Reden oder Schweigen? Mögliches Prozessverhalten in der mündlichen Verhandlung ….
Häufig stellt sich für den Angeklagten aber auch für den (unerfahrenen) Verteidiger die Frage, was besser für den Angeklagten ist: Schweigen oder Reden? Wie soll sich der Angeklagte auf die Anklage hin verteidigen? Durch Reden oder Schweigen? Gibt es eine allgemeine Regel? Gibt es eine goldene Empfehlung? Ist der, der schweigt denn nicht schuldig? Würde er denn nicht einfach sagen wie es war, wenn nichts dran ist? Liegt in dem Schweigen ein Geständnis? Ein Schuldbekenntnis?
Dieselbe Frage stellt sich (ggf. mehrfach) natürlich schon früher – wenn der spätere Angeklagte noch Beschuldigter ist und das Strafverfahren gegen ihn eingeleitet wird – sei es durch den Vollzug eines Durchsuchungsbeschlusses oder die Bekanntgabe einer Einleitungsverfügung … wenn auch dort die Fragen ähnlich sind, aber doch auch etwas andere Aspekte dort eine Rolle spielen, will ich hier nur die Situation nach Zulassung der Anklage und Terminierung beleuchten, also die Situation der Vorbereitung auf die Hauptverhandlung durchspielen, wenn der Angeschuldigte überlegt, ob und wie er sich äußern will …
Prozessual hat jeder Beschuldigte das Recht zu schweigen. Nach §§ 136 Abs. 1 Satz 2 , 163a Abs. 3 S. 2 StPO hat jeder Beschuldigte das Recht zu den gegen ihn erhobenen Beschuldigungen zu schweigen. Aus seinem Schweigen dürfen keine nachteiligen Schlüsse gezogen werden (BGH, Beschluss vom 17. September 2015 – 3 StR 11/15 –, juris). So heißt es in der Entscheidung des BGH, Beschluss vom 17. September 2015 – 3 StR 11/15 –, wie folgt im Leitsatz:
„Macht ein Angeklagter von seinem Schweigerecht Gebrauch, so darf dies nicht zu seinem Nachteil gewertet werden (Festhaltung 22. Dezember 1999, 3 StR 401/99, NJW 2000, 1426 und BGH, 3. Mai 2000, 1 StR 125/00, NStZ 2000, 494, 495).“
Und dann in RN 5 der Entscheidung ausführlich wie folgt weiter wörtlich:
- „Der Grundsatz, dass niemand im Strafverfahren gegen sich selbst auszusagen braucht, insoweit also ein Schweigerecht besteht, ist notwendiger Bestandteil eines fairen Verfahrens. So steht es dem Angeklagten frei, sich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO). Macht ein Angeklagter von seinem Schweigerecht Gebrauch, so darf dies nicht zu seinem Nachteil gewertet werden (BGH, Urteile vom 26. Oktober 1983 – 3 StR 251/83, BGHSt 32, 140, 144; vom 26. Mai 1992 – 5 StR 122/92, BGHSt 38, 302, 305; vom 22. Dezember 1999 – 3 StR 401/99, NJW 2000, 1426; Beschluss vom 3. Mai 2000 – 1 StR 125/00, NStZ 2000, 494, 495). Der unbefangene Gebrauch dieses Schweigerechts wäre nicht gewährleistet, wenn der Angeklagte die Prüfung und Bewertung der Gründe für sein Aussageverhalten befürchten müsste. Deshalb dürfen weder aus der durchgehenden noch aus der anfänglichen Aussageverweigerung – und damit auch nicht aus dem Zeitpunkt, zu dem sich der Angeklagte erstmals einlässt – nachteilige Schlüsse gezogen werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2001 – 3 StR 580/00, NStZ-RR 2002, 72 bei Becker; Beschluss vom 28. Mai 2014 – 3 StR 196/14, NStZ 2014, 666, 667 jeweils mwN).“
Quelle: BGH, Beschluss vom 17. September 2015 – 3 StR 11/15 –, RN 5, juris
Gegen ein Schweigen spricht die gefühlte oder tatsächliche unter vorgehaltener Hand gemunkelte These, dass der, der schweigt, etwas zu verbergen habe, also gefühlt Täter sei. Rein rechtlich darf der Richter so nicht denken. Aus dem vollständigen, jungfräulichen Schweigen darf nichts geschlossen werden – anders als bei dem Teilschweigen. Aber der Richter ist auch ein Mensch und er lässt sich natürlich auch von Gefühlen leiten. Vielleicht im Strafrecht noch mehr als im Zivilrecht. Der Richter, der vielleicht eine Tat nicht beweisen kann, lässt sich jedoch bei seiner Einschätzung von schuldig oder unschuldig von Vorsatz oder kein Vorsatz, von Leichtfertigkeit oder nur einfache Fahrlässigkeit auch von Wahrscheinlichkeiten und Vermutungen leiten. Er interpretiert mehr, geht nach Intuitionen und Beweisregeln. Ist die Beweisaufnahme geschlossen, folgt der Urteilsspruch. Der Richter hat dabei natürlich nicht nur intellektuell einen Sachverhalt aufgenommen, sondern einen „siebten Sinn“, ein Gefühl, eine Intuition. Glaubt er den ihm vorgetragenen Sachverhalt? Dabei folgt er natürlich auch seinen eigenen Erfahrungen, seiner eigenen Vorstellungswelt und seinen eigenen Prägungen. Der Richter wird dabei diejenigen Tatlehrgänge in der gerichtlichen Rekonstruktion als plausibel ansehen, die er nach seinen vorhandenen Denkstrukturen und Erfahrungen und dem angelegen Wissen sowie behaupteten und erzählten Verhaltensmustern entsprechen und danach den zu entscheidenden Sachverhalt einordnen. Dabei kann es natürlich sein, dass bestimmte Schlüsselwörter oder bestimmte Handlungssequenzen aus seiner Sicht für oder gegen den Täter sprechen – für oder gegen Vorsatz – für oder gegen Leichtfertigkeit, für oder gegen die Plausibilität bestimmter Tathandlungen. Kann der Richter sich einen bestimmten vom Angeklagte behaupteten Ablauf nicht vorstellen, wird er diesen vermutlich als nicht wahrscheinlich halten. Vielleicht als Schutzbehauptung abtun. Er wird sich vielleicht bei einem aus seiner subjektiven Sicht ungewöhnlichen Verhalten nicht sagen: „Ach interessant, sowas gibt es auch“ oder „so hätte ich mich nicht verhalten aber der Angeklagte hat sich halt so verhalten“, sondern wahrscheinlich wird er aus seiner Sicht ein Verhalten als ungewöhnlich oder unlogisch oder unplausibel abtun und damit unterstellen, dass der Sachverhalt so nicht gewesen ist, dass der Angeklagte an dieser Stelle lügt. Dabei muss die Einlassung des Angeklagten an dieser Stelle keineswegs falsch sein. Sie passt einfach nur nicht zu dem subjektiven Erfahrungshorizont oder subjektiven Vorstellungshorizont des Richters. Das ist insbesondere deswegen unfair, weil der Richter in der laufenden mündlichen Verhandlung nicht zu erkennen gibt, dass seine subjektive Vorstellungswelt nicht mit dem erlebten und ausgesagten das Angeklagten übereinstimmt. Der Richter macht im Regelfall Pokerface und nimmt die Aussage zur Kenntnis. Dadurch, dass er ein Pokerface macht und seine Zweifel bzw. Seine subjektiven abweichenden Erlebnisse und Erfahrungen nicht offengelegt und damit dem Angeklagten keine Chance gibt sich mit seiner subjektiven Vorstellung und Erfahrungswelt Aufnahme zu setzen, erzählt der Angeklagte unbekümmert seine Erfahrungen und Erlebnisse bezogen auf den Anklagevorwurf während der Richter sagt: „Ja, ja, rede du nur, ich glaube dir kein Wort, das sind alles nur Schutzbehauptung.“ Während der Angeklagte also redet, der Richter interessiert mitschreibt oder mit keine Regung zu erkennen gibt, was er wirklich denkt und erst recht die Aussage nicht kommentiert, heißt es dann später im Urteil: „die Überzeugung des Gerichts basiert im wesentlichen auf der Einlassung des Angeklagten, soweit dieser gefolgt werden konnte.“ Damit gilt erst der Richter im schriftlichen oder zu erkennen, inwieweit er dem Angeklagten folgte bzw. Dass er ihn nur teilweise folgte, also die Einlassung nur selektiv und teilweise als richtig ansah, im Übrigen aber nicht.
Hätte der Richter aber in der mündlichen Verhandlung, in der Beweisaufnahme dem Angeklagten mitgeteilt, an welchen Passagen er folge, was er ihm im Detail aus welchen Gründen nicht glaube, hätte hier der Angeklagte nachbessern können, eventuell seine Position noch einer, weiter erläutern können oder hier Details zur Begründung, warum er sich so verhalten habe oder warum er was sie wahrgenommen haben, noch einmal genauer darlegen können. Dass sie dabei die Strafprozessordnung nicht vor und die meisten Angeklagten bekommen vom Gericht keine Chance, über das Verhalten oder das Erlebte im Detail zu diskutieren. Während der Beweisaufnahme dem Angeklagten im Regelfall nicht gesagt, welcher Teil seiner Aussage für den Richter fraglich ist. Damit ist die Aussage des Angeklagten in der mündlichen Verhandlung schwierig bis nicht hilfreich. Wenn der Angeklagte bis hin im Ermittlungsverfahren geschwiegen, wirft sich die Frage auf was jetzt nach Anklageverlesung einer Aussage bewirken soll. Zumindest im Steuerstrafrecht ist ein dauerhaftes Schweigen das Angeklagten in den allermeisten Fällen nicht sinnvoll. Meist erfolgt nur ein vorläufiges Schweigen, bis die Akteneinsicht erfolgte. Damit stellt sich dann in der mündlichen Verhandlung nicht mehr die Frage, ob der Beschuldigte nach Anklageverlesung schweigen soll oder nicht. Wenn er schon die ganze Zeit über vorgetragen hat, etwa im Besteuerungsverfahren oder im Steuerstrafverfahren gegenüber der Bußgeld- und Strafsachenstelle, könne auch dann nach Anklageerhebung vortragen. Dann stellt sich nun die Frage wann: obgleich nach der Anklageverlesung oder möglicherweise erst später. Hier stellen sich eine ganze Reihe von Fragen, die weniger mit dem ob als mit dem man sich beschäftigen. Dies ist anders als möglicherweise in Kapitalverbrechen, bei denen der Beschuldigte durchgängig von Anfang an schweigt. Ich möchte hier die Betrachtung nur auf meine Beobachtungen in meinem Spezialgebiet, dem Steuerstrafrecht beschränken. Davon ausgehen, dass im Regelfall im Besteuerungsverfahren aber auch schon gegenüber der Bußgeld und Strafsachenstelle vorgetragen wurde, kann also auch dann im Fall der Anklage oder der Abwanderung aufgrund Anspruchs auf einen Strafbefehl dann in der mündlichen Verhandlung vorgetragen werden. Dann ist es nur eine Frage der Taktik, ob nach der Anklageverlesung zuerst die Belastungszeugen vernommen werden sollen und danach der Angeklagte sich mündlich verteidigt oder nicht. Gehen wir noch einmal gedanklich auf der Situation ein, dass das Gericht im Regelfall ein Pokerface macht und den Angeklagten reden lässt ohne zu erkennen zu geben an welchen Punkten aus welchen Gründen das Gericht dem Angeklagten hier nicht glaubt. Dann passiert etwas eigenartiges im Gerichtssaal, wenn der Angeklagte gleich nach der Anklageverlesung sich redend verteidigt: das Gericht sucht sich die Stellen heraus, wo es dem Angeklagten nicht glaubt und macht daran die Grundzüge seiner Verurteilung fest. Danach kommen irgendwelche Zeugen, die teils belastend, teils entlastend sind. Das Gericht wird meist die Belastungszeugen zuerst hören. Das sind dann meist auch der Betriebsprüfer und der Steuerfahnder. Die sind in Wahrheit keine Zeugen, sondern die haben die Ermittlungsakten insoweit auswendig gelernt und machen eigentlich nur Aktenreferate, die die StPO nicht vorsieht. Aber diese „Zeugen“ werden dann gehört. Und dann steht zu dieser Stelle die Verurteilung fast schon fest: der Einlassung des Angeklagten wird in einigen Punkten nicht gefolgt, die der Angeklagte allerdings noch nicht kennt, dann kommen belastende Zeugenaussagen, die möglicherweise oder wahrscheinlich zu den Belastungspunkten den Punkten, bei denen das Gericht den Angeklagten nicht folgt verstärkend hinzu kommen und dann ist fast schon Verurteilungsreife gegeben. Wenn dann überhaupt Entlastungsbeweisantritte kommen und wenn die entlastenden Beweismittel nicht wirklich tiefgreifend entlasten, sind dann meist kaum Zweifel an der Täterschaft bzw. Schuld das Angeklagten im Sinne der Anklageschrift vorhanden und die Verurteilung ist die logische Folge.
Baut man die Verteidigung dann anders auf und schweigt der Angeklagte auf die Anklageschrift zunächst, folgen natürlich nach der Anklageverlesung die Belastungszeugen. Wenn danach erst der Angeklagte redet, kann zwar das Gericht genauso in bestimmten Teilen seiner Aussage Zweifel entgegenbringen, aber der Angeklagte kann dann akzentuiert auf Unklarheiten und Widersprüche der Belastungszeugen eingehen. Er kann dann auf mangelnde Plausibilität in der Beweisführung der Staatsanwaltschaft eingehen und sich zu der Darstellung der Belastungszeugen insbesondere der Betriebsprüfer und Fahndungsprüfer äußern. Da natürlich das Gericht schon ein Interesse an der Aussage Angeklagten, das warum und wieso wissen will, wird sozusagen durch die spätere Einlassung der Spannungsbogen auf die Aussage des Angeklagten aufrechterhalten und seine Einlassung mehr Interesse entgegengebracht. Es ist dann nicht nur das übliche abarbeiten der Aussage des Angeklagten nach der Anklageverlesung, sondern vielleicht die kritischere und offenere Auseinandersetzung mit den Belastungszeugen einerseits und der Beschuldigten Aussage andererseits. Vielleicht sind bis dahin auch die Denkstrukturen des Gerichts anhand der Zeugenvernehmungen und der Beweisaufnahme deutlich geworden. Vielleicht sind bis dahin auch Zweifel an der Richtigkeit der Schlussfolgerung der Staatsanwaltschaft aus den Zeugenaussagen offenbar geworden, sodass es für den Angeklagten leichter und effizienter möglich ist, seine Unschuld zu beweisen und die fehlerhaften Schlussfolgerungen der Strafverfolgungsbehörde betreffend seinem Verhalten hervorzuheben.
Es ist also durchaus eine Überlegung wert, nicht einfach nach Schema der Anklageverlesung den Angeklagten zur Sache reden zu lassen, sondern dies auch später zu vertagen. Der Beschuldigte, der sich einlassen will, muss sich jeweils im konkreten Fall über das „Wann“ und „Wie“ der Einlassung klar werden.
Alternativ ist über ein Opening Statement oder über Erklärungen nach § 257 Abs. 2 StPO zu den einzelnen Zeugenvernehmungen nachzudenken.
Ein schriftliches Opening Statement, dass der Angeklagte nach Anklageverlesung verliest und für weitere Fragen erst einmal nicht zur Verfügung steht, fixiert seine Position, die dann unverwässert als niedergelegte Urkunde zur Akte gereicht wird und dann später immer wieder gelesen werden kann. Natürlich wird das Gericht auch hier versuchen, die Plausibilität dieses Opening Statements zu hinterfragen und mehr oder weniger alle Zeugen zu den Aussagen Opening Statement befragen bzw. damit konfrontieren.
Die Erklärungen nach § 257 Abs. 2 StPO können nach jeder Beweis erfolgen. Sinnvollerweise werden sie in schriftlich abgefasster Form niedergelegt und dann am nächsten Verhandlungstag verlesen und zur Akte gereicht. Man kann sie auch mündlich quasi direkt auf eine Beweiserhebung absetzen. Dann sind sie aber nicht ausformuliert bzw. nicht in dem entsprechenden formulierten Text das Verteidigers zur Akte gereicht. Nach der Vernehmung eines jeden Mitangeklagten und nach jeder einzelnen Beweiserhebung soll der Angeklagte befragt werden, ob er dazu etwas zu erklären habe, § 257 Abs. 1 StPO. Auf Verlangen ist auch dem Staatsanwalt und dem Verteidiger nach der Vernehmung des Angeklagten und nach jeder einzelnen Beweiserhebung Gelegenheit zu geben, sich dazu zu erklären, § 257 Abs. 2 StPO. Was Gegenstand der Erklärungen nach § 257 Abs. 2 StPO sein kann oder darf, sagt das Gesetz nicht18. Lediglich der Schlussvortrag darf in der Erklärung nicht vorweggenommen werden, § 257 III StPO. Hierin liegt jedoch das Problem: Was ist der Schlussvortrag und was ist nur Erklärung nach § 257 II StPO? Nur wenn man den Schlussvortrag kennt, und diesen Inhalt des Schlussvortrages mit den einzelnen Erklärungen abgleicht, könnte man sicher beurteilen, ob der Schlussvortrag in der Erklärung vorweggenommen wird oder nicht. Zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung zu einer Beweiserhebung ist der Schlussvortrag nicht bekannt, noch nicht einmal sein wesentlicher Inhalt oder auch nur dem Grunde nach. Es ist also für das Gericht in der Praxis kaum möglich, ernsthaft zu behaupten, der Schlussvortrag werde in einer Erklärung des Verteidigers vorweggenommen. Denn das Gericht kennt den weiteren Verfahrensverlauf und die weitere Beweisaufnahme noch nicht, insbesondere möglicherweise zahlreiche vorbereitete Beweisanträge, weiß noch nicht, welche Beweisermittlungsanträge es möglicherweise verpflichten seiner Sachaufklärungspflicht nachzukommen und möglicherweise auch zahlreiche weitere Hauptverhandlungstage anzuberaumen, um eine umfangreichere Beweisaufnahme als ursprünglich geplant vorzunehmen. Letztendlich kennt aber auch der Verteidiger noch nicht den Gang der gesamten Beweisaufnahme, da auch der Steuerberater Beweisanträge stellen oder das Gericht noch weitere Zeugen laden kann, so dass es ihm nach einer einzelnen Beweiserhebung auch gar nicht möglich ist, den Schlussvortrag vorwegzunehmen. Der Verteidiger wird sein Plädoyer nicht vorwegnehmen sollen, wollen oder können, da das Plädoyer eine Gesamtwürdigung der gesamten Beweisaufnahme ist. Dahs meint, dass sich der Verteidiger hüten wird, die Erklärung zu einem längeren Plädoyer auszuweiten. Bestenfalls wird der Verteidiger – so Dahs – ein kleines Zwischenplädoyer wirksam anbringen können. In der Kürze liegt nach Auffassung von Dahs gerade hier die Würze und die Wirkung. Häufig wird die StA „dazwischenfunken“ und beanstanden, dass dies ein Plädoyer sei. Das ist natürlich nicht so, da das Plädoyer umfassender ist und sich nicht nur mit einer Beweiserhebung befasst. Aber selbst wenn die Erklärung sich mit mehreren Aussagen im Kontext beschäftigt, wird dies kein umfassenden Plädoyer sein, sondern nur Teilaspekte einer oder mehrerer Aussagen analysieren. Das hilft natürlich dem Gericht und dient der weiteren Aufklärung und der Einordnung der Aussage und der Rechtsfindung. Also lassen Sie sich als Verteidiger nie von unqualifizierten Zwischenrufen von der StA irritieren, dass dies ein Plädoyer sei. Sie sollten den Richter auffordern, dass er Sie schützt und Sie ungehindert ihre Prozessrechte und -pflichten wahrnehmen können und Zwischenrufe und Unterbrechungen Dritter unterbleiben. Das Gericht hat für die Ordnung im Gerichtssaal zu sorgen und Zwischenrufe zu unterbinden. Das Gericht wird Ihnen das Wort nicht entziehen, andernfalls ist der Beschluss nach § 238 II StPO herbeizuführen und in der Revision die Behinderung der Verteidigung zu rügen. Natürlich folgt dann auch nach Rücksprache mit dem Angeklagten ggf. die Ablehnung. Aber ein vernünftiger Richter lässt es nicht so weit kommen. Er wird verstehen, dass die Erklärung ihm weiterhilft zur Förderung der Wahrheit und prozessordnungsgemäßen Aufklärung der Sache.
Beweisanträge sind auch ein nicht zu unterschätzendes Mittel, Einfluss auf den Gang derHauptverhandlung zu nehmen. Das zwingt das Gericht über den unter Beweis gestellten Sachverhalt sich auseinanderzusetzen. Damit können Zeugenaussagen hinterfragt oder widerlegt werden, indem das Gegenteil bewiesen oder die Unrichtigkeit von Thesen widerlegt oder die Plausibilität von Thesen in Frage gestellt wird. Zudem zeigt die Abarbeitung des Beweisantrags die Erkenntnis des Gerichts und dessen Kenntnis der Materie: die Ablehnung von Verprobungsanträgen gerade im Steuerstrafrecht zeigen meist eine Unkenntnis der Materie des Gerichts. Das ist zwar eine schockierende und frustrierende Erkenntnis, zeigt jedoch dem Verteidiger, dass er hier nacharbeiten muss – und besser hier die rechtzeitige Erkenntnis im Start in der Beweisaufnahme als der Urteilsverkündung: geht es um eine angeblich unvollständige Erlöserfassung in einer Gaststätte und behauptete Betriebsprüfer, die Buchführung sei nicht in Ordnung, insbesondere die Kassenbuchführung nicht ordnungsgemäß, und hat er entsprechend hinzugesetzt und sollen die zu Schätzung wegen angeblicher schwarzer Einnahmen nun strafrechtlich relevant sein, so sind natürlich in der Beweisaufnahme die Fragen der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung einerseits zu klären wie andererseits die Frage, wer die Kasse manipuliert wird. Das können natürlich Mitarbeiter gewesen sein, das kann aber auch der Angeklagte Steuerpflichtige gewesen sein. Hat dann der Betriebsprüfer die Zuspitzung beispielsweise anhand der Richtsatzsammlung vorgenommen, stellt sich schon die Frage, ob dies ein seriöses Verprobungsmittel ist (kritisch zur Richtsatzsammlung Burkert, BBP 2017,14 ff.). Der Gegenbeweis, dass die Zuspitzung unzutreffend ist, könnte einerseits durch eine vorzunehmende nach Kalkulation (Wareneinsatz Verbuchung) beantragt werden und andererseits, die Behauptung, dass der Täter jedenfalls nicht in der Steuerpflichtige ist durch eine vorzunehmende Geldverkehrsrechnung beantragt werden. Lehnt das Gericht beide Verprobungen ab, weil zu arbeitsintensiv oder weil das Gericht nicht weiß, wie es das machen soll – so wird das Gericht das natürlich nicht formulieren, sondern die Beweisanträge beispielsweise unerheblich oder als zu unklar formuliert zurückweisen – so erkennt der Verteidiger, dass er dem Gericht hier weiterhelfen muss und die Beweisanträge weiter präzisieren muss, damit das Gericht versteht, was es eigentlich tun soll. Auf meinen solchen Fällen die Richter meistens nicht offen über ihre Probleme reden, lässt sich aus der Abarbeitung der Beweisanträge sprechen, welchen Kenntnisstand der Richter eigentlich hat und wie fern oder nachher dem Steuerrecht und den dort üblichen Verbuchungsmethoden steht. Wenn er natürlich noch nie etwas von einer Geldverkehrsrechnung gehört, besondere einen solchen Beweisantrag für erheblich halten können? Wenn er nicht weiß, wie eine Wareneinsatzverprobung machen soll, hat er gar nicht das Verständnis dafür, dass dies möglicherweise den Zuschätzungen der Richtsatzsammlung diametral entgegen laufen könnte die Richtigkeit des Buchführungsergebnisses bestätigen könnte. Ein Hintergrundwissen, ein steuerliches Verprobungs- und digitales Analysewissen, also ein spezielles steuerliches bzw. Betriebsprüferwissen, was die meisten Richter bräuchten, wenn sie wird häufiger steuerstrafrechtliche Fälle bearbeiten, haben sie aber nicht oder nur höchst selten. Das zeigt sich dann nicht in offenen Gesprächen, indem etwa der Richter fragt, was mit dem Beweisantrag gemeint ist und wie das zu machen ist und was da theoretisch herauskommt, sondern das wird dann meist als störend empfunden und weil mangels Verständnisses und mangels fachlicher Vorbildung dann dann als unschlüssiger Beweisantrag einfach abgelehnt. Dann kann/muss man nachbessern und dem Gericht den Weg und die Funktionsweise des Beweisantrages – hier etwa der Wareneinsatzverprobung oder der Vermögenszuwachsrechnung- erläutern.
Auch aus den Zeitpunkten wann welche Äußerungen oder Anträge kommen, darf das Gericht nichts zum Nachteil des Angeklagten schließen. Es darf also nicht etwa aus dem anfänglichen Schweigen und der späteren Einlassung schließen, dass der Angeklagte seine Einlassung auf das Ergebnis der Beweisaufnahme abgestellt hätte oder ähnliches. Der BGH hat dies in seiner bereits oben zitierten Entscheidung vom 17.09.2015 wie folgt betont:
- „Der unbefangene Gebrauch dieses Schweigerechts wäre nicht gewährleistet, wenn der Angeklagte die Prüfung und Bewertung der Gründe für sein Aussageverhalten befürchten müsste. Deshalb dürfen weder aus der durchgehenden noch aus der anfänglichen Aussageverweigerung – und damit auch nicht aus dem Zeitpunkt, zu dem sich der Angeklagte erstmals einlässt – nachteilige Schlüsse gezogen werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2001 – 3 StR 580/00, NStZ-RR 2002, 72 bei Becker; Beschluss vom 28. Mai 2014 – 3 StR 196/14, NStZ 2014, 666, 667 jeweils mwN).
- Erst recht darf aus dem Zeitpunkt, zu dem ein Verteidiger einen Beweisantrag anbringt, nichts zum Nachteil des bis dahin schweigenden Angeklagten hergeleitet werden. Der Verteidiger ist neben dem Angeklagten selbständig berechtigt, Beweisanträge zu stellen. Er kann einen solchen Antrag auch gegen den offenen Widerspruch des Angeklagten vorbringen, der Antrag muss nicht mit der Einlassung des Angeklagten übereinstimmen, die unter Beweis gestellte Behauptung kann auch einem Geständnis des Angeklagten widersprechen. Dementsprechend darf der Antrag des Verteidigers sowie die hierzu abgegebene Begründung oder weitergehende Erläuterung nicht als Einlassung des Angeklagten behandelt werden, es sei denn der Angeklagte erklärt (eventuell auf Befragen), er mache sich das Vorbringen als eigene Einlassung zu eigen (BGH, Beschluss vom 29. Mai 1990 – 4 StR 118/90, StV 1990, 394; Urteil vom 24. Juli 1991 – 4 StR 258/91, BGHR StPO, § 243 Abs. 4 Äußerung 4; Beschluss vom 7. August 2014 – 3 StR 105/14, NStZ 2015, 207, 208; LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 118).“
Quelle: BGH, Beschluss vom 17. September 2015 – 3 StR 11/15 –, RN 5 am Ende und RN 6, juris
Wenn dann das Gericht über solche Analyseschritte nachdenkt und sie ggf. durchführt, ist dann nach erfolgreicher Beweisführung vielleicht immer noch Zeit und Anlass, den Steuerpflichtigen ggf. zu einigen übrig gebliebenen Punkten etwas sagen zu lassen.
Es rentiert sich jedenfalls sehr wohl zu überlegen, ob und wann der Angeklagte etwas zur Sache sagt … wann und wie … jedenfalls im Steuerstrafrecht ….
Fragen hierzu? Probleme mit der Bußgeld- und Strafsachenstelle? Ärger mit dem Finanzamt? Dann rufen Sie an: Dr. jur. Jörg Burkhard, Fachanwalt für Steuerrecht und Strafrecht – der Spezialist im Steuerstrafrecht: 0611-890910, der Vollprofi bei Betriebsprüfungen, Steuerfahndungsprüfungen, im streitigen Steuerrecht, im Steuerstrafrecht, beim Hauptzollamt, HZA, bei FKS, bei tax compliance …