Hohe Strafdrohung als Fluchtgrund im Steuerstrafrecht?
Die Untersuchungshaft nach § 112 Abs. 1 StPO darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.
Nach § 112 Abs. 2 StPO besteht ein Haftgrund, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen
1. | festgestellt wird, dass der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält, | ||
2. | bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, dass der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder | ||
3. | das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde | ||
a) | Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder | ||
b) | auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder | ||
c) | andere zu solchem Verhalten veranlassen, | ||
und wenn deshalb die Gefahr droht, dass die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr)[1]. |
Besteht nun bei allen Steuerhinterziehungen großen Ausmaßes Fluchtgefahr? Wann liegt ein großes Ausmaß vor? Ab 50.000 Euro Hinterziehungsbetrag pro Jahr und Steuerart? Ab 100.000 Euro? Wenn mehrere Jahre und Steuerarten zusammenkommen: Ab wann droht Haft? Ab 300.000 Euro insgesamt? Ab 400.000 Euro? Ab 700.000 Euro insgesamt oder erst ab 1 Mio. Euro? Ist die Hinterziehungshöhe allein entscheidend oder kommt es da noch auf andere Aspekte an? Geld im In- und/oder Ausland? Familie, Freunde, Eltern im In- und/oder Ausland? Grundstücke im In- oder Ausland? Soziale Einbindungen? Freunde? Firma? Vereinsmitgliedschaften? Verbundenheit? Sprachkenntnisse?
Der Fall Ermisch ist einer der ersten großen Steuerskandale der Nachkriegszeit. Ermisch soll mit Hilfe einer Düsseldorfer Steuerinspektorin mehr als 11 Mio. DM hinterzogen haben, so der Bericht vom Telegraf vom 21.02.1968. Der Fall Ermisch zeigt aber, dass trotz hoher Strafdrohung, mancher Geflohene aus unterschiedlichsten Gründen wieder zurück kommt: Friedrich Wilhelm Ermisch (43) und seine Lebensgefährtin Brigitte Glinga (25) sollen 1967 durch die Einreichung unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen durch Umsatzsteuerrückvergütungen über 2 Jahre hinweg rund 11 Mio. DM hinterzogen haben. Trotz anfänglicher Flucht stellten sich die beiden dem Verfahren in Deutschland und kamen freiwillig wieder zurück – nach Angaben der Presse, weil seine Lebensgefährtin Brigitte Glinga das gemeinsame Kind in Deutschland gebären wollte.
Ist also die Schwangerschaft der Lebensgefährtin ein Rückkehrgrund bzw. ein die Flucht hindernder Grund? In der Literatur und der Rspr. wird die Schwangerschaft der Frau bzw. der Lebensgefährtin bei § 112 StPO nicht als gegen die Flucht sprechender Aspekt diskutiert. Der Fall Ermisch belegt aber, dass dies auch ein Grund sein kann, der gegen die Fluchtgefahr spricht.
Das Gegenbeispiel für die Fluchtgefahr bei hohen Hinterziehungsbeträgen ist der Fall Holger Pfahls. Soweit in der Presse berichtet, soll Holger Pfahls in mehreren Fällen Schmiergelder in Höhe von mehreren Millionen Mark angenommen haben. Mindestens zwei Zahlungen (3,6 Mio. DM und 1,5 Mio. DM) von Holzer sollen am 18. und 19. März 1993 auf zwei Konten in Luxemburg, die von der französischen Justiz Holger Pfahls zugeordnet wurden, erfolgt sein.
2000 schloss die CSU ihr langjähriges Mitglied Pfahls aus. Grund war jedoch keineswegs der Skandal um die Schmiergeldzahlungen, sondern seinerzeit Jahren rückständigen Mitgliedsbeiträge.
Am 13. Juli 2004 wurde Pfahls in Paris verhaftet. Am 20. Januar 2005 wurde Pfahls in Forbach an die deutschen Behörden ausgeliefert und als Untersuchungshäftling in die Justizvollzugsanstalt in Kaisheim verbracht.
Beim Prozessauftakt vor dem Landgericht Augsburg am 28. Juni 2005 gab es nicht, wie in solchen Großverfahren sonst üblich, zahlreiche formelle Anträge bis hin zu Ablehnungsgesuchen gegen die Richter – vielmehr gestand Pfahls die Annahme von Schmiergeld in Höhe von zwei Millionen DM von Waffenhändler Karlheinz Schreiber „für ein Panzergeschäft“. Über seinen Verteidiger kündigte er ein weiteres Teilgeständnis über die Annahme von weiteren 1,8 Millionen DM Schmiergeld an. Pfahls sagte vor dem Landgericht aus, bei den 1990 von Schreiber auf ein Schweizer Nummernkonto treuhänderisch eingezahlten zwei Millionen DM habe es sich um Bezahlung für Lobbyarbeit beim Verkauf von Fuchs-Panzern an die USA gehandelt.
Die Staatsanwaltschaft warf Pfahls nunmehr aufgrund dieses Geständnisses nur noch vor, insgesamt 3,8 Millionen DM nur für das Geschäft mit Saudi-Arabien kassiert zu haben, wobei das Geschäft mit den USA in dem weiteren Verfahren dann keine Rolle mehr spielte, wohl auch weil nicht endgültig geklärt wurde, ob ein Teil der Vorwürfe verjährt war.
Am 12. August 2005 wurde Pfahls vom Landgericht Augsburg wegen Vorteilsannahme und Steuerhinterziehung entsprechend dem Antrag der Staatsanwaltschaft unter Zugrundelegung seines Geständnisses zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Wie das Gericht in der Urteilsbegründung bekannt gab, war dem früheren Staatssekretär Holger Pfahls im Rahmen eines Deals zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung diese Strafe in Aussicht gestellt worden, falls er ein Geständnis ablege.
Häufig werden bei solchen Deals Geständnisse eingefordert. Wie diese auszusehen haben, kann teilweise wortgenau bei dem Deal abgesprochen werden. Dabei muss der Verteidiger erfragen, was genau das Gericht und Staatsanwaltschaft als Mindestinhalt erwarten, damit dann auch das Geständnis als Teil des Deals den Erwartungen entspricht und der Beschuldigte seinen Part erfüllt.
Wie Pfahls verurteilt worden wäre, wenn er nicht geflüchtet wäre, bleibt dem Bereich der Spekulation überlassen.
Auch der Fall des Baulöwen Jürgen Schneider spricht bei hohem Vermögensschaden von rund 5,4 Milliarden DM für eine Fluchtgefahr. Schneider wurde am 18.05.1995 in Miami, rund 14 Monate nach seiner Flucht verhaftet und wegen Betrugs, Kreditbetrugs und Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Die erstaunlich hohe Naivität bzw. ausgefallenes Prüfverhalten gegenüber den Kreditanträgen des Baulöwen Schneider, eine offenbar beispiellose Ansteckung von der Faszination der Renovierung prächtigster Altbauten in Toplagen, die allerdings allesamt unrentabel waren und der daraus resultierenden Mitschuld der Kreditinstitute bei der Kreditvergabe bescherte Jürgen Schneider am 23. Dezember 1997 eine trotz riesiger Schadenshöhe verhältnismäßig milde Haftstrafe von sechs Jahren und neun Monaten. Eine strafrechtliche Verfolgung von Mitarbeitern der am Skandal beteiligten Banken fand nicht statt. Auch hier passierte etwas für Wirtschafts- und Steuerstrafverfahren typisches: es kann nicht alles aufgeklärt werden und es würde das Verfahren sprengen, wollte man alles versuchen aufzuklären. Meist beschränkt sich dann die Anlage auf eins, zwei, drei Punkte. Bei Pfahls waren es 2 unversteuerte Schmiergeldzahlungen/Vorteilsannahmen nach seinem Geständnis bei Schneider 3 Betrugsfälle bei 3 Objekten. Wie viele andere noch in dem einen wie anderen Verfahren blieb unaufgeklärt. Das Gericht kann die anderen Fälle zwar im Rahmen der Strafzumessung mit gewichten – darf aber seine Verurteilung nicht darauf stützen, so dass das Strafmaß die Nichterweislichkeit einerseits und doch das Vorhandensein von mehr Fällen mit berücksichtigt. Dies spricht aber klar für ein sich dem Verfahren stellen und nicht für ein sich dem Verfahren entziehen.
Jürgen Schneider wurde 1999 nach Anrechnung der Untersuchungshaft und einer Verbüßung von 2/3 seiner Haftstrafe aus der Haft entlassen.
Oder nehmen wir den Fall des BGH 1 StR 416/08: Der BGH mit seinem Urteil vom 02.12.2008 bestätigte hier die Verurteilung eines Bauunternehmers durch das Landgericht Landshut zu einer Gefängnisstrafe von 1 Jahr und 11 Monaten ohne Bewährung. Insgesamt verkürzte der Angeklagte durch diese Vorgehensweise in den Jahren 2001 bis 2005 Umsatzsteuern in Höhe von mehr als 373.000 Euro sowie Lohnsteuer von 354.000 Euro und enthielt er den Einzugsstellen Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von mehr als 947.000 Euro vor, davon Arbeitnehmeranteile an der Sozialversicherung in Höhe von über 473.000 Euro.
Zudem ermöglichte er durch das Ausstellen von Scheinrechnungen den Verantwortlichen der L. AG, in den Jahren 2001 bis 2004 in Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen ungerechtfertigt Vorsteuern in einer Gesamthöhe von mehr als 220.000 Euro geltend zu machen.
Bei einer Verurteilung auch unter 2 Jahren Haft muss diese nicht immer zur Bewährung ausgesetzt werden. Dennoch: Eine Flucht rentiert sich nicht. Ist der Beschuldigte flüchtig, ist dies ein Haftgrund. Wird der Beschuldigte dann irgendwann doch gefasst, ist die Verteidigung aus einer Haft heraus immer schwieriger und umständlicher, letztlich auch kostenintensiver, als bei einem auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten. Außerdem wird die Flucht häufig als eine Art Schuldeingeständnis interpretiert. Wenn nichts an den Vorwürfen dran ist, warum flüchtet man denn sonst? – denkt so mancher …. Es gibt zwar auch genügend Fehlurteile und mancher ist auch schon völlig zu Unrecht verurteilt worden, dennoch besteht der Glaube, dass nur der Schuldige verurteilt wird und der, der flieht, aus seiner Sicht etwas zu befürchten hat, die Flucht also doch eine Art Schuldeingeständnis ist. Dass er ggf. nur flieht, weil er Angst vor dem Verfahren und einer falschen, zu Unrecht erfolgenden Verurteilung hat, wird da eher abgetan.
Was ist nun, wenn Sie 400.000 Euro Steuern hinterzogen haben? Droht da auch schon Haft? Hängt das von den jeweiligen Usancen des Landgerichtsbezirks ab? Während der BGH in seinem Urteil vom 02.12.08 (1 StR 416/08) eine grundsätzlich nicht mehr bewährungsfähige Haftstrafe ab einer Steuerhinterziehung von 1 Mio. Euro fordert, also ab einem Hinterziehungsschaden von 1 Mio. Euro Haftstrafe verhängt werden soll, so ist für die Beträge darunter keine klare, einheitliche Linie erkennbar. Manche Landgerichte verhängen ab einem Hinterziehungsschaden von 350.000 Euro, andere erst ab 600.000 oder 700.000 Euro Hinterziehungsbetrag eine mehr als 2-jährige Haftstrafe, andere erst ab einem Hinterziehungsschaden von 1 Mio. Euro Steuern. In welchem Bezirk wohnen Sie? Was verhängt das für Sie zuständige Landgericht und was haben Sie hinterzogen?
Wenn dann feststeht, dass Haft in Betracht kommt (oder unausweichlich ist), könnte der eine oder andere auf den Gedanken der Flucht kommen. Doch das rentiert nicht. Beauftragen Sie einen Fachmann wie mich mit Ihrer Verteidigung. Stellen Sie sich dem Verfahren und den Vorwürfen. Das ist der bessere Weg.
Fragen? Ähnliche Probleme? Dann rufen Sie an: 0611-890910
[1] Fassung aufgrund des Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rats vom 13.06.2002 zur Terrorismusbekämpfung und zur Änderung anderer Gesetze vom 22.12.2003 (BGB1. I S. 2836) mit Wirkung vom 28.12.2003.