Folgende Argumentationsansätze können die Ausetzung der Vollziehung nach Abschnitt 122, Tz 2.5.1 ff (=Anwendungserlass zu § 361 AO) bewirken:
„2.5.1
Bei der Abschätzung der Erfolgsaussichten sind nicht nur die BFH-Rechtsprechung und die einschlägigen Verwaltungsanweisungen, sondern auch die Entscheidungen des zuständigen Finanzgerichts zu beachten.
2.5.2
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts werden im Allgemeinen zu bejahen sein,
- wenn die Behörde bewusst oder unbewusst von einer für den Antragsteller günstigen Rechtsprechung des BFH abgewichen ist (BFH-Beschluss vom 15.2.1967, VI S 2/66, BStBl III S. 256),
- wenn der BFH noch nicht zu der Rechtsfrage Stellung genommen hat und die Finanzgerichte unterschiedliche Rechtsauffassungen vertreten (BFH-Beschluss vom 10.5.1968, III B 55/67, BStBl II S. 610),
- wenn die Gesetzeslage unklar ist, die streitige Rechtsfrage vom BFH noch nicht entschieden ist, im Schrifttum Bedenken gegen die Rechtsauslegung des Finanzamt erhoben werden und die Finanzverwaltung die Zweifelsfrage in der Vergangenheit nicht einheitlich beurteilt hat (BFH-Beschlüsse vom 22.9.1967, VI B 59/67, BStBl 1968 II S. 37, und vom 8.1987, V B 56/85, BStBl II S. 830),
- wenn eine Rechtsfrage von zwei obersten Bundesgerichten oder zwei Senaten des BFH unterschiedlich entschieden worden ist (BFH-Beschlüsse vom 22.11.1968, VI B 87/68, BStBl 1969 II S. 145, und vom 21.11.1974, IV B 39/74, BStBl 1975 II S. 175) oder widersprüchliche Urteile desselben BFH-Senats vorliegen (BFH-Beschluss vom 5.2.1986, I B 39/85, BStBl II S. 490).
2.5.3
Dagegen werden ernstliche Zweifel im Allgemeinen zu verneinen sein,
- wenn der Verwaltungsakt der höchstrichterlichen Rechtsprechung entspricht (BFH-Beschlüsse vom 24.2.1967, VI B 15/66, BStBl III S. 341, und vom 3.1970, I B 50/68, BStBl II S. 569), und zwar auch dann, wenn einzelne Finanzgerichte eine von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichende Auffassung vertreten,
- wenn der Rechtsbehelf unzulässig ist (BFH-Beschlüsse vom 24.11.1970, II B 42/70, BStBl 1971 II S. 110, und vom 25.3.1971, II B 47/69, BStBl II S. 334).
2.5.4
Dagegen werden ernstliche Zweifel im Allgemeinen zu verneinen sein,
An die Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind, wenn die Verfassungswidrigkeit einer angewandten Rechtsnorm geltend gemacht wird, keine strengeren Anforderungen zu stellen als im Falle der Geltendmachung fehlerhafter Rechtsanwendung. Die Begründetheit des Aussetzungsantrags ist nicht nach den Grundsätzen zu beurteilen, die für eine einstweilige Anordnung durch das BVerfG nach § 32 BVerfGG gelten (BFH-Beschluss vom 10.2.1984, III B 40/83, BStBl II S. 454). Eine Aussetzung der Vollziehung ist nicht allein deshalb abzulehnen, weil im Fall einer tatsächlich festgestellten Verfassungswidrigkeit zu erwarten ist, dass das BVerfG lediglich die Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit dem GG aussprechen und dem Gesetzgeber nur eine Nachbesserungspflicht für die Zukunft aufgeben wird (BFH-Beschluss vom 21.11.2013, II B 46/13, BStBl 2014 II S. 263).
Im Hinblick auf den Geltungsanspruch jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes muss aber der Antragsteller zusätzlich ein besonderes berechtigtes Interesse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes haben. Geboten ist eine Interessenabwägung zwischen der einer Aussetzung der Vollziehung entgegenstehenden Gefährdung der öffentlichen Haushaltsführung und den für eine Aussetzung der Vollziehung sprechenden individuellen Interessen des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (vgl. BFH-Beschlüsse vom 6.11.1987, III B 101/86, BStBl 1988 II S. 134, vom 1.4.2010, II B 168/09, BStBl II S. 558, und vom 25.11.2014, VII B 65/14, BStBl 2015 II S. 207). Als Ergebnis dieser Interessenabwägung kann somit trotz ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer angewandten Vorschrift eine Aussetzung der Vollziehung abzulehnen sein. Diese Grundsätze gelten nicht nur, wenn zweifelhaft ist, ob eine Norm materiell verfassungsgemäß ist, sondern auch dann, wenn Zweifel an der formellen Verfassungsmäßigkeit einer Norm bestehen (BFH-Beschluss vom 9.3.2012, VII B 171/11, BStBl II S. 418).
Würde eine Aussetzung der Vollziehung im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung eines ganzen Gesetzes führen, hat das Interesse an einer geordneten Haushaltsführung Vorrang, wenn der durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts eintretende Eingriff beim Steuerpflichtigen als eher gering einzustufen ist und dieser Eingriff keine dauerhaften nachteiligen Wirkungen hat; ob ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes bestehen, muss dann i. d. R. nicht geprüft werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 1.4.2010, II B 168/09, und vom 25.11.2014, VII B 65/14, jeweils a. a. O.). Dem Interesse des Antragstellers an der Gewährung der Aussetzung der Vollziehung ist nicht allein deshalb der Vorrang einzuräumen, weil ein Gericht einen Beschluss über eine Vorlage an das BVerfG erlassen hat (BFH-Beschluss vom 25.11.2014, VII B 65/14, a. a. O.).
2.5.5
Auch Zweifel an der Vereinbarkeit einer deutschen Rechtsnorm mit dem Recht der Europäischen Union können „ernstliche Zweifel“ begründen und somit zu einer Aussetzung der Vollziehung führen. Dem Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist nicht allein deshalb der Vorrang gegenüber dem Interesse an einer geordneten Haushaltsführung einzuräumen, weil ein Gericht ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH beschlossen hat (BFH-Beschluss vom 25.11.2014, VII B 65/14, BStBl 2015 II S. 207). Eine derartige Interessenabwägung ist aber jedenfalls dann nicht vorzunehmen, wenn sich die europarechtlichen Zweifel aus einem möglichen Verstoß gegen die Grundfreiheiten ergeben, die in den EU-Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbares Recht sind (BFH-Beschlüsse vom 14.2.2006, VIII B 107/04, BStBl II S. 523, und vom 25.11.2014, VII B 65/14, a. a. O.).
2.5.6
Die Gefährdung des Steueranspruchs ist – wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen – für sich allein kein Grund, die Aussetzung der Vollziehung abzulehnen. Steuerausfälle können dadurch vermieden werden, dass die Aussetzung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht wird (vgl. AEAO zu § 361, Nr. 9.2).“
In Anbetracht der derzeitigen Niedrigzinsphase verzichten viele auf einen Aussetzungsantrag und zahlen „freiwillig“ die Steuern in der Hoffnung, wenn sie ganz oder zum Teil gewinnen, den anteiligen oder ganz zu viel gezahlten Betrag mit 6 % verzinst zurück zu erlangen. Der Zinsertrag ist zwar wieder zu versteuern, aber immerhin doch eine gute Anlage. Das erscheint manchen Steuerpflichtigen rosiger, als einen vollständigen Aussetzungsantrag zu erlangen, dann aber bei teilweisen oder vollständigen unterliegen Aussetzungszinsen in Höhe von 6 % pro Jahr auf den ausgesetzten Steuerbetrag zahlen zu müssen. Ob der Zinssatz von 6 % angemessen ist und was stattdessen der richtige Zinssatz ist (vgl. BFH: zweifelt an der Verfassungsmäßigkeit der Zinshöhe ab den Veranlagungsszeiträumen ab Nov. 2012, vgl. BFH, Beschluss v. 03.09.2018, VIII B 15/18), ist dabei eine andere Frage.
Der Aussetzungsantrag ist aber rechtlich interessant, da das Finanzamt bzw. Finanzgericht sich über die ernstlichen Zweifel und die Erfolgsaussichten äußern muss. Auch wenn natürlich dies nur ein summarisches Verfahren ist und die vorgetragenen Argumente daher nur eine Groborientierung sind, natürlich keine Bindungswirkung für die Hauptsacheentscheidung haben, so sind die Gründe jedoch häufig interessant und geben Ansatz, hier Missverständnisse zu erkennen und an den neuralgischen Punkten weiter vorzutragen und die Sache positiv voranzutreiben. Insoweit ist auch ein abgelehnter Aussetzungsantrag meist eine Fundgrube der Gedankengänge und Missverständnisse und rechtlichen Fehler, sodass die Auswertung für das Hauptsacheverfahren und entsprechender weiterer Vortrag aufgrund der Analyse der negativen Aussetzungsentscheidung natürlich sinnvoll ist. Das gilt für das finanzamtliche Aussetzungsverfahren aber erst recht natürlich auch für das finanzgerichtliche Aussetzungsverfahren.
Die Aussetzung kann auch gegen Sicherheitsleistung erfolgen – dann wird dem Steuerpflichtigen Steine statt Brot gegeben: wenn er doch schon die Steuerschuld nicht zahlen kann, wie soll er dann die Sicherheit leisten können? Die unter der Bedingung der Sicherheitsleistung erfolgte Aussetzung ist so lange schwebend unwirksam, bis die Sicherheit geleistet ist…