt er das Zugriffsrecht der Betriebsprüfung auf die Warenwirtschaftssysteme, also auf ein Datenvorsystem. Das Urteil ist zwar auf ein Warenwirtschaftssystem einer Apotheke ergangen. Das FG Münster und das hessische FG hatten vorher das Zugriffsrecht abgelehnt, während das FG das Landes Sachsen-Anhalt das Zugriffsrecht bejaht hat.
Der BFH hat entschieden, dass die Finanzverwaltung im Rahmen der Prüfung auch auf freiwillig (oder etwa aus berufsrechtlichen Gründen wie bei den Apothekern) geführte Aufzeichnungen zugreifen darf, wenn diese für die Besteuerung relevant sind bzw. sein könnten. Dem Datenzugriff unterliegen danach grds. auch die Daten aus vorgeschalteten Systemen oder Nebensystemen. Dies sei jedenfalls dann der Fall, wenn die in einem Vorsystem– wie einem Kassensystem– erzeugten (steuerrelevanten und aufbewahrungspflichtigen) Daten in verdichteter Form in das eigentliche Buchführungssystem übergeben werden. Damit kann man dies so pauschal zusammenfassen: sowie die Unternehmer immer mehr Technik einsetzen um die eigene Kontrolle oder die eigene Überwachung des Betriebes zu optimieren oder sich die Arbeit zu vereinfachen, so darf der Prüfer auch diese elektronischen Aufzeichnungen einsehen und prüfen. Es wäre ein Irrglaube für die Steuerpflichtigen anzunehmen, dass nur die elektronischen Dateien oder Programme, die für die Buchführung bestimmt wären, vom Betriebsprüfer eingesehen werden dürfen. Vom Handy über das iPad und den Laptop bis zum PC, von der WhatsApp Mitteilung über E-Mails bis zum Zeiterfassungsprogramm, dem Rechnungs- und Abrechnugsprogramm, allen Effizienzauswertungen und allen Statistiken, Kalkulationen und Bewertungen halbfertige Erzeugnisse, darf der Prüfer einsehen und verproben.
Ganz gefährlich sind meines Erachtens natürlich auch Programme, die im Unternehmen bestellt werden, sei es auch nur zu Versuchszwecken oder die man später wieder aussortiert, weil sie sich doch nicht als praktikabel und sinnvoll erwiesen haben und dort ein gewisser Daten -Müll vorhanden ist. Auch diese könnte der Prüfer sehen und auswerten wollen…..
In dem Urteil des BFH vom 25.3.2015 – X R 20/13 (BStBl 2015 II S. 743) ging es um die (Un-)Zulässigkeit von Hinzuschätzungen im Rahmen eines Zeitreihenvergleichs. Während der Zeitreihenvergleich als eher statistische Methode hier als wenig zielführende und nur in Ausnahmefällen bei sehr statischen Betrieben mögliche Prüfungsmethode völlig zu Recht als im wesentlichen ungeeignet vom BFH erkannt wurde, ist fast etwas unbemerkt allerdings in dieser Entscheidung auch ausgeführt worden, dass das Fehlen einer Kassenprogrammierung ein dramatischer formeller Fehler sein soll, der die Glaubwürdigkeit der Buchführung infrage stellt. Ob dies zutreffend ist, erscheint eher fraglich. Gleichwohl hat hat der BFH in dem Urteil vom 25 dritten 2015 entschieden, dass das Fehlen einer lückenlosen Dokumentation zur Kassenprogrammierung dem Fehlen von Tagesendsummenbons bei einer Registrierkasse bzw. dem Fehlen täglicher Protokolle über das Auszählen einer offenen Ladenkasse gleichstehe. Zudem seien die Betriebsanleitungen im Rahmen der Betriebsprüfung vorzulegen. Damit muss natürlich allen Kassennutzern erst einmal gesagt werden, dass diese sogenannten Organisationsunterlagen, also die Betriebsanleitung, die erst Einrichtung und sämtliche Änderungsprotokolle extrem wichtig sind. Nur allzu leicht kann die Buchführung komplett verworfen werden, wenn bei einem bargeldintensiven Betrieb diese sogenannten Kassenorganisationsunterlagen fehlen. Gleichwohl kann man natürlich auch eine Kasse auch noch später auslesen und prüfen, wie sie programmiert wurde. Und ob denn wirklich dieser Gedanke zutreffend ist, vor dem Hintergrund, dass doch sowieso eine fiskalischer vorhanden sein muss und dazu führt, dass jeder Umsatz sowieso gebucht werden muss und ob man da nicht auf geneinzelnen Aufzeichnungen nicht trotzdem die Plausibilität der Kassenaufzeichnung nachprüfen kann, selbst wenn die Organisationsunterlagen fehlen, ist sicher etwas, was in den nächsten Jahren noch auszudiskutieren sein wird …
Fragen hierzu? Dann rufen Sie jetzt den Spezialisten im streitigen Steuerrecht, in der Betriebsprüfung und in der Fahndungsprüfung an: Dr. Jörg Burkhard, 0611 – 890910 oder www.drburkhard.de