Akteneinsichtsrecht in Betriebsprüfungsakten im Steuerstrafverfahren
Akteneinsichtsrecht in Betriebsprüfungsakten besteht im Steuerstrafverfahren. Natürlich kann man die Akteneinsicht in Betriebsprüfungsakten auch im Steuerverfahren (Einspruchs- oder Klageverfahren) beantragen. Das Finanzamt muss hierüber pflichtgemäß und ermessensgerecht entscheiden. Das Finanzgericht muss die Akten beiziehen und Akteneinsicht nach §§ 78, 71 FGO gewähren.
Das Akteneinsichtsrecht in Betriebsprüfungsakten besteht aber auch in einem Steuerstrafverfahren. Dann muss dort das Fallheft der BP beigezogen werden, etwa wenn aus der BP ein Steuerstrafverfahren erwachsen ist und Feststellungen in dem Fallheft der BP hierin enthalten sein können. Ein Akteinsichtsrecht nach Art 15 DSGVO ist bislang umstritten.
Umgekehrt kann natürlich auch das Fallheft der Steuerfahndung oder die steuerstrafrechtlichen Ermittlungsakten im Besteuerungsverfahren beigezogen werden. Kurzum: Die Fallhefte der BP und Steufa können also quasi über kreuz in dem jeweils anderen Verfahrensstrang relevant werden und daher beigezogen werden und Akteneinsicht hierein jeweils beantragt werden. Die bereits früher gewährte Akteneinsicht macht die Akteneinsicht auch nicht entbehrlich. Es könnte schließlich etwas Neues hinzu gekommen sein.
OLG Rostock
Im vorliegenden Fall geht es um ein Akteneinsichtsrecht des Verteidigers im Betriebsprüfungsakten im Steuerstrafverfahren.
OLG Rostock Strafsenat, Beschluss v. 07.07.2015, -20 VAs 2/15- zur Erstreckung des Akteneinsichtsrechts auf Betriebsprüfungsakten des Veranlagungsfinanzamts im Steuerstrafverfahren
Leitsätze:
- Das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers nach § 147 Abs. 1 StPO erstreckt sich im steuerstrafrechtlichen Verfahren auch auf die von der ermittelnden Steuerstrafsachen- und Steuerfahndungsstelle (SteuFa) beigezogenen Betriebsprüfungsakten des Veranlagungsfinanzamts. Diese wären bei Anklageerhebung zusammen mit den Ermittlungsakten nach § 199 Abs. 2 Satz 2 StPO dem Gericht vorzulegen gewesen.
- Verweigert die SteuFa nach Übernahme des weiteren Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft und erfolgter Anklageerhebung die Einsicht in die bei ihr als Beiakten zu ihren Vorgängen genommenen und dort verbliebenen Betriebsprüfungsakten, kann dies nur durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 147 Abs. 5 Satz 2 StPO (analog) zur Überprüfung durch das mit der Sache befasste Gericht gestellt werden. Der Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG ist demgegenüber subsidiär und ein entsprechender Antrag zum Oberlandesgericht deshalb unzulässig (§ 23 Abs. 3 EGGVG). NZWiSt 2015, 351-354 = ZWH 2015, 324-327 = StV 2015, 677-680 = wistra 2015, 446-448
Das OLG hielt den Antrag nach §§ 23 ff. EGGVG für unzulässig. Die Entscheidung ist unter vielen Gesichtspunkten für das häufige Streitthema, ob und in welche Akten Akteneinsicht genommen werden darf, von Interesse:
Das OLG Rostock entschied:
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unzulässig, weil der Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG in Fällen der vorliegenden Art nicht (mehr) eröffnet ist.
- Der Senat folgt zunächst der grundlegenden Auffassung in der Rechtsprechung, dass es sich bei der Versagung von Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren nicht um eine nach § 23 EGGVG allein nachprüfbare Maßnahme einer Justizbehörde im Verwaltungsbereich (sog. Justizverwaltungsakt), sondern um eine strafprozessuale Entscheidung auf der Grundlage von § 147 Abs. 2 und 5 StPO handelt (vgl. dazu OLG Saarbrücken, Beschl. vom 20.09.2007 – VAs 5/07 -, Rdz. 3 in juris m.w.N.; SK-Wohlers, StPO, 4. Aufl., § 147 Rdz. 110 m.w.N.).
- Nach Anklageerhebung und bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens entscheidet über die Gewährung von Akteneinsicht der Vorsitzende des mit der Sache befassten Gerichts (§ 147 Abs. 5 Satz 1, letzter Halbsatz StPO).
Akten, die dem Gericht vorliegen:
Das betrifft nicht nur die Akten, die dem Gericht tatsächlich vorliegen, sondern auch solche, die ihm mit Anklageerhebung – etwa als Beiakten – vorzulegen gewesen wären (§ 147 Abs. 1 StPO). Sind dem Gericht solche Akten von der Staatsanwaltschaft vorenthalten worden, ist es deshalb zunächst Sache des Vorsitzenden, schon im Rahmen seiner Sachaufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) entweder von Amts wegen oder spätestens auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten zu prüfen, ob es sich um für das Verfahren möglicherweise relevante Vorgänge handelt und, wenn ja, für ihre Beiziehung Sorge zu tragen und sie dann auch der Verteidigung zur Einsichtnahme zur Verfügung zu stellen (vgl. auch KK-Laufhütte/Willnow, StPO, 7. Aufl., § 147 Rdz. 7).
Gelangt der Vorsitzende dagegen zu der Auffassung, die bislang nicht bei den dem Gericht vorliegenden Akten befindlichen weiteren Vorgänge seien nicht verfahrensbedeutsam und wären ihm deshalb auch nicht vorzulegen (gewesen), wird er ihre Beiziehung und den Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht ablehnen.
Beschwerde möglich statt Antrag nach § 23 EGGVG bei Verweigerung der Beiziehung durch Vorsitzenden
Diese Entscheidung stellt ebenfalls keinen Justizverwaltungsakt dar und kann deshalb im Versagungsfall mit der Beschwerde nach § 304 StPO angefochten werden, die durch die Regelung in § 305 StPO nicht ausgeschlossen ist (vgl. Wohlers a.a.O. Rdz. 114 f. m.w.N.). Unabhängig davon kann die Versagung der Akteneinsicht durch das Gericht, sollte sie während laufender Hauptverhandlung erfolgen, vom Angeklagten auch mit der Revision gerügt werden (Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 8 StPO; vgl. zu den Einzelheiten Wohlers a.a.O. Rdz. 121 ff. m.w.N.).
Gleiches gilt für die Weigerung des Gerichts bzw. des Vorsitzenden, (möglicherweise) relevante Akten überhaupt beizuziehen, weil dann die Aufklärungsrüge begründet sein kann (Wohlers a.a.O, Rdz. 124).
3. Wird – wie hier – im Rahmen eines bei Gericht anhängigen Strafverfahrens die Akteneinsicht für den Verteidiger nicht durch den Vorsitzenden oder die Staatsanwaltschaft verweigert, sondern durch eine andere am Verfahren beteiligte Ermittlungsbehörde, kann nichts anderes gelten.
Solange die nach § 386 Abs. 1 AO zuständige Finanzbehörde wegen des Verdachts einer Steuerstraftat nach Absatz 2 der Vorschrift selbständige Ermittlungen durchführt, nimmt sie gemäß § 399 Abs. 1 AO die Rechte und Pflichten wahr, die sonst der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren zustehen. Sie ist dann Staatsanwaltschaft im funktionalen Sinne. Für die Akteneinsicht gelten dann und so lange auch für die ermittelnde Finanzbehörde nicht die Regelungen der Abgabenordnung, sondern diejenigen der Strafprozessordnung (§ 385 Abs. 1 AO).
Nach Abgabe eines steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens an die Staatsanwaltschaft gemäß § 386 Abs. 4 Satz 1 AO oder nachdem die Staatsanwaltschaft von ihrem Evokationsrecht aus § 386 Abs. 4 Satz 2 AO Gebrauch gemacht hat, hat die sonst zuständige Finanzbehörde dieselben Rechte und Pflichten wie die Behörden des Polizeidienstes nach der Strafprozessordnung (§ 402 Abs. 1 AO). Die bislang für die Ermittlungen zuständige Finanzbehörde wird dann zu einem weisungsgebundenen Ermittlungsorgan der Staatsanwaltschaft (§ 161 Abs. 1 StPO).
Dazu gehören auch etwaige Spurenakten, soweit sie auch nur möglicherweise (“bei großzügigster Auslegung“ BGH NStZ 1983, 228) irgendeinen Bezug zu der zu untersuchenden Tat oder zum möglichen Täter haben
Das begründet zugleich die Verpflichtung der Finanzbehörde, „ihre Verhandlungen“, d.h. alle im Zuge ihrer Ermittlungen bereits angefallenen oder noch anfallenden Akten, hinzugezogene Beiakten anderer Behörden (vgl. dazu § 163 Abs. 1 Satz 2 StPO), Beweismittel und etwaige Verfalls- oder Einziehungsgegenstände (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 163 Rdz. 23) ohne Verzug der Staatsanwaltschaft zu übersenden (§ 163 Abs. 2 Satz 1 StPO). Dazu gehören auch etwaige Spurenakten (vgl. zum Begriff Wieczorek, Kriminalistik 1984, 598), soweit sie auch nur möglicherweise (“bei großzügigster Auslegung“ BGH NStZ 1983, 228) irgendeinen Bezug zu der zu untersuchenden Tat oder zum möglichen Täter haben (vgl. Schmitt a.a.O. § 147 Rdz. 18 m.w.N.).
Nur wenn gänzlich auszuschließen ist, dass derartige Spurenakten irgendeine Relevanz für das (weitere) Verfahren haben, können sie als „verfahrensfremder Vorgang“ bei der Polizei bzw. hier bei der ermittelnden Finanzbehörde verbleiben, sind dann aber gleichwohl auf entsprechende Anforderung – etwa zur Klärung aufkommender Zweifel, ob sich daraus nicht doch verfahrensrelevante Erkenntnisse ergeben – der Staatsanwaltschaft vorzulegen (Schmitt a.a.O.).
Für das vorliegende Verfahren folgt daraus:
Akten der BP keine Spurenakten, wären aber dem Strafgericht mit der Anklage vorzulegen gewesen
a) Bei den Akten des Finanzamts Wismar über die bei der ODS durchgeführte Umsatzsteuer-Sonderprüfung (Betriebsprüfung), in die der Verfahrensbevollmächtigte/Verteidiger des Antragstellers vollständige Einsicht begehrt, handelt es sich bereits um keine „Spurenakten“ im oben genannten Sinne. Sie sind nicht erst aus Anlass bereits laufender steuerstrafrechtlicher Ermittlungen zur Verfolgung eines bestimmten Ermittlungsansatzes angelegt worden, sondern sie waren wegen der darin enthaltenen verdachtsbegründenden Feststellungen des Betriebsprüfers gerade der Ausgangspunkt für die Aufnahme der Ermittlungen gegen den Angeklagten und weitere Verantwortliche der ODS.
Dementsprechend sind die vollständigen (!) Betriebsprüfungsakten vom Finanzamt Wismar an die für die steuerstrafrechtlichen Ermittlungen zuständige SteuFa des Finanzamts Schwerin übersandt bzw. von dieser angefordert und dann als Beiakten zu den steuerstrafrechtlichen Ermittlungsvorgängen genommen worden und bis heute dort verblieben. Sie waren und sind damit Teil der zunächst von der Steuerfahndungsstelle nach § 163 Abs. 1 Satz 2 StPO an die Staatsanwaltschaft zu übersendenden „Verhandlungen“ geworden und wären von dieser mit Anklageerhebung nach § 199 Abs. 2 Satz 2 StPO dem Gericht vorzulegen gewesen.
Mitübersendung des Fallheftes darf nicht unterbleiben, weil Kopien der wesentlichen Teile in der Hauptakte hängen
b) Daran ändert nichts, dass nach Mitteilung der SteuFa alle ihrer Meinung nach für das weitere Verfahren wesentlichen Dokumente aus den Betriebsprüfungsakten in Kopie zu den Ermittlungsakten genommen wurden. Denn dabei handelt es sich nur um eine zur besseren Übersichtlichkeit getroffene Auswahlentscheidung mit dem Ziel der Arbeitserleichterung. Nach der Übernahme des Ermittlungsverfahrens oblag es jedoch der Staatsanwaltschaft und nach Anklageerhebung dem mit der Sache befassten Gericht, anhand der Originalvorgänge des Finanzamts Wismar jeweils in eigener Verantwortung zu prüfen, ob tatsächlich alle darin befindlichen (potenziell) verfahrensbedeutsamen Unterlagen (auch) zu den steuerstrafrechtlichen Ermittlungsakten genommen wurden.
Hinzu kommt, dass im Falle einer Beweisaufnahme durch Verlesung von Urkunden oder anderen Schriftstücken (§ 249 StPO) für die Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit bestehen muss, sich anhand der jeweiligen Originale zu versichern, dass die davon für die Akten gefertigte Vervielfältigungen authentisch sind, was gegebenenfalls im Strengbeweisverfahren festgestellt werden muss (vgl. Meyer-Goßner a.a.O., § 249 Rdz. 6 m.w.N.). Dasselbe gilt im Falle der Inaugenscheinnahme von Schriftstücken (ders. Rdz. 7).
Der Angeklagte und die Verteidigung müssen die Möglichkeit erhalten, sich während des gesamten Verfahrens jederzeit selbst davon zu überzeugen, dass alle auch nur möglicherweise relevanten Dokumente aus den Betriebsprüfungsakten tatsächlich zu den Strafakten gelangt sind.
Aus ebendiesen Gründen müssen auch die übrigen Verfahrensbeteiligten, in Sonderheit der Angeklagte und die Verteidigung die Möglichkeit erhalten, sich während des gesamten Verfahrens jederzeit selbst davon zu überzeugen, dass alle auch nur möglicherweise relevanten Dokumente aus den Betriebsprüfungsakten tatsächlich zu den Strafakten gelangt sind. Durch die mehrfache Ausübung des Akteneinsichtsrechts in Betriebsprüfungsakten im Steuerstrafverfahren werden auch Veränderungen in der Akte bekannt.
Auch betreffend der Steuerakten erstreckt sich nach erfolgter Anklageerhebung das uneingeschränkte Akteneinsichtsrecht des Verteidigers auch auf diese
c) Dem steht auch nicht entgegen, dass es sich bei den über die Umsatzsteuer-Sonderprüfung bei der ODS angelegten Akten des Finanzamts Wismar um Steuerakten handelt. Mit ihrer Übersendung an oder ihrer Hinzuziehung durch die SteuFa und ihrer Führung als Beiakten zu den Vorgängen des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens erstreckt sich nach erfolgter Anklageerhebung das uneingeschränkte Akteneinsichtsrecht des Verteidigers nach § 385 Abs. 1 AO, § 147 Abs. 1 StPO auch auf diese (vgl. OLG Celle, NdsRpfl 1977, 252; Rand in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl., § 392, Rdz. 46 m.w.N.). Das wäre sogar dann der Fall, wenn sie (noch) nicht förmlich als Beiakten geführt würden. Das Steuergeheimnis aus § 30 AO steht dem nicht entgegen, wie sich schon aus Absatz 4 Nr. 1 der Vorschrift ergibt. Der Verteidiger durfte also sein Akteneinsichtsrecht auch in Betriebsprüfungsakten im Steuerstrafverfahren geltend machen.
Informationen und Erkenntnisse über Dritte in der Akte stehen dem Akteneinsichtsrecht nicht entgegen
Das Steuergeheimnis steht dem auch dann nicht entgegen, wenn sich in den Akten zugleich Hinweise auf die steuerlichen Verhältnisse Dritter befinden sollten (vgl. Burkhard DStR 2002, 1794, 1795; A. Burhoff PStR 2000, 58; einschränkend OLG Frankfurt NStZ 2003, 566). Dem Akteneinsichtsrecht in Betriebsprüfungsakten im Steuerstrafverfahren steht also nicht entgegen, dass in den Betriebsprüfungsakten angeblich auch Sachverhalte betreffend Dritter enthalten sind. Im Gegenteil: wenn es z.B. um Scheinrechnungen geht, müssen doch auch Informationen zu den angeblichen Scheinrechnungsausstellern in der Akte zwangsläufig sein.
Verweigerung der Beiziehung bzw. Akteneinsichtsgewährung kann nach § 147 Abs. 5 Satz 2 StPO analog zur Überprüfung bei Gericht gestellt werden
d) Handelt es sich nach dem Vorgesagten bei den beigezogenen Steuerakten des Finanzamts Wismar um Bestandteile der Sachakten, die dem Gericht vorzulegen wären, kann die auf § 147 Abs. 1 StPO (!) gestützte Versagung der Akteneinsicht durch die SteuFa, die insoweit dem Verantwortungsbereich der Staatsanwaltschaft zuzurechnen ist, allein im Wege gerichtlicher Entscheidung nach § 147 Abs. 5 Satz 2 StPO (analog) durch das nach § 162 StPO zuständige Gericht zur Überprüfung gestellt werden (vgl. OLG Saarbrücken a.a.O). Diese Regelung ist in Fällen der vorliegenden Art abschließend; ein anderer Rechtsbehelf ist nicht gegeben (OLG Frankfurt NStZ-RR 2005, 376; OLG Hamm wistra 2003, 317; Meyer-Goßner a.a.O. § 147 Rdz. 40; MK-Thomas/Kämpfer, StPO, § 147 Rdz. 59; einschränkend SK-Wohlers a.a.O. § 147 Rdz. 110 f.; nicht ganz eindeutig die Gesetzesbegründung BT-Drs.14/1484, S. 22).
Das nach früherer Rechtsprechung alternativ mögliche Antragsverfahren nach §§ 23 ff. EGGVG (vgl. z.B. BVerfGE 63, 45) wird durch die mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Strafverfahrensrechts vom 2. August 2000 (BGBl. I, S. 1253) mit Wirkung vom 1. November 2000 neu gefasste Vorschrift des § 147 Abs. 5 StPO als subsidiär verdrängt (§ 23 Abs. 3 EGGVG), jedenfalls soweit es – wie hier – um die verweigerte Einsichtnahme in Verfahrensakten geht.
Art. 19 Abs. 4 oder Art. 103 Abs. 1 GG
Verfassungsmäßige Rechte des Angeklagten aus Art. 19 Abs. 4 oder Art. 103 Abs. 1 GG werden hierdurch nicht berührt. Er hat nach dem Vorgesagten nicht nur die Möglichkeit, die Entscheidung der SteuFa durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 147 Abs. 5 StPO beim Landgericht Schwerin zur Überprüfung zu stellen, sondern er kann dort auch unmittelbar die Beiziehung der Steuerakten und die Einsichtnahme darin beantragen. Sollte das auch vom Gericht abgelehnt werden, stünde ihm dagegen das Rechtsmittel der Beschwerde zu. Weiterhin könnte der Angeklagte während der Hauptverhandlung einen auf Beiziehung der Steuerakten oder einzelner darin enthaltener Dokumente abzielenden Beweis- oder Beweisermittlungsantrag stellen. Schließlich könnte die Ablehnung der Aktenbeiziehung oder darauf abzielender Beweis-(ermittlungs-)anträge durch verschiedene Verfahrensrügen mit der Revision beanstandet werden.
Anmerkungen Dr. jur. Jörg Burkhard:
Es ist eine alte, sich in vielen Verfahren immer wieder wiederholende und kaum verständliche Abwehrhaltung bezüglich der Akteneinsicht in Steuerstrafsachen ist es, dass gerade die Finanzverwaltung die Akteneinsicht des Verteidigers behindert und entweder einfach den § 147 II StPO vor Abschluss der Ermittlungen behauptet, obwohl keine Gefährdung des Ermittlungszwecks vorliegt oder einfach die Akteneinsicht in bestimmte, einzelne Akten verweigert.
häufig unvollständige Akteneinsicht
Häufig werden nur Aktenteile oder nicht alle Akten dem Verteidiger vorgelegt. Wer hier nicht weiß, dass es hinter der Ermittlungsakte ggf. weitere wichtige Akten gibt, die wesentliche Teile zum Verfahren enthalten können, der hat schon verloren. Die Akte hinter der Akte bekommt einfach einen anderen Namen bereits dann z.B. Sonderband. Derjenige der glaubt, vollständige Akteneinsicht erhalten zu haben und berät seinen Mandanten auf dieser unvollständigen, unzureichenden Grundlage. Der Verteidiger, der diese trickreiche Verfahrensweise der Akte hinter der Akte nicht kennt, kann falsche Schlüsse aus dem ihm übersandten Ermittlungsstand schließen. Die Folge: dieser Anwalt berät seinen Mandanten dann völlig falsch und ist dann überrascht, wenn in der Verhandlung Papiere auftauchen, die er trotz Akteneinsicht bislang nicht kennt.
zeitliche Komponente
Akteneinsichtsrecht in Betriebsprüfungsakten im Steuerstrafverfahren kann bedeuten, dass Sie im Steuerstrafverfahren schneller das Fallheft der BP zu sehen bekommen, als bei einer Akteneinsicht ins Fallheft der BP im Besteuerungsverfahren.
Akten muss leben
Eine Akte muss leben: Sie muss also Telefonnotizen, Aktenvermerke, Arbeitspapiere, Vermerke und handschriftliche Bemerkungen enthalten. Fehlt all dies, ist das ein Indiz für eine Zusammengestellte Akte
elektronische Akte. elektronsiche Dateien und emails
Zur vollständigen Akteneinsicht gehörgen auch alle elektronischen Dateien und emails. Manchmal sind emails ausgedrukt in der Akte. Aber wissen Sie, ob sie den gesamten elektronischen emailverkehr bekommen haben? Und die ganzen Berechnungen der BP? Haben Sie alle Berechnungen auch in elektronischen Dateien erhalten? Sie haben einen Anspruch darauf …! Das wird künftig schwieriger den Erhalt einer vollständigen Akteneinsicht zu kontrollieren, wenn Sie nicht die elektronische Akte erhalten, sondern nur einen Ausdruck der elektronischen Akte.
Extra für den Verteidiger vorbereitete Akten
Manchmal bekommt und auch als Verteidiger extra vorbereitete Akten. Dann sind diese aufgebaut wie Fallheft und haben einzelne Fächer und die dort themenbezogenen extra für den Verteidiger zusammengestellten Schreiben und Fundstellen sind dann hübsch geordnet und erleichtern das Lesen und Bearbeiten des Falles. Das ist soweit auch ganz nett und gut gemeint von der Betriebsprüfung bzw. Steuerfahndung. Dennoch hat der Verteidiger das Recht und die Pflicht die vollständige Originalakte anzusehen. Ohne hier etwas Böses unterstellen zu wollen, ist es gleichwohl dennoch Pflicht des Verteidigers, die Akten selbst zu lesen. Wenn sich dann nichts anderes aus der vollständigen Akten ergibt, als das, was aus der extra vorbereiteten Akte sich ergab, ist auch alles gut und in Ordnung.
Da der Verteidiger aber eigenverantwortlich das Verfahren führt und selbst den Sachverhalt prüfen und lesen muss, kann er sich schlechterdings auf solche extra für ihn vorbereiteten Aktenteile nicht beschränken Ohne gleichzeitig gegen seine beruflichen Verpflichtungen zu verstoßen.
Steuerliche und steuerstrafrechtliche Akteneinsicht
Die steuerliche Akteneinsicht steht neben der steuerstrafrechtlichen. Die eine schließt die andere nicht aus. Und ob man in beiden Verfahren dieselben Inhalte bekommt, ist spannend. Daher sollte man stets, auch wenn man im Besteuerungsverfahren schon die Betriebsprüfugsakten gesehen und kopiert hat, noch einmal Akteneinsichtsrecht in Betriebsprüfungsakten im Steuerstrafverfahren beantragen.
Auffällige Fehlkopien
Manchmal sind in den Akten auch auffällige Fehlkopien. Dann hängt etwa eine Kopie eines Urteils in der Akte, die gar keinen Sinn macht. Das sind dann meist verräterische Platzhalter für entnommene Blätter.
Geschwärzte Akten oder Leerblätter
manchmal sind Akten teilweise auch geschwärzt bzw. enthalten Leerblätter mit der Behauptung „entnommen“. Natürlich hat der Verteidiger einen Rechtsanspruch auf vollständige Akteneinsicht. Ob die geschwärmten Teile wirklich relevant sind, muss der Verteidiger dann selbst entscheiden. Andere dürfen das für den Verteidiger nicht entscheiden. Erst insoweit selbstverantwortlich für die Verfahrensführung und die ordnungsgemäße Vertretung bzw. Verteidigung seines Mandanten. Aus geschwärmten Namen könnten sich beispielsweise interessante Beweisanträge ergeben. Der Verteidiger könnte auch auf die Idee kommen, die Personen, die sich hinter den geschwärzten Namen verbergen, etwa auch zeugenschaftlich zu befragen. Insoweit darf bzw. muss der Verteidiger sich gegen geschwärzte Akten oder Aktenteile wären und auf Übersendung der vollständig lesbaren Akten bestehen.
Dies bedeutet natürlich, dass auch geschwärzte Teile lesbar gemacht werden müssen und die Leerblätter wieder ergänzt werden müssen. Im Rahmen einer ergänzenden Akteneinsicht werden dann dem Verteidiger die so vollständig lesbar gemachten Aktenteile zur Verfügung gestellt. Das Akteneinsichtsrecht in Betriebsprüfungsakten im Steuerstrafverfahren kann und muss ggf. mehrfach geltend gemacht werden. Auch kann und muss die Unvollständigkeit oder Unlesbarkeit einer Aktenseiten beim Akteneinsichtsrecht in z.B. die Betriebsprüfungsakten im Steuerstrafverfahren beanstandet werden.
Auffällige Seitenzahlen
Manchmal sind die Seitenzahlen in den Akten nicht nachvollziehbar. Eine Blattzahl 982 ist ein einer Akte mit nur 654 Blatt verwunderlich. Entweder gibt es irgendwo eine Hauptakte gegen einen anderen Beschuldigten, aus der diese Kopie entlehnt ist. Oder die Akte ist umgeheftet worden und die gewährte Akteneinsicht ist nicht vollständig. Man muss zudem wissen, dass die Akten beim Finanzamt nicht fortwährend paginiert werden, sondern erst vor Versandt zur Akteneinsicht oder zum Gericht. Solange die Akten im Finanzamt sind, sind die Seitenzahlen nicht beschriftet. Sie sind dann inhaltlich auch nicht festgeschrieben und eine Veränderung problemlos und spurenlos jederzeit möglich.
Akten hinter den Akten
Wer hier nicht weiß, dass es Akten hinter Akten geben kann und nicht alles wichtige in der Ermittlungsakte ist, wird im weiteren Verfahren ggf. mit Überraschungen überrannt. Wer nicht vollständig die Akten bei der ersten (oder auch späteren, wiederholten) Akteneinsicht kopierte, kann kaum beweisen, welche Aktenteile er gesehen hat und was bei der jeweiligen Akteneinsicht enthalten war und was nicht.
Fällt dem Verteidiger aber auf –wie im vom OLG Rostock entschiedenen Fall- dass Aktenteile fehlen, dann kann die Akteneinsicht in diese Aktenteile teilweise abgelehnt werden. Der Fall des OLG Rostock ist daher nach meinen Erfahrungen ein durchaus typischer, der die üblichen Probleme mit der Akteneinsicht im Rahmen eines Steuerfahndungsverfahrens und die üblicherweise von der Finanzverwaltung gebrachten –sachlich falschen und dennoch immer wieder anzutreffenden- Argumente beinhaltet.
Akte muss erst wegen des Steuergeheimnisses bereinigt werden
Teilweise wird die Akteneinsicht mit der Begründung abgelehnt, es handele sich um persönliche oder gar private Akten des Betriebsprüfers oder des Fahndungsprüfers, teils mit der Begründung, es stehe das Steuergeheimnis entgegen. Würde man es nicht immer wieder lesen, könnte man allein so ein Vorbringen für einen schlechten Scherz halten: wieso sollte eine Behördenakte Privateigentum eines Beamten sein? Wieso darf der dienstliches Arbeitsmaterial mit nach Hause nehmen und wieso geht das in sein privates Eigentum über? Und wieso wird er für private Arbeiten und private Arbeitsergebnisse bezahlt? Wieso darf der Beamte mittels amtlichem Dienstausweis private Betriebsprüfungen und mittels eines Durchsuchungsbeschlusses private Ermittlungen machen.
Fallheft ist keine private Akte
Man ist fast sprachlos, ob solcher völlig unverständlicher Behauptungen, dass es sich hier um private Akten handeln soll. Sachlich ist dies natürlich falsch. Weder sind die dienstlichen Akten privater Natur, noch sind es persönliche Akten des Fahnders oder Prüfers. Auch bringt der Fahnder nicht seine privaten Akten mit, in die dienstliche Vorgänge gehängt wwerden. Beim Staatsanwalt oder Richter sind dessen Akten auch nicht seine persönlichen Akten. Diese dienstlichen Akten sind natürlich im Dienst entstanden und gehören dem Amt. Der Aktendeckel ist von der Anstellungskörperschaft bezahlt und der Inhalt während der Arbeitszeit des Beamten dort hineingekommen, be- und verarbeitet, geprüft, zusammengestellt und ermittelt worden. Das Akteneinsichtsrecht in Betriebsprüfungsakten im Steuerstrafverfahren kann also nicht durch die Bahuptung ausgehebelt werden, die Betriebsprüfungsakte sei eine private Akte des Prüfers.
Aufzeichnungen und Berechnungen des Prüfers sind nicht privat und keine private Mitschrift
Ebenso wenig wie der Betriebs- oder der Fahndungsprüfungsbericht eine private Aufzeichnung oder eine persönliche Mitschrift ist, sind auch die sog. Handakten der Fahndung und der Betriebsprüfung keine persönlichen oder privaten Akten der Bearbeiter. Zudem käme es nicht darauf an, in wessen Eigentum die Akten oder das Papier stehen, sondern dass die verkörperte Gedankenerklärung darin enthalten ist. Das Akteneinsichtsrecht berechtigt, den geistigen verkörperten Inhalt sehen und kopieren zu dürfen, gleichgültig in wessen Eigentum die Akte nun steht. So könnte das Finanzamt auch nicht die Akteneinsicht verweigern mit dem Hinweis, zivilrechtlicher Eigentümer der Akte sei das Land und der Anwalt müsse dort um Akteneinsicht nachsuchen – etwa bei der Landes- oder Bundesvermögensverwaltung. Das Akteneinsichtsrecht in Betriebsprüfungsakten im Steuerstrafverfahren kann also auch nicht dadurch umgangen werden, der Prüfer sei nun pensioniert und habe seine persönlichen Aufzeichnungen mitgenommen.
staatsanwaltliche Handakte
Immer wieder gerne wird auch der Vergleich zur staatsanwaltschaftlichen Handakte genommen, die auch keinem Akteneinsichtsrecht unterliegt. Dies basiert aber auf einem vollständigen Unverständnis der Finanzverwaltung, was die staatsanwaltschaftliche Handakte ist: diese ist nicht vergleichbar mit der Handakte des Betriebsprüfers oder Fahndungsprüfers, bloß weil sie zufällig auch Handakte heißt. Denn die staatsanwaltschaftliche Handakte ist lediglich ein Aktendeckel, in dem sich ein Duplikat der Anklageschrift und bei einer schon begonnen, ggf. mehrtägigen Verhandlungsdauer die Mitschrift des Staatsanwalts über die Hauptverhandlung befindet.
Beides hat aber der Angeklagte ebenso: die Abschrift der Anklageschrift und die Hauptverhandlung hat er selbst auch miterlebt. Und die persönliche Einschätzung des Staatsanwalts oder seine Planungen für sein Plädoyer oder eventuelle Beweis- oder Verfahrensanträge kann zumindest der verteidigte Angeklagte über seinen Verteidiger einschätzen. Dass man also in die staatsanwaltschaftliche Handakte kein Akteneinsichtsrecht hat, erscheint nachvollziehbar, da man den Inhalt kennt, bzw. den Sachverhalt genauso miterlebt hat wie der Staatsanwalt und die Frage, wie er was einschätzt eine persönliche Beurteilung ist, die zu erfahren man keinen Anspruch hat bzw. bei einem Rechtsgespräch oder in dem Plädoyer man dies ohnehin erfahren wird.
Fallheft des Betriebsprüfers
Ganz anders das Fallheft des Betriebsprüfers. Die Prüfung und die Ermittlungen, die Verprobungen, die Beweiserhebungen und die Kalkulationen etc. hat man nicht miterlebt, so dass man auf das Nachvollziehen der Ermittlungen als Verteidiger angewiesen ist. Es ist wie bei der polizeilichen Ermittlungsakte: auch hier hat man als Verteidiger mangels eigener Anwesenheitsrechte die Erhebung der Beweismittel, die Vernehmung der Zeugen etc. nicht miterlebt, so dass dem Verteidiger für die beschnittenen eigenen Ermittlungsmöglichkeiten zum Ausgleich dafür das Akteneinsichtsrecht in die Ermittlungsakte zusteht, um das Ermittlungsergebnis und dessen Zustandekommen nachvollziehen und kontrollieren zu können. Das Akteneinsichtsrecht in Betriebsprüfungsakten im Steuerstrafverfahren bringt auch Erkenntnisse über ggf. verschiedene Kalkulationen und für den Mandanten sprechende Tests.
Übersendung Schlussbericht oder strafrechtlicher Bericht ersetzt nicht Einblick in das Fallheft
Dabei genügt es nicht etwa nur das Ergebnis zu sehen – etwa in Form eines Schlussberichtes, sondern es können auch die nicht durchermittelten Ansätze, die scheinbar unergiebigen Ansätze erfolgversprechende Beweisschritte sein, die zu kennen für die Verteidigung von zentraler Bedeutung sein kann. So kann auch ein verworfener Gedanke oder ein nicht verfolgter Ermittlungsschritt gerade unter Kenntnis von Sachverhaltsteilen des Beschuldigten hier weitere Beweisanträge oder Verteidigungsansätze mit sich bringen. Daher ist gerade die ungefilterte, vollständige Akteneinsicht für den Verteidiger immens wichtig.
Vorfilter bei der Akteneinsicht durch BuStra?
Ein Vorfilter, was wichtig oder ergiebig ist, mag daher von der Steufa oder BuStra nett gemeint sein, beschränkt jedoch den Verteidiger nicht darauf, im Gegenteil: der ordentlich arbeitende Verteidiger muss die Akten vollständig sichten, um auch scheinbar unergiebige Ansätze, die seitens der Steufa nicht weiter verfolgt wurden, gemeinsam mit dem Mandanten zu überprüfen, ob gerade diese die richtigen Verteidigungsansätze bringen … Daher ist es unerheblich, ob die Steufa oder die Bustra meinen, die Akten seien nicht weiter ergiebig. Unerheblich ist demzufolge auch, ob die BuStra meint, das Wesentliche sei in den Ermittlungsakten oder stehe im Bericht. Gleichgültig ist auch, ob die BuStra darauf verweist, dass der Beschuldigte den steuerstrafrechtlichen Schlussbericht sowieso am Ende bekomme … Alle diese Scheinargumente stehen dem Recht auf vollständige Akteneinsicht nicht entgegen.
steuerlich relevante Informationen Dritter
Gerne behauptet auch die Finanzverwaltung, es könnten in den Akten steuerlich relevante Informationen bezüglich Dritter enthalten sein. Dieser pauschale Hinweis ist nicht nur derart pauschal, dass er letztlich unbeachtlich, weil völlig unsubstantiiert ist. Warum sollten in einer Betriebsprüfungs- oder Steuerfahndungsakte steuerliche Informationen Dritter sein? In der Akte sind nur die Informationen gesammelt, die auch da hinein gehören. Dass nun eine Steuererklärung eines anderen versehentlich falsch abgeheftet sein könnte, ist in dieser Unsubstantiiertheit unbeachtlich und recht abwegig. Dass aus Kontrollmitteilungen sich ggf. ergibt, dass Geschäftspartner Umsätze mit dem Steuerpflichtigen tätigten und sich daraus nun ableiten lässt, dass bei diesem Geschäftspartner auch eine Betriebsprüfung stattfand oder welche Umsätze er mit dem hiesigen Steuerpflichtigen nach seiner Buchhaltung getätigt zu haben behauptet, sind Sachverhalte, die nach § 30 IV Nr. 1 AO zur Durchführung eines Besteuerungsverfahrens oder Steuerstrafverfahrens gerade offenbart werden dürfen, die also gerade nicht einer Akteneinsicht entgegenstehen.
Auch sind andere Gründe nicht ersichtlich, die einer Akteneinsicht entgegenstehen könnten. Davon ausgehend, dass die Akten sachgerecht und nach steuerpflichtigen getrennt geführt werden, gibt es keine Anhaltspunkte, weitere steuerlich relevante Daten Dritter (verstreut irgendwo in der Akte) zu finden.
Akteneinsicht in Akten Dritter
Neben dieser latenten Möglichkeit der Offenbarung steuerlicher Daten Dritter gibt es auch die ganz bewusste Akteneinsicht in die steuerlichen Akten Dritter: Besonders heftig bestreitet hier die Finanzverwaltung das Akteneinsichtsrecht in andere Akten als die des beschuldigten Mandanten. Es gibt jedoch Situationen, da ist die Akteneinsicht in fremde Steuerakten unerlässlich. Etwa, wenn der es um angebliche Scheinrechnungen eines anderen Unternehmers geht, wenn dessen Briefbögen oder Unterschriften sich im Laufe der Jahre geändert haben sollen, wenn es um Scheinsitze eines Unternehmens geht. Wenn das FA eine USt-ID-Nr. oder eine Unbedenklichkeitsbescheinigung (heute: Bescheinigung in Steuersachen) erstellt hat, muss die andere Firma steuerlich erfasst gewesen sein.
Wenn dann die Steufa behauptet, die Firma habe es nicht gegeben, meint sie vielleicht, dass diese Firma nie Steuern zahlte oder nie Erklärungen bzw. Voranmeldungen einreichte. Aber einen steuerlichen Erfassungsbogen und eine Anmeldung muss es zumindest mal gegeben haben. Im Steuerstrafverfahren lässt sich nur durch ein Akteneinsichtsrecht in Betriebsprüfungsakten im Steuerstrafverfahren klären. Natürlich muss auch die Beiziehung des Fallhefts der Steuerfahndung und entsprechender Beiakten beantragt werden.
Denn anders lassen sich die Ausstellung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung (Bescheinigung in Steuersachen) bzw. die USt-ID-Nr. durch die Finanzverwaltung für die andere Firma nicht erklären. Um hier Details festzustellen, ist eine Akteneinsicht in die Steuerakten der angeblich nicht existenten Firma unerlässlich. Dem steht dann auch der insoweit offene § 30 AO nicht entgegen. Denn der öffnet gerade über § 30 Abs. 4 iVm. Abs. 2 AO das Steuergeheimnis zum Zwecke der Durhcführung behördlicher oder finanzgerichtlicher oder steuerstrafrechtlicher Verfahren. Die Akteneinsicht ist also in diesen Fällen gerade nach § 30 AO zulässig. Zur Durchführung eines Besteuerungs- oder Steuerstrafverfahrens ist die Weitergabe der steuerlichen Akten und Erkenntnisse natürlich zulässig.
uneingeschränkte Akteneinsichtsrecht und spiegelbildliche Beiziehungspflicht der Gerichte im Rahmen der Sachaufklärungspflicht
Zutreffend hat das OLG Rostock in der Entscheidung vom 07.07.15 betont, dass mit der Übersendung an oder ihrer Hinzuziehung durch die SteuFa und ihrer Führung als Beiakten zu den Vorgängen des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens sich spätestens nach erfolgter Anklageerhebung das uneingeschränkte Akteneinsichtsrecht des Verteidigers nach § 385 Abs. 1 AO, § 147 Abs. 1 StPO auch auf diese erstreckt und dass es dabei nicht einmal darauf ankommt, ob diese Akten förmlich schon als Beiakten geführt werden oder nicht. Denn andernfalls hätte es das Finanzamt in der Hand, durch die förmliche Benennung als Beiakte oder eben auch nicht über den Umfang der Akteneinsicht zu bestimmen. Die richtige Entscheidung des OLG Rostock ist ein wichtiger Schritt raus aus dem Denken der Finanzverwaltung von Geheimakten, die eher ins inquisitorische Mittelalter als in einen modernen Rechtsstaat gehören. Das OLG Rostock bestätigt und bestärkt das Akteneinsichtsrecht in Betriebsprüfungsakten im Steuerstrafverfahren.
Das OLG hat aber nichts zu dem daneben bestehenden Anspruch auf Akteneinsicht aus dem Informationsgesetz gesagt. Natürlich kann doch auch ein Gericht nur den Sachverhalt komplett beurteilen, wenn ihm alle Akten bedingungslos vorgelegt werden. Von daher ist es doch eine Selbstverständlichkeit, dass schon die Gerichte aus ihrem Selbstverständnis heraus der vollständigen Beurteilung des Sachverhaltes eine Beiziehungspflicht sämtliche Akten haben. Und analog zur uneingeschränkten Akteneinsichtsrecht des Verteidigers gehört natürlich auch die spiegelbildliche Beiziehungspflicht der Gerichte sämtliche Akten im Rahmen ihrer Sachaufklärungspflicht.
Steuergeheimnis nach § 30 AO kann dem Akteneinsichtsrecht nicht entgegengehalten werden
Wichtig ist auch die weitere Bestätigung des OLG Rostock, dass das Steuergeheimnis aus § 30 AO einer vollständigen Akteneinsicht nicht entgegen steht, selbst wenn sich darin zugleich Hinweise auf die steuerlichen Verhältnisse Dritter befinden sollten. Insoweit freut mich als Verteidiger natürlich, dass das OLG Rostock mich mit meinem Aufsatz in der DStZ (vgl. Burkhard, DStR 2002, 1794, 1795) zitiert und meiner Rechtsansicht folgt. Es ist auch hier wie schon bei der Ehegattenverantwortlichkeit, in der ich die Rechtsprechung des BFH und ihm folgend der gesamten Strafgerichte maßgeblich beeinflussen konnte, auch hier ein Meilenstein in die richtige Richtung. Auch wenn man als Verteidiger nicht immer gleich Recht bekommt … es rentiert sich zu kämpfen und gute und richtige Meinungen setzen sich (meist) durch … auch wenn es vielleicht etwas dauert …. wie die Entscheidung des OLG Rostock zeigt … das aus meiner Sicht die Thematik der Akteneinsicht sehr genau beleuchtet und zutreffend entschieden hat.
Steueranwalt Dr. Jörg Burkhard hilft:
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