Klaus und Ulrike kommen der Grenze näher, sie verlassen gerade Basel, Richtung Autobahn, A5, Richtung Grenze. Sie haben auch schon überlegt, wie sie ihr Konto bereinigen könnten. Ihr Banker bat sie, bis Anfang Dezember eine Entscheidung zu treffen. Sie hatten schon mehrfach mit ihrem Banker darüber gesprochen. Sie haben auf ihrem Konto noch rund 700.000 €. Sie haben in letzter Zeit immer etwas abgehoben. Es war mal etwas mehr als eine Million. Aber sie bauen seit 3 Jahren das Konto bei jedem Besuch ab. Mehr als 50.000 € erlaubt die Bank nicht im Einzelfall. Sie wissen aber auch, dass sie nur bis 9.999,99 € pro Person über die Grenze bringen dürfen. Sie haben sich erkundigt. Sie wissen, jede Person, die mit Barmitteln im Gesamtwert von 10.000 € oder mehr aus einem Drittland nach Deutschland einreist oder aus Deutschland in ein Drittland ausreist, muss diesen Betrag bei der Ein- oder Ausreise unaufgefordert bei der zuständigen deutschen Zollstelle schriftlich anmelden. Bei EU-Mitgliedsstaaten muss nur mündlich angemeldet werden. Schweiz ist Drittland, also muss die Anmeldung schriftlich vor Grenzübertritt erfolgen. Aber sie haben jeweils unter 10.000 € dabei: Klaus hat nur knapp 300 € im Portemonaie, dazu die 9.500 € im Briefumschlag, also insgesamt rund 9.800 €. Ulrike hat noch 470 € im Portemonaie, also mit den 9.500 € im Briefumschlag nur 9.970 €, mithin auch klar unter 10.000 €.
Klaus und Ulrike sprechen über ihr Konto und wie sie es weiß machen könnten. Doch eine Selbstanzeige? Wollen sie nicht. Das Geld stammt noch von seinem Vater. Dann müsste er ggf. noch Schenkungsteuer zahlen, obwohl er das Geld schon länger als 15 Jahre hat. Denn die Schenkung hat noch nicht einmal zu verjähren begonnen, weil der Fiskus von dieser Schenkung in der Schweiz bislang keine Kenntnis hatte. Sie sehen die Grenzanlage. Klaus und Ulrike haben ihre Pässe aus ihren Portemonnaies gekramt und Ulrike hat sie beide griffbereit zum Vorzeigen in der Hand. Sie passieren die Schweizer Grenzer. Einer winkt ihnen fast freundlich zu – genau genommen winkt er sie nur durch. Erwartungsgemäß. Die Pässe müssen sie hier nicht mal vorzeigen. Noch ein paar Meter bis zur deutschen Grenze. Es sind viele Autos vor ihnen. Vielleicht 20. Vorne winken die deutschen Zöllner einen großen schwarzen Mercedes raus. Na, dann lassen die uns ja in Ruhe, sagt Ulrike zu ihrem Mann. Die grünen Jacken mit den dunkelgrünen Aufnäher mit weißem Adler sind weithin sichtbar. Heute scheinen besonders viele grüne Jacken hier zu sein. Langsam wälzt sich die Schlange über die Grenzkontrolle – ein Passat ein paar Autos weiter wird auch rausgewunken. Zwei Grünjacken gehen rechts neben dem Wagen her, bis er rechts stehen bleibt. Nicht weit weg von den Zollhäuschen. Noch vier – noch drei Autos – links stehen zwei Zöllner, rechts drei und eine Frau. Noch zwei Autos – noch der blaue Ford Fiesta vor ihnen. Die Sekunden schleichen dahin und werden zu gefühlten Minuten. Beide sind gespannt. Der blaue Fiesta wird auch befragt, hat die Scheibe schon unten. Steht ein paar Sekunden und kann dann passieren. „Wenn wir doch auch nur schon durch wären.“
Heute scheint irgendwie alles anders als letztes Jahr… irgendwie ist die Stimmung anders, scheint jedenfalls so, irgendwie aufgeheizter, mehr grüne Jacken, mehr Kontrollen. Dann sind sie dran. Die Zöllnerin rechts beugt sich nun etwas runter, um in das Innere zu schauen. Links der Zöllner tritt an den Wagen heran. Klaus lässt die Scheibe herunterfahren. „Guten Tag. Haben Sie etwas zu verzollen?“, fragt der Zöllner Klaus. „Nein“, kommt die Antwort von Klaus, monoton, fast etwas leise. „Haben Sie etwas anzumelden? Haben Sie Bargeld dabei? Führen Sie Bankunterlagen mit sich? Waren sie bei einer Bank?“ – „Nein“, sagt Klaus zum Zöllner. Der Zöllner schaut dann Ulrike an, die auch zum fragenden Zöllner links schaut. Die Blicke bohren sich einen Moment ineinander – taxieren, abtasten – überlegen. „Was haben Sie in der Schweiz gemacht?“, fragt der Zöllner. „Kurzurlaub“, sagt Ulrike. „Wo waren Sie?“, fragt der Zöllner weiter. „In Zürich und Umgebung … und jetzt gerade in Basel“, sagt Ulrike. Ulrike und Klaus wechseln kurz Blicke. Der Zöllner draußen mit seiner jungen Kollegin rechts auch. Die Stimmung wirkt sehr angespannt. Ulrike fühlt sich behandelt wie ein Schwerverbrecher. Sie hat doch nichts gemacht. Dann der Satz, den sie nicht hören wollten. „Fahren Sie bitte mal rechts ran. Dort rechts bitte, neben den Mercedes und den Passat. Meine Kollegen kommen gleich zu ihnen“, sagt der Zöllner.