Elkes Fahrtenbuch
Elke ist selbständig. Handelsvertreterin. Sie reist viel. Meist mit Ihrem Auto. Passat Combi. Sie hat meist Proben, Muster, Werbegeschenke dabei. Daher braucht sie ihr Auto. Sie fährt aber auch einiges privat. Aber das geht das Finanzamt nichts an.
Um der 1% Pauschalversteuerung zu entgehen, führt sie ein Fahrtenbuch.
Per Hand geschriebene Fahrten- oder Kassenbücher könnten den Hinterzieher aufgrund der von ihm erfundenen Zahlen enttarnen. Daher geht die digitale Betriebsprüfung zu mathematisch-statistischen Überprüfungen über um möglichst einfach und ohne großen Aufwand zu prüfen, ob der Steuerpflichtige manipuliert hat oder nicht. Leider aber geben alle Auswertungen keine verlässliche Auskunft, ob manipuliert wurde und in welcher Höhe oder doch nicht. Die Ausreißer und Auffälligkeiten zeigen Abweichungen von durchschnittlichen zu erwartenden Verteilungen, die jedoch keine Ursache in einer Manipulation haben müssen. Dies herauszufinden ist dann Aufgabe des Prüfers. Eine Auffälligkeit aufgrund Benford´s Law oder Chi² mag daher zu weiteren Prüfungen und Fragen Anlass sein – und doch sagt die Auffälligkeit nichts darüber, ob denn tatsächlich manipuliert wurde. Anders formuliert bedeutet das, dass die moderne, digitale Betriebsprüfung mit ihren statistischen Verprobungen zwar Hinweise auf Abweichungen vom Durchschnitt geben, aber gerade keine Hinterziehung bzw. keine Manipulation beweisen und erst Recht nicht belegen, wer manipuliert hat, falls eine Manipulation vorliegen sollte: Mitarbeiter, Dritte oder der Inhaber selbst… Dies bedeutet, dass die Auffälligkeiten nur Hinwiese geben, tiefer einzusteigen und weiter zu analysieren. Aber mit Abweichungen vom Durchschnitt können diese auch andere Ursachen haben als Hinterziehungen und erst Recht muss der Täter nicht der Inhaber sein. Es könnten auch Manipulationen von Mitarbeitern herauskommen … dann wäre die Betriebsprüfung Ersatz einer Innenrevision und würde Untreue- und Unterschlagungshandlungen Dritter oder von Mitarbeitern offenbaren, die dann nicht zu steuerpflichtigen Mehrergebnissen führen bzw. etwaige Diebstähle zu Betriebsausgaben darstellen….
Bei den digitalen, statistischen Verprobungen gilt zunächst einmal das Gesetz der großen Zahl. Bei kleinen Zahlen ist die Menge zu klein, als dass Ausreißer nivelliert würden. Nehmen wir eine Münze und werfen sie hoch: wie häufig kommt Zahl? Wie häufig Wappen? Werfen wir nur ein Mal, haben wir eine Chance jeweils von 50 %. Dennoch fällt nur eins von beiden, also eine Verteilung von 100% zu Null. Werfen wir 10 Mal, müsste beides 5 Mal erscheinen. Ausreißer gibt es jedoch zu viele. Werfen wir 500 Mal, sollte eine Verteilung von annähernd 50 % jeweils sich zeigen. Ist die Anzahl der Würfe noch höher, wird sich die 50:50-Verteilung weiter verfestigen.
Während Benford die Anfangszahl prüft und mit einer Wahrscheinlichkeit von 30,1 % die eins an erster Stelle erwartet, die Zwei mit nur 17 und die Drei mit nur 12 und alle anderen Zahlen bis hin zur Neun an erster Stelle mit nur rund 4,5 % erwartet und Ausreißer hier auf erfundene Zahlen hindeuten, untersucht Chi² die letzte Stelle vor dem Komma und gibt Aufschluss über Rundungsfehler. Benford könnte man mit der Natur vergleichen: kleine Zahlen vorne gibt es wie Sand am Meer. Größere Zahlen vorne eher seltener, so wie es auch in der Natur große Felsbrocken seltener gibt. Und ganz große Zahlen vorne, sind so selten wir große Gebirge … im Verhältnis zu den unzählig vielen kleinen Sandkörnern. Beide Indizien sprechen aber gegen die Authentizität der Zahlen.
Nun gibt es aber Betriebe, die vorwiegend eine Null oder eine Fünf in ihrer Preisgestaltung am Ende haben (etwa einige Frisörbetriebe), so dass diese Preisgestaltung andere Endziffern als Null oder 5 undenkbar macht, so dass Chi² denknotwendig auffällig ist, diese Auffälligkeit aber ihre Ursache in der Preisgestaltung und nicht in einer Manipulation hat.
Bei anderen Preisgestaltungen (vorwiegend Neun am Ende oder ähnliches) dürfte dennoch eine Normalverteilung der Tageseinnahmen unter Chi²-Gesichtspunkten zu erwarten sein, da unterschiedlich viele Kunden die Produkte kaufen, so dass ein Vielfaches der häufigen oder ausschließlichen Endziffern dennoch zu einer Normalverteilung nach Chi² über einen längeren Zeitvergleich nach sich ziehen wird.
Chi² erwartet bei einer großen Datenmenge eine gleichmäßige Verteilung der Endziffern (anders als Benford, der eine unterschiedliche hohe Wahrscheinlichkeit der Anfangszahlen erwartet). Haben wir also 3.000 Zahlen, so müsste jede Endziffer zwischen 0 und 9 je 1/10 Mal vorkommen, also jeweils 300 mal bei der Auszählung vorhanden sein. Die Abweichungen zwischen Soll und Ist werden nun errechnet und mit sich selbst multipliziert, also zum Quadrat genommen. Dabei egalisiert sich eine Minder- wie Überrepräsentanz einer Zahl zu einem positiven Vorzeichen. Die 10 Quadratergbnisse werden addiert und durch 10 geteilt. Ist diese Zahl zwischen 21-29 geht man von einer normalen Fehlertoleranz aus. Ab 30 sind die Zahlen auffällig und sprechen für eine Manipulation. Taucht also z.B. die 2 und die 4 überproportional häufig auf, im Gegenzug die Null und die 7 viel zu selten, dann kann man vermuten, dass die häufig verwandten Zahlen die Lieblingszahlen des Steuerpflichtigen sind, die er natürlich nicht absichtlich so häufig einsetzt, diese Zahlen aber eher mag und sie daher intuitiv häufiger einsetzt. Fragt Sie also der Prüfer, nachdem er im Amt einen Chi²-Test machte nach Ihren Lieblingszahlen oder sagt er sie Ihnen auf den Kopf zu, könnte es sein, dass er nicht Hellseher ist, sondern der Chi²-Test ihm dies verraten hat. Gleichermaßen würde er dann eine Antipathie gegen die selten verwandten Zahlen vermuten, hier also hinsichtlich der Null und der Sieben.
Man muss aber auch erkennen, dass bestimmte Zahlenmengen nicht für Chi²-Tests taugen. Die Preisgestaltung mit den Endziffern 5 und 0 ist bereits oben erwähnt. Aber auch Fahrtenbücher folgen teilweise bestimmten Routen, so dass etwa Fahrten Wohnung-Arbeitsstätte mit stets derselben Kilometerzahl auftauchen. Bei diesem einseitig verstärkt auftretenden immer gleichen Km-Entfernungen wird die Normalverteilung ebenfalls beeinflusst, so dass die einzelnen Entfernungskilometer nicht auf Auffälligkeiten hindeuten und daher eine Normalverteilung hier bei solchen Sachverhalten kaum erwartet werden kann. Lässt man diese Besonderheiten außer Betracht und sind genügend Daten vorhanden, so kann eine normale Verteilung erwartet werden. Dennoch können Abweichungen nie eine Hinterziehung belegen und erst Recht nicht die Höhe der Hinterziehung. Sie können allenfalls für den Prüfer ein Indiz zum tieferen Einstieg sein. Die Lottozahlen oder Wettertemperaturen sollen auch nicht Chi²-fähig sein. Dies stimmt allerdings nachdenklich, ob die Zahlen bei anderen Betrieben hinreichend belastbar sind. Man wird letztlich Chi² dann nur als Hinweisgeber auf Auffälligkeiten ansehen können, kaum aber als Beweismittel oder zusätzliches Beweismittel für Manipulationen des Inhabers.
Die Rspr. befasste sich mehrfach mit dem Chi²-Test und der Frage, ob sich hierauf Verwerfungen der Buchführung stützen lassen könnten.
So hat am 07.12.2005 das FG Münster( Urteil vom 07.12.2005, 1K 6384/03 E, EFG 2006, 652) über die Anwendung des Chi-Quadrat-Tests zur Überprüfung von Kilometerständen in Fahrtenbüchern geurteilt, dass dieses Verfahren die durch zahlreiche weitere Indizien belegbare Manipulation der Aufzeichnungen zusätzlich stützt. Aber gerade in diesem Fall scheint nach Ansicht einiger Autoren der Einsatz des Chi-Quadrat-Tests als statistische Methode nicht optimal Watrin, Christoph / Struffert, Ralf, Benford´s Law und Chi-Quadrat-Test – Chancen und Risiken des Einsatzes bei steuerlichen Prüfungen, Zugleich Anmerkungen zum Urteil des FG Münster vom 7.12.2005 – 1K 6384/03 E, in: Der Betrieb 33/2006, S. 1.750 und Gebbers, Harald, Analyse der Rechtsprechung zum Chi-Quadrat-Test in der Außenprüfung – Anwendung zur Prüfung von Erlösen und Fahrtenbüchern, -Teil I -, in: StBp 10/2008, S. 214, -Teil II-, in: StBp 10/2008, S. 295).
In seinem Beschluss vom 03.06.2008 sah das FG Düsseldorf (Beschluss vom 03.06.2008, -14 V 1214/08 A (E)-) kein Erfordernis darin, den Chi-Quadrat-Test zur Rechtfertigung der Schätzung heranzuziehen, da das Ergebnis des Tests nur eines von vielen Indizien war, die auf eine Manipulation der ausgewerteten Daten hindeuteten.
Das FG Hamburg (Urteil vom 24.06.2005, I 153/04-) hat im Fall eines Restaurants den Chi-Quadrat-Test zugelassen, um die Fehlerhaftigkeit der Buchführung zusätzlich zu belegen.
Was heißt das für den Steuerpflichtigen? Müssen seine Daten sich entsprechend Benford und Chi² bewegen? Muss er sie so beeinflussen, dass sie passen und sich auch in den Richtsätzen bewegen, damit er prüfungssicher ist?
Nein, um Gottes willen, das auch nicht. Gewisse Abweichungen sind normal und eine zu idealtypische Verteilung gibt erst Recht Anlass zu Zweifeln: Denn sollten keine Abweichungen vorliegen, wird der Prüfer sicher hellhörig und die Daten noch viel genauer untersuchen, denn eine vollkommene Übereinstimmung ist statistisch sehr unrealistisch und lässt auf eine Fälschung des Datensatzes hindeuten – da wird ein Zapperprogramm (Commander, Manipulationssoftware) im Hintergrund die Zahlen „zu perfekt“ manipuliert haben. Längst wissen die Prüfer, dass zu“ aalglatte“ Zahlen unbedingt kritisch geprüft werden müssen. Und wer einen Zapper hat – der benutzt ihn auch. Das Argument, ich habe ihn nur zu Versuchszwecken gekauft und nie eingesetzt oder er war schon vom Vorbesitzer da (so die Argumentation in dem Verfahren vor dem FG Hamburg, Urteil vom 18. November 2009 – 6 K 90/08 –: „Die Manipulationssoftware der Firma D habe der Vorinhaber des Unternehmens angeschafft; er selbst habe allenfalls Updates als Softwarepaket erworben, gleichwohl aber die Manipulationssoftware nicht benutzt“) und ich wusste gar nicht was das ist und wie man das benutzt, werden FA, FG und Strafgerichte möglicherweise nicht glauben.
Selbst wenn der Zapper einen Selbstzerstörungsmechanismus hat und bei Öffnung durch Unautorisierte sich selbst löscht, wird das an der Verwerfung der Buchführung nicht vorbeiführen: so ist bereits bei einem Gastwirtfall entschieden, dass dann, wenn ein Gastwirt eine Kassensoftware erwirbt, die –im Nachhinein nicht mehr nachvollziehbare– nachträgliche Manipulationen der gebuchten Daten erlaubt (hier: Änderungen nur nach Verwendung einer Diskette, welche die Daten bei Aufruf auf einem fremden Rechner automatisch löscht), ist davon auszugehen, dass die Software entsprechend ihrem Zweck eingesetzt wird und Anlass für erhebliche Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung allein durch den Besitz der Manipulationssoftware bestehen, die zu einer Verwerfung der Buchführung und Schätzung berechtigen (FG Düsseldorf, Urteil vom 20. März 2008 – 16 K 4689/06 E,U,F –).
Der Verkauf der Manipulationssoftware ist eine Beihilfe zur fremden Steuerhinterziehung (Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 07. Januar 2015 – 5 V 2068/14 –). Die Behauptung des Programmverkäufers, der Käufer habe nur spielen oder experimentieren wollen und das Programm nicht ernsthaft einsetzen wollen, werden weder das FA beim Erlass eines Haftungsbescheides noch das Strafgericht bei der Frage der strafbaren Beihilfe zur fremdnützigen Steuerhinterziehung glauben. Dass der Verkäufer auch nicht weiß, wieviel manipuliert wird, hilft meist nur wenig weiter. Nur wenn der Erwerber eine Art Höchstbetrag an Verkürzungen glaubhaft dem Verkäufer der Software besprochen hat, dürfte der Beihilfevorsatz des Manipulationssoftwareverkäufers auf diese Höhe begrenzt sein.
Auch meine Elke und deren Geschichte ist natürlich frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind nicht beabsichtigt und wären rein zufällig. Das dahinter stehende rechtliche Problem ist allerdings ernsthaft …
Fragen hierzu? Ähnliche Probleme? Dan fragen Sie den Vollprofi im Steuerrecht, Steuerstrafrecht, bei Betriebsprüfungen und Selbstanzeigen: Dr. Jörg Burkhard, Fachanwalt für Steuerrecht unnd Strafrecht. Rufen Sie jetzt an: 0611-890910 oder www.drburkhard.de oder www.streitiges-steuerrecht-burkhard-steuerstrafrecht.de