Mängel der Buchführung – materielle, formelle Mängel, sachliche Richtigkeit der Buchführung
Mängel der Buchführung – materielle, formelle Mängel, sachliche Richtigkeit der Buchführung im Steuerrecht differenzieren wir zwischen materiellen Mängeln und formellen Mängeln der (Kassen-) Buchführung. Haben wir einen bargeldintensiven Betrieb, schlagen erhebliche formelle Fehler in der Kasse stets auf die gesamte Buchführung durch. Klar, wenn 95 oder 99 % der Einnahmen über die Kasse laufen und diese zu verwerfen ist, was hilft es dann, wenn die Bank ordnungsgemäß gebucht ist (über die sowieso keine oder kaum Einnahmen liefen …?).
Materielle Mängel sind einzelne singuläre Fehler, die niemals zu einer Verwerfung der Buchführung berechtigen, sondern lediglich zu einer punktuellen Korrektur dieser Fehler führen. Was sind solche materiellen Fehler? Antwort: Da ist beispielsweise eine Betriebsausgabe (Eingangsrechnung) versehentlich doppelt gebucht. Da ist versehentlich ein Zahlendreher enthalten. Da ist eine Betriebseinnahme versehentlich als Betriebsausgabe gebucht. Selbst 10, 20 oder 30 oder mehr solcher materiellen Fehler führen niemals zu einer Verwerfung der Buchführung.
Diese materiellen Fehler werden im BP Bericht aufgelistet und führen zu einer singulären, punktuellen Korrektur. Wenn man hier nicht den Eindruck gewinnen kann, dass hier mit System diese Fehler passierten, um Steuern zeitweise oder dauerhaft zu reduzieren, folgt hieraus nicht einmal ein Steuerstrafverfahren. Es erfolgt die Feststellung im BP-Bericht, der dann nach Auswertung zu geänderten Bescheiden führt. Die Mehrsteuern müssen nebst Sollzinsen (6 % p.a.) gezahlt werden. Das war es aber dann auch schon. Schlimmstenfalls hat das eine Prüfungserweiterung oder eine Anschlussprüfung zur Folge, weil das FA sehen will, ob in den nachfolgenden VZ diese Fehler unterbunden bzw. abgestellt sind.
Anders ist dies bei formellen Fehlern. Erst einmal das Positive: eine formell ordnungsgemäße Buchführung hat den Anschein ihrer Ordnungsmäßigkeit für sich. Ist mit der Feststellung, dass keine formellen Fehler vorliegen damit die Prüfung zu Ende und das Verwerfungsrisiko gebannt? Leider nein: Denn auch bei einer formell ordnungsgemäßen Buchführung kann die Buchführung verworfen und dann nach § 162 AO geschätzt werden, wenn ihre sachliche Unrichtigkeit nachgewiesen werden kann (BFH, BStBl 1990 II S. 268; BFH, BStBl 1983 II S. 618). Dies könnte etwa durch eine Nachkalkulation oder eine Vermögenszuwachsrechnung oder Unterdeckungsrechnung nachgewiesen werden. Die Gefahr einer Schätzung ist also durch die Vorlage einer formell ordnungsmäßigen Buchführung nicht vollständig gebannt – aber wesentlich geringer. Denn die Voraussetzungen an die sachliche Fehlerhaftigkeit sind jedoch wesentlich höher, als bei einer formell nicht ordnungsgemäßen Buchführung.
Was tun, wenn formelle Fehler vorhanden sind? Darf dann immer geschätzt werden? Sind alle formellen Fehler gleich? Antwort: Nein. Nicht alle formellen Fehler sind gleich und es darf auch nicht gleich wegen jedem formellen Fehler geschätzt werden. Beispiel: bei einer elektronischen Kasse fehlt die Bedienungsanleitung. Dies ist ein formeller Fehler. Der ist aber ggf. heilbar, weil die Bedienungsanleitung im Internet zu finden und runterzuladen ist oder über den Kassenaufsteller oder Hersteller noch zu erhalten ist oder die Finanzverwaltung hat die Bedienungsanleitung sowieso schon. Also: aufgrund dieses formellen Fehlers ist die Buchführung nicht zu verwerfen.
Bei allen anderen formellen Fehlern muss man stets prüfen, ob diese das Vertrauen in die Richtigkeit der Buchführung erschüttern oder nicht, ob also mit den dann vorgelegten Aufzeichnungen des StPfl diese prüfbar sind, oder ob Zweifel bestehen, ob diese Aufzeichnungen sachlich richtig und vollständig waren …
Allerdings spricht die formelle Ordnungswidrigkeit in vielen Fällen auch für die sachliche Unrichtigkeit. Bei einer formell ordnungswidrigen Buchführung berechtigen ernsthafte Zweifel an der sachlichen Richtigkeit zur Schätzung (vgl. Tipke/ Kruse, AO- und FGO-Kommentar, § 160 AO Rz. 40 ff.). Dann ist die Beweiskraft der Buchführung nach § 158 AO dahin. Die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen sind dann nicht oder nicht mehr uneingeschränkt der Besteuerung zugrunde zu legen. Der vom Gesetzgeber eingeräumte Vertrauensvorschuss verspielt und die Buchführung kann ganz oder teilweise vorworfen werden und der Weg zur (Teil-) Schätzung ist dann frei.
Bei den formellen Fehlern ist also zu hinterfragen, ob die formellen Fehler so gravierend sind, dass sie beispielsweise an der vollständigen, korrekten Einnahmeerfassung ernsthafte Zweifel entstehen lassen. Die formelle Ordnungswidrigkeit ist für sich allein kein Grund, auch die sachliche Unrichtigkeit generell zu unterstellen und zu schätzen. Auch eine formell ordnungswidrige Buchführung kann sachlich richtig sein. Nach der Rechtsprechung des BFH schließt die sachlich richtige Buchführung eine Schätzung aus (BFH vom 17.11.1981, BStBI 1982 II S. 430). Bei formellen Fehlern in der Buchführung genügt dann z.B. ein Hinweis auf die Richtsatzsammlung und dort abweichende Rohgewinnaufschlagsätze oder andere Reingewinnsätze nicht um die sachliche Unrichtigkeit der Buchführung zu beweisen: ein solcher Hinweis auf die Richtsatzsammlung muss erfolglos bleiben, da die Richtsatzsammlung eine unüberprüfbare und letztlich unseriöse Behauptung angeblich repräsentativer Werte ist, die jedoch wegen ihrer Intransparenz kein anerkennungsfähiger Parameter sein kann (vgl. Burkhard, BBP, 2017, 4 ff). Da hilft auch der Name „amtliche Richsatzsammlung“ über die inhaltlichen Ungenauigkeiten und unklaren Inhalte der Richtsatzsammlung nicht weiter (vgl. Burkhard, BBP, 2017, 4 ff).
Ist beispielsweise bei einer Kasse z.B. die Erstprogrammierung nicht vorhanden, ist unklar, was eigentlich alles addiert wurde und ob die Z-Bons beispielsweise alle vorhandenen mobilen Erfassungsgeräte oder Umsätze aller Kellner dann in dem Gesamtergebnis (Z-Bon) enthalten sind oder nicht, ob beispielsweise alle Tische im Restaurant mit auf addiert wurden und von der Öffnung bis zur Schließung des Lokals alle Umsätze erfasst wurden. Das Fehlen der erst Programmierung ist damit nur ein formeller Fehler, also ein Aufbewahrungsfehler, der allerdings so gravierend ist, dass man nicht weiß, was man eigentlich mit den Zeitungsannoncen kann oder soll: Es sind sie vollständig oder beinhalten sie nur Teile der Umsätze. In diesem Fall würde also ein formeller Fehler, nämlich die nicht Aufbewahrung der erst Programmierung so auf das Buchführungsergebnis der Kasse durchschlagen, dass man nicht wüsste, ob die Einnahmen vollständig und korrekt erfasst wurden oder nicht. Dann ergäben sich durch das Fehlen das erst Programmierungsprotokolls so massive Zweifel, dass dies zur Verwerfung der Buchführung rechtfertigen würde.
Enthält die Buchführung formelle Mängel, so ist ihre Ordnungsmäßigkeit nicht zu beanstanden, wenn das sachliche Ergebnis der Buchführung dadurch nicht beeinflusst wird und die Mängel kein erheblicher Verstoß gegen die Anforderungen an die zeitgerechte Erfassung der Geschäftsvorfälle, die besonderen Anforderungen bei Kreditgeschäften, die Aufbewahrungsfristen sowie die Besonderheiten bei der Buchführung auf Datenträgern sind. Enthält die Buchführung materielle Mängel, z.B. wenn Geschäftsvorfälle nicht oder falsch gebucht sind, so wird ihre Ordnungsmäßigkeit dadurch nicht berührt, wenn es sich dabei um unwesentliche Mängel handelt, z.B. wenn nur unbedeutende Vorgänge nicht oder falsch dargestellt sind. Die Fehler sind dann zu berichtigen, oder das Buchführungsergebnis ist durch eine Zuschätzung richtig zu stellen. Bei schwer wiegenden materiellen Mängeln gilt R 12 Abs. 2 Satz 2. (Einkommensteuer-Richtlinien 1996 – EStR 1996; vgl. BMF, 09.01.1988, IV A 8 – S 0310 – 8/95, BStBI 1996 I, 34).
Trotz formeller Mängel in der (Kassen-)Buchführung – ist das FA also nicht stets zu einer pauschalen Hinzuschätzung von Einnahmen berechtigt. Es kommt vielmehr darauf an, dass die formellen Fehler von einem solchen Gewicht sind, dass man dem Buchführungsergebnis nicht trauen kann. Wenn eine Schätzung danach dann zulässig ist, ist die Frage, inwieweit geschätzt werden darf: Vom Umfang her muss sich das FA an den konkreten Fehlern orientieren, also etwa nur eine Teilschätzung (Zuschätzung) vornehmen, da Vollschätzungen nur in seltenen Ausnahmefällen – z.B. bei vollständigem Fehlen eines Kassenbuches bei nicht unerheblichen Bargeschäften – zulässig sind.
Sind nur Betriebsausgaben falsch, sind diese nur zu streichen – eine Befugnis zur Schätzung resultiert daraus niemals. Nur dann, wenn auf der Einnahmenseite erhebliche Zweifel an der Vollständigkeit der Einnahmeerfassung bleiben rechtfertigt dies eine Hinzuschätzung von Umsätzen.
Nach R 29 Abs. 7 Satz 4 EStR 1993 ist eine Aufbewahrung von Registrierkassenstreifen, Kassenzetteln, Bons und dergleichen (Kassenbeleg) im Einzelfall nicht erforderlich, wenn der Zweck der Aufbewahrung in anderer Weise gesichert und die Gewähr der Vollständigkeit der vom Kassenbeleg übertragenen Aufzeichnungen nach den tatsächlichen Verhältnissen gegeben ist. Nach Satz 3 der Richtlinienregelung sind die vorgenannten Voraussetzungen hinsichtlich der Registrierkassenstreifen regelmäßig erfüllt, wenn Tagesendsummenbons aufbewahrt werden, die die Gewähr der Vollständigkeit bieten und den Namen des Geschäfts, das Datum und die Tagesendsumme enthalten.
Beinhaltet die Buchführung formelle Fehler von einigem Gewicht, muss das Ergebnis nach Schätzung plausibel und möglich sein: sind die Kassenaufzeichnungen formell fehlerhaft und kann man den Z-Bons nicht trauen, so muss die Kontrollfrage nach der Schätzung lauten, ob das Mehrergebnis z.B. mit dem Personal, mit der Bestuhlung und den Tischen in den Öffnungszeiten bzw. Den üblichen Belegungsfrequenzen und der üblichen Auslastung überhaupt machbar war. Lässt sich das Schätzungsmehrergebnis nur dann erzielen, wenn die Tische rund vollständig um die Uhr besetzt waren, erscheint das Mehrergebnis nicht plausibel, da es solche Vollauslastungen nicht gibt. Ist das Mehrergebnis nur dann möglich, wenn die Küche bis 1 Uhr nachts produzierte, die Köche und das Küchenhilfspersonal jedoch ab 21 oder 21:30 nur noch aufräumten und ab 22 Uhr niemand mehr in der Küche da ist, ist das Mehrergebnis schlechterdings nicht machbar. Die Kontrollüberlegungen, d.h. die Überprüfung der Zuschätzung auf Plausibilität und Machbarkeit der Zuschätzung ist also stets vorzunehmen.
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RA Dr. jur. Jörg Burkhard, Fachanwalt für Steuerrecht und Strafrecht
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