Eine Schätzung muss schlüssig, wirtschaftlich möglich, vernünftig sein. So klingen die Aussagen des BFH und vieler Gerichte als Obersatz für den Einstieg in die Beurteilung von Schätzungsergebnissen.
Die gewonnenen Schätzungsergebnisse müssen schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein
Die gewonnenen Schätzergebnisse müssen schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein. Ist das griffig oder eine leere Phrase? Engt der Satz die scheinbare oder tatsächliche Willkür des Finanzbeamten bei seiner Schätzung wirklich ein? Ist das nur ein Rahmen, der dann im Detail auszufüllen ist? Kann man diesen Obersatz des BFH besser und griffiger fassen?
Versteht man diesen Obersatz nur als äußeren Rahmen und nimmt die ergangene Rechtsprechung hinzu, wird es schon viel griffiger. Ich greife nachstehend ein paar Gedanken aus Urteilen zu Schätzungsfällen auf. Kombiniert man die vielen Kernaussagen aus den zahlreichen Urteilen zu Schätzungen, entsteht da zusammen mit dem Obersatz, dass die Schätzungsergebnisse schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein müssen, ein griffige(re)s Bild. Hier kann ich auf der Homepage nur ein paar ausgewählte Gedanken zusammentragen, die meines Erachtens dieses Bild dann zu den Anforderungen an eine Schätzung ergeben:
Ziel der Schätzung: Möglichst ein Ergebnis zu finden, das der Wahrheit und der Wirklichkeit am nächsten kommt
Ziel der Schätzung ist es, bezogen auf den jeweils festgestellten Sachverhalt die zahlenmäßigen Auswirkungen durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen so zu bestimmen, dass sie der Wirklichkeit möglichst nahekommen. Übertriebene Schätzungen oder Zuschläge höher als das, was wohl realistisch ist, nur damit der Steuerpflichtige, der keine ordnungsmäßige Buchhaltung hat, nicht besser fährt als der ehrlich und korrekt aufzeichnete, sind nicht (mehr) zulässig. Früher wurde die Auffassung von der Rechtsprechung gehalten, das Zuschlagen bis zu 20 % möglich sein, damit der nicht oder nicht sorgfältig aufzeichnen keineswegs einen Vorteil hat. Solche Gedanken werden längst nicht mehr vertreten.
Änderung der Rechtsprechung seit etwa 2000: Keine 20-prozentigen Zuschläge bei der Schätzung – vielmehr müssen die vermutlich oder am wahrscheinlich richtigsten Ergebnisse durch die Schätzung versucht werden zu ermitteln
Achten Sie darauf, wenn das Finanzamt solche Urteile zitiert, auf das Entscheidungsdatum. Seit etwa Anfang 2000 hat die Rechtsprechung insoweit einen Wandel vollzogen, wonach das Ziel ist, dass das Schätzungsergebnis möglichst zutreffend sein soll. Natürlich gibt es Schätzungsunwägbarkeiten und Ungenauigkeiten. Diese gehen immer noch zulasten der Steuerpflichtigen. Insoweit gibt es keinen Grundsatz, dass im Schätzung Fall Abschläge gemacht werden müssen, damit der Steuerpflichtige auf keinen Fall zu viel Steuern zahlt. Insoweit gibt es also kein in dubio pro reo, sondern er war noch ein in dubio pro fisco. Dies gilt aber nur für die Schätzung Höhepunkt die Voraussetzungen dafür, dass geschätzt werden darf und muss, liegen bei der Finanzverwaltung diese Voraussetzung dürfte nicht geschätzt werden, sondern müssen bewiesen werden. Die Beweislast hierfür trägt die Finanzverwaltung.
Alle Erkenntnisse aus der Buchführung und das gesamte Vorbringen des Steuerpflichtigen sind bei der Schätzungsmethode zu berücksichtigen
Deshalb sind alle möglichen Anhaltspunkte, u.a. auch das Vorbringen des Steuerpflichtigen oder eine an sich fehlerhafte Buchführung, zu beachten und alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um im Rahmen des der Finanzbehörde Zumutbaren die Besteuerungsgrundlagen wenigstens teilweise zu ermitteln (BFH-Urteil vom 29. Mai 2008 -VI R 11/07-, BFHE 221, 182, BStBl II 2008, 933, unter II.2.b.aa der Gründe, m.w.N.). Solange der Steuerpflichtige mitwirkt, gibt es auch keine Reduktion im Beweismaß bzw. auch keine Reduktion beim Arbeitsaufwand. Dann muss also auch die Finanzverwaltung entsprechend mitwirken und aufklären und sich um eine bestmögliche Schätzungsmethode bemühen, um das möglichst der Realität am nächsten kommende Schätzungsergebnis zu finden.
Die Auswahl der Schätzungsmethode steht im pflichtgemäßen Ermessen, § 5 AO
Die Auswahl der Schätzungsmethode steht im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde , § 5 AO bzw. des Finanzgerichts, das an die von der Behörde gewählte Schätzungsmethode nicht gebunden ist und nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO eine eigene Schätzungsbefugnis besitzt.
Die Ermessensentscheidung, ob und wie und warum die Schätzungsmethode gewählt wird, muss nach § 121 AO begründet werden
Ermessensentscheidung ob und wie das Ermessen ausgeübt wird, müssen natürlich begründet werden, § 121 AO. Insoweit muss begründet werden, welche Schätzungsmethode herangezogen wird und warum gerade diese zu dem höchstwahrscheinlich richtigen Ergebnis führt.
Mitwirkung des Steuerpflichtigen wesentlich
Bei dieser Entscheidung kommt der Art der zu schätzenden Besteuerungsgrundlagen, den vorliegenden und verwertbaren Unterlagen und der Mitwirkungsbereitschaft des Steuerpflichtigen wesentliche Bedeutung zu.
Schätzungsunschärfen wird es immer geben
Schätzungsunschärfen gehen zu Lasten des Steuerpflichtigen (BFH-Beschluss vom 1.12.1998 -III B 78/97-, BFH/NV 1999, 741). Wenn der Steuerpflichtige also im Rahmen der Schätzung solche Unschärfen erkennt, muss er sachgerecht weiter vortragen und versuchen durch Beweismittel so viel Material der BP oder dem Gericht vorzulegen, dass diese Schätzungsunschärfen minimiert werden oder gar verschwinden.
Dieselben Grundsätze gelten auch bei einer Schätzung im summarischen Verfahren bei der ADV
Bei einer Schätzung gemäß § 162 AO muss das Finanzamt daher – auch im summarischen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes – ausreichende Belege vorlegen, um die vorgenommene Schätzung der Höhe nach durch die Offenlegung einer nachvollziehbaren Kalkulation zu substantiieren, so dass sich das Gericht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ein Bild von dem geltend gemachten Steueranspruch machen kann (BFH-Beschluss vom 14.02.1984 -VIII B 112/83-, BStBl II 1984, 443).
Das Finanzamt muss alle Schätzungsparameter offenlegen – das gilt spiegelbildlich natürlich genauso, wenn das Finanzgericht schätzt: Auch das Finanzgericht muss alle Schätzungsparameter für den Kläger bzw. auch für den BFH transparent offenlegen
Dafür müssen sowohl die verwendeten Ausgangszahlen (in der Regel die Buchungskonten), als auch der Kalkulationsweg nachvollziehbar dargestellt werden, damit das Finanzgericht in die Lage versetzt wird, die Schätzung der Finanzverwaltung auf Rechtmäßigkeit hin zu kontrollieren und gegebenenfalls stattdessen seine eigene Schätzungsbefugnis nach § 96 FGO auszuüben. Und das Finanzgericht muss vorher offenlegen und Gelegenheit zur Stellungnahme geben, da nach dem Urteil es zu spät ist.
Die Schätzung muss auf ihre Schlüssigkeit hin kontrollierbar sein
Das zahlenmäßige Ergebnis der Schätzung muss auf seine Schlüssigkeit hin kontrollierbar sein (vgl. BFH-Urteil vom 14.12.2011 -XI R 5/10-, BFH/NV 2012, 1921). Das gilt natürlich nicht nur für die Schätzung des Finanzamts, sondern genauso gut auch dann für die Schätzung des Finanzgerichts, wenn er seine eigene Schätzungsmethode gewählt oder aber die Schätzung der Finanzverwaltung als richtig durchwinkt. In beiden Fällen müssen die Schätzungswege und das Schätzungsergebnis so klar dargestellt werden, dass es überprüfbar ist.
Auch das Finanzgericht muss begründen, warum es welche Schätzungsmethode gewählt, wenn es selbst schätzt. Vor der Schätzungen Urteil muss es den beteiligten die Gelegenheit geben, zu den Parametern und zu der Schätzungsmethode Stellung zu nehmen
Auch das Auswahl- und Entschließungsermessen bei der Auswahl der Schätzungsmethode müssen auch vom Finanzgericht dargelegt werden, wenn es eine eigene Schätzungsmethode gewählt. Insbesondere muss das Finanzgericht, wenn es eine eigene Schätzungsmethode gewählt, diese im Vorfeld offenbaren und auch die dazugehörigen Parameter. Insoweit muss das Finanzgericht rechtliches Gehör gewähren und darf die Beteiligten nicht mit einer eigenen Schätzungsmethode überraschen. Dies wäre eine rechtswidrige Überraschungsentscheidung nach § 76 Abs. 1 FGO.
Die Schätzung des Finanzamts ist vom Finanzgericht voll prüfbar
Die Schätzung ist vom Gericht voll überprüfbar, weil sie keine Ermessensentscheidung darstellt (vgl. BFH-Urteil vom 17.10.2001 -I R 103/00-, BFHE 197, 68, BStBl II 2004, 171).
Die Schätzungsergebnisse müssen schlüssig, wirtschaftlich möglich, vernünftig sein
Ich komme zurück auf den Eingangssatz: Die Schätzungsergebnisse müssen schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein. Ich habe eingangs oben gefragt, ob dieser Satz nicht zu und griffig ist. Lässt man ihn alleine stehen, wirkt er tatsächlich sehr blass. Keiner weiß, wann die Grenzen überschritten sind. Nimmt man aber die hier exemplarisch aufgezeigten anderen Kernsätze aus anderen Rechtsprechung und höchstrichterlicher Rechtsprechung hinzu, legte auf einmal dieser Kernsatz des BFH auf: In Kombination mit den vielen anderen zu den Schätzungen ergangenen Urteilen ist dann auf einmal der Satz, die Schätzungsergebnisse müssen schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein, möglicherweise doch schon ein relativ scharfes Schwert.
Es liegt aber an uns allen, insbesondere an der Beraterschaft, ob dieses Schwert weiter geschärft, verbessert und präzisiert werden kann.
Steueranwalt Dr. Jörg Burkhard
Probleme mit dem Finanzamt? Probleme mit der Verwerfung der Buchführung oder hohe Schätzungsbescheide vom Finanzamt erhalten? Dann fragen Sie den Abwehrspezialisten Dr. Jörg Burkhard um Rat. Er ist der Fachmann für streitigen Steuerrecht, Steuerstrafrecht, Betriebsprüfung, Steuerfahndung, Zollfahndung, FKS. Rechtsanwalt Dr. Jörg Burkhard ist der Spezialist für alle Prüfung- und Schätzungsmethoden, Kasse, Kassennachschau, Selbstanzeige, Tax Compliance. 0611 – 890910 oder 069 – 87005100.