Stundung, § 222 AO

Verschiedene Steuerschulden sind von der Stundung ausgeschlossen, etwa Umsatzsteuerschulden. Hier geht das Finanzamt davon aus, dass der Umsatzsteuer als fremd Geld für den Staat erhoben wird und abgeführt werden muss. Warum das Geld dann am Monatsende oder Quartalsende oder Jahresende, je nachdem ob wir Monatsanmelder, Quartalsanmelder oder Jahresanmelder haben, nicht vorhanden ist, versteht die Finanzverwaltung nicht. Gedanklich ist Umsatzsteuer quasi wie eine Fremdgeld Kasse zu bedienen und die vereinnahmten Umsatzsteuer dorthin einzulegen und die auf die Eingangsrechnung gezahlter Vorsteuer davon wieder herauszunehmen. Die Differenz muss doch dann nach der Abrechnungsperiode fürs Finanzamt übrig sein. Warum also hier eine Stundung? Entsprechend sind Abzugssteuern (Lohnsteuer, Umsatzsteuer) nicht stundungsfähig, § 222 Satz 3 AO.

Grundsätzlich ist bei der Stundung die Steuerschuld nicht streitig, lediglich der Steuerpflichtige hat nicht die Mittel, die Steuerschuld bei Fälligkeit zu zahlen. Entsprechend fallen Stundungszinsen von 6 % pro Jahr an, wenn die Steuerschuld auf Antrag gestundet wird.

Die Stundung setzt voraus, dass die Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte für den Steuerschuldner bedeute und dass der Ansprdurch die Stundung nicht gefährdet wird. Die Anforderungen an die Härte sind geringere als bei der Aussetzung der Vollziehung. Eine erhebliche Härte kann sich aus den persönlichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen ergeben. Jede Steuerzahlung entzieht indes dem Steuerpflichtigen Mittel und bedeutet daher eine gewisse Härte. Eine solche allgemeine Härte ist aber keine erhebliche Härte im Sinne des §en 222 AO (BFH BStBl 1977 II , 436). Eine erhebliche Härte liegt erst dann vor, wenn die Steuerzahlung zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten führen würde (BFH/NV 2001, 1362) und die Verhältnisse beim Steuerpflichtigen ungünstiger liegen als bei anderen. Existenzgefährdung ist aber nicht notwendige Voraussetzung.

Es genügen ernsthafte Zahlungsschwierigkeiten, die der Steuerpflichtige auch nicht in zumutbarer Weise, zum Beispiel durch Aufnahme eines Kredits, überwinden kann (BFH BStBl 1990 II, 673). Ebenso zumutbar ist unter Umständen der Rückgriff auf ohne weiteres wieder beschafftbare Vermögensgegenstände, etwa auf vorhandene Wertpapiere (vgl. BFH BSTbL 1974 II, 307) – nicht aber die Aufgabe eines angemessenen selbstgenutzten Wohnhauses. Hier greift der Rechtsgedanke des §en 90 II Nr. 8 SGB XII (BFH BStBl 1995 II, 104), wohl aber seine Beleihung.

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§ 222 AO lautet wie folgt wörtlich:

㤠222 AO

Stundung

Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder teilweise stunden, wenn die Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte für den Schuldner bedeuten würde und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheint. Die Stundung soll in der Regel nur auf Antrag und gegen Sicherheitsleistung gewährt werden. Steueransprüche gegen den Steuerschuldner können nicht gestundet werden, soweit ein Dritter (Entrichtungspflichtiger) die Steuer für Rechnung des Steuerschuldners zu entrichten, insbesondere einzubehalten und abzuführen hat. Die Stundung des Haftungsanspruchs gegen den Entrichtungspflichtigen ist ausgeschlossen, soweit er Steuerabzugsbeträge einbehalten oder Beträge, die eine Steuer enthalten, eingenommen hat.“

Die persönlichen Stundungsgründe sind nachzuweisen. Ein geeignetes Mittel ist der Liquiditätsstatus, der die Vermögenswerte in kurzfristig realisierbare und nicht kurzfristige realisierbare Vermögenswerte aufteilt (BFH BStBl 1966 III, 694). Neben einem persönlichen Stundungsgrund(Stundungsbedürftigkeit) ist auch die Stundungsmüdigkeit erforderlich (BFH/NV 1994, 144). Bei einer Stundung aus persönlichen Gründen ist daher insbesondere zu berücksichtigen, ob der Steuerpflichtige eventuell seine Zahlungsschwierigkeiten auch durch mangelnde Vermögensvorsorge zum Beispiel durch entsprechende Vorauszahlung oder Bildung von Rücklagen insbesondere bei schwankenden Einkünften selbst verursacht hat – zum Beispiel durch hohe Privatentnahmen, Aufwendungen vor zur Erlangung von Steuervorteilen, Rabatten usw. Sachliche Stundungsgründe sind solche, bei denen sich die tatbestandliche Härte nicht aus den individuellen Verhältnissen des jeweiligen Steuerpflichtigen sondern rein aus objektiven Gründen ergibt, wie etwa unerwarteten Steuernachforderungen, Sanierungsgewinnen usw.

Von einer technischen Stundung oder auch Überbrückungsstundung spricht man, wenn Steuerschulden und steuerliche Gegenansprüche sich verrechenbar zwar noch nicht aber künftig gegenüberstehen werden. Hier kann eine zinsfreie Überbrückungsstundung auf Antrag gewährt werden – in der Höhe, in der sich Forderung und Verbindlichkeit künftig gegenüberstehen werden.

Die Gefährdung der Steueranspruchs liegt vor, wenn er zu dem späteren hinausgeschobenen Fälligkeitszeitpunkt nicht mehr oder nur unter größeren Schwierigkeiten nach § 222 Satz 2 € kann diese Gefahr abgewendet werden, obgleich der stundungsbedürftige Steuerpflichtige diese häufig gerade mangels Liquidität nicht wird leisten können. Die vom Gesetzgeber aufgestellte Regel ist daher nicht streng zu handhaben, weil sonst die Vorschrift auf Stundung weitestgehend leer liefe (Röschen in kleinen, AO Kommentar, 13. Aufl., § 222 Rn. 42).

Alle Ermessensvorschriften sind bei Steuerhinterzieher negativ geprägt. Stundungstechnisch würde man hier schon die Stundungswürdigkeit verneinen. Beim Erlass die Erlasswürdigkeit usw. Der Steuerpflichtige, der also seine steuerlichen Pflichten verletzt, indem er permanent seine Steuererklärung zu spät einreicht oder seinen Steuerschulden nicht zahlt wird als nicht stundungswürdig oder erlasswürdig angesehen. Steuerpflichtigen mit einem Hinterziehungsvorwurf gibt es einem Erlass dahingehend, dass alle Ermessensvorschriften negativ gegenüber diesen Steuerpflichtigen zu verbescheiden sind.

Säumniszuschläge nach § 240 AO und deren teilweiser oder vollständiger Erlass nach § 227 AO

Die Säumniszuschläge entstehen kraft Gesetzes nach § 240 AO. Ist eine Steuerschuld fällig und wird sie nicht bezahlt, so entstehen automatisch pro angefangenem Monat Säumniszuschläge in Höhe von einem Prozent auf die geschuldete Steuer. Das sind 12 % pro Jahr, dass läppert sich, wenn man über mehrere Jahre streitet und die Steuerschuld nicht begleicht. Ob dieser Zinssatz angemessen ist, erscheint angesichts der Zweifel, die der BFH schon vor der 6-prozentigen Verzinsung äußerte (Zweifel, ob 6 % p.a. seit Nov. 2012 noch angemessen und verfassungskonfrom sind: BFH, Beschluss v. 03.09.2018, VIII B 15/18), mehr als fraglich.

§ 240 AO lautet wie folgt wörtlich:

㤠240

Säumniszuschläge

Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet, so ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 Prozent des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten; abzurunden ist auf den nächsten durch 50 Euro teilbaren Betrag. Das Gleiche gilt für zurückzuzahlende Steuervergütungen und Haftungsschulden, soweit sich die Haftung auf Steuern und zurückzuzahlende Steuervergütungen erstreckt. Die Säumnis nach Satz 1 tritt nicht ein, bevor die Steuer festgesetzt oder angemeldet worden ist. Wird die Festsetzung einer Steuer oder Steuervergütung aufgehoben, geändert oder nach § 129 berichtigt, so bleiben die bis dahin verwirkten Säumniszuschläge unberührt; das Gleiche gilt, wenn ein Haftungsbescheid zurückgenommen, widerrufen oder nach § 129 berichtigt wird. Erlischt der Anspruch durch Aufrechnung, bleiben Säumniszuschläge unberührt, die bis zur Fälligkeit der Schuld des Aufrechnenden entstanden sind.

Säumniszuschläge entstehen nicht bei steuerlichen Nebenleistungen.

Ein Säumniszuschlag wird bei einer Säumnis bis zu drei Tagen nicht erhoben. Dies gilt nicht bei Zahlung nach § 224 Abs. 2 Nr. 1.

In den Fällen der Gesamtschuld entstehen Säumniszuschläge gegenüber jedem säumigen Gesamtschuldner. Insgesamt ist jedoch kein höherer Säumniszuschlag zu entrichten als verwirkt worden wäre, wenn die Säumnis nur bei einem Gesamtschuldner eingetreten wäre.“

Da die Säumniszuschläge kraft Gesetzes entstehen und der Schuldner möglicherweise gar nicht zahlungsfähig ist, sind Sie nach § 227 AO zu erlassen. Denn nach dem Sinn und Zweck der Norm sollen die Säumniszuschläge den zahlungsfähigen aber unwilligen Steuerschuldner zur pünktlichen Zahlung erziehen, da der Staat natürlich auf ein pünktliches Steuereinkommen angewiesen ist, da er hiervon die laufenden Staatskosten bezahlen können muss. Insoweit ist der Säumniszuschlag ein Druckmittel besonderer, eigener Art, das den Steuerpflichtigen zu einer pünktlichen Zahlung anhalten und erziehen soll. Der Steuerschuldner, der jedoch nichts hat, also am Fälligkeitstag nicht zahlen kann, kann schlechterdings nicht zu einer pünktlichen Zahlung erzogen werden.

Schließlich soll der Steuerpflichtige nicht dazu erzogen werden, zu stehlen oder Banken zu überfallen, damit er seine Steuerschulden pünktlich bezahlen kann. Das richtige Korrektiv in diesen Fällen ist, die kraft Gesetzes automatisch entstandenen Säumniszuschläge nach § 240 € durch den Erlassantrag nach § 227 € zu erlassen. Häufig will die Finanzverwaltung wieder die Hälfte erlassen, was aber falsch ist. Je nach Sachverhalt sind hier auch bis zu 100 % der entstandenen Säumniszuschläge zu erlassen. Der Erlass erfolgt durch selbständigen Bescheid aufgrund entsprechenden Antrages (BFH/NV 2003, 1393; BFH/NV 2011, 565; BFH/NV 2012, 709).

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§ 227 AO lautet wie folgt wörtlich:

㤠227 AO

Erlass

Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden.“

Der BFH meint irrig, dass bei dem Erlass der Säumniszuschläge die verschiedenen Zwecke der Säumniszuschläge wie stets bei Billigkeitsentscheidungen zu berücksichtigen seien (BFH BStBl 1998 II, 7; BFH BStBl 1991 II, 906; BFH/NV 1998, 9). Er meint, dass die Säumniszuschläge neben dem Zweck, Druck auf den Steuerpflichtigen zur pünktlichen und vollständigen Zahlung auszuüben auch den Zweck hätten, eine Art Gegenleistung für die späte Zahlung auszugleichen und vergleicht dies mit der Situation einer Stundung (BFH BStBl 1985 II, 489; BFH BStBl 1991 II, 906). Ob diese Gedanken in der heutigen Zinslandschaft noch anwendbar sind, erscheint er vertraglich und dürfte wohl zu verneinen sein. Der BFH hat aber auch entschieden, dass ein darüber hinausgehende völlige Erlass selbst bei Anwendung dieser Stundung Gedanken deswegen noch lange nicht ausgeschlossen ist (BFH BStBl 1998 II, 7).

Die Überschuldung und die Zahlungsunfähigkeit allein sollen nach BFH nicht den vollständigen Erlass rechtfertigen … da fragt man sich, wie der mittellose Steuerpflichtige bei Zahlungsunfähigkeit durch die Säumniszuschläge zur pünktlichen Zahlung der Steuerschulden angehalten werden können soll … aber hier erst mal die offensichtlich falsche Entscheidung des BFH:

„Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.

Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß die bis zum 19. August 1996 verwirkten Säumniszuschläge in voller Höhe zu erlassen seien. Gemäß §227 Abs. 1 AO 1977 können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, zu denen auch Ansprüche auf Säumniszuschläge gehören (§37 Abs. 1 i. V. m. §3 Abs. 3 AO 1977), ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den durch §102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gezogenen Grenzen nachprüfbar ist (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS- OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Nach §102 FGO ist die gerichtliche Prüfung des den Erlaß ablehnenden Bescheides und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.

Die Ablehnung des vom Kläger begehrten vollständigen Erlasses der Säumiszuschläge durch das FA war nicht ermessensfehlerhaft. Der Tatbestand der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit rechtfertigt für sich allein keinen vollständigen Erlaß wegen sachlicher Unbilligkeit. Denn Säumniszuschläge dienen auch als Gegenleistung für das Hinausschieben der Fälligkeit und zur Abgeltung des Verwaltungsaufwandes. Deshalb sind die — wie im Streitfall geschehen — regelmäßig nur zur Hälfte zu erlassen, wenn sie ihren Zweck als Druckmittel verfehlen. Wegen der Begründung im einzelnen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die BFH-Urteile vom 29. August 1991 V R 78/86 (BFHE 165, 178, BStBl II 1991, 906), vom 18. April 1996 V R 55/95 (BFHE 180, 516 [BFH 18.04.1996 – V R 55/95], BStBl II 1996, 561) und vom 16. Juli 1997 XI R 32/96 (BFHE 184, 193, BStBl II 1998, 7) Bezug genommen. Der BFH-Beschluß vom 4. Januar 1996 VII B 209/95 (BFH/NV 1996, 526), auf den sich das FG bezogen hat, betrifft die Freistellung eines Haftungsschuldners von Säumniszuschlägen und damit einen anderen Sachverhalt. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist entsprechend dem Antrag des FA abzuweisen.“

Quelle: BFH, 18.06.1998 – V R 13/98

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Der BFH nimmt in der vorgenannten Entscheidung Bezug auf die Entscheidung des BFH vom 29.08.1991, Az.: V R 78/86, die irgendwie von anderen Greundsätzen auszugehen scheint: Dort heißt es wie folgt wörtlich:

„25

a) Nach ständiger Rechtsprechung sind Säumniszuschläge ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll (BFH-Urteil vom 22. April 1975 VII R 54/72, BFHE 116, 87, BStBl II 1975, 727). Diese Beurteilung hat der BFH in jüngerer Zeit weiterentwickelt und angenommen, daß mit den Säumniszuschlägen auch ein zusätzlicher Zweck verfolgt werde, nämlich die Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung (BFH-Urteile vom 15. März 1979 IV R 174/78, BFHE 127, 311, BStBl II 1979, 429; vom 23. Mai 1985 V R 124/79, BFHE 143, 512, 517, BStBl II 1985, 489; vom 26. April 1988 VII R 127/85, BFH/NV 1989, 71; vom 22. Juni 1990 III R 150/85, BFHE 161, 4, BStBl II 1991, 864). Daß mit der Vorschrift des § 240 AO 1977 ein Bündel von Zwecken verfolgt wird (vgl. Birk, Deutsches Steuerrecht – DStR – 1987, 388), erweisen der Kontext der Norm ebenso wie die Gesetzesmaterialien. § 240 AO 1977 steht im systematischen Zusammenhang mit der Regelung der Zinspflicht bei gewährter Stundung (§ 234 AO 1977) und bei Aussetzung der Vollziehung (§ 237 AO 1977). In den genannten Vorschriften kommt zum Ausdruck, daß die Finanzbehörde von dem in den §§ 240 und 361 Abs. 1 AO 1977 niedergelegten Grundsatz, wonach festgesetzte Steuerschulden bei Fälligkeit zu zahlen sind, nicht ohne eine Gegenleistung des Zahlungspflichtigen absehen kann (BFHE 127, 311, BStBl II 1979, 429, unter II.2. am Ende; BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489, unter II.3.b). Bei nicht rechtzeitiger Zahlung sollen daher nach der Entscheidung des Gesetzgebers entweder Stundungszinsen (§ 234 Abs. 1 AO 1977, Ausnahme: zinslose Stundung gemäß Absatz 2) bzw. Aussetzungszinsen (§ 237 AO 1977) oder Säumniszuschläge anfallen. Verwirkte Säumniszuschläge treten an die Stelle von Stundungs- oder Aussetzungszinsen.

26

Aus den Gesetzesmaterialien ist ebenfalls ersichtlich, daß verwirkte Säumniszuschläge auch anderen Zwecken dienen als der bloßen Sanktion gegenüber dem Steuerpflichtigen. Nach dem Gesetzentwurf der AO 1977 sollten die Säumniszuschläge ebenso wie die Steuern selbst den steuerberechtigten Körperschaften zufließen (§ 2 Abs. 4 des Entwurfs, BTDrucks 7/79, S. 17). Der Finanzausschuß rechtfertigte diese Regelung mit dem Argument, daß die Säumniszuschläge in erster Linie „Zinsersatz“ seien (BTDrucks 7/4292, unter III., zu § 3, S. 15). Demgegenüber forderte der Bundesrat, die Säumniszuschläge den verwaltenden Körperschaften zufließen zu lassen, weil mit ihnen zu einem erheblichen Teil Verwaltungsaufwendungen abgegolten würden, die bei den verwaltenden Körperschaften dadurch entstehen, daß der Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgemäß zahlt (BTDrucks 7/4495; so auch schon BFH-Urteile vom 21. September 1973 III R 153-154/72, BFHE 110, 318, BStBl II 1974, 17; vom 22. April 1983 VI R 268/80, BFHE 138, 169, BStBl II 1983, 489). Die Auffassung des Bundesrates hat sich im Ergebnis durchgesetzt (§ 3 Abs. 4 Satz 2 AO 1977).

27

b) Die Erkenntnis, daß Säumniszuschläge verschiedenen Zwecken dienen, hat Auswirkung auf die Entscheidung über den Erlaß von Säumniszuschlägen. Sind Säumniszuschläge für einen Zeitraum entstanden, währenddessen eine Stundung der Steuer möglich oder geboten gewesen wäre, kann für die Erhebung der Säumniszuschläge als Druckmittel die Rechtfertigung entfallen sein, so daß ein Erlaß der Säumniszuschläge in Betracht kommt. Der BFH hat in diesen Fällen einen Teilerlaß als ermessensgerecht angesehen, weil dadurch berücksichtigt werde, daß neben dem Zweck, Druck auszuüben, die Säumniszuschläge dem zusätzlichen Zweck der Gegenleistung dienen und dieser Zweck unabhängig von der Stundungssituation bestehengeblieben sei (Urteile in BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489, unter II.3.b am Ende; BFH/NV 1989, 71; BFHE 161, 4; BStBl II 1991, 864, unter 3.; zum gleichen Ergebnis kommt der BFH im Urteil vom 2. Juli 1986 I R 5/83, BFH/NV 1987, 684, unter 3.b, cc, mit der Begründung, ein Teilerlaß vermeide eine ungerechtfertigte Bevorzugung des Steuerpflichtigen gegenüber anderen Steuerpflichtigen, die Stundungszinsen zahlen müßten). Als Maßstab für den Teilerlaß hat der BFH die Stundungs- oder Aussetzungszinsen (§ 238 AO 1977) herangezogen; der säumige Schuldner solle jedenfalls in der Höhe durch Säumniszuschläge belastet bleiben, in der im Falle der Aussetzung oder Stundung Zinsen angefallen wären (BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489; BFHE 161, 4, BStBl II 1991, 864).

28

c) Wie sich aus dieser Rechtsprechung ergibt, sind bei einem Erlaß von Säumniszuschlägen die verschiedenen Zwecke der Säumniszuschläge zu berücksichtigen. Sind Säumniszuschläge für einen Zeitraum angefallen, in dem eine Aussetzung der Vollziehung möglich oder geboten gewesen wäre, ist ein Teilerlaß der Säumniszuschläge unter dem Gesichtspunkt ermessensgerecht, daß Aussetzungszinsen (§§ 237, 238 AO 1977) bei Erfolg des Rechtsmittels nicht anfallen. Andererseits ist bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen, daß der Steuerpflichtige die Steuer an sich hätte zahlen müssen und deshalb die Säumniszuschläge, soweit sie Druckmittel sind, ihren Sinn behielten. Dies gilt insbesondere dann, wenn bei Aufschub von Vollstreckungsmaßnahmen auf die Erhebung von Säumniszuschlägen hingewiesen worden ist.“

Quelle: BFH, Urt. v. 29.08.1991, Az.: V R 78/86

Im Urteil des BFH v. 16.07.1997 – XI R 32/96 heißt es, dass das FA regelmäßig nicht verpflichtet ist, bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung des Steuerpflichtigen mehr als die Hälfte der verwirkten Säumniszuschläge zu erlassen, allerdings setzt sich der BFH mit der gegen seine Rechtsprechung erhebobene Kritik in Rn 22 des Urteils vom 29.08.1991 selbst wie folgt wörtlich auseinander, was Finanzbehörden gelegentlich gerne überlesen:

„22

Die gegen die Rechtsprechung erhobene Kritik, daß der Teilerlaß gegen das Übermaßverbot verstoße (u.a. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 240 AO 1977 Rn. 2, und Höllig in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 240 Rn. 38/1) übersieht, daß in diesen Fällen ein weitergehender Erlaß der Säumniszuschläge nicht ausgeschlossen ist.“

Quelle: BFH, Urt. v. 29.08.1991, Az.: V R 78/86, Rn 22.

Der BFH verweist dann weiter in Rn 23 darauf, dass bei Erlass von Stundungszinsen auch die Voraussetzungen für den vollständigen Erlass der Säumniszuschläge gegeben ist:

„23

Der Erlaß der vollen Säumniszuschläge kann insbesondere aufgrund der wirtschaftlichen Lage des Steuerpflichtigen dann gerechtfertigt sein, wenn die Voraussetzungen für einen Verzicht auf die Festsetzung von Stundungszinsen (§ 234 Abs. 2 AO 1977) erfüllt gewesen wären (BFH-Urteil in BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489; vgl. auch BFH-Urteil vom 18.4.1996 V R 55/95, BFHE 180, 516 [BFH 18.04.1996 – V R 55/95], BStBl II 1996, 561). Entgegen der Auffassung des FG ist dieser Verzicht allerdings nicht bereits deshalb geboten, weil der Steuerpflichtige zahlungsunfähig und überschuldet ist. Nach § 234 Abs. 2 AO 1977 kann auf die Zinsen ganz oder teilweise verzichtet werden, wenn ihre Erhebung nach Lage des Einzelfalls unbillig wäre. Da Zweck der Zinsen ist, eine Gegenleistung für die verspätete Zahlung zu erlangen, ist ihre Erhebung auch bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung des Steuerpflichtigen jedenfalls nicht sachlich unbillig. Ob ihre Erhebung aus persönlichen oder – anderen – sachlichen Gründen unbillig ist, ist aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls unter Beachtung der für Maßnahmen i.S. der §§ 163, 227 AO 1977 geltenden Grundsätze zu entscheiden (vgl. Urteil in BFHE 180, 516 [BFH 18.04.1996 – V R 55/95], BStBl II 1996, 561, m.w.N.)“

Quelle: BFH, Urt. v. 29.08.1991, Az.: V R 78/86, Rn 23.

Säumniszuschläge entstehen kraft Gesetzes ohne Rücksicht auf ein Verschulden des Steuerpflichtigen (BFH BStBl 1986 II, 122). Entschuldbarkeit der Säumnis oder der Verzögerung ist deshalb grundsätzlich kein Erlassgrund (BFH BStBl 1981 II, 608). Eine abweichende Beurteilung kann allerdings geboten sein, wenn die Finanzbehörde die Zahlungsverzögerung durch ihr eigenes Verhalten verursacht hat, der Steuerpflichtige aber alles ihm nach seinen Möglichkeiten und nach den Umständen zumutbare getan hat (BFH BStBl 1976, 359) oder sonst nur eine dem Steuerpflichtigen nicht vorwerfbar Zahlungsverzögerung eingetreten ist (FG Nds EFG 1998, 170: bei einer unerwarteten und unvorhersehbaren langen Laufzeit einer Überweisung).

Säumniszuschläge können gerade bei sehr langlaufenden Verfahren erhebliche Beträge ausmachen und sogar deutlich höher sein als die Hauptschuld. Es gibt insoweit keine Begrenzung dahingehend, dass die Säumniszuschläge irgendwann gedeckelt werden. Nach achteinhalb Jahren überschreiten die Säumniszuschläge die steuerliche Hauptschuld. Hinzu kommen meist noch Zinsen und Vollstreckungskosten, so dass sich auch unter diesem Aspekt sich häufig die Frage für den Steuerpflichtigen stellt, ob er nicht die Steuerschuld begleicht oder jedenfalls zumindest den unstreitigen Teil der Steuerschulden begleicht, andernfalls fressen ihn irgendwann die steuerlichen Nebenleistungen, d. h. die Säumniszuschläge, Zinsen und Vollstreckungskosten losgelöst von der eigentlichen Steuerschuld auf.

Zur Erlasswürdigkeit siehe oben die Ausführungen zur Stundungswürdigkeit.