Der BFH nimmt in der vorgenannten Entscheidung Bezug auf die Entscheidung des BFH vom 29.08.1991, Az.: V R 78/86, die irgendwie von anderen Greundsätzen auszugehen scheint: Dort heißt es wie folgt wörtlich:
„25
a) Nach ständiger Rechtsprechung sind Säumniszuschläge ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll (BFH-Urteil vom 22. April 1975 VII R 54/72, BFHE 116, 87, BStBl II 1975, 727). Diese Beurteilung hat der BFH in jüngerer Zeit weiterentwickelt und angenommen, daß mit den Säumniszuschlägen auch ein zusätzlicher Zweck verfolgt werde, nämlich die Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung (BFH-Urteile vom 15. März 1979 IV R 174/78, BFHE 127, 311, BStBl II 1979, 429; vom 23. Mai 1985 V R 124/79, BFHE 143, 512, 517, BStBl II 1985, 489; vom 26. April 1988 VII R 127/85, BFH/NV 1989, 71; vom 22. Juni 1990 III R 150/85, BFHE 161, 4, BStBl II 1991, 864). Daß mit der Vorschrift des § 240 AO 1977 ein Bündel von Zwecken verfolgt wird (vgl. Birk, Deutsches Steuerrecht – DStR – 1987, 388), erweisen der Kontext der Norm ebenso wie die Gesetzesmaterialien. § 240 AO 1977 steht im systematischen Zusammenhang mit der Regelung der Zinspflicht bei gewährter Stundung (§ 234 AO 1977) und bei Aussetzung der Vollziehung (§ 237 AO 1977). In den genannten Vorschriften kommt zum Ausdruck, daß die Finanzbehörde von dem in den §§ 240 und 361 Abs. 1 AO 1977 niedergelegten Grundsatz, wonach festgesetzte Steuerschulden bei Fälligkeit zu zahlen sind, nicht ohne eine Gegenleistung des Zahlungspflichtigen absehen kann (BFHE 127, 311, BStBl II 1979, 429, unter II.2. am Ende; BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489, unter II.3.b). Bei nicht rechtzeitiger Zahlung sollen daher nach der Entscheidung des Gesetzgebers entweder Stundungszinsen (§ 234 Abs. 1 AO 1977, Ausnahme: zinslose Stundung gemäß Absatz 2) bzw. Aussetzungszinsen (§ 237 AO 1977) oder Säumniszuschläge anfallen. Verwirkte Säumniszuschläge treten an die Stelle von Stundungs- oder Aussetzungszinsen.
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Aus den Gesetzesmaterialien ist ebenfalls ersichtlich, daß verwirkte Säumniszuschläge auch anderen Zwecken dienen als der bloßen Sanktion gegenüber dem Steuerpflichtigen. Nach dem Gesetzentwurf der AO 1977 sollten die Säumniszuschläge ebenso wie die Steuern selbst den steuerberechtigten Körperschaften zufließen (§ 2 Abs. 4 des Entwurfs, BTDrucks 7/79, S. 17). Der Finanzausschuß rechtfertigte diese Regelung mit dem Argument, daß die Säumniszuschläge in erster Linie „Zinsersatz“ seien (BTDrucks 7/4292, unter III., zu § 3, S. 15). Demgegenüber forderte der Bundesrat, die Säumniszuschläge den verwaltenden Körperschaften zufließen zu lassen, weil mit ihnen zu einem erheblichen Teil Verwaltungsaufwendungen abgegolten würden, die bei den verwaltenden Körperschaften dadurch entstehen, daß der Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgemäß zahlt (BTDrucks 7/4495; so auch schon BFH-Urteile vom 21. September 1973 III R 153-154/72, BFHE 110, 318, BStBl II 1974, 17; vom 22. April 1983 VI R 268/80, BFHE 138, 169, BStBl II 1983, 489). Die Auffassung des Bundesrates hat sich im Ergebnis durchgesetzt (§ 3 Abs. 4 Satz 2 AO 1977).
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b) Die Erkenntnis, daß Säumniszuschläge verschiedenen Zwecken dienen, hat Auswirkung auf die Entscheidung über den Erlaß von Säumniszuschlägen. Sind Säumniszuschläge für einen Zeitraum entstanden, währenddessen eine Stundung der Steuer möglich oder geboten gewesen wäre, kann für die Erhebung der Säumniszuschläge als Druckmittel die Rechtfertigung entfallen sein, so daß ein Erlaß der Säumniszuschläge in Betracht kommt. Der BFH hat in diesen Fällen einen Teilerlaß als ermessensgerecht angesehen, weil dadurch berücksichtigt werde, daß neben dem Zweck, Druck auszuüben, die Säumniszuschläge dem zusätzlichen Zweck der Gegenleistung dienen und dieser Zweck unabhängig von der Stundungssituation bestehengeblieben sei (Urteile in BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489, unter II.3.b am Ende; BFH/NV 1989, 71; BFHE 161, 4; BStBl II 1991, 864, unter 3.; zum gleichen Ergebnis kommt der BFH im Urteil vom 2. Juli 1986 I R 5/83, BFH/NV 1987, 684, unter 3.b, cc, mit der Begründung, ein Teilerlaß vermeide eine ungerechtfertigte Bevorzugung des Steuerpflichtigen gegenüber anderen Steuerpflichtigen, die Stundungszinsen zahlen müßten). Als Maßstab für den Teilerlaß hat der BFH die Stundungs- oder Aussetzungszinsen (§ 238 AO 1977) herangezogen; der säumige Schuldner solle jedenfalls in der Höhe durch Säumniszuschläge belastet bleiben, in der im Falle der Aussetzung oder Stundung Zinsen angefallen wären (BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489; BFHE 161, 4, BStBl II 1991, 864).
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c) Wie sich aus dieser Rechtsprechung ergibt, sind bei einem Erlaß von Säumniszuschlägen die verschiedenen Zwecke der Säumniszuschläge zu berücksichtigen. Sind Säumniszuschläge für einen Zeitraum angefallen, in dem eine Aussetzung der Vollziehung möglich oder geboten gewesen wäre, ist ein Teilerlaß der Säumniszuschläge unter dem Gesichtspunkt ermessensgerecht, daß Aussetzungszinsen (§§ 237, 238 AO 1977) bei Erfolg des Rechtsmittels nicht anfallen. Andererseits ist bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen, daß der Steuerpflichtige die Steuer an sich hätte zahlen müssen und deshalb die Säumniszuschläge, soweit sie Druckmittel sind, ihren Sinn behielten. Dies gilt insbesondere dann, wenn bei Aufschub von Vollstreckungsmaßnahmen auf die Erhebung von Säumniszuschlägen hingewiesen worden ist.“
Quelle: BFH, Urt. v. 29.08.1991, Az.: V R 78/86
Im Urteil des BFH v. 16.07.1997 – XI R 32/96 heißt es, dass das FA regelmäßig nicht verpflichtet ist, bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung des Steuerpflichtigen mehr als die Hälfte der verwirkten Säumniszuschläge zu erlassen, allerdings setzt sich der BFH mit der gegen seine Rechtsprechung erhebobene Kritik in Rn 22 des Urteils vom 29.08.1991 selbst wie folgt wörtlich auseinander, was Finanzbehörden gelegentlich gerne überlesen:
„22
Die gegen die Rechtsprechung erhobene Kritik, daß der Teilerlaß gegen das Übermaßverbot verstoße (u.a. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 240 AO 1977 Rn. 2, und Höllig in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 240 Rn. 38/1) übersieht, daß in diesen Fällen ein weitergehender Erlaß der Säumniszuschläge nicht ausgeschlossen ist.“
Quelle: BFH, Urt. v. 29.08.1991, Az.: V R 78/86, Rn 22.
Der BFH verweist dann weiter in Rn 23 darauf, dass bei Erlass von Stundungszinsen auch die Voraussetzungen für den vollständigen Erlass der Säumniszuschläge gegeben ist:
„23
Der Erlaß der vollen Säumniszuschläge kann insbesondere aufgrund der wirtschaftlichen Lage des Steuerpflichtigen dann gerechtfertigt sein, wenn die Voraussetzungen für einen Verzicht auf die Festsetzung von Stundungszinsen (§ 234 Abs. 2 AO 1977) erfüllt gewesen wären (BFH-Urteil in BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489; vgl. auch BFH-Urteil vom 18.4.1996 V R 55/95, BFHE 180, 516 [BFH 18.04.1996 – V R 55/95], BStBl II 1996, 561). Entgegen der Auffassung des FG ist dieser Verzicht allerdings nicht bereits deshalb geboten, weil der Steuerpflichtige zahlungsunfähig und überschuldet ist. Nach § 234 Abs. 2 AO 1977 kann auf die Zinsen ganz oder teilweise verzichtet werden, wenn ihre Erhebung nach Lage des Einzelfalls unbillig wäre. Da Zweck der Zinsen ist, eine Gegenleistung für die verspätete Zahlung zu erlangen, ist ihre Erhebung auch bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung des Steuerpflichtigen jedenfalls nicht sachlich unbillig. Ob ihre Erhebung aus persönlichen oder – anderen – sachlichen Gründen unbillig ist, ist aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls unter Beachtung der für Maßnahmen i.S. der §§ 163, 227 AO 1977 geltenden Grundsätze zu entscheiden (vgl. Urteil in BFHE 180, 516 [BFH 18.04.1996 – V R 55/95], BStBl II 1996, 561, m.w.N.)“
Quelle: BFH, Urt. v. 29.08.1991, Az.: V R 78/86, Rn 23.
Säumniszuschläge entstehen kraft Gesetzes ohne Rücksicht auf ein Verschulden des Steuerpflichtigen (BFH BStBl 1986 II, 122). Entschuldbarkeit der Säumnis oder der Verzögerung ist deshalb grundsätzlich kein Erlassgrund (BFH BStBl 1981 II, 608). Eine abweichende Beurteilung kann allerdings geboten sein, wenn die Finanzbehörde die Zahlungsverzögerung durch ihr eigenes Verhalten verursacht hat, der Steuerpflichtige aber alles ihm nach seinen Möglichkeiten und nach den Umständen zumutbare getan hat (BFH BStBl 1976, 359) oder sonst nur eine dem Steuerpflichtigen nicht vorwerfbar Zahlungsverzögerung eingetreten ist (FG Nds EFG 1998, 170: bei einer unerwarteten und unvorhersehbaren langen Laufzeit einer Überweisung).
Säumniszuschläge können gerade bei sehr langlaufenden Verfahren erhebliche Beträge ausmachen und sogar deutlich höher sein als die Hauptschuld. Es gibt insoweit keine Begrenzung dahingehend, dass die Säumniszuschläge irgendwann gedeckelt werden. Nach achteinhalb Jahren überschreiten die Säumniszuschläge die steuerliche Hauptschuld. Hinzu kommen meist noch Zinsen und Vollstreckungskosten, so dass sich auch unter diesem Aspekt sich häufig die Frage für den Steuerpflichtigen stellt, ob er nicht die Steuerschuld begleicht oder jedenfalls zumindest den unstreitigen Teil der Steuerschulden begleicht, andernfalls fressen ihn irgendwann die steuerlichen Nebenleistungen, d. h. die Säumniszuschläge, Zinsen und Vollstreckungskosten losgelöst von der eigentlichen Steuerschuld auf.
Zur Erlasswürdigkeit siehe oben die Ausführungen zur Stundungswürdigkeit.