Selbstanzeigemöglichkeit bei Kirchensteuerhinterziehung?
Sie sind aus dem Ausland nach Deutschland gezogen und bislang ist versehentlich die Kirchensteuer bei Ihnen nicht oder nicht richtig eingetragen worden und nicht abgeführt worden?
Ist hier eine Selbstanzeige möglich oder nötig?
Dann müsste die Kirchensteuer eine Steuer im Sinn des §§ 370 AO sein. § 370 AO definiert nicht, was eine Steuer ist. Er setzt voraus, dass eine Steuer hinterzogen wird. Die Definition der Steuer findet sich in § 3 Abs. 1-3 AO.
Kirchensteuern sind keine Steuern im Sinn von § 3 Abs. 1-3 AO und damit auch nicht tauglicher Hinterziehungsgegenstand von § 370 AO, da sie nicht nach Bundesrecht oder nach dem Recht der Europäischen Union (§ 1 Abs. 1 AO) sondern durch Landesrecht geregelt werden. Deswegen sind auch die Kirchensteuern je nach Bundesland unterschiedlich hoch. Der Kirchensteuersatz beträgt in 2017 neun Prozent der Lohn- und Einkommensteuer in den meisten Bundesländern. In Bayern und Baden-Württemberg sind es dagegen nur acht Prozent. Kompliziert und noch uneinheitliche wird es, wenn die Ehepaare verschiedenen Konfessionen angehören und gemeinsam veranlagt werden. Dann wird entweder die gemeinsame Einkommensteuer geteilt und die Kirchensteuer für jede Religionsgemeinschaft errechnet. Eine andere Variante berechnet die Abgabe, als ob beide Ehepartner der gleichen Kirche angehörten und teilt den Betrag danach auf beide Religionsgemeinschaften auf.
Hinterziehungsobjekt
Hinterziehungsobjekt im Sinne von § 370 AO sind „Steuern“, definiert in § 3 Abs. 1 bis 3 AO. In der Praxis hat man es am häufigsten mit dem Vorwurf der Hinterziehung von ESt oder KSt (und SolZ), USt, GewSt und LSt zu tun. Keine Steuern sind „steuerliche Nebenleistungen“ (§ 3 Abs. 4 AO), z. B. Verspätungszuschläge, Zinsen und Säumniszuschläge.
Kirchensteuern sind keine Steuern im Sinne von § 370 AO, da sie nicht durch Bundesrecht oder Recht der Europäischen Union (§ 1 Abs. 1 AO), sondern durch Landesrecht geregelt sind (BGH, 17.04.2008, 5 StR 547/07, Rn 18). Die Kirchensteuergesetze der Länder verwiesen früher zum Teil auf die Strafvorschriften der AO. Durch diese Verweisung war früher damit die Kirchensteuerhinterziehung auch strafbar. Insoweit eröffnet Art. 4 Abs. 3 EGStGB den Landesgesetzgebern die Möglichkeit, bei Steuern oder anderen Abgaben die Straf- und Bußgeldvorschriften der Abgabenordnung für anwendbar zu erklären oder entsprechende landesrechtliche Straf- und Bußgeldtatbestände wie diejenigen der Abgabenordnung zu schaffen.
Hiervon hat das Land Nordrhein-Westfalen bezüglich der Kirchensteuer – im Gegensatz zum Land Niedersachsen, vgl. § 6 Abs. 1 des Gesetzes über die Erhebung von Steuern durch Kirchen, andere Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgemeinschaften (Kirchensteuerrahmengesetz – KiStRG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Juli 1986 (Nds. GVBl S. 281) – jedoch keinen Gebrauch gemacht. Es hat vielmehr durch § 8 Abs. 2 des Gesetzes über die Erhebung von Kirchensteuern im Land Nordrhein-Westfalen (Kirchensteuergesetz – KiStG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. April 1975 (NW GVBl S. 438) die Anwendbarkeit des Achten Teils der Abgabenordnung (Straf- und Bußgeldvorschriften, Straf- und Bußgeldverfahren) ausdrücklich ausgeschlossen (BGH, 17.04.2008, 5 StR 547/07, Rn 18). Die Kirchensteuergesetze haben mittlerweile die Verweisungen aufgehoben sofern sie bestanden. Im Jahr 2019 hat nun auch Sachsen als letztes Bundestland die Verweisung auf § 370 AO im SächsKiStG aufgehoben, § 12 I SächsKiStG n.F.)
Betrugsstrafbarkeit statt Kirchensteuerhinterziehung?
Statt Steuerhinterziehung kommt aber Betrug in Betracht mit der „verkürzten“ Kirchensteuer als Betrugsschaden (BGH, 17.04.2008, 5 StR 547/07). Der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Konkurrenzverhältnis zwischen § 370 AO und § 263 StGB (vgl. insbesondere BGHSt 43, 381, 405) lässt sich ungeachtet der unterschiedlichen Deliktsstruktur (vgl. etwa zum Problem des § 371 AO Rönnau, wistra 1995, 47, 48 f.) in Bezug auf Kirchensteuern keine abschließende Sonderregelegung durch den Tatbestand der Steuerhinterziehung entnehmen.
Für die Anwendbarkeit des Betrugstatbestandes (§ 263 StGB) spricht neben dem Wortlaut des § 386 Abs. 2 Nr. 2 AO und den Gesetzesmaterialien zu dieser Verfahrensvorschrift (BT-Drucks IV/2476 S. 18; BT-Drucks V/1812 S. 29) die Regelung in Art. 4 Abs. 3 EGStGB, die die Vorschriften des Strafgesetzbuchs über den Betrug ausdrücklich unberührt lässt (so auch Rönnau aaO S. 49 f.; a. A. Randt in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 386 AO Rdn. 21a; Kohlmann, Steuerstrafrecht 34. Ergänzungslieferung Oktober 2005 § 370 Rdn. 411).
Ausschluss der Anwendbarkeit des Betrugstatbestandes?
Ein Ausschluss der Anwendbarkeit des Betrugstatbestandes durch den Landesgesetzgeber für den Bereich der Erhebung von Kirchensteuern, wie ihn einige Autoren annehmen (vgl. Kohlmann aaO § 386 Rdn. 16; Randt aaO), wäre mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 1, Art. 72 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht vereinbar. Danach haben die Länder auf dem Gebiet des Strafrechts keine Befugnis zur Gesetzgebung, soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht hat (vgl. auch Art. 4 Abs. 2 EGStGB).
Ausnahmen von dieser Kompetenzabgrenzung sind nur unter den Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 3 EGStGB und im dort vorgesehenen Umfang möglich. Das führt zu dem bemerkenswerten Ergebnis, dass der BGH es akzeptieren würde, wenn der Landesgesetzgeber durch eine Verweisung die Kirchensteuerhinterziehung nach § 370 AO für strafbar erklärt. Dann wäre als Lex speziales im Falle der Kirchensteuerhinterziehung § 370 AO anwendbar und infolgedessen auch eine Selbstanzeige nach § 371 AO möglich.
keine Selbstanzeige beim Betrug
Da zwischenzeitlich aber alle Verweisungen aufgehoben sind, ist § 371 AO nicht anwendbar und es bliebe damit nur eine Strafbarkeit wegen Betruges nach § 263 StGB. Hierfür gibt es indes keine Selbstanzeigemöglichkeit.
Damit ist das widersinnig scheinende Ergebnis im Raum, dass bei falscher Erklärung/Eintragung/Anmeldung über die Kirchensteuer und infolgedessen Nichtabführung der Kirchensteuer ein Betrug erfüllt ist, für den es keine Selbstanzeigemöglichkeit gibt, während bei der Einkommensteuerhinterziehung und allen anderen Steuerhinterziehungen eine strafbefreiende Selbstanzeige grundsätzlich nach § 371 AO (§ 378 AO bei der Leichtfertigkeit) möglich ist, wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen.
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