AG Kiel, Urteil vom 27. November 2014 – 48 Ls 1/14, 48 Ls 545 Js 46477/13 (1/14) –, SchlHA 2015, 110-113 = DStR 2015, 897-898: Schon allgemeine Presse- und Rundfunk-Berichte über den Ankauf von „Steuer-CDs“ können dazu führen, dass der Steuerpflichtige damit rechnen muss, dass seine Steuerhinterziehung jedenfalls zum Teil entdeckt ist und damit ein Sperrwirkungstatbestand eingreift und eine Selbstanzeige nicht mehr zur Straffreiheit führt.
Die Begründung des AG:
- Selbstanzeige
Der Angeklagte ist auch nicht durch seine Selbstanzeige vom 06.09.2012, die am 06.09.2012 beim Finanzamt … eingegangen ist, straffrei geworden. Dem steht der Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO entgegen, weil die Steuerhinterziehungen des Angeklagten teilweise bereits entdeckt waren und der Angeklagte hiermit bei Abgabe der Selbstanzeige rechnen musste.
§ 371 Abs. 1 AO lautet dabei wie folgt wörtlich: „Wer gegenüber der Finanzbehörde zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt, wird wegen dieser Steuerstraftaten nicht nach § 370 bestraft. Die Angaben müssen zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart, mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre erfolgen.“
Nach § 371 Abs. 2 AO tritt die Straffreiheit in bestimmten Situationen nicht ein. Es sind in Abs. 2 also verschiedene Sperrwirkungstatbestände aufgezählt, bei denen die Straffreiheit nicht eintreten soll. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Betriebsprüfer sich durch eine Betriebsprüfung ankündigte, weil dann die Entdeckungswahrscheinlichkeit so hoch ist, dass der StPfl nicht mehr die Gnade der Straffreiheit erhalten soll. Auch wenn der Betriebsprüfer oder der Fahnder zur Prüfung bzw. Fahndung erschienen ist und nun während oder unmittelbar vor dem Fahndungsbeginn der StPfl eine Selbstanzeige abgibt, führt dies nicht mehr zur Straffreiheit. Stellen Sie sich also vor, es klingelt, 12 Fahnder stehen auf dem Hof und der Fahndungsleiter stellt sich gerade vor, hat schon den Fuß in der Tür und hält Ihnen den Haftbefehl zum Lesen hin und in diesem Moment sagen Sie: gut dass Sie da sind, ich wollte noch rasch meine Steuererklärungen berichtigen und eine Selbstanzeige abgeben, also ich habe in 2008 … € ohne Rechnung vereinnahmt, in 2009 … € ohne Rechnung vereinnahmt usw. Dieser Fall führt nicht zu einer Straffreiheit. Der Gesetzgeber verlangt zwar nicht wirklich eine Reue oder eine echte Freiwilligkeit. Die Angst vor Entdeckung ist kein Sperrwirkungstatbestand, auch nicht die Möglichkeit später mal entdeckt zu werden. Wären dies Ausschlussgründe, gäbe es wohl nie eine wirksame Selbstanzeige. Aber der Gesetzgeber verlangt eine gewisse autonome aktive Tätigkeit des StPfl zur Berichtigung- und eine Proforma-Aktivität, wenn der Fahnder oder Betriebsprüfer sowieso quasi im nächsten Augenblick die Tat entdeckt oder die Beweismittel an sich nimmt, genügt dann nicht mehr. Eine solche Selbstanzeige ist dann einfach zu spät … da hätte der StPfl früher aktiv werden müssen. So soll auch nach dem Willen des Gesetzgebers keine Straffreiheit nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 eintreten, wenn die Tat bereits entdeckt war und der Täter dies positiv wusste oder jedenfalls mit seiner Tatentdeckung rechnen musste. Wörtlich heißt es in § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO:
- 1.
-
bei einer der zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung
- 2.
-
eine der Steuerstraftaten im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste“
Das AG legt dann erst einmal die Selbstanzeige nach ihrem Sinn und Zweck aus und nähert sich sodann der Auslegung des Sperrwirkungstatbestandes der Nr. 2:
Rechtfertigung der strafbefreienden Wirkung der Selbstanzeige
Das Privileg der strafbefreienden Selbstanzeige dient der Erschließung bisher verborgener Steuerquellen. Dabei rechtfertigt sich die Rechtsfolge der Straffreiheit zum einen aus dem fiskalischen Interesses des Staates an den zusätzlichen Einnahmen, zum anderen aus der Rückkehr des Steuerpflichtigen zur Steuerehrlichkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 20.05.2010 – 1 StR 577/09 – NJW 2010, 2146, zitiert nach beck-online, Rdnr. 6).
In seinem Beschluss vom 20.05.2010 hat der Bundesgerichtshof hervorgehoben, dass der fiskalischen Rechtfertigung der Strafbefreiung vor dem Hintergrund der zunehmend besseren Aufklärungsmöglichkeiten eine immer geringere Bedeutung zukomme und daher der Gesichtspunkt der Rückkehr in die Steuerehrlichkeit in größerem Umfang die Rechtfertigung für die Straffreiheit leisten müsse (a.a.O., Rdnr. 10).
Um dieser höheren Bedeutung für die Rechtfertigung gerecht zu werden, hat der Bundesgerichtshof die Anforderungen an den Steuerpflichtigen verschärft, indem er nur noch eine vollständige Rückkehr in die Steuerehrlichkeit genügen ließ, um Straffreiheit zu gewähren, Teilselbstanzeigen aber – unter ausdrücklicher Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung – nicht mehr zuließ (a.a.O., Rdnr. 11).
Diese Argumentation hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung (Schwarzgeldbekämpfungsgesetz, BGBl. I 2011/19, Seite 676) aufgegriffen, das am 03.05.2011 in Kraft getreten ist. Durch die mit dem Gesetz umgesetzte Neufassung des § 371 AO ist nunmehr für die Erreichung der Straffreiheit erforderlich, dass alle unverjährten Sachverhalte in Bezug auf eine Steuerart mit der Selbstanzeige aufgedeckt werden. Damit hat der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen, dass es keine Teil-Selbstanzeige mehr geben wird, mit denen in der Vergangenheit bisher verborgene Steuerquellen wenigstens zum Teil erschlossen werden konnten; vielmehr hat er die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit als tragende Rechtfertigung der Strafbefreiung übernommen.
Schon in der Begründung des ursprünglichen Gesetzentwurfs wurde ausgeführt, dass mit der Verschärfung des § 371 AO verhindert werden soll, „dass die Selbstanzeige von Steuerhinterziehern im Rahmen einer ‚Hinterziehungsstrategie‘ missbraucht wird“ (BT-Drucksache 17/4182, Seite 1); „bloßes Taktieren und ‚Reue‘ nach dem Stand der Ermittlungen“ soll ausdrücklich nicht mehr mit Strafbefreiung belohnt werden (a.a.O., Seite 4). Honoriert werden soll vielmehr nur noch die freiwillige und vollständige Rückkehr in die Steuerehrlichkeit. Dabei ging es dem Gesetzentwurf ausdrücklich auch darum zu vermeiden, dass durch – infolge öffentlicher Berichterstattung über Ankäufe von „Steuer-CDs“ durch die Finanzbehörden erkennbar nur in Bezug auf die jeweils genannten Herkunftsländer und -banken abgegebene – Teilselbstanzeigen Strafbefreiung erreicht werden kann, während die Steuerpflichtigen zusätzliche Steuerquellen weiter verborgen halten (a.a.O., Seite 1), deren Aufdeckung aktuell nicht befürchtet wird.
Der Finanzausschuss hat – soweit es hier relevant ist – im Wesentlichen redaktionelle Änderungen empfohlen, seinerseits aber ebenfalls betont, mit der Gesetzesänderung solle ein Missbrauch der Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige verhindert werden (BT-Drucksache 17/5067, Seite 18).
Der Gesetzentwurf ist letztlich unter Berücksichtigung der Empfehlungen des Finanzausschusses beschlossen worden.
Nach der nunmehr geltenden Fassung des § 371 AO, der auch zum Zeitpunkt der Selbstanzeige des Angeklagten in Kraft war, kommt einer Selbstanzeige unter anderem dann keine strafbefreiende Wirkung zu, wenn eine der Steuerstraftaten zum Zeitpunkt der Selbstanzeige bereits ganz oder zum Teil entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste. Insoweit hat der Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO eine objektive Komponente– die Tatentdeckung – und eine subjektive Komponente – die Kenntnis davon beziehungsweise das Rechnen-müssen damit.
- Tatentdeckung
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt Tatentdeckung vor, wenn bei vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit eines Hinterziehungstatbestands gegeben ist. „Die Anforderungen an diese Wahrscheinlichkeitsprognose dürfen schon deshalb nicht zu hoch angesetzt werden, weil sie auf einer (noch) schmalen Tatsachenbasis erfolgen muss“ (BGH, a.a.O.). Ein hinreichender Tatverdacht ist ausdrücklich ebenso wenig erforderlich wie eine genaue Bezifferung eines Hinterziehungsschadens.
Danach waren die Taten vorliegend entdeckt im Sinne des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO: Das Finanzamt Münster hatte die auf der erworbenen CD enthaltenen Daten über den Angeklagten bereits mit seinen Einkommensteuererklärungen abgeglichen und aufgrund der Abweichungen ein Steuerstrafverfahren eingeleitet, als die Selbstanzeige des Angeklagten beim Finanzamt … einging.
Der Einleitungsvermerk für das Steuerstrafverfahren datiert auf den 23.08.2012, die Selbstanzeige ging am 06.09.2012 beim Finanzamt … ein.
- Rechnen-müssen mit der Tatentdeckung
Die Tat war aber nicht nur objektiv entdeckt, der Angeklagte musste auch im Sinne von § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO mit der Tatentdeckung rechnen.
- a) Dabei gilt nach dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO zunächst, dass es zur Versagung der Strafbefreiung für alle unverjährten Steuerstraftaten bereits genügt, dass eine von ihnen im Zeitpunkt der Selbstanzeige auch nur zum Teil entdeckt war (so auch Beyer, NWB 43/2012, 3445, 3446). Subjektiv ist nicht erforderlich, dass der Täter mit der Entdeckung dieses Teils dieser Tat rechnen musste; es genügt vielmehr, wenn der Angeklagte mit der Entdeckung eines beliebigen Teils einer beliebigen seiner Taten rechnen muss. Denn nach dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO muss der Täter lediglich wissen oder damit rechnen müssen, dass eine Tat wenigstens zum Teil entdeckt ist, nicht aber, welcher Teil welcher Tat.
Diese am Wortlaut orientierte Auslegung entspricht auch der oben genannten zweiteiligen Rechtfertigung der Straffreiheit: Bei den Sperrgründen des § 371 Abs. 2 Nr. 1 AO muss die Tat noch nicht entdeckt sein, es können also noch verborgene Steuerquellen aufgedeckt werden; die Rückkehr in die Steuerehrlichkeit rechtfertigt in diesem Fall die Straffreiheit, solange der Täter (oder sein Vertreter) nicht positiv Kenntnis von einer Prüfungsanordnung oder der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens hat oder bereits ein Amtsträger zur Prüfung oder Ermittlung erschienen ist. Ist eine Tat andererseits – jedenfalls zum Teil – bereits entdeckt, die bisher verborgene Steuerquelle also aufgedeckt, kann das Privileg der Straffreiheit insoweit nicht mehr fiskalisch, sondern nur noch durch die Rückkehr des Steuerpflichtigen zur Steuerehrlichkeit gerechtfertigt werden; in diesem Fall ist es angemessen, die Straffreiheit davon abhängig zu machen, dass der Steuerpflichtige freiwillig zur Steuerehrlichkeit zurückkehrt, und nicht lediglich aus der konkreten Furcht vor Entdeckung seiner Tat. Für die Freiwilligkeit kommt es aber nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige die Tatentdeckung insgesamt oder nur eines Teils seiner Tat oder Taten fürchtet.
- b) Vorliegend musste der Angeklagte mit der Entdeckung seiner Kapitaleinkünfte bei allen drei Banken rechnen, deren Existenz er den Steuerbehörden bis dahin verschwiegen hatte.
- aa) In Kommentierung und Rechtsprechung wird teilweise angenommen, „damit rechnen müssen“ bedeute, dass der Täter aus den ihm bekannten Tatsachen den Schluss hätte ziehen müssen, dass die Tat entdeckt ist (so etwa Franzen/Gast/Joecks, § 371 AO, Rdnr. 198; Klein, § 371 AO, Rdnr. 70; entsprechend: BayObLG, Urteil vom 24.02.1972 – 4 St 135/71, BB 1972, 524; so auch noch Graf/Jäger/Wittig/Rolletschke, § 371 AO, Rdnr. 117, der die Auffassung in Rdnr. 118 aber schon relativiert). Auf eine entsprechende Auslegung deutet auch die Formulierung des Bundesgerichtshofs in seinem Beschluss vom 20.05.2010 hin, die Anforderungen an das Vorliegen des „Kennenmüssens“ dürften nicht überspannt werden.
Das Gesetz sieht aber gerade nicht vor, dass der Täter die Tatentdeckung „kennen musste“, sondern nur, dass er „damit rechnen musste“. Das Rechnen mit einem Umstand setzt dessen tatsächliches Vorliegen – anders als das Kennen – jedoch nicht voraus.
Dies entspricht auch der Auffassung des historischen Gesetzgebers: Im ursprünglichen Gesetzentwurf für die Abgabenordnung war das tatsächliche Vorliegen der Tatentdeckung nicht als Voraussetzung der Verwehrung der Straffreiheit genannt (BT-Drucksache 7/79, Seite 81, dort § 354 Abs. 2 Nr. 2 AO). Erst im Bericht und Antrag des Finanzausschusses wurde dann die später verabschiedete Fassung des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO vorgeschlagen, in dem die tatsächliche Tatentdeckung als Voraussetzung für die Versagung der Straffreiheit ergänzt war (BT-Drucksache 7/4292, Seite 134, nunmehr § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO). Zur Begründung wurde ausgeführt: „Der Täter, der […] bei verständiger Würdigung der Sachlage damit hätte rechnen müssen, daß die Tat bereits entdeckt war, obwohl dies nicht zutraf, verliert damit noch nicht die Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige“ (a.a.O., Seite 44).
Der Steuerhinterzieher muss demnach im Einzelfall mit der Tatentdeckung schon rechnen, wenn er noch nicht sicher auf die erfolgte Tatentdeckung schließen kann; vielmehr bedeutet das Rechnen-müssen mit der Tatentdeckung, dass eine Restunsicherheit verbleiben kann. Es genügt nach dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO, wenn der Steuerhinterzieher aufgrund der ihm bekannten Tatsachen konkrete Anhaltspunkte dafür hat, dass seine Steuerhinterziehung jedenfalls zum Teil entdeckt sein könnte (im Ergebnis ebenso: Beyer, NWB 43/2012, 3445, 3446).
Auch insoweit wird die am Wortlaut orientierte Auslegung durch die Systematik des § 371 Abs. 2 AO gestützt: In § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO hat der Gesetzgeber festgelegt, dass schon die Bekanntgabe einer (verdachtsunabhängigen) Prüfungsanordnung die Straffreiheit durch eine Selbstanzeige ausschließt. Genügt aber im Fall der Steuerprüfung schon die bloße Ankündigung, ohne dass die Finanzbehörden schon einen Tatverdacht haben müssen, liegt es nahe, bei einer tatsächlich gegebenen Tatentdeckung durch die Steuerbehörden für die Versagung der strafbefreienden Wirkung der Selbstanzeige ausreichen zu lassen, wenn der Täter die Entdeckung der Steuerhinterziehung nach seinem Kenntnisstand nur befürchten musste; denn die Ankündigung der Steuerprüfung kann bei einem Täter regelmäßig auch nur die Sorge auslösen, dass seine Steuerhinterziehung im Rahmen der Prüfung entdeckt werden könnte. Es wäre ein Wertungswiderspruch, wenn im Falle der bevorstehenden Steuerprüfung schon die Bekanntgabe der entsprechenden Anordnung die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige ausschließt, obwohl eine Steuerprüfung nicht sicher zu einer Tatentdeckung führt, der Täter also auch nicht sicher von der Tatentdeckung ausgehen muss, im Fall der tatsächlich entdeckten Tat aber das Kennen-müssen der Tatentdeckung Voraussetzung wäre.
Dieser Wertungswiderspruch wäre auch nicht dadurch zu rechtfertigen, dass dem Täter nicht zugemutet werden sollte, sich strafrechtlicher Verfolgung auszusetzen, wenn er dem Staat bisher verborgene Steuerquellen nachträglich offenbart, und die Abgrenzung, ab wann mit strafrechtlicher Verfolgung zu rechnen ist, bei der Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung eindeutiger ist als beim Rechnen-müssen mit der Tatentdeckung (so wohl Randt/Schauf, DStR 2008, 489, 491, zitiert nach beck-online, deren Argumentation spätestens seit dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz überholt sein dürfte; Blumers, wistra 1985, 85, kritisiert, der Täter könne „die Wirksamkeit der Selbstanzeige nicht mehr kalkulieren“). Dieses Risiko muss der Steuerpflichtige tragen, der sich seiner Steuerpflicht bisher entzogen hat. Die Unsicherheit ist ihm – auch verfassungsrechtlich – zuzumuten, da es um die Gewährung eines (Straffreiheits-)Privilegs geht. Der Bundesgerichtshof hat in diesem Zusammenhang klargestellt, dass § 371 AO im Hinblick auf den Verzicht auf den staatlichen Strafanspruch restriktiv auszulegen ist.
Im Übrigen hat der Gesetzgeber die Fehleranfälligkeit der Prognose des Steuerpflichtigen erkannt und bewusst in Kauf genommen, wie sich aus der Begründung des Finanzausschusses aus dem Jahr 1975 ergibt („Der Täter, der […] bei verständiger Würdigung der Sachlage damit hätte rechnen müssen, daß die Tat bereits entdeckt war, obwohl dies nicht zutraf […]“, BT-Drucksache 7/4292, Seite 44).
- bb) Ein erforderlicher Grad der Wahrscheinlichkeit, ab dem mit der Tatentdeckung gerechnet werden muss, lässt sich nicht quantifizieren (Beyer, NWB 43/2012, 3445, 3447, meint, bei weniger als 10% Wahrscheinlichkeit müsse der Täter jedenfalls nicht mit der Tatentdeckung rechnen). Vielmehr ist es eine Frage des Einzelfalls, ob der Steuerpflichtige bei verständiger Würdigung der Sachlage mit der Tatentdeckung rechnen musste. Dabei dürfen die Voraussetzungen nicht überspannt werden.
In dem oben zitierten Beschluss vom 20.05.2010 hat der Bundesgerichtshof hierzu ausgeführt, angesichts der verbesserten Ermittlungsmöglichkeiten im Hinblick auf Steuerstraftaten und auch der stärkeren Kooperation bei der internationalen Zusammenarbeit könnten heute keine hohen Anforderungen an die Annahme gestellt werden, der Angeklagte habe mit der Tatentdeckung rechnen müssen. „Der Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO wird daher heute maßgeblich durch die objektive Voraussetzung der Tatentdeckung im vorstehend verstandenen Sinne und weniger durch die subjektive Komponente bestimmt“ (BGH, a.a.O., Rdnr. 33; kritisch hierzu: Rüping in HHSp, § 371 AO, Rdnr. 194).
Dabei kann sich das Zurückdrängen der „subjektiven Komponente“ nur auf das Damit-rechnen-müssen beziehen, weil es bei der positiven Kenntnis von der Tatentdeckung keinen Beurteilungsspielraum gibt. Aufgrund der verbesserten Ermittlungsmöglichkeiten muss der Steuerpflichtige somit heute tendenziell eher mit der Tatentdeckung rechnen als früher, weshalb es für die Versagung der Strafbefreiung maßgeblich auf die objektive Tatentdeckung ankommt.
Im Ergebnis hat der Bundesgerichtshof damit zunächst die Anforderungen an die objektive Tatentdeckung niedrig bestimmt („Die Anforderungen an diese Wahrscheinlichkeitsprognose dürfen […] nicht zu hoch angesetzt werden“, a.a.O., Rdnr. 24) und sodann festgestellt, aufgrund der heutigen Ermittlungsmöglichkeiten müssten Steuerhinterzieher eher mit der Entdeckung rechnen („[…] können […] heute keine hohen Anforderungen an die Annahme des ‚Kennenmüssens‘ der Tatentdeckung mehr gestellt werden“, a.a.O., Rdnr. 33). Dem Steuerhinterzieher bleibt demgemäß die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige verwehrt, wenn ihm bekannte tatsächliche Umstände erhebliche Anhaltspunkte dafür liefern, dass seine Steuerstraftaten jedenfalls teilweise entdeckt sein können.
- cc) Ob der Steuerpflichtigen im Einzelfall mit der Tatentdeckung rechnen muss, ist auf der Grundlage seiner individuellen Tatsachenkenntnis zu beurteilen (vgl. Klein, § 371 AO, Rdnr. 70; Göres/Kleinert, NJW 2008, 1353, 1358, zitiert nach beck-online; BayObLG, a.a.O.). Dabei können unvollständige Informationen dazu führen, dass er eher mit der Tatentdeckung rechnen muss als bei vollständigeren Informationen (ähnlich Beyer, a.a.O., 3447, der sich anhand von konkreten Beispielen damit auseinandersetzt, welche Umstände dazu führen können, dass der Täter mehr oder weniger mit der Tatentdeckung rechnen müsse). So erhöht die (im Übrigen unspezifische) Kenntnis vom Ankauf einer „Steuer-CD“ aus einem Land, in dem der Steuerpflichtige unversteuerte Kapitalerträge erwirtschaftet hat, subjektiv die Wahrscheinlichkeit der Tatentdeckung. Tritt die Erkenntnis hinzu, dass die CD von der Bank stammt, bei der die Einkünfte entstanden sind, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit subjektiv weiter. Durch zusätzliche Informationen, etwa zu Umfang und Qualität der Daten, kann sich die Wahrscheinlichkeit subjektiv weiter erhöhen oder auch verringern. Eine Verringerung der subjektiven Wahrscheinlichkeitseinschätzung ist etwa denkbar, wenn der Täter erfährt, dass die Daten nur weniger Kunden gekauft wurden; gar nicht mehr mit der Entdeckung bräuchte er beispielsweise zu rechnen, wenn er die glaubhafte Information erhielte, es seien lediglich Kundendaten aus einem Jahr erworben worden, in dem er selbst nicht Kunde der Bank war.
Nicht zu folgen ist in diesem Zusammenhang der Auffassung, der Steuerpflichtige müsste im Fall des Erwerbs von „Steuer-CDs“ lediglich dann mit der Entdeckung seiner Taten rechnen, wenn die Daten aller Kunden der jeweiligen Banken von den Steuerbehörden erworben worden wären (so ausdrücklich Bach, PStR 2012, 248, 249; ähnlich Mückenberger/Iannone, NJW 2012, 3481, 3482-3483, zitiert nach beck-online; ablehnend insoweit auch Beyer, a.a.O., 3447). Zum einen vernachlässigt die Auffassung die Abhängigkeit des Damit-rechnen-müssens vom subjektiven Kenntnisstand des Täters. Wollte man dieser Auffassung folgen, müsste der Täter zum anderen selbst dann noch nicht mit der Tatentdeckung rechnen, wenn die Steuerbehörden die Daten aller bis auf eines Kunden erlangt hätten; das kann offenkundig nicht richtig sein.
- dd) Eine Rolle kann schließlich das zeitliche Moment spielen. Allerdings kann nicht pauschal angenommen werden, dass unmittelbar nach dem Erwerb einer „Steuer-CD“ noch nicht mit der Entdeckung einer Tat gerechnet zu werden braucht, weil noch kein Abgleich mit den Steuerakten der auf der CD genannten Personen erfolgen konnte (so wohl Beyer, a.a.O., 3447); denn vor dem Ankauf einer CD prüfen die Steuerbehörden stichprobenartig die Qualität der Daten und können hierbei auch schon die Daten des Täters mit seinen Steuerakten abgeglichen haben. Erhebliche Zeit nach der Berichterstattung über einen CD-Kauf muss der Täter andererseits in geringerem Umfang, irgendwann nicht mehr mit der Tatentdeckung rechnen.
Maßgeblicher Zeitpunkt für das „Damit-rechnen-müssen“ ist dabei immer der Kenntnisstand bei Abgabe der Selbstanzeige. Das ergibt sich aus dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 S. 2 AO.
- c) In diesem Sinne musste der Angeklagte zum Zeitpunkt der Abgabe der Selbstanzeige mit der (tatsächlich gegebenen) Tatentdeckung rechnen, insbesondere – aber nicht nur – in Bezug auf die Einkünfte, die er bei J B erzielt hat:
Schon aufgrund seiner bei Abgabe der Steuererklärung gegebenen Kenntnis des Ankaufs von „Steuer-CDs“ von unbekannten schweizerischen Banken durch die deutschen Steuerbehörden (siehe oben unter III.3) musste der Angeklagte mit der Entdeckung seiner Steuerhinterziehungen rechnen, da er selbst Konten bei drei Banken in der Schweiz unterhielt, die er dem Finanzamt verschwiegen hatte.
Darüber hinaus wusste der Angeklagte, dass eine „Steuer-CD“ mit Kundendaten von J B bei den deutschen Finanzbehörden vorlag. Durch den dem Angeklagten bekannten Ankauf von Daten von J B hatte sich die Wahrscheinlichkeit der Aufdeckung seiner Steuerhinterziehungen zusätzlich erheblich erhöht.
Umstände, aufgrund derer der Angeklagte hätte davon ausgehen können, dass gerade seine Daten nicht auf einer CD enthalten wären, sind nicht ersichtlich.
Keine Rolle spielt für die Frage der strafbefreienden Wirkung der Selbstanzeige, dass der Angeklagte noch nicht mit der Tatentdeckung rechnen musste, als er sich im Jahr 2011 zur Selbstanzeige entschloss. Dieser Gesichtspunkt kann ausschließlich im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt werden.
- Umfang der Sperrwirkung
Mit der Sperrwirkung in Bezug auf die Einkünfte bei J B hat die Selbstanzeige auch wegen der weiteren Einkünfte keine strafbefreiende Wirkung mehr. Das folgt schon aus dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO, wonach Straffreiheit (insgesamt) nicht eintritt, wenn „eine der Steuerstraftaten […] ganz oder zum Teil“ entdeckt war (so auch Zanzinger, DStR 2011, 1397, 1400, zitiert nach beck-online).
Anmerkungen: Dieser Entscheidung des AG Kiel kann nicht gefolgt werden. Sie ist meines Erachtens falsch. Aber sie zeigt viele Interessante Aspekte. Doch nun der Reihe nach:
- Es liegt jedenfalls in dem Ankauf der CD regelmäßig objektiv keine Tatendeckung des konkreten einzelnen StPfl. Die Finanzverwaltung prüft zwar vor Ankauf der CD die Qualität der Daten um zu sehen, ob das Material gut ist bzw. welchen Wert es hat. Wenn der konkrete StPfl nicht ausgerechnet bei diesen verprobten dabei ist, also in der noch unverprobten Masse oder ggf. gar nicht auf der CD drauf ist, ist auch objektiv keine Tatendeckung bezüglich seines Falls gegeben. Im Urteil wird bloß mitgeteilt, eine Tatendeckung habe bezüglich des StPfl stattgefunden. Lassen wir das mal mangels weiterer Sachverhaltskenntnis so stehen … die Tatentdeckung ist aber objektiv nur dann gegeben, wenn der CD-Datensatz konkret mit seiner Steuerakte abgeglichen wurde, hierüber ein Aktenvermerk gefertigt wurde. Dann wäre, wenn dies richtig läuft, intern ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden (und dem StPfl. noch nicht bekannt gegeben worden), das Kontrollmaterial und die Kopien seiner Erklärungen und ein Verdachtsprüfungsvermerk in einer neu anzulegenden Strafakte niedergelegt worden. Allein, dass der StPfl auf der CD wäre, wäre allenfalls die Entdeckungsmöglichkeit oder die gestiegene Entdeckungsgefahr entstanden – noch aber keine Entdeckung. Diese ist erst bei Auswertung des konkreten Kontrollmaterials anhand der Steuerakte gegeben. Unterstellen wir mal, das sei hier so erfolgt. Der Sperrwirkungstatbestand setzt aber mehr als die objektive Entdeckung voraus: es muss auch eine subjektive Komponente beim Steuerpflichtigen hinzukommen: er muss von dieser Tatendeckung positiv wissen oder er muss mit seiner Entdeckung rechnen.
- Wann muss man mit der Tatentdeckung rechnen? Wann rechnet man mit etwas? Es ist offenbar eine Wahrscheinlichkeitsprognose und zwar eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, die einen mit etwas rechnen lässt. Dabei entscheidet man vom Sprachgebrauch zwischen: „mit etwas rechnen können“ oder „mit etwas rechnen müssen“. Ersteres ist ein bloße Möglichkeit, letzteres schon zwingender. Aber ab wieviel Prozent? 51% oder 90 oder 99 %?
- Was ist nun, wenn der StPfl gar nicht auf der CD war/ist? Musste er trotzdem mit seiner Tatentdeckung rechnen? Was ist, wenn nur auf der CD 10.000 oder 40.000 Daten sind und unbekannt bleibt, wieviele Kunden die Bank aus Deutschland hat? Spielt es eine Rolle, ob 10.000 von 10.000 oder von 50.000 oder 100.000 Kunden auf der CD sind? Spielt es eine Rolle, wenn erfundene Daten auf der CD sind oder etwa nur abgekürzte Vornamen und keine Geburtsdaten auf der CD sind? Ist es wichtig, ob der StPfl in D gemeldet ist bzw. er steuerlich hier nicht geführt wird und das Finanzamt nicht weiß, ob er in D wohnt?
- Tatentdeckung bedeutet, dass die Tat entdeckt ist, also ein Abgleich mit dem Kontrollmaterial mit der Erklärung des StPfl vom Finanzbeamten vorgenommen wurde und festgestellt wurde, dass die Einkünfte gemäß dem Kontrollmaterial nicht erklärt wurden. Davon abgeleitet wirft sich die Frage auf, wann der StPfl mit seiner Tatentdeckung rechnen musste. Dies dürfte dann der Fall sein, wenn er wusste oder zumindest annehmen musste, dass er bei dem Kontrollmaterial „CD“ dabei ist, die Daten so gut sind, dass er identifiziert wird und weitere Angaben auf der CD sind, die seine Kapitaleinkünfte belegen, also nicht bloß, dass er ein Konto dort hat. Denn er könnte ein Devisen oder Hausgeld- oder Urlaubskonto im Ausland haben oder nur ein ertragloses Giro-oder Edelmetallkonto. Auch könnte er im Depot nur Nullkuponanleihen oder ertraglose Aktien haben. Andererseits kommt es nicht darauf an, ob er Erträge auf seinem Konto hat, weil die Finanzverwaltung allein wegen der Existenz des Kontos Schätzungen am Rande von Strafschätzungen macht, um den nicht mitwirkenden Steuerpflichtigen durch die Schätzungen zu einer Mitwirkung zu zwingen … nicht erlaubt? Jedenfalls aber Praxis. Aber ob das der StPlf weiß? Und wenn er es nicht weiß, dass er bei bloßer Existenz eines Kontos zur Offenlegung gezwungen wird und dieses Nicht-/Wissen dann bewirkt, dass er bloß wegen der Zurechnung des Kontos mit der Entdeckung rechnen muss…? Aber mit welcher Entdeckung, wenn er keine steuerpflichtigen Erträge hat? Also doch die Frage, ob es etwas zu entdecken gibt und das Kontrollmaterial dies klar genug belegt …? Dies führt wieder auf die Frage zurück, mit was man rechnen muss …. Es hängt wohl vom Inhalt der Informationen auf der CD ab, dem Informations- und Kenntnisstand des StPfl und dem, was wirklich war und entdeckt werden kann. Pauschal lässt sich das kaum beantworten …
- Die unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten machen aber die Unbestimmtheit des Begriffs „damit rechnen müssen“ deutlich. Da dieser Begriff aber die Wirksamkeit einer Selbstanzeige ausschließen soll, ist er offenbar derart unbestimmt, dass er verfassungsrechtlich nicht dem Bestimmtheitsgebot genügt. Dieser Ausschlusstatbestand des „damit rechnen müssens“ dürfte daher verfassungswidrig sein.
- Wenn das AG allgemein von besseren Entdeckungsmöglichkeiten bei der Steuerhinterziehung spricht, argumentiert es zu ungenau. Nicht alle Hinterziehungen sind auf einmal leicht entdeckbar. Das Gericht meint hoffentlich oder offenbar die Kapitalertragsfälle der Schweizer, Liechtensteiner und Luxemburger Banken. Aber nur wegen des Datenaustauschs in den Bankenfällen kann man hier von einer erhöhten Entdeckungsgefahr oder einer leichteren Aufklärbarkeit sprechen. Aber Scheinrechnungen, schwarze Umsätze, Parallelverkürzungen, Kassenmanipulationen mit und ohne Module und Sticks sind doch nicht auf einmal leichter enttarnbar. Sollte also die Selbstanzeige in den Bankenfällen eher ausgeschlossen sein, zumindest in den CD-Fällen, als bei anderen Bankenfällen oder anderen Hinterziehungsfeldern?
Was macht man also nun in einem solchen Fall: Selbstanzeige ja oder nein? Wird man noch straffrei?Haben Sie solche und ähnliche Probleme? Rufen Sie an. Vereinbaren Sie schnellstens einen Besprechungstermin mit mir: 0611-890910.