Ordnungsmäßigkeit der Buchführung und Schätzungsbefugnis
Gemäß § 146 Abs. 1 AO sind die Buchungen und die sonst erforderlichen Aufzeichnungen einzelne, vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorzunehmen. Kasseneinnahmen und Kassenausgaben sind täglich festzuhalten. Die Pflicht zur Einzelaufzeichnung nach Satz eins besteht aus Zumutbarkeitsgründen bei Verkauf von Waren an eine Vielzahl von nicht bekannten Personen gegen Barzahlung nicht (BFH-Urteil vom 12.5.1966). Diese Erleichterung gilt nicht für Dienstleistungen und dann nicht, wenn die Waren keinen geringen Wert mehr haben (zum Zeitpunkt der Entscheidung des BFH 1966 ging es um ein paar Brötchen beim Bäcker, die vielleicht ein paar Pfennig gekostet haben. Welche Gegenwert wäre das heute? Drei Euro? Fünf Euro? 15 €? Wie würde der BFH heute -rund 61 Jahre später- die Geringfügigkeit ansetzen und Erleichterungen gewähren? Und gilt die Erleichterung auch dann, wenn nur wenig umgesetzt wird, also vielleicht nur 3 oder 4 Umsätze pro Stunde stattfinden und der Unternehmer Zeit hat, die Kundennamen und Adressen und den Umsatz und das Produkt einzeln aufzuzeichnen? Damals ging es um eine volle Bäckerei .. die Leute standen Schlange und die Beträge waren gering .. da hätte es jeden genervt, wenn man hätte fragen wollen, wie der Geschäftspartner heißt, wo er wohnt, wieviele Brötchen er auf und was es insgesamt kostet … bei welchen Verhältnissen ist die Situation heute noch vergleichbar? Und vom Grundsatz besteht natürlich die Einzelaufzeichnungsverpflichtung. So wie der Mercedes-Händler seien Kunden namentlich erfasst und bei der Rechnung genau beschreibt, was er an wen verkauft, so ist das bei Maschinen, Baustoffen, bei Materiallieferungen, bei Dienst- und Werkleistungen an Gebäuden, Autos, Grundstücken, so dass die Finanzverwaltung eigentlich schon triftige Gründe verlangt, wenn ohne Einzelaufzeichnung des Vertragspartners verkauft wird, denn damit entgehen ihr Verprobungsmöglichkeiten und Kontrollmöglichkeiten. Natürlich möchte sie am liebsten wissen, bei welchem Einzelhändler auffällige Postionen gekauft werden: 30 Packungen Kaffee, 12 Flaschen Cognac und andere nicht gerade haushaltsübliche Mengen um zu prüfen, ob das wirklich für eine private Feier oder nicht vielleicht doch für das Café oder die Gaststätte gegenüber … eine Einzelaufzeichnung, wer als Vertragspartner da aufgetreten ist, könnte dann Anlass für weitere Überprüfungen geben …
Die Erleichterung bei der Einzelaufzeichnungsverpflichtung gilt jedenfalls nicht, wenn der Steuerpflichtige ein elektronisches Aufzeichnungssystem im Sinne des Paragrafen 146 a AO verwendet. § 146 a AO lautet wie folgt wörtlich:
„§ 146a Ordnungsvorschrift für die Buchführung und für Aufzeichnungen mittels elektronischer Aufzeichnungssysteme; Verordnungsermächtigung
(1) Wer aufzeichnungspflichtige Geschäftsvorfälle oder andere Vorgänge mit Hilfe eines elektronischen Aufzeichnungssystems erfasst, hat ein elektronisches Aufzeichnungssystem zu verwenden, das jeden aufzeichnungspflichtigen Geschäftsvorfall und anderen Vorgang einzeln, vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet aufzeichnet. Das elektronische Aufzeichnungssystem und die digitalen Aufzeichnungen nach Satz 1 sind durch eine zertifizierte technische Sicherheitseinrichtung zu schützen. Diese zertifizierte technische Sicherheitseinrichtung muss aus einem Sicherheitsmodul, einem Speichermedium und einer einheitlichen digitalen Schnittstelle bestehen. Die digitalen Aufzeichnungen sind auf dem Speichermedium zu sichern und für Nachschauen sowie Außenprüfungen durch elektronische Aufbewahrung verfügbar zu halten. Es ist verboten, innerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes solche elektronischen Aufzeichnungssysteme, Software für elektronische Aufzeichnungssysteme und zertifizierte technische Sicherheitseinrichtungen, die den in den Sätzen 1 bis 3 beschriebenen Anforderungen nicht entsprechen, zur Verwendung im Sinne der Sätze 1 bis 3 gewerbsmäßig zu bewerben oder gewerbsmäßig in den Verkehr zu bringen.
(2) Wer aufzeichnungspflichtige Geschäftsvorfälle im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 erfasst, hat dem an diesem Geschäftsvorfall Beteiligten in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Geschäftsvorfall unbeschadet anderer gesetzlicher Vorschriften einen Beleg über den Geschäftsvorfall auszustellen und dem an diesem Geschäftsvorfall Beteiligten zur Verfügung zu stellen (Belegausgabepflicht). Bei Verkauf von Waren an eine Vielzahl von nicht bekannten Personen können die Finanzbehörden nach § 148 aus Zumutbarkeitsgründen nach pflichtgemäßem Ermessen von einer Belegausgabepflicht nach Satz 1 befreien. Die Befreiung kann widerrufen werden.
(3) Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates und im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Folgendes zu bestimmen:
1. die elektronischen Aufzeichnungssysteme, die über eine zertifizierte technische Sicherheitseinrichtung verfügen müssen, und
2. die Anforderungen an
a) das Sicherheitsmodul,
b) das Speichermedium,
c) die einheitliche digitale Schnittstelle,
d) die elektronische Aufbewahrung der Aufzeichnungen,
e) die Protokollierung von digitalen Grundaufzeichnungen zur Sicherstellung der Integrität und Authentizität sowie der Vollständigkeit der elektronischen Aufzeichnung,
f) den Beleg und
g) die Zertifizierung der technischen Sicherheitseinrichtung.
Die Erfüllung der Anforderungen nach Satz 1 Nummer 2 Buchstabe a bis c ist durch eine Zertifizierung des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik nachzuweisen, die fortlaufend aufrechtzuerhalten ist. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik kann mit der Festlegung von Anforderungen an die technische Sicherheitseinrichtung im Sinne des Satzes 1 Nummer 2 Buchstabe a bis c beauftragt werden. Die Rechtsverordnung nach Satz 1 ist dem Bundestag zuzuleiten. Die Zuleitung erfolgt vor der Zuleitung an den Bundesrat. Der Bundestag kann der Rechtsverordnung durch Beschluss zustimmen oder sie durch Beschluss ablehnen. Der Beschluss des Bundestages wird dem Bundesministerium der Finanzen zugeleitet. Hat sich der Bundestag nach Ablauf von drei Sitzungswochen seit Eingang der Rechtsverordnung nicht mit ihr befasst, so gilt die Zustimmung nach Satz 1 als erteilt und die Rechtsverordnung wird dem Bundesrat zugeleitet.
(4) Wer aufzeichnungspflichtige Geschäftsvorfälle oder andere Vorgänge mit Hilfe eines elektronischen Aufzeichnungssystems im Sinne des Absatzes 1 erfasst, hat dem nach den §§ 18 bis 20 zuständigen Finanzamt nach amtlich vorgeschriebenen Vordruck mitzuteilen:
1. Name des Steuerpflichtigen,
2. Steuernummer des Steuerpflichtigen,
3. Art der zertifizierten technischen Sicherheitseinrichtung,
4. Art des verwendeten elektronischen Aufzeichnungssystems,
5. Anzahl der verwendeten elektronischen Aufzeichnungssysteme,
6. Seriennummer des verwendeten elektronischen Aufzeichnungssystems,
7. Datum der Anschaffung des verwendeten elektronischen Aufzeichnungssystems,
8. Datum der Außerbetriebnahme des verwendeten elektronischen Aufzeichnungssystems.
Die Mitteilung nach Satz 1 ist innerhalb eines Monats nach Anschaffung oder Außerbetriebnahme des elektronischen Aufzeichnungssystems zu erstatten.“
Die Bücher und die sonst erforderlichen Aufzeichnungen können auch in der geordneten Ablage von Belegen bestehen oder auf Datenträgern geführt werden, soweit diese Formen der Buchführung einschließlich des dabei angewandten Verfahrens den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entsprechen. Bei Aufzeichnungen, die allein nach den Steuergesetzen vorzunehmen sind, bestimmt sich die Zulässigkeit des angewendeten Verfahrens nach dem Zweck, erfüllen sollen, § 146 Abs. 5 Satz 1 AO.
Ein Steuerpflichtiger muss auch im Fall der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG seine Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben – sei es durch entsprechende Aufzeichnungen einschließlich Belegsammlung wurde im Wege einer geordneten Belegablage – so festhalten, dass das Finanzamt dieser auf Richtigkeit und Vollständigkeit überprüfen kann (Heinicke in Schmidt, EStG Kommentar, 31. Aufl., § 4 Rn. 375). Gemeint ist damit, das auch eine geordnete Belegablage etwa in einem Stehordner ausreichend ist, wenn damit die Belege gegen einen Verlust hinreichend gesichert sind. Die Schuhkarton-Buchhaltung ist damit abgeschafft. Jedenfalls theoretisch. Nicht ordnungsgemäß ist es daher, einen Teil der Belege auf der Fensterbank, einen Teil im Portmonee, einen Teil in der Schreibtischschublade und an anderen Teil bei der Sekretärin und schließlich einen Teil bei der Finanzbuchhalterin verstreut zusammen und erst dann am Monatsende oder noch später dann zusammenzuführen. Damit soll der Gefahr des Verlustes einerseits und der Gefahr des nachträglichen Manipulierens und Austausches etwaiger Belege andererseits vorgebeugt werden. Belege sollen etwa binnen Wochenfrist in den Stehordner Eingang finden. Dann kann man sich auch noch so zeitnah an die verschiedenen Vorgänge erinnern und etwa Unklarheiten oder Auffälligkeiten auf die Belege schreiben, sodass auch noch Jahre danach der Sachverhalt klar ist. Und Belege, die deutlich später hinzukommen, fallen dann noch mehr auf. Nachträgliche Einbuchung von Scheinrechnungen lässt sich dann kaum mehr erklären: wenn dann im Dezember auf einmal drei Eingangsrechnungen, eine aus dem Mai, eine aus dem Juli und eine aus dem September erst zur Nachbuchung eingereicht werden, muss dies dann zutiefst erstaunen und entspricht eben dann nicht mehr den Grundsätzen der ordnungsgemäßen Buchführung in Form der ordnungsgemäßen zeitnahen Belegablage.
Ermittelt der Steuerpflichtige seinen Gewinn zu Recht nach § vier Abs. 3 EStG, so fertigt er eine sogenannte Einnahmen- Überschussrechnung an. Nach § vier Abs. 3 Satz 1 EStG können Steuerpflichtige, die nicht aufgrund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet sind, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen und die auch freiwillig keine Bücher führen und keine Abschlüsse machen, den Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben als Gewinn ansetzen.
§ 4 Abs. 3 EStG enthält keine Verpflichtung zur Aufzeichnung der Einnahmen und/oder der Betriebsausgaben.
Eine Verpflichtung zur Aufzeichnung ergibt sich jedoch für die Unternehmen, die den Gewinn nach § vier Abs. 3 EStG ermitteln, aus umsatzsteuerrechtlichen Vorschriften, nämlich aus § 22 UStG in Verbindung mit § § 63-68 UStDV. Zwar sind umsatzsteuerrechtliche Aufzeichnungen keine Aufzeichnungen „nach anderen Gesetzen als den Steuergesetzen „im Sinne des § 140 AO. Die Aufzeichnungsverpflichtung aus einem Steuergesetz wird aber, sofern dieses Gesetz keine Beschränkung auf seinem Geld Bereich entfällt oder sich eine solche Beschränkung aus der Natur der Sache ergibt, unmittelbar auch für die anderen Steuergesetze, also hier auch für das Einkommensteuergesetz BFH, Urteil vom 2.3.1982, VIII R 225/80, BStBl 1984 II, 504; BFH, Urteil vom 26.2.2004, XI R 25/02, BStBl 2004 II, 599; BFH, Beschluss vom 16.2.2006, X B 57/05, BFH, Beschluss vom 16.02.2006, X B 57/05, BFH/NV 2006, 940; FG Münster, Urteil vom 23.06.2010, 12 K 2714/06 E, U)
Das bedeutet im Klartext, dass die Einnahmen -Überschuss -Rechner nach den EStG- Vorschriften oder AO- oder HGB- Vorschriften nicht verpflichtet sind Aufzeichnungen zu führen, aber umsatzsteuerrechtlich eben nach § 22 UStG in Verbindung mit den §§ 63-68 UStDV Aufzeichnungen führen müssen und dies schlägt eben dann durch auf das Ertragsteuerrecht: Wenn der Steuerpflichtige sowieso Aufzeichnungen führen muss, dann muss er dies dann eben auch für alle Steuergesetze machen und für alle Vorschriften so führen und vorlegen, es sei denn die Aufzeichnungspflicht bestünde nur explizit für dieses Gesetz und das ist eben beim UStG gerade nicht so ausdrücklich angeordnet.