Vor vielen Jahren brachte Anna mit ihrem Mann einen Großteil des Ersparten nach Luxemburg. Beide? Nein, eigentlich nicht, eigentlich nur er. Sie weiß nicht einmal, ob das Konto mit auf ihren Namen läuft oder nur auf seinen. Ob sie eine Vollmacht hat? Sie weiß es nicht. Es war wohl ihr Mann, der das Geld nach Luxemburg brachte. Schwarzgeld? Nein. Alles hier versteuert. Fast alles. Das meiste jedenfalls. Dachte sie damals – heute weiß sie davon nichts mehr. Damals war ihr Mann noch berufstätig. Er war Handelsvertreter. Er brachte immer mal Einnahmen nach Luxemburg. Bei einem besonders guten Abschluss hatte er mal seine Provision direkt nach Luxemburg überweisen lassen. Ob er das sonst noch häufiger gemacht hat, weiß sie nicht – oder nicht mehr.
Er hatte die Generalvertretung für Süddeutschland. Verdiente gut. In manchen Jahren sogar sehr gut. Sie hatten ein tolles Haus in Kronberg. Mit großem Grundstück. Die Kinder sind schon lange aus dem Haus. Ihr Mann ist vor 8 oder 9 Jahren verstorben. Oder vielleicht auch vor 10 Jahren. Sie weiß es nicht mehr. Sie spricht jeden Tag mit ihm. Sein Bild hängt wie eh und je im Schlafzimmer. Er hatte nicht viel von seiner Rente … ein oder zwei Jahre nachdem er aufgehört hatte zu arbeiten, verstarb er. Herzinfarkt. Einfach tot. Wie Stecker raus und einfach tot. Ohne sich von ihr zu verabschieden – einfach eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht. Eigentlich ein schöner Tod, denkt sie. So einen wünscht sie sich auch.
Dann wieder spricht sie mit ihm, als sei er da … so als wäre der Bilderrahmen ein Fenster und er würde draußen im Garten stehen. Mal spricht sie leise mit ihm, liebevoll, dann wieder laut und genervt, wenn er nicht aufgeräumt hat und alles rumliegt. Manchmal realisiert sie, dass er nicht mehr da ist. Dann ist sie sehr traurig – dann wieder ist sie genervt, wenn er sie nicht in die Stadt zum Einkaufen fährt. Dabei geht sie schon lange nicht mehr selbst einkaufen. Ihre Nachbarn und die Pflegekraft kaufen für sie ein. Wie die Nachbarn heißen … weiß sie nicht. Oder nicht mehr. Ist ihr auch egal. Sie hatte früher immer ein gutes Verhältnis zu den Nachbarn, heute kennt sie sie nicht mehr … sie kamen auch nicht zu dem letzten Gartenfest, das sie mit ihrem Mann ausrichtete. Da sind viele Würstchen übrig geblieben. Und Steaks. Sie hat schon lange keine Steaks gegessen. Schmecken ihr eigentlich nicht.
Doch, schmecken ihr schon, aber mit ihrem Gebiss geht das nicht so einfach. Die Pflegekraft heißt Karolina oder Magdalena, glaubt Anna wenigstens. Oder Maja. Oder doch Magda? Oder war das der Name der letzten Pflegekraft? Sie weiß es nicht. Sie hatten früher schon über viele Jahre Personal – Reinigungskräfte und so. Sie kann sich Namen so schlecht merken.
Ihre Kinder waren letzt da – sie schwärmten ihr von einem Ferienhaus, einer Ferienanlage vor. Sie soll da einziehen. Das will sie aber nicht. Sie weiß nicht, was sie da soll. Da wären noch mehr Frauen wie Maja, die sich um sie kümmern würden, da gäbe es Vollpension, morgens Brötchen, mittags was Warmes und abends Salat oder ein Spiegelei. Das ist zwar lieb von den Kindern, aber sie will nicht weg von zuhause und auch nicht getrennt sein von ihrem Mann. „Aber wenn der mitkommt?“, fragten die Kinder. „Nun, da vielleicht“, hat Anna geantwortet. Sie war früher mit ihrem Mann häufig in solchen Ferienhausanlagen. Die in Mallorca war schön, die auf Teneriffa auch. Sehr schön sogar. Die Kinder haben ihr viele Bilder gezeigt, auch von damals aus den Fotoalben. Sie waren auch noch in anderen Ferienhausanlagen, aber die beiden waren besonders schön, an die erinnert sie sich noch – ein wenig, glaubt sie. Vielleicht mischen sich auch die Eindrücke. Ihre Kinder haben gesagt, das neue Heim wäre wohl so, wie die tolle Ferienanlage damals auf Mallorca. Ob ihr Mann da mitkommt? Sie wird ihn mal fragen. Mal sehen, was er dazu meint. Vielleicht hat er auch ganz andere Urlaubspläne mit ihr?