Grundsätzlich müssen Sie sich nicht selbst belasten, wenn Sie Beschuldigte(r) in einem gegen Sie gerichteten Ermittlungsverfahren sind oder wenn dies noch nicht der Fall ist, Sie sich aber mit der Aussage selbst belasten würden und dann in ein solches Ermittlungsverfahren hineinrutschen. Es ist auch ihr gutes Recht als Beschuldigte zu lügen.
Haben Sie also einen anderen Menschen umgebracht oder zusammengeschlagen, müssen Sie selbst an Ihrer Überführung nicht mitwirken. Vermessungen an sich, Speichelproben, Stoff- und Haarproben müssen Sie an sich nehmen lassen, also Untersuchungen an sich passiv erdiúlden. Aktiv etwas erklären, etwas aussagen oder irgendwelche Tests aktiv selbst mitmachen, müssen Sie indes nicht. Weder müssen Sie vor laufenen Polizeikameras die Tat nachstellen, noch einen Probeschuss abgeben o. ä. mehr. Schmauchspuren, Blutproben, Hautpartikel, Haarproben und Spermaproben müssen sie sich aber abnehmen lassen, ebenso wie Fingerabdrücke. Auch müssen Sie sich vermessen, wiegen und begutachten lassen. Aber aktiv müssen Sie nichts tun.
Begehen Sie nun eine Steuerhinterziehung ist das etwas ganz anderes. Hier ist das allgemeine Strafrecht und das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, außer Kraft gesetzt. Steuerlich müssen Sie mitwirken. Strafrechtlcih angeblich zwar nihct – aber das Steuerstrafrecht ist doch wegen der Blankettnorm des § 370 AO zusammegesetzt aus Strafrecht und den einzelnen Steuergesetzen. Damit heißt im Steuerrecht mitwirken auch stets im objektiben Tatbestand der Strafnorm mitzuwirken. Damit führen die steuerlichen Mitwirkungspflichten im Steuerstrafverfahren automatisch zu einer steuerstrafrechtlichen Selbstbelastung, was der BFH in einem gewissen Zweckoptimismus krass rechtswidrig ausblendet.
Im Steuerrecht mirwirken müssen bedeutet: hier müssen Sie Erklärungen einreichen, auf Nachfragen antworten, Unterlagen vorlegen, Buchungen erläutern usw.
Dabei ist es eigentlich nicht möglich die
Dabei ist es eigentlich nicht möglich die verfassungsrechtlich abgesicherten Schutzrechte und Schweigerechte im Strafverfahren außer Kraft zu setzen. Würde man eine Gewichtung vornehmen, gingen die verfassungsrechtlichen Schweigerechte und das Grundprinzip sich nicht selbst belasten zu müssen (nemo tenetur se ipsum accussare) dem bloß einfach gesetzlichen Mitwirkungsgebot nach Paragraf 88 AO klar vor. Anders aber der BFH: der will an dieser Stelle nichts von Verfassungsrecht und Grundrechten und Menschenrechten hören. Der verschließt seine Augen vor nemo tenetur. Der sieht auf einmal nur das steuerliche Mitwirkungsgebot und die pflichtgemäße Erfüllung der Mitwirkungspflichten im Besteuerungsverfahren. Die einseitige Erblindung des BFH hinsichtlich der strafrechtlichen Schutzrechte lässt sich nur damit erklären, dass hier ein gewisser Zweckoptimismus vorherrscht und man dann, wenn der beschuldigte Steuerpflichtige schweigt und nicht mitwirkt, ihm eine Mitwirkungspflichtverletzung vorwerfen will und damit den Weg zur Schätzung eröffnen will. Das Prinzip ist ganz einfach: würde man das steuerliche Mitwirkungsgebot wegen der strafrechtlichen Schweigerechts suspendieren, bräuchte der beschuldigte Steuerpflichtige nichts mehr zu sagen, nichts vorzulegen, nichts aufzuklären. Er bräuchte sich nicht selbst zu belasten.
An dieser Stelle nicken alle Strafrechtler und sagen, dass das die hergebrachten Grundsätze im Strafverfahren sind.
An dieser Stelle fehlt aber den Strafrechtlern das Verständnis für die arme Finanzverwaltung, das offenbar der BFH hat: die Finanzverwaltung könnte dann die Straftat nicht nachweisen und könnte auch nicht schätzen, müsste also, weil sich der Steuerpflichtige legitim verhält, anerkennen, dass sein korrektes Verhalten natürlich keine Pflichtverletzung ist und damit ihm eine rechtswidrige Verweigerung seiner Mitwirkungspflicht nicht vorgeworfen werden kann. Er verhält sich doch rechtmäßig wäre die Antwort aller Strafrechtler. Wie kann also sein rechtmäßiges Verhalten pflichtwidrig sein? Hier besteht ganz offensichtlich die Angst beim BFH, dass der Beschuldigte Steuerpflichtige besser fährt als der ehrliche, wenn er nur rechtzeitig alle Unterlagen vernichtet und nicht mitwirkt und schweigt und ihm dann nichts vorzuwerfen bzw. nachzuweisen ist. Diese Kollision löst der BFH dadurch, dass er das Strafverfahren und die strafprozessualen Schweigerechte völlig ausblendet und so tut, als gäbe es kein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten und auch kein Grundrecht, sich nicht selbst belasten zu müssen.
Der BFH sagt etwas scheinheilig, dass er ja nur die steuerliche Aufklärung wolle.
An die Blankettnorm und die dortige Verbindung zum materiellen Steuerrecht denkt er in diesem Moment nicht. Das genau ist aber die Grundlage für das Strafverfahren. Denn steuerliche Fehler werden objektiver Tatbestand in der Blankettnorm des Paragrafen 370 AO. Damit ist die steuerliche Aufklärung gleichzeitig die strafrechtliche Selbstbelastung zumindest hinsichtlich des objektiven Tatbestandes. Für Strafrechtler ist dieses Postulat schlicht unverständlich und inakzeptabel. Der BFH weiß sich aber nicht anders zu helfen und fordert von dem (vermeintlichen) Steuerhinterzieher die steuerliche (angeblich nicht strafrechtliche, was wegen Paragraf 370 AO falsch ist) Mitwirkung, Aufklärung und Vorlage aller Unterlagen. Würde man diese Mitwirkung ähnlich wie Paragraf 97 InsO dann einem steuerstrafrechtlichen Verwertungsverbot belegen, wäre das insoweit auch strafrechtlich geschützt und allein nur steuerlich verwertbar aber das Strafverfahren wäre erledigt.
§ 97 InsO lautet wie folgt wörtlich:
„§ 97
Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners
Das will man aber auch nicht.
Also erzwingt der BFH die steuerliche Mitwirkung und Aufklärung und wenn sich der Steuerpflichtige trotzdem auf die zulässigen strafrechtlichen Hinterbeine stellt und auf seine Schweigerechte verweist, sieht der BfA in diesem rechtmäßigen Verhalten eine steuerliche Pflichtverletzung und eröffnet damit die Schätzung nach Paragraf 162 AO. Letztendlich ist die Situation und die dogmatische Lösung des BFH eine Katastrophe: hier wird eine Zwickmühle aufgebaut und das strafprozessuale Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, schlicht ausgehebelt. Denn derjenige, der davon ernsthaft Gebrauch macht, wird halt dann wirtschaftlich abgeschossen und nahezu beliebig hoch geschätzt. Dabei muss man wissen, dass allein die Mitwirkungspflicht Verletzung nach der BFH Rechtsprechung die Schätzungsmöglichkeit erlaubt und darüber hinaus die verweigerte Mitwirkung auch der Finanzverwaltung recht grobe Schätzungsmöglichkeiten erlaubt. Denn je weniger der Steuerpflichtige mitwirkt, umso gröber darf die Schätzung sein.
Der BFH (Beschluss vom 26.2.2018, X B 53/17) insoweit wörtlich:
„1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) müssen die im Wege der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen nach § 162 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) gewonnenen Schätzergebnisse schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein (vgl. Senatsurteil vom 20. März 2017 X R 11/16, BFHE 258, 272, BStBl II 2017, 992, unter II.3.a; BFH-Urteil vom 25. April 2017 VIII R 52/13, BFHE 258, 53, BStBl II 2017, 949, unter II.1.e bb aaa). Deshalb sind einerseits alle möglichen Anhaltspunkte, u.a. auch das Vorbringen des Steuerpflichtigen oder eine an sich fehlerhafte Buchführung, zu beachten und alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um im Rahmen des der Finanzbehörde bzw. dem FG Zumutbaren die Besteuerungsgrundlagen wenigstens teilweise zu ermitteln. Auf der anderen Seite ist auch das Maß der Verletzung der dem Steuerpflichtigen obliegenden Mitwirkungspflichten zu berücksichtigen. Deshalb ist es gerechtfertigt, bei einer Pflichtverletzung des Steuerpflichtigen, insbesondere bei einer nicht ordnungsgemäßen Buchführung, einen Sicherheitszuschlag vorzunehmen, der in einem vernünftigen Verhältnis zu den erklärten oder nicht erklärten Einnahmen stehen muss (vgl. Senatsurteil in BFHE 258, 272, BStBl II 2017, 992, a.a.O.).“
Quelle: BFH, Beschluss vom 26.2.2018, X B 53/17
Oder der BFH in dem Beschluss vom 28.12.2006, III B 48/06:
„In der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist geklärt, dass –jedenfalls, soweit es nicht um die Feststellung des Vorliegens einer Steuerhinterziehung im Besteuerungsverfahren (§ 169 Abs. 2 Satz 2, § 378 der Abgabenordnung –AO–) geht– ein parallel laufendes Steuerstrafverfahren nicht von der Erfüllung der Mitwirkungspflichten im Besteuerungsverfahren, insbesondere auch nach § 90 Abs. 2 AO, entbindet (ständige Rechtsprechung, BFH-Beschlüsse vom 9. Mai 2006 XI B 104/05, BFH/NV 2006, 1801; vom 13. Januar 2006 VIII B 7/04, BFH/NV 2006, 914; vom 1. Dezember 2005 XI B 21/05, BFH/NV 2006, 496; vom 29. November 2005 X B 111/05, BFH/NV 2006, 484; vom 19. Oktober 2005 X B 88/05, BFH/NV 2006, 15; vom 6. Oktober 2005 II B 9/04, BFH/NV 2006, 24; vom 9. Dezember 2004 III B 83/04, BFH/NV 2005, 503). Höchstrichterlich geklärt ist auch, dass der im Strafprozess geltende Grundsatz, dass niemand gehalten ist, sich selbst zu beschuldigen (“nemo-tenetur-Grundsatz”) nicht von gesetzlich normierten Mitwirkungspflichten im Übrigen befreit (BFH-Urteil vom 23. Januar 2002 XI R 10, 11/01, BFHE 198, 7, BStBl II 2002, 328). Dies gilt auch für die Mitwirkungspflichten im Besteuerungsverfahren, deren Erfüllung nach § 393 Abs. 1 Satz 2 AO allerdings nicht erzwungen werden kann, wenn damit eine Selbstbezichtigung verbunden ist. Das Zwangsmittelverbot des § 393 Abs. 1 Satz 2 AO steht dabei der Zulässigkeit der Schätzung gemäß § 162 AO nicht entgegen (BFH-Beschluss vom 19. September 2001 XI B 6/01, BFHE 196, 200, 204, BStBl II 2002, 4, 6).“
Quelle: BFH, Beschluss vom 28.12.2006, III B 48/06
Damit ist der Steuerpflichtige, der sich auf seine Schweigerechte beruft, im Steuerrecht doppelt bestraft: er bekommt gleich 2 Daumenschrauben angelegt – etwas, was so gar nicht zum nemo tenetur Grundsatz passt. Warum das Bundesverfassungsgericht dem bis heute noch nicht Einhalt geboten hat, ist nicht nachzuvollziehen.
Der einer Steuerstraftat Verdächtigte bleibt auch nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens im Besteuerungsverfahren zur wahrheits¬gemäßen Mitwirkung verpflichtet
Quelle: BFH 19.10.05, X B 88/05, BFH/NV 06, 15
Auch hier ist die Verpflichtung zur Selbstbelastung deutlich zu sehen, zumindest in den Fällen, in denen sich der Sachverhalt wie ein roter Faden auch in noch nicht eingeleitete Zeiträume weiter vollzieht.
Beispiel: der Steuerpflichtige hat die schriftliche Verfahrenseinleitung wegen eines Steuerstrafverfahrens für die Veranlagungszeiträume 2009-2012 betreffend Einkommensteuer mit Postzustellungsurkunde zugesandt erhalten. Es bestehe der Verdacht, dass er Einkünfte in der Schweiz habe, die er bislang der Besteuerung nicht zugrundegelegt habe. Der Steuerpflichtige bestreitet. Nach Auffassung des BFH muss der Steuerpflichtige jetzt für 2013 aber eine wahrheitsgemäße korrekte Steuererklärung abgeben. Hier erklärt er wahrheitsgemäß 160.000 € Einkünfte aus einem Konto in der Schweiz mit einem Kapitalstamm von rund 4 Millionen €. Was glauben Sie? Selbst Belastung für 2009-12 oder verwertet das Finanzamt für die Zeiträume die Erkenntnisse aus der Erklärung aus 2013 steuerlich und steuerstrafrechtlich nicht? Stimmen Sie ab: