Aussetzung der Vollziehung, § 361 AO

Der Einspruch hemmt nicht die Vollziehung. Anders formuliert: der fristgemäß eingelegte Einspruch entbindet Sie nicht von der Zahlungspflicht.

Also was tun, wenn man den Bescheid für falsch hält und nicht zahlen will oder kann?

Dann muss ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestelt werden.

Das Grundmodell, die Zahlung zu stoppen sieht so aus: Um die Zahlungspflicht zumindest vorübergehend bis zur Klärung der Sach- und Rechtslage zu stoppen, ist ein Aussetzungsantrag beim Finanzamt und vom Finanzamt ein positiver Aussetzungsbescheid erforderlich. Dieser wird immer befristet erteilt bis zum Erlass einer Einspruchsentscheidung (genauer bis einen Monat danach) und nur jederzeit widerruflich erlassen.

§ 361 AO lautet wie folgt wörtlich:

㤠361 AO

Aussetzung der Vollziehung

Durch Einlegung des Einspruchs wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 4 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

Die Finanzbehörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; § 367 Abs. 1 Satz 2 gilt sinngemäß. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden.

Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheids ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheids auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheids bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheids zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheids die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist.

Durch Einlegung eines Einspruchs gegen die Untersagung des Gewerbebetriebs oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Finanzbehörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. § 367 Abs. 1 Satz 2 gilt sinngemäß.

Gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung kann das Gericht nur nach § 69 Abs. 3 und 5 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung angerufen werden.“

Nach Abschnitt 122, Tz 2.1 AEAO (Anwendungserlass zu § 361 AO) soll die zuständige Finanzbehörde (vgl. AEAO zu § 361, Nr. 3.3) auf Antrag die Vollziehung aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 361 Abs. 2 Satz 2 AO; § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO). Die Finanzbehörde kann auch ohne Antrag die Vollziehung aussetzen (§ 361 Abs. 2 Satz 1 AO; § 69 Abs. 2 Satz 1 FGO). Von dieser Möglichkeit ist insbesondere dann Gebrauch zu machen, wenn der Rechtsbehelf offensichtlich begründet ist, der Abhilfebescheid aber voraussichtlich nicht mehr vor Fälligkeit der geforderten Steuer ergehen kann.

Damit gibt es 2 Möglichkeiten, den Aussetzungsantrag zu begründen:

  1. ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit (dies kann durch eine falsche Sachverhaltsermittlung bzw. Missverständnisse beim Sachverhalt der Fall sein oder durch eine falsche Auslegung des Gesetzestextes)
  2. Eine unbillige Härte, die nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gerechtfertigt ist (einfache Probleme wegen der Vollstreckung genügen hier nicht)

Nun ist es nicht immer so, dass weit vor der Fälligkeit der begründete Aussetzungsantrag beim Finanzamt eingeht und dieses sofort noch vor der Fälligkeit die Aussetzung verfügt. Häufig gibt es also einen Zeitraum, in dem die Forderungen des Finanzamts fällig sind, der Aussetzungsantrag gestellt ist, aber noch keine Aussetzungsverfügung des Finanzamts beim Steuerpflichtigen ist … was tun … man hängt da zwischen Himmel und Erde … vollstreckt das Finanzamt nun? Was passiert jetzt? Wie verhält man sich?

Antwort: man ruft beim Finanzamt an (beim Veranlagungsbezirk) und klärt das.

Rechtlich gilt folgendes:

Die Vollstreckung soll unterbleiben, wenn ein begründeter Aussetzungsantrag gestellt ist und die Forderung zwar fällig, der Bezirk aber über den Aussetzungsantrag noch nicht entschieden hat. Die Verwaltungsanweisungen zu § 361 AO regeln diesen Fall:

Bild Betriebsprüfung drburkhard

Abschnitt 122, Tz. 3.1 AEAO (Anwendungserlass zu § 361 AEAO) lautet wie folgt wörtlich:

„3.1

Über Anträge auf Aussetzung der Vollziehung ist unverzüglich zu entscheiden. Solange über einen entsprechenden bei der Finanzbehörde gestellten Antrag noch nicht entschieden ist, sollen Vollstreckungsmaßnahmen unterbleiben, es sei denn, der Antrag ist aussichtslos, bezweckt offensichtlich nur ein Hinausschieben der Vollstreckung oder es besteht Gefahr im Verzug.“

Voraussetzung ist also ein begründeter Aussetzungsantrag. Dies meint nicht, dass er im Ergebnis rechtlich begründet sein muss, sondern dass er überhaut eine Begründung enthält. Das ist wiederum der Grund, weswegen es keinen Sinn macht, beim Einspruchsschreiben, das nur erst mal zur Fristwahrung eingelegt ist, gleich einen Aussetzungsantrag ohne jegliche Begrüdnung anzuhängen. Das Scxhrieben ans FA sollte also nicht nur wie folgt aussehen:

„Gegen den Einkommen- Gwerbesteuermessbetrags- und Umsatzsteuersteuerbescheid jeweils für 2016 jeweils vom 20.07.2018 lege ich Einspruch ein. Gleichzeitig beantrage ich die Aussetzung der Vollziehung. Eine Begründung folgt.“

Richtiger und besser ist natütlich im Hinblick auf Abschnitt 122, Tz 3.1. AEAO:

„Gegen den Einkommen- Gwerbesteuermessbetrags- und Umsatzsteuersteuerbescheid jeweils für 2016 jeweils vom 20.07.2018 lege ich Einspruch ein. Gleichzeitig beantrage ich die Aussetzung der Vollziehung. Begründung: 1. Die Rechnungen für Fremdleistungen der Firmen A, B, C sind keine Scheinrechnungen. Die Fremdleistungen wurden von diesen Firmen ordnungsgemäß erbracht und korrakt faktieriert und per Banküberwiesung beglichen. Durch beiliegende Zeiteraffungsprotokolle der Arbeiter der Fremdfirmen durch die Sicherheitsfirma der bewachten Baustelle ergibt sich die Leistungserbringung durch die Fremdfirma.

Denn derfen Arbeiter haben Ausweise vorgezeigt und die Fremdfirmen als Arbeitgeber angegeben. Zudem haben die Vorarbeiter D, E, F der Fremdfirmen deren Kolonnen stets überwacht, angeleitet und ausweislich den Baustellenbesprechungsprotokollen an den Baustellenbesprechungen für die Fremdleistungsfirmen teilgenommen und die Baustellenbesprechungsprotokolle wie aus den Anlagenersichtlich unterschrieben. Daher sind die Betriebsausgaben anzuerkennen. 2. …. usw. Ich beantrage daher die angefochtenen Bescheide entsprechend zu ändern und beantrage insoweit die Aussetzung der Vollziehung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache.“

Sinnvollerweise hängt man hier noch weitere Vollstreckungsschutzanträge dran: „bis zur Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung bitte ich einen internen kassenmäßigen Vollstreckungstopp (sogenannter VT Vermerk) zu setzen. Hilfsweise bitte ich darüber hinaus die einstweilige vorübergehende Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 258 AO zu gewähren.“

Der Einspruch muss (zumindest erst mal) nicht begründet werden. Der Einspruch zur Fristwahrung genügt. Aber der Fachmann weiß natürlich, dass ohne vernünftige Einspruchsbegründiung er im Ergebnis keinen Erfolg haben wird. Der Aussetzungsantrag muss zwar auch nicht begründet werden, da man aber damit die Aussetzungsverfügung erreichen will, also die ernstlichen Zweifel erwecken will oder die besondere Härte aufzeigen will, was ohne Begründung nicht erfolgen wird, da ohne Begründung die ernstichen Zweifel nicht geweckt werden können und das Finanzamt von der besonderen außerordentlichen Härte auch nichts weiß, ist ein Aussetzungsantrag ohne Begründung nicht mal dazu geeignet, die Vollstreckung zu stoppen, da ein Aussetzungsantrag ohne Begründung nicht die Folgen der Tz 3.1. AEAO auslöst.

Wie reagiert eigebtlichd ie Behörde, wenn ein begründeter Aussetzungsantrag (= also ein Aussetzungsantrag mit anhängender Begründung) eingeht, über diesen daber nicht sogleich entschieden werden kann? Was macht die Behörde: Interner Vollstreckungsstopp (VT-Vermerk)! Hier verfügt also der Veranlagung zur intern im Kassenkonto, das vorläufig nicht vollstreckt werden soll. Dieser interne Vollstreckungstock ist höchstens über 35 Tage eintragbar und muss dann jedes Mal vor Ablauf verlängert werden. Dies macht normalerweise der Veranlagungsbe ca. automatisch, wenn in Aussetzungsantrag mit Begründung gestellt wurden und über diesen immer noch nicht entschieden ist. Das geht aber auch schon mal vergessen. Dann muss der Steuerpflichtige reklamieren, dass dieser interne Vollstreckungstopp zu setzen ist und wohl auch bislang gesetzt wurde, jetzt aber offenbar dessen Verlängerung nur vergessen wurde. Wenn er dann darlegt, dass eine Aussetzungsantrag gestellt ist mit Begründung und dieser immer noch nicht entschieden ist, wird an das Finanzamt natürlich sofort die Vollstreckung einstellen und den Aussetzungsantrag entweder kurzfristig verbescheiden oder aber zumindest den internen kassenmäßigen Vollstreckungsdruck wieder verfügen.

So kann es natürlich sein, dass über ein halbes Jahr oder über ein Jahr ein Aussetzungsantrag scheinbar nicht bearbeitet wird (während intern natürlich der Sachverhalt weiter aufgeklärt und ermittelt wird bzw. die rechtlichen Würdigungen heiß diskutiert werden, was der Steuerpflichtige aber nicht mitkriegt), intern immer wieder interne Vollstreckungsstopps gesetzt werden (VT Vermerke im Kassenkonto immer wieder verlängert werden), bis dann irgendwann die Abhilfe erfolgt oder die Aussetzung der Vollziehung verfügt wird oder aber eine Einspruchsentscheidung ergeht und die Aussetzung der Vollziehung abgelehnt wird.

Was beeindruckt die Finanzverwaltung nicht: verfassungsrechtliche Bedenken der Steuerpflichtigen gegen eine Norm: Derjenige, der verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Verfahrensnorm oder eine materielle Norm des Steuerrechts hat, und deswegen eine Verfassungsbeschwerde erhoben hat oder erheben will und die Verfassungswidrigkeit rügt, wird beim Finanzamt für diesen Verfahrensabschnitt keine Aussetzung der Vollziehung erhalten (vgl. BFH-Urteil vom 11.2.1987, II R 176/84, BStBl II S. 320; Tz 1.3 zu § 361 AO = Abschnitt 122 AEAO).

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Folgende Argumentationsansätze können die Ausetzung der Vollziehung nach Abschnitt 122, Tz 2.5.1 ff (=Anwendungserlass zu § 361 AO) bewirken:

„2.5.1

Bei der Abschätzung der Erfolgsaussichten sind nicht nur die BFH-Rechtsprechung und die einschlägigen Verwaltungsanweisungen, sondern auch die Entscheidungen des zuständigen Finanzgerichts zu beachten.

2.5.2

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts werden im Allgemeinen zu bejahen sein,

  • wenn die Behörde bewusst oder unbewusst von einer für den Antragsteller günstigen Rechtsprechung des BFH abgewichen ist (BFH-Beschluss vom 15.2.1967, VI S 2/66, BStBl III S. 256),
  • wenn der BFH noch nicht zu der Rechtsfrage Stellung genommen hat und die Finanzgerichte unterschiedliche Rechtsauffassungen vertreten (BFH-Beschluss vom 10.5.1968, III B 55/67, BStBl II S. 610),
  • wenn die Gesetzeslage unklar ist, die streitige Rechtsfrage vom BFH noch nicht entschieden ist, im Schrifttum Bedenken gegen die Rechtsauslegung des Finanzamt erhoben werden und die Finanzverwaltung die Zweifelsfrage in der Vergangenheit nicht einheitlich beurteilt hat (BFH-Beschlüsse vom 22.9.1967, VI B 59/67, BStBl 1968 II S. 37, und vom 8.1987, V B 56/85, BStBl II S. 830),
  • wenn eine Rechtsfrage von zwei obersten Bundesgerichten oder zwei Senaten des BFH unterschiedlich entschieden worden ist (BFH-Beschlüsse vom 22.11.1968, VI B 87/68, BStBl 1969 II S. 145, und vom 21.11.1974, IV B 39/74, BStBl 1975 II S. 175) oder widersprüchliche Urteile desselben BFH-Senats vorliegen (BFH-Beschluss vom 5.2.1986, I B 39/85, BStBl II S. 490).

2.5.3

Dagegen werden ernstliche Zweifel im Allgemeinen zu verneinen sein,

  • wenn der Verwaltungsakt der höchstrichterlichen Rechtsprechung entspricht (BFH-Beschlüsse vom 24.2.1967, VI B 15/66, BStBl III S. 341, und vom 3.1970, I B 50/68, BStBl II S. 569), und zwar auch dann, wenn einzelne Finanzgerichte eine von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichende Auffassung vertreten,
  • wenn der Rechtsbehelf unzulässig ist (BFH-Beschlüsse vom 24.11.1970, II B 42/70, BStBl 1971 II S. 110, und vom 25.3.1971, II B 47/69, BStBl II S. 334).

2.5.4

Dagegen werden ernstliche Zweifel im Allgemeinen zu verneinen sein,

An die Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind, wenn die Verfassungswidrigkeit einer angewandten Rechtsnorm geltend gemacht wird, keine strengeren Anforderungen zu stellen als im Falle der Geltendmachung fehlerhafter Rechtsanwendung. Die Begründetheit des Aussetzungsantrags ist nicht nach den Grundsätzen zu beurteilen, die für eine einstweilige Anordnung durch das BVerfG nach § 32 BVerfGG gelten (BFH-Beschluss vom 10.2.1984, III B 40/83, BStBl II S. 454). Eine Aussetzung der Vollziehung ist nicht allein deshalb abzulehnen, weil im Fall einer tatsächlich festgestellten Verfassungswidrigkeit zu erwarten ist, dass das BVerfG lediglich die Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit dem GG aussprechen und dem Gesetzgeber nur eine Nachbesserungspflicht für die Zukunft aufgeben wird (BFH-Beschluss vom 21.11.2013, II B 46/13, BStBl 2014 II S. 263).

Im Hinblick auf den Geltungsanspruch jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes muss aber der Antragsteller zusätzlich ein besonderes berechtigtes Interesse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes haben. Geboten ist eine Interessenabwägung zwischen der einer Aussetzung der Vollziehung entgegenstehenden Gefährdung der öffentlichen Haushaltsführung und den für eine Aussetzung der Vollziehung sprechenden individuellen Interessen des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (vgl. BFH-Beschlüsse vom 6.11.1987, III B 101/86, BStBl 1988 II S. 134, vom 1.4.2010, II B 168/09, BStBl II S. 558, und vom 25.11.2014, VII B 65/14, BStBl 2015 II S. 207). Als Ergebnis dieser Interessenabwägung kann somit trotz ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer angewandten Vorschrift eine Aussetzung der Vollziehung abzulehnen sein. Diese Grundsätze gelten nicht nur, wenn zweifelhaft ist, ob eine Norm materiell verfassungsgemäß ist, sondern auch dann, wenn Zweifel an der formellen Verfassungsmäßigkeit einer Norm bestehen (BFH-Beschluss vom 9.3.2012, VII B 171/11, BStBl II S. 418).

Würde eine Aussetzung der Vollziehung im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung eines ganzen Gesetzes führen, hat das Interesse an einer geordneten Haushaltsführung Vorrang, wenn der durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts eintretende Eingriff beim Steuerpflichtigen als eher gering einzustufen ist und dieser Eingriff keine dauerhaften nachteiligen Wirkungen hat; ob ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes bestehen, muss dann i. d. R. nicht geprüft werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 1.4.2010, II B 168/09, und vom 25.11.2014, VII B 65/14, jeweils a. a. O.). Dem Interesse des Antragstellers an der Gewährung der Aussetzung der Vollziehung ist nicht allein deshalb der Vorrang einzuräumen, weil ein Gericht einen Beschluss über eine Vorlage an das BVerfG erlassen hat (BFH-Beschluss vom 25.11.2014, VII B 65/14, a. a. O.).

2.5.5

Auch Zweifel an der Vereinbarkeit einer deutschen Rechtsnorm mit dem Recht der Europäischen Union können „ernstliche Zweifel“ begründen und somit zu einer Aussetzung der Vollziehung führen. Dem Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist nicht allein deshalb der Vorrang gegenüber dem Interesse an einer geordneten Haushaltsführung einzuräumen, weil ein Gericht ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH beschlossen hat (BFH-Beschluss vom 25.11.2014, VII B 65/14, BStBl 2015 II S. 207). Eine derartige Interessenabwägung ist aber jedenfalls dann nicht vorzunehmen, wenn sich die europarechtlichen Zweifel aus einem möglichen Verstoß gegen die Grundfreiheiten ergeben, die in den EU-Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbares Recht sind (BFH-Beschlüsse vom 14.2.2006, VIII B 107/04, BStBl II S. 523, und vom 25.11.2014, VII B 65/14, a. a. O.).

2.5.6

Die Gefährdung des Steueranspruchs ist – wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen – für sich allein kein Grund, die Aussetzung der Vollziehung abzulehnen. Steuerausfälle können dadurch vermieden werden, dass die Aussetzung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht wird (vgl. AEAO zu § 361, Nr. 9.2).“

In Anbetracht der derzeitigen Niedrigzinsphase verzichten viele auf einen Aussetzungsantrag und zahlen „freiwillig“ die Steuern in der Hoffnung, wenn sie ganz oder zum Teil gewinnen, den anteiligen oder ganz zu viel gezahlten Betrag mit 6 % verzinst zurück zu erlangen. Der Zinsertrag ist zwar wieder zu versteuern, aber immerhin doch eine gute Anlage. Das erscheint manchen Steuerpflichtigen rosiger, als einen vollständigen Aussetzungsantrag zu erlangen, dann aber bei teilweisen oder vollständigen unterliegen Aussetzungszinsen in Höhe von 6 % pro Jahr auf den ausgesetzten Steuerbetrag zahlen zu müssen. Ob der Zinssatz von 6 % angemessen ist und was stattdessen der richtige Zinssatz ist (vgl. BFH: zweifelt an der Verfassungsmäßigkeit der Zinshöhe ab den Veranlagungsszeiträumen ab Nov. 2012, vgl. BFH, Beschluss v. 03.09.2018, VIII B 15/18), ist dabei eine andere Frage.

Der Aussetzungsantrag ist aber rechtlich interessant, da das Finanzamt bzw. Finanzgericht sich über die ernstlichen Zweifel und die Erfolgsaussichten äußern muss. Auch wenn natürlich dies nur ein summarisches Verfahren ist und die vorgetragenen Argumente daher nur eine Groborientierung sind, natürlich keine Bindungswirkung für die Hauptsacheentscheidung haben, so sind die Gründe jedoch häufig interessant und geben Ansatz, hier Missverständnisse zu erkennen und an den neuralgischen Punkten weiter vorzutragen und die Sache positiv voranzutreiben. Insoweit ist auch ein abgelehnter Aussetzungsantrag meist eine Fundgrube der Gedankengänge und Missverständnisse und rechtlichen Fehler, sodass die Auswertung für das Hauptsacheverfahren und entsprechender weiterer Vortrag aufgrund der Analyse der negativen Aussetzungsentscheidung natürlich sinnvoll ist. Das gilt für das finanzamtliche Aussetzungsverfahren aber erst recht natürlich auch für das finanzgerichtliche Aussetzungsverfahren.

Die Aussetzung kann auch gegen Sicherheitsleistung erfolgen – dann wird dem Steuerpflichtigen Steine statt Brot gegeben: wenn er doch schon die Steuerschuld nicht zahlen kann, wie soll er dann die Sicherheit leisten können? Die unter der Bedingung der Sicherheitsleistung erfolgte Aussetzung ist so lange schwebend unwirksam, bis die Sicherheit geleistet ist…