Die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Steuerhinterziehung im Steuerrecht trägt die Finanzverwaltung
Bei mehreren Normen im Steuerrecht ist das Eingreifen der Rechtsfolgen dieser Normen an das Vorliegen der Steuerhinterziehung nach § 370 AO oder der leichtfertigen Steuerverkürzung nach § 378 AO geknüpft.
Die Voraussetzungen der Steuerhinterziehung oder der leichtfertigen Steuerverkürzung müssen steuerrechtlich geprüft und steuerlich bewiesen werden. Gerne verweisen Finanzbehörden hier auf etwaige strafrechtliche Urteile. Dies genügt allerdings nicht, wenn der verurteilte Steuerpflichtige dezidiert die Richtigkeit des strafgerichtlichen Urteils bestreitet, selbst wenn das rechtskräftig ist.
Im Steuerrecht gelten nicht strafrechtliche Kriterien, sondern die Tatbestandsmerkmale Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung sind im Steuerrecht zu prüfen, § 393 AO. Die Feststellungen aus einem Strafurteil bzw. aus einem Strafbefehl kann sich das FG zu eigen machen, falls nicht die Verfahrensbeteiligten substantiierte Einwendungen erheben und entsprechende Beweisanträge stellen (FG des Saarlandes vom 17.10.2012, 2 K 1520 /10).
Eine Bindungswirkung von strafgerichtlichen Urteilen besteht nicht, selbst wenn der BGH in der strafgerichtlichen Verurteilung keine Fehler finden konnte (vgl. hierzu BFH vom 29. Oktober 1986 VII R 119/82, BFH/NV 1987, 362). Immerhin prüft er auch nur eingeschränkt, nämlich nicht den kompletten Sachverhalt, sondern nur die revisionsgemäß vorgetragenen Sach- und Verfahrensrügen, also nur sehr sequenziell.
Grundsätzlich gilt für das Besteuerungsverfahren (Also das Finanzamt wie auch das Finanzgericht und den BFH: Das FG ist weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht an die Entscheidungen des Strafgerichts gebunden (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 18. Oktober 1961 VIII 129/60, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung – HFR – 1962, 140, und Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts – BVerwG – vom 25. September 1975 V B 9/75, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 427.3, § 360 LAG Nr. 52). Das Finanzgericht ist vielmehr zumindest befugt oder genauer und richtiger gesagt verpflichtet, den Sachverhalt eigenständig zu erforschen (§ 76 FGO) und über die Frage der Steuerhinterziehung nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) (Bundesfinanzhof, Urt. v. 29.10.1986, Az.: VII R 119/82).
Auch im Steuerrecht gilt der Grundsatz in dubio pro reo (BFH Urteil vom 02.07.1998 – IV R 39/97). Hängt die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids davon ab, dass der Steuerpflichtige eine Steuerhinterziehung begangen hat, muss das Vorliegen der objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung nach den verfahrensrechtlichen Vorschriften der AO 1977 getroffen werden, wobei kein höherer Grad an Gewissheit erforderlich ist als für andere Tatsachen, für die das Finanzamt die Feststellungslast trägt. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ ist zu berücksichtigen (BFH Urteil vom 02.07.1998 – IV R 39/97). Allerdings mindert sich das Beweismaß, wenn die vollständige Aufklärung des Sachverhalts scheitert, weil der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten nicht genügt (BFH Urteil vom 02.07.1998 – IV R 39/97).
Allerdings muss auf diesen in dubio Grundsatz häufig gar nicht erst zurückgegriffen werden, da die Finanzverwaltung darstellungs- und beweislastet ist (=sie trägt also die Feststellungslast) für das Vorliegen der für sie günstigen Tatbestandsmerkmale. Insoweit gilt natürlich der alte Grundsatz, dass derjenige, der sich auf eine Norm beruft, das Vorliegen der in dieser Norm vorausgesetzten Tatbestandsmerkmale auch beweisen muss. Bei der Inhaftungnahme wegen Steuerhinterziehung oder Beihilfe oder Anstiftung zur Steuerhinterziehung nach §§ 191,71 AO ebenso wie bei der Durchbrechung der erhöhten Bestandskraft nach einer Betriebsprüfung, § 173 Abs. 2 AO oder bei der Festsetzung von Hinterziehungszinsen, § 235 AO oder der verlängerten Festsetzungsverjährungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO muss daher die Finanzverwaltung das Vorliegen der Steuerhinterziehung bzw. der leichtfertigen Steuerverkürzung darlegen und beweisen. Gelingt ihr das nicht, so ist schon nach den Beweislastverteilungsgrundsätzen der Klage stattzugeben und die angefochtenen Bescheide aufzuheben.
Folgendes Beispiel vom FG Hamburg macht dies deutlich, in dem das FG Hamburg (FG Hamburg, Urteil vom 18.06.2012 – 6 K 41/12) beispielhaft und vorbildmäßig die Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung bzw. der leichtfertigen Steuerverkürzung in diesem Urteil wie folgt durchprüfte:
„Eine Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO kommt hier nicht infrage, weil weder eine (vorsätzliche) Steuerhinterziehung nach § 370 AO noch eine leichtfertige Steuerverkürzung nach § 378 AO vorliegt.
Eine Steuerhinterziehung nach § 370 AO kann nur vorsätzlich begangen werden. Vorsatz bedeutet Kenntnis und Wollen der Verwirklichung des objektiven Tatbestands. Der Täter muss wissen, dass er einen Steuervorteil erlangt, auf den er keinen Anspruch hat. Irrt er sich hierüber, so befindet er sich in einem Tatbestandsirrtum, der den Vorsatz ausschließt (§ 16 Strafgesetzbuch). Nach Auffassung des Senats sind Anhaltspunkte für ein vorsätzliches Handeln des Klägers nicht erkennbar. Auch wenn der Kläger seine Mitwirkungspflicht objektiv dadurch verletzt hat, dass er der Beklagten den Auszug aus der Ehewohnung nicht zeitnah mitgeteilt hat, zeigt die Tatsache, dass der Kläger bereits am 07.09.2011 (KiGa Bl.77) noch vor Erlass des streitgegenständlichen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides – insoweit unstreitig – der Beklagten mitgeteilt hat, dass er das Kindergeld auf den ausdrücklichen Wunsch der Kindesmutter weiter bezogen und an sie weitergeleitet hat, dass es dem Kläger nicht um einen persönlichen Steuervorteil ging, sondern dass er davon ausgegangen ist, dass für seinen Sohn einmal Kindergeld gewährt wird und dieses letztlich dem Elternteil zukommen soll, der für das Kind im Wesentlichen sorgt.
Trotz Verletzung der besonderen Mitwirkungspflicht nach § 68 Abs. 1 EStG liegt auch keine leichtfertige Steuerverkürzung des Klägers nach § 378 Abs. 1 AO vor.
Eine leichtfertige Steuerverkürzung begeht gem. § 378 Abs. 1 Satz 1 AO, wer als Steuerpflichtiger einer der in § 370 Abs. 1 AO bezeichneten Taten leichtfertig begeht. Leichtfertigkeit im Sinne von § 378 Abs. 1 Satz 1 AO bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH, Beschluss vom 17.03.2000 VII B 33/99, BFH/NV 2000, 1180 m. w. N.) einen erheblichen Grad an Fahrlässigkeit, der etwa der groben Fahrlässigkeit des bürgerlichen Rechts entspricht, aber im Gegensatz hierzu auf die persönlichen Fähigkeiten des Steuerpflichtigen abstellt. Ein derartiges Verschulden liegt vor, wenn der Betreffende nach den Gegebenheiten des Einzelfalles und seinen individuellen Fähigkeiten in der Lage gewesen wäre, den aus den einschlägigen gesetzlichen Regelungen sich im konkreten Fall ergebenden Sorgfaltspflichten zu genügen. Hierzu ist eine Gesamtwertung des Verhaltens des Klägers erforderlich (FG Düsseldorf Urteil vom 26.02.2004 15 K 5245/ 03 Kg, EFG 2005, 559 ff.; bestätigend BFH Urteil vom 18.05.2006 III R 80/04, BFHE 214,1 ff., BStBl II 2008, 371).
Dem Kläger dürfte zwar aufgrund der erhaltenen Mitteilungsblätter bekannt gewesen sein, dass die Zahlung des Kindergeldes an ihn zu Unrecht erfolgte. Allerdings ging er, wie er selbst erklärt hat, davon aus, mit der Weiterleitung des Kindergeldes an die Kindesmutter seinen gesetzlichen Pflichten genüge getan zu haben. Auf diese Weise hat die vorrangig Kindergeldberechtigte das Kindergeld auch erhalten, wie diese selbst in ihrer Weiterleitungsbestätigung erklärt hat. Die Kindesmutter hat somit das Kindergeld in voller Höhe über den gesamten Streitzeitraum erhalten. Bei einer Gesamtwertung des Verhaltens des Klägers ist der Senat der Auffassung, dass die bloße Verletzung der Mitwirkungspflicht des § 68 EStG bei erfolgter Weiterleitung des Kindergeldes keinen derart erheblichen Grad an Fahrlässigkeit zu begründen vermag, dass von einem leichtfertigen Verhalten ausgegangen werden kann.
Eine andere Beurteilung für den Grad an Fahrlässigkeit in Bezug auf die Kindergeldfestsetzung ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger durch sein Verschweigen seiner geänderten familiären Verhältnisse gegenüber seinem Arbeitgeber möglicherweise weitere Leistungen bezogen haben könnte, die an die Kindergeldfestsetzung geknüpft sind (z. B. Familienzuschläge etc.). Hierzu sind keine entsprechenden Erkenntnisse aus den vorliegenden Unterlagen ersichtlich.“
Quelle: FG Hamburg, Urteil vom 18.06.2012 – 6 K 41/12
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