Dienstagmorgen. 8:15. Es klingelt. Nanu… so früh … wer mag das sein? Wieder die Jana von Gegenüber? Ob sie wieder irgendetwas braucht? Sie kommt häufiger mal rüber. Mal braucht sie Milch, mal Eier, dann fragt sie ob er mal auf ihren Sohn aufpassen kann – nur kurz, bis sie wieder von der Arbeit oder einer Erledigung zurück ist. Manchmal bringt sie aber auch ein Stück Kuchen oder ein Muffin. Aber er ist seit vorletztem Herbst Rentner. Ruheständler. Hat seine Firma verkauft und ist nun zu hause. Seine Frau ist mit zwei Freundinnen ein paar Tage in ein Wellnesshotel in den Schwarzwald gefahren und kommt morgen wieder. Jana ist ´ne nette junge Mutti, eine von den alleinerziehenden Frauen. Ihr Mann hat sie wegen ´ner anderen sitzen lassen. Mit ´nem 5 jährigen kleinen Bub. Ben heißt er. Is´ ´n süßer Fratz. Und kann ganz toll Fußball spielen .. wird vielleicht mal ein ganz großer … denkt sich Ernst, während er zur Haustür geht. Es klingelt schon wieder … ja ja, ich komm ja schon, ruft er, will die Tür aufziehen, doch die ist noch verschlossen. Er schließt auf, zweimal klackt der Schlüssel im Schloss, dann springt die Tür auf … er will gerade guten Morgen Jana sagen, doch dann schaut er verblüfft. Das ist sie gar nicht. Da steht ein Mann vor ihm, den er noch nie gesehen hat. Mittelgroß, nicht gerade schmächtig – aber auch nicht dick. grau-brauner Trenchcoat, schwarze Aktentasche, Schnurbart, Jeans, schmutzige Schuhe. Die beiden schauen sich kurz an. Guten Morgen, sagt der Fremde, Herr Egon Bodenstedt? Mein Name ist Meier, Finanzamt Neustadt, Vollstreckungsstelle, darf ich rein kommen? Fragt´s, hält ihm einen grünlichen Ausweis hin und ist auch schon drinnen. Ernst ist viel zu verdattert, um reagieren zu können. Er hat nicht einmal richtig den Ausweis gesehen … weiß nicht, was da gerade so passiert. Er ist eigentlich nicht so leicht zu überrumpeln … war immerhin fast 40 Jahre Geschäftsführer seiner Metallwarenfirma. Während der Mann an ihm vorbei ins Haus geht, macht Egon die Tür wieder zu und geht hinter ihm her. Er folgt dem sich flüchtig umsehenden Beamten, der –als wäre er seit Jahren Gast bei ihm, schnurstracks in die Küche an den großen Esstisch geht, in seiner schwarzen Tasche nach einem Aktendeckel sucht. Er zieht den grau-braunen abgegriffenen Aktendeckel aus der Tasche, klappt ihn auf und liest vom ersten Blatt Zahlen ab: Ich habe bei Ihnen eine Amtshandlung vorzunehmen, sagt jener Herr Meier. Ich habe hier einen Vollstreckungsauftrag über 58.365 Euro und 78 Cent…. Wieviel fragt Egon zurück? 58 tausend? Aber wieso? Herr Meier zieht nun vollends das Schreiben aus dem Aktendeckel heraus. Beide stehen am Küchentisch. Egon ist viel zu überrascht um Herrn Meier einen Platz anzubieten. Einkommensteuer 2013 sagt Meier. Aber wieso fragt Egon. Da habe ich doch Einspruch eingelegt. Davon weiß ich nichts, sagt Meier. Das interessiert mich auch nicht. Nach der offenen Postenliste schulden Sie diesen Betrag dem Finanzamt und ich habe Sie hier und jetzt zur freiwilligen Zahlung aufzufordern. Wenn nicht, … Meier lässt den Satz so im Raum stehen … Ernst staunt… Sie glauben, ich hätte so einen Batzen Bargeld zu Hause? Nein, habe ich nicht. Aber was ist mit dem Einspruch? Den habe ich doch fristgemäß eingelegt und begründet…? Da habe ich noch gar nichts von Ihnen gehört? Ist der denn schon abgelehnt? Und warum bekomme ich keine Mahnung? Warum kommen Sie gleich zu mir um zu vollstrecken? Der Meier grinst? Einspruch haben Sie eingelegt? Auch Aussetzung der Vollziehung beantragt? Ne, was ist das? Das hat früher immer mein Steuerberater bzw. Buchhalter mit dem Finanzamt gemacht. Jetzt bin ich Ruheständler und kümmere mich um meine Steuern und die anderen Sachen allein. Da lacht der Finanzbeamte. Was ist nun mit den 58.365,78 €? Egon schüttelt den Kopf: ich hab das Geld doch nicht hier. Der Finanzbeamte schaut sich um. Ich muss ein Protokoll aufnehmen. Egon ist verunsichert: und warum schreiben Sie mir nicht, dass ich zahlen muss? Haben wir. Sie haben doch den Steuerbescheid bekommen. Da steht das drin. Aber ich habe doch Einspruch eingelegt. Ja, sagt der Finanzbeamte, das wissen viele nicht: der Einspruch entbindet Sie nicht von der Zahlungspflicht. Egon schaut ihn ungläubig an: ich lege Einspruch ein und muss trotzdem zahlen? Ja, erklärt der Beamte. Die Zahlungspflicht wird nicht deswegen aufgehoben, nur weil Sie Einspruch einlegen. Sie müssen zusätzlich einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stellen und diesen begründen. Was eine Förmelei erwidert Egon. Ich habe doch in der Einspruchsbegründung gesagt, was meines Erachtens falsch in dem Bescheid ist. Der Verkaufserlös ist viel zu hoch angesetzt. Schauen Sie, ich hole mal rasch mein Einspruchsschreiben bzw. meine Akte, dann können wir das klären. Nein, lassen Sie nur, sagt der Beamte Meier. Das interessiert mich sowieso nicht. Das müssen Sie mit dem Innendienst abklären oder die geben es der Rechtsbehelfsstelle. Aber Sie müssen zahlen … Aber Sie sind doch jetzt hier, da können wir das doch gleich klären. Nein, nein, wehrt der Vollziehungsbeamte ab. Ich bin dafür gar nicht zuständig. Ich soll nur das Geld bei Ihnen vollstrecken. Aber ich habe doch nicht mal ne Mahnung bekommen. Es klingelt erneut an der Tür. Das ist jetzt Egon peinlich … wollen Sie nicht öffnen? Fragt Meier. Kommen da noch mehr von Ihnen – ihren Kollegen? fragt Egon. Nein sagt Meier und grinst wieder. Egon geht zur Tür. Er öffnet vorsichtig. Diesmal ist es Jana. Ob er mal kurz auf Ben aufpassen könne, sie müsse nur rasch in die Apotheke. Ihr Ben hat sich übergeben und ihm geht’s gar nicht gut. Egon geht’s auch nicht gut … aber das hat andere Gründe … er kann jetzt nicht, verspricht aber bald rüber zu Ben zu gehen und mal nach ihm zu schauen, er hat gerade Besuch, aber der wird nicht so lange bleiben. Jana bedankt sich, drückt ihm den Schlüssel von ihrer Wohnung in die Hand, fragt kurz ob alles okay ist, Egon nickt nur und weg ist sie.
Zurück in der Küche erklärt Meier, dass das alles auf Enno Becker zurückgeht. Er hat 1918 die RAO „erfunden“. Es war schon damals sehr fortschrittlich, dass die Bürger überhaupt gegen die Verwaltung einen Einspruch einlegen konnten, gegen die Steuerfestsetzung. Denn nach dem alten Preußischen Landrecht war das gar nicht selbstverständlich, dass sich der Bürger gegen den Staat wehren können dürfen sollte. Aber damit das Volk nicht aus Spaß am Nichtzahlen der Steuern im Einspruch einlegen würde, bedurfte es eines besonderen Antrages, der auch noch neben dem Rechtsbehelf die Zahlungsverpflichtung stoppte. Deswegen gibt es neben dem Einspruch gegen die Steuerfestsetzung auch den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, damit nicht gezahlt werden müsse. Gut, das habe ich nicht gewusst. Aber warum schreiben Sie mir nicht oder schicken mir keine Mahnung oder rufen mich an, damit ich mich danach verhalten kann. Dafür gibt es Steuerberater oder Fachanwälte. Wir beraten Sie nicht. Außerdem steht das so in der Rechtsbehelfsbelehrung, die am Ende des Bescheides steht… das mit Enno Becker? Nein, aber dass der Einspruch Sie nicht von der Zahlungspflicht entbindet. Sie meinen, fragt Egon, wenn ich nun diesen Antrag stelle – wie heißt er noch mal? – dann muss ich nicht zahlen. Gut, dann stelle ich den eben, jetzt gleich hier bei Ihnen. Nein, nein sagt Meier, Aussetzung der Vollziehung heißt das und das machen Sie am Besten schriftlich beim Finanzamt. Sie haben doch auch Ihren Einspruch mit der Einspruchsbegründung geschrieben und zum Finanzamt gebracht. Das machen Sie jetzt auch so mit dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung. Sie können ihn auch an Amtstelle zu Protokoll geben. Das machen nur wenige. Die meisten schreiben das zu hause und schicken es ans Finanzamt oder werfen es in den Briefkasten bei uns, erklärt Meier. Und was mache ich jetzt mit dem Bezahlen? Fragt Ernst. Zahlen müssen Sie, erst´ wenn Sie einen begründeten Antrag auf Aussetzung gestellt haben, darf ich nicht vollstrecken, bis über diesen Antrag entschieden ist. Das steht so in unsren Dienstanweisungen, so z.B. in Tz. 3.1 zu § 361 Anwendungserlass zur Abgabenordnung. Aha, sagt Egon, und was muss da alles rein? Na Sie haben doch eine Einspruchsbegründung geschrieben. Genau das. Sie können auch auf den Einspruch und die Einspruchsbegründung verweisen … aber am Besten wird es wohl sein, wenn Sie zu einem Fachmann gehen und sich beraten lassen. Sie hatten doch früher mal ´ne Firma habe ich aus der Akte gesehen … da haben Sie doch auch nicht alles selbst gemacht … oder ? Oder haben sie da auch ihre Steuern selbst gemacht. Nein, Gott bewahre, sagt Egon, es ist doch aber nicht mehr viel, was ich so als Ruheständler habe … da lacht der Meier und sagt, naja aber mit einem Profi hätten Sie sich hier den Ärger und die Vollziehungskosten sparen können … Und wie geht es jetzt weiter, will Egon wissen … er muss nämlich langsam mal rüber zu Ben. Der Vollziehungsbeamte schaut ihn nachdenklich an .. soll er hier vollstrecken … irgendwelche Unterlagen durchwühlen? Überall Dienstsiegel kleben ? … überall einen Kuckuck auf die Schränke, Bilder, Tische usw. kleben … ? Natürlich unauffällig, so dass es keiner auf den ersten Blick sieht… Meier legt sein Pfändungsprotokoll und die Umschlagsmappe auf den Küchentisch … Die Blicke der beiden Männer begegnen sich und verharren einen Moment ineinander …
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