Der Haftgrund der Fluchtgefahr ist anzunehmen, wenn sich der Beschuldigte von seinem bisherigen räumlichen Lebensmittelpunkt absetzt, um unerreichbar für die Strafverfolgungsbehörden zu sein (KG Berlin, Beschluss vom 20.05.15, Az.: 4 Ws 20/15). Ob er tatsächlich unerreichbar ist, also das von ihm gewählte Aufenthalts- oder Zielgebiet etwa im Rahmen der Rechtshilfe ihn festnimmt und ausliefert, ist unerheblich.
Der Haftgrund der Fluchtgefahr enthält eine subjektive Komponente: der Beschuldigte muss sich angesichts der Tat den Strafverfolgungsbehörden vorübergehend oder dauerhaft entziehen wolle.
Wer also aus tat- bzw. verfahrensunabhängigen Gründen:
- Ohne Wissen der Strafbarkeit seines Verhaltens,
- Ohne Kenntnis eines gegen ihn eingeleiteten Verfahrens und
- Ohne den Willen, für die Verfolgungsbehörden unerreichbar zu sein,
seinen ursprünglichen Aufenthaltsort verlässt, ist nicht flüchtig, auch wenn er vorübergehend unerreichbar ist. Die subjektive Komponente des Fluchtwillens ist eine bestimmte Tatsache, für deren Vorliegen eine hohe Wahrscheinlichkeit gegeben sein muss und die von der Staatsanwaltschaft nachgewiesen werden muss. Ungeklärte Aspekte und Vermutungen dürfen nicht einfach einer Haftanordnung zugrunde gelegt werden. Im Zweifel gilt auch hier zugunsten des Beschuldigten (in dubio pro reo).
Klassiker bei den Haftgründen sind:
- die seit langem geplante Urlaubsreise (mit Hin-und Rückflug): dies ist natürlich keine Fluchtgefahr, da die Reise nicht in Ansehung der Strafverfolgung gebucht wurde und Urlaubsreisen sozialadäquat sind. Die Buchung und Bezahlung des Rückfluss spricht für den Rückkehrwillen. Selbst Reisen ohne Rückflugbuchungen, also nur die Hotel- oder Ferienhausbuchungen indizieren keine Fluchtgefahr, da Reisen mit dem Pkw, Wohnmobil, Motorrad etc. typischerweise keine Rückflug- bzw. Rückkehrbuchung kennen und dennoch solche Urlaube sozialadäquat sind. Selbst Dschungel- , Abenteuer-, Camping- Wohnmobil- oder Survivalreisen lassen zwar keinen Rückkehrwillen aber auch keinen Fluchtwillen erkennen, da solche Reisen normal sind und (dann zumindest in dubio pro reo) auch keinen Willen erkennen lassen sich dem Verfahren zu entziehen. Die bloße Möglichkeit dem Verfahren zu entziehen besteht stets, genügt aber nicht für die Annahme einer Fluchtgefahr, da sie dann stets vorläge und stets der Haftgrund zu bejahen wäre.
- Vermögen im Ausland: viele haben Häuser, Chalets, Ferienwohnungen, Grundstücke im Ausland. Grundbesitz im Ausland begründet keine Fluchtgefahr, da dieses Eigentum meist schon seit vielen Jahren besteht und dennoch der Wohnsitz in Deutschland bestand. Es sind also gerade keine Maßnahmen, die ergriffen wurden, um sich dem Verfahren zu entziehen.
- Konten im Ausland: Wohnungen im Ausland bedingen häufig ein Hausgeldkonto im Ausland, um die laufenden Kosten der Wohnung bezahlen zu können. Auf diesem Konto sind eventuell nur ein paar hundert bis ein paar tausend €, so dass es gerade zur Bewirtschaftung des Hauses reicht. Ähnlich verhält es sich mit Booten im Ausland. Auch diese haben meist feste Liegeplätze im Ausland und zur Begleichung der laufenden Kosten gibt es am selben Ort meist ein Konto zur Abwicklung der laufenden Bootskosten. Weder wurden die Konten geschaffen, um sich dem Verfahren zu entziehen, noch ermöglichen sie ein Abtauchen des Beschuldigten, zumal in Relation zu dessen inländischen Vermögenswerten diese Auslandskonten meist zu vernachlässigende Größen haben.
- Getrennt leben von der Ehefrau und der bisherigen Hauptwohnung: dass der Beschuldigte nicht (mehr) bei seiner Ehefrau, sondern nun bei seiner Freundin lebt und sich (noch) nicht einwohnermelderechtlich umgemeldet hat, begründet keine Fluchtgefahr. Der räumliche Umzug von der Ehefrau zur Freundin ist privat veranlasst, hat nichts mit dem Ermittlungsverfahren zu tun und bedeutet nicht, dass er sich damit dem Verfahren entziehen wollte. Einen intimeren, privateren nicht verfahrensentziehenden Grund kann es kaum geben. Jedenfalls ist die noch nicht erfolgte einwohnerrechtliche Ummeldung kein Indiz für ein Abtauchen, ein sich entziehen wollen wegen des Strafverfahrens.
- Hohe Strafdrohung: Auch eine hohe Strafdrohung, selbst eine, die Haft zwingend zur Folge hat, impliziert nicht eine Fluchtgefahr. Denn selbst wenn die Steuerfahndung riesige Steuernachforderungen geschätzt bzw. ermittelt zu haben glaubt, ist noch lange nicht gesagt, dass diese Ermittlungen richtig sind, und selbst, wenn sie richtig wären, heißt das nicht, dass der Beschuldigte sich dann dem Verfahren entzieht. Da die Steuerfahndung häufig zu Beginn eines Verfahrens alles Unklare als Hinterziehung ansetzt, viel Entlastendes noch nicht gesehen und gewürdigt hat, Verfahrensfehler,, Verwertungsverbote, Verjährungsfragen, das formelle und materielle Steuerrecht, Verantwortlichkeiten, der subjektive Tatbestand noch nicht abschließend geprüft sind, sind erste Einschätzungen zum Zeitpunkt der Beantragung eines Durchsuchungsbeschlusses oder wenn es um einen Haftbefehl aufgrund eines Verdachtsprüfungsvermerkes geht, mit besonders viel Vorsicht zu würdigen. Meist brechen im Laufe eines Verfahrens die Vorwürfe ganz oder jedenfalls Summenmäßig zusammen und reduzieren sich bis hin zu dem Punkt, dass zur Verurteilung nur ein winziger Bruchteil der ursprünglichen Vorwürfe noch im Raume steht. Es gibt leider keine veröffentlichen Statistiken, in welchem Verhältnis die ursprünglichen Vorwürfe der Steufa bei Beginn eines Verfahrens zu den späteren Verurteilungen stehen. Dies muss jedoch bei der Frage, ob der Vorwurf so hoch ist, dass angeblich Fluchtgefahr besteht, berücksichtigt werden. Ist also zu Beginn eines Ermittlungsverfahrens der Vorwurf lt. Steuerfahndung so groß, dass mehr als 1 Mio. € Steuern hinterzogen sein sollen und nach der BGH-Rspr. zwingend Haft droht (BGH, Urteil v. 2. 12. 2008, 1 StR 416/08; BGH, Urteil v. 7.2.2012, 1 StR 525/11), so ist zu berücksichtigen, dass meist nur ein Bruchteil davon sich bewahrheitet bzw. beweisen lässt und damit nur ein Bruchteil zur Verurteilung gelangt. Auch wenn der Beschuldigte zunächst schweigt und sich so zulässig schweigend verteidigt, wird man an dieser Erkenntnis nicht umhin können, so dass selbst in solch einem Fall eine Haft, nur weil die Steufa einen Hinterziehungsschaden von mehr als einer Mio. € behauptet, nicht von einer Fluchtgefahr sprechen kann. Zudem würden viele nicht fliehen, selbst wenn sie 2, 3 oder mehr Jahre in Haft müssten in Anbetracht ihrer Familie und dessen, was sie sich hier aufgebaut haben (soziale, wirtschaftliche und emotionale Verflechtung, sog. Verwurzelung). So mögen zwar Wohnung oder Teile der Familie, Konten etc. im Ausland es theoretisch erleichtern, dorthin zu flüchten. Doch diese Wohnung, Familienteile, Konten etc. bestanden auch zuvor und sind nicht extra zum Zwecke des Entzugs vor der Strafverfolgung geschaffen worden, so dass sich aus deren bloßer Existenz noch keine Fluchtgefahr begründen lässt. Andernfalls müsste der Beschuldigte letztlich bloß deswegen in Haft, weil Teile seiner Familie im Ausland wohnen bzw. der Beschuldigte dort ein Konto oder eine Wohnung hat und dies dann ihm eine Flucht erleichtern würde. Diese bloßen Möglichkeiten berücksichtigen aber nicht, dass der Beschuldigte hier subjektiv nichts unternahm, um sich dem Verfahren zu entziehen.
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