Gutglaubensschutz bei innergemeinschaftlichen Lieferungen, § 6 a Abs. 4 UStG und erhöhte Sorgfaltspflichten bei diesen Konstellationen
Gutglaubensschutz bei innergemeinschaftlichen Lieferungen
Nach § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG ist eine innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei, wenn bei einer Lieferung die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
„… 1. Der Unternehmer oder der Abnehmer hat den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet,
- der Abnehmer ist
- a) ein Unternehmer, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat,
- b) eine juristische Person, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand der Lieferung nicht für ihr Unternehmen erworben hat, oder
- c) bei der Lieferung eines neuen Fahrzeuges auch jeder andere Erwerber
und
- der Erwerb des Gegenstands der Lieferung unterliegt beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung.”
Der Unternehmer hat diese Voraussetzungen gemäß § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV nachzuweisen.
Der Unternehmer soll dabei gemäß § 17a Abs. 2 UStDV in den Fällen, in denen er oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert, den Nachweis führen:
„… 1. durch das Doppel der Rechnung (§§ 14, 14a des Gesetzes),
- durch einen handelsüblichen Beleg, aus dem sich der Bestimmungsort ergibt, insbesondere Lieferschein,
- durch eine Empfangsbestätigung des Abnehmers oder seines Beauftragten sowie
- in den Fällen der Beförderung des Gegenstands durch den Abnehmer durch eine Versicherung des Abnehmers oder seines Beauftragten, den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet zu befördern.”
Die Voraussetzungen der Steuerbefreiung müssen eindeutig und leicht nachprüfbar aus der Buchführung zu ersehen sein (§ 17c Abs. 1 Satz 2 UStDV).
Nach § 17c Abs. 2 UStDV soll der Unternehmer regelmäßig Folgendes aufzeichnen:
„… 9. den Bestimmungsort im übrigen Gemeinschaftsgebiet.”
Kommt der Unternehmer den Nachweispflichten nicht oder nur unvollständig nach, erweisen sich die Nachweisangaben bei einer Überprüfung als unzutreffend oder bestehen zumindest berechtigte Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Angaben, die der Unternehmer nicht ausräumt, ist von der Steuerpflicht der Lieferung auszugehen; trotz derartiger Mängel ist die Lieferung aber steuerfrei, wenn objektiv zweifelsfrei feststeht, dass die Voraussetzungen der Steuerfreiheit erfüllt sind (BFH-Urteile in BFHE 225, 264, BStBl II 2010, 511, unter II.B.2.b; in BFHE 234, 436, BStBl II 2011, 957, Rz 14; in BFH/NV 2012, 1188, Rz 14).
Sind also die Nachweispflichten nicht erfüllt oder bestehen an der Beleglage erhebliche Zweifel oder erscheint die Gelangensbestätigung als nicht wirksam oder nicht korrekt oder handelt es sich trotz aller Vorsichtsmaßnahmen des liefernden Unternehmers bei dem Erwerber um einen missing trader, gibt es zwei Fragen zu klären: 1) greift die Gutglaubensregelung nach § 6 a Abs. 4 UstG zugunsten des Liefernden oder 2) ist der Liefernde bösgläubig und haftet er in der Lieferkette nach § 25 f UStG?
Hier soll die Gutglaubensregelung im Vordergrund der Betrachtung stehen:
Nach § 6a Abs. 4 UStG (=Gutglaubensregelung) ist eine Lieferung als steuerfrei anzusehen, obwohl die Voraussetzungen nach § 6a Abs. 1 UStG nicht vorliegen, wenn
- die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und
- der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte.
Die Inanspruchnahme des Vertrauensschutzes nach § 6 a Abs. 4 UStG kommt nur dann in Betracht, wenn der Unternehmer einen vollständigen Buch- und Belegnachweis vorweisen kann. Fehlt also die Gelangensbestätigung kann er keinen guten Glauben haben. Es ist daher wichtig, für jede Lieferung oder für jeden Abholfall eine Gelangensbestätigung in der Buchführung zu haben. Hier ist also die akribische Buchführung über alle Belege (USt-ID-Abfrage vor Vertragsschluss, Kaufvertrag, Rechnung, Lieferschein bzw. Übergabequittung, Gelangensbestätigung) zu führen und eine vollständige geordnete Ablage pingeligst zu beachten.
Danach ist zu prüfen, ob der Unternehmer wie ein ordentlicher Kaufmann gehandelt hat. Der Maßstab der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns ist kein individueller, sondern ein objektiver Sorgfaltsmaßstab. Die Frage ist also, was ein objektiver idealisierter ordentlicher Kaufmann gemacht hätte.
Verschiedene Umstände können den Unternehmer zudem zu einer erhöhten Sorgfalt verpflichten: dies sind beispielsweise:
Hochwertige Liefergegenstände.
Barverkauf (Abschnitt 6a.8 Abs. 7 Satz 1 UStAE). Der BFH in der Entscheidung vom 14.11.12, XI R 17/12, Rn 37: „Der Senat verkennt nicht, dass in der Autobranche bei innergemeinschaftlichen Lieferungen Barzahlung Zug um Zug gegen Aushändigung des Fahrzeugs üblich sein mag (vgl. Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 29. Mai 2012 3 K 2138/10, Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2012, 1968, Rz 71, m.w.N.) und dass ohne Barzahlung bei Übergabe oder vollständiger bargeldloser Vorauszahlung durch den im Ausland ansässigen Abnehmer der Verkäufer das Risiko eines Forderungsausfalls tragen würde, jedoch diese Abwicklungsmodalität eine erhebliche umsatzsteuerrechtliche Missbrauchsgefahr birgt. Die Bekämpfung von Missbrauch, Steuerumgehung und -hinterziehung ist indes ein von der Richtlinie 77/388/EWG bzw. MwStSystRL angestrebtes Ziel (vgl. Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union —EuGH— vom 29. April 2004 C-487/01 und C-7/02 —Gemeente Leusden und Holin Groep—, Slg. 2004, I-5337, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 2004, 302, Rz 76; vom 7. Dezember 2010 C-285/09 —R—, Slg. 2010, I-12605, UR 2011, 15, Rz 36; vom 21. Juni 2012 C-80/11 und C-142/11 —Mahagében und Dávid—, BFH/NV 2012, 1404, UR 2012, 591, Rz 41; vom 6. September 2012 C-273/11 —Mecsek-Gabona—, UR 2012, 796, Deutsches Steuerrecht —DStR— 2012, 1917, Rz 47) und rechtfertigt hohe Anforderungen an die Einhaltung der umsatzsteuerrechtlichen Verpflichtungen des Verkäufers (vgl. EuGH-Urteile vom 27. September 2007 C-409/04 —Teleos u.a.—, Slg. 2007, I-7797, BFH/NV Beilage 2008, 25, Rz 58 und 61; in UR 2012, 796, DStR 2012, 1917, Rz 47; Treiber in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 6a Rz 103). Der Unternehmer muss daher alle ihm zur Verfügung stehenden, zumutbaren Maßnahmen, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, ergriffen haben, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt (vgl. EuGH-Urteile in Slg. 2007, I-7797, BFH/NV Beilage 2008, 25, Rz 65; in BFH/NV 2012, 1404, UR 2012, 591, Rz 54; in UR 2012, 796, DStR 2012, 1917, Rz 48 und 53 f.; Treiber in Sölch/Ringleb, a.a.O., § 6a Rz 103).“
Abholung durch einen Vertreter (Abschnitt 6a.8 Abs. 7 Satz 3 UStAE).
Der Abnehmer macht unklare oder in sich widersprüchliche Angaben zu seiner Identität.
Auffällige Unterschiede zwischen der Unterschrift des Abholers auf der Empfangsbestätigung und dem vorgelegten Pass (BFH vom 14.11.2012, Xl R 17/12, Rz. 26: „Auffällige Unterschiede zwischen der Unterschrift auf dem vom Abholer vorgelegten Pass und der Verbringenserklärung können Umstände darstellen, die die Klägerin zu besonderer Sorgfalt hinsichtlich der Identität des angeblichen Vertragspartners und des Abholers hätten veranlassen müssen (BFH-Beschluss in BFH/NV 2009, 234, unter 3.)“).
Die Geschäftsanbahnung erfolgt durch einen vom Abnehmer zwischengeschalteten Dritten (BFH v. 14.11.2012, XI R 17/12, Rz. 35, 39).
Fehlende Nachvollziehbarkeit des Schriftverkehrs (BFH v. 14.11.2012, XI R 17/12, Rz. 39).
Die Kontaktaufnahme zum Abschluss des Liefergeschäfts erfolgt nicht über den Sitz des angeblichen ausländischen Abnehmers (BFH v. 25.04.2013, V R 28/11, Rz. 31).
Bei Zweifeln an der Richtigkeit der Angaben des Abnehmers: BFH v. 14.11.2012, XI R 17/12, Rn 38: Bestehen Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Abnehmers oder seines angeblichen Beauftragten, so ist der Unternehmer auch verpflichtet, Nachforschungen bis zur Grenze der Zumutbarkeit anzustellen (Oelmaier, DStR 2008, 1213, 1217; Treiber in Sölch/Ringleb, a.a.O., § 6a Rz 104). Die Zumutbarkeit von Maßnahmen richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Da beim Barverkauf von hochwertigen PKW in das Ausland und Abholung durch einen Beauftragten ein erhebliches umsatzsteuerrechtliches Missbrauchspotenzial besteht, ist in diesen Fällen der Rahmen des Zumutbaren weit zu ziehen.
Einmal die USt-ID-Nr abzufragen bei einer wiederholten Geschäftskontakt oder in einer Dauer-Geschäftsbeziehung genügt nicht: Die Nichtabfrage der USt-ldNr. des Leistungsempfängers zeitnah zur ersten innergemeinschaftlichen Lieferung und darauffolgend in regelmäßigen Abständen während der laufenden Lieferbeziehung kann nach den Umständen des Einzelfalls ebenfalls eine Sorgfaltspflichtverletzung darstellen, die den Vertrauensschutz nach § 6a Abs. 4 UStG ausschließt (BFH-Urteil v. 11. März 2020, Xl R 38/18). Es muss also vor jeder neuen Vertragsschluss die USt-ID-Nr. abgefragt werden. Nur bei vier mal „a“ ist die Identität und Existenz des Vertragspartners unter der abgefragten Anschrift bestätigt.
Hinweis: ab dem 01.01.2020 ist die gültige USt-ldNr. des Abnehmers materiell-rechtliche Voraussetzung für die Steuerbefreiung.
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