Widerruf der Apothekerzulassung wegen Steuerhinterziehung
Die Apotheke am Domplatz ist alteingesessen. Sie besteht dort seit Ewigkeiten. Es ist ein 5-stöckiges Jugendstilhaus mit vielen großen Fenstern, viel Fassadenschmuck, geschwungenen Balkonen und verspielten schmiedeeisernen Geländern. Große satansgleiche Missgeburten ragen weit aus der Wand heraus und tragen die Balkone mit schmerzverzerrten Fratzen. Die mystischen, hässlichen Fratzen und Dämonen sollen die bösen Geister verschrecken – alter Aberglaube tief aus dem Mittelalter – passt aber irgendwie auch zu der Apotheke. Ein fast geheimnisvolles Gemisch aus Medizin, Gift und Pharmazie, das an der Fassade zu Stein erstarrt ist.
Als wäre die Geschichte der ratsuchenden Kranken über Jahrhunderte in die Außenfassade gemeißelt. Eine groteske Vorstellung: schmerzverzerrte Gesichter, halb Mensch, halb Kreatur, ein Zwischending zwischen Missgeburten, Gnomen, Satan und leidenden Gesichtsausdrücken, so als würden die Geschichten und Leidenswege aus der Apotheke nach draußen dringen und außen an die Wand geschlagen, lauschenden und sprechenden Außenwänden gleich.
Die Apotheke ist im Erdgeschoß. Die sechs großen Rundbogenfenster sind auch noch um 19 Uhr hell erleuchtet. Die Fenster, unterteilt durch geschwungene Holzstreben, die symmetrisch gleich einem großen Baum die Rundbogenfenster unterteilen, unten wie bei einem ausufernden Wurzelwerk und oben wie auseinanderstrebende Äste. Es sind dekorativ geschwungene Linien aus Holz, gefüllt mit bunt verglasten Einsätzen mit meist gelblichen und orangefarbenen floralen Ornamenten, sodass sie wie große Blumen von innen nach draußen leuchten.
Es stehen noch einige Kunden in der Apotheke, die ihre Rezepte einlösen möchten, auf angerührte Salben, gemischte Pasten oder bestellte Tabletten warten. Große, braune, reichlich verzierte hölzerne Apothekerschränke, viele alte Vitrinen kontrastieren zu den weiß gestrichenen kahlen Wänden. Viel Stuck ist an der Decke. Ein dunkelbrauner Parkettboden, Fischgrätmuster, verschiedentlich schon stark abgetreten, rundet das gediegene Bild ab.
Der Apotheker und 4 PTAs bedienen noch die letzten Kunden. Eigentlich schließt die Apotheke um 19 Uhr. Die Domglocken beginnen gerade zu schlagen, doch die Tür ist noch offen. Es kommen noch neue Kunden herein. Einer schaut sich die Teemischungen, ein anderer die Kräuterpastillen an. Der letzte Glockenschlag verklingt. Der eine Kunde möchte noch Halsschmerz- und ein weiterer gerne Kopfschmerztabletten.
So geht das bis etwa zehn nach sieben, so ist das jeden Tag. Die Apotheke läuft gut. So langsam kann dann auch der letzte Kunde bedient werden, der sich vielmals bedankt, dass er noch gerade so hereinschlüpfen durfte.
Gegen 19:15 Uhr schließt dann der Chef die Tür zu. Aufräumen, wischen, noch ein paar Kleinigkeiten vorbereiten, die „Giftschränke“ abschließen, und dann gehen schon die ersten Mitarbeiter. Der Chef zieht sich in sein Arbeitszimmer an seinen PC zurück. Er macht den Kassenabschluss. Mehr wissen die Angestellten nicht. Was er genau macht, wissen sie auch nicht. Es stört ihn auch keiner. Es ist ein eingespieltes Ritual: nachdem der letzte Kunde bedient und die Tür abgeschlossen ist, gehen die letzten Handgriffe wie von selbst. Aufräumen, sauber machen, Vorbereitungen für morgen, alles abschließen, Kühlschränke kontrollieren, fertig.
Jeder will schnell nach hause. Da muss jetzt jeder Handgriff sitzen. Da hat keiner Lust auf Smalltalk. Da hat keiner Zeit dafür. Erst recht guckt keiner nach dem anderen. Jeder weiß, was zu tun ist. So ist auch der Chef unbeobachtet und ungestört. Er holt den Commander aus der Schublade hinter der Doppeltür in seinem alten Schreibtisch und schließt ihn an den PC an.
Die Kassenaufzeichnungen erscheinen. Die des heutigen Tages. Er sucht nach bestimmten Produkten. Den rezeptfreien. Er storniert einige dieser Umsätze. Nicht alle. Es darf nicht auffallen. Aber rezeptfreie Tabletten und Salben, auch die vorweihnachtlichen Artikel und die Rezeptbücher, sind alle nicht prüfbar. Die kauft er meist bar. Einen Teil des Einkaufs gibt er in die Buchhaltung – aber nur einen Teil. Das schätzt er so und hofft, dass die Kürzungen des Einkaufs zu den verbucht bleibenden Verkäufen passen werden. Vom Gefühl glaubt er, das abschätzen zu können. Die Umsätze mit diesen rezeptfreien Zusatzprodukten werden aber größtenteils storniert. Das merkt doch eh keiner. Längst hat er den Überblick verloren, wie viel er jeden Abend löscht. Es geht „pi mal Daumen“.
So geht das Tag für Tag, sechsmal die Woche, Woche für Woche, Monat für Monat. Nur wenn er im Urlaub ist, dann macht das keiner für ihn. Er will da keinen einweihen. Außerdem sind Mitwisser immer schlecht. Und wenn er einen einweiht, dann kann der das doch auch hinter seinem Rücken machen? Und er wäre erpressbar. Lieber nicht. Das sagt er nicht mal seiner Frau. Erst recht keiner PTA.
Im Januar fährt er meist mit seiner Familie, seiner Frau und den beiden Söhnen, eine Woche Ski, dann im März meist noch mal eine Woche. Diesmal waren Sie im Ötztal, in Sölden. War toll. Im Juli oder August macht er meist mit seiner Frau und den beiden Buben zwei Wochen Urlaub irgendwo im Süden, dieses Jahr waren sie in Mallorca. Letztes Jahr hatten sie einen Segelturn im Mittelmeer mit Freunden gemacht. Kein Problem für ihn. Er weiß nicht so recht wohin mit dem vielen Geld, das er aus der Kasse nimmt. Davon bezahlt er die Urlaube, manche Annehmlichkeiten, brachte früher immer mal wieder einen Teil auf sein Schweizer Bankkonto. Nur seitdem das mit den Banken in der Schweiz so schwierig geworden ist, bringt er da auch kein Geld mehr hin. Er legte es dann zunächst in den Tresor zu Hause. Doch der ist mittlerweile auch schon fast voll.
Die Schweizer Banken nerven ihn, dass er sein Konto regularisieren soll. Die meinen damit, er soll eine Selbstanzeige machen. So ein Unsinn. Dann würden seine Manipulationen mit dem Commander auffallen.
Wie soll er die hohen Einzahlungen in all den früheren Jahren erklären?
Das waren schon 20.000 oder 30.000 € jedes mal, die er einzahlte.
Er ist an der Grenze nie erwischt worden. Kein Wunder – die Bargeldkontrolle geht auch erst seit einigen Jahren und dann eher in Richtung Deutschland, also bei der Einreise als bei der Ausreise. Aber darüber macht er sich keine Gedanken. Jedenfalls will er keine Selbstanzeige machen. Was das kostet, viel zu viel! Außerdem weiß er nicht, wie er es machen soll. Und zu seinem Steuerberater, dem Armin, mit dem er seit vielen Jahren befreundet ist, will er nicht gehen. Da schämt er sich doch ein wenig. Außerdem kommt das doch sowieso nicht raus.
Seine Schweizer Bank hatte ihm zwar angedroht, notfalls das Konto zu kündigen und ihm sein Geld per Verrechnungsscheck zur Verfügung zu stellen – aber das trauen die sich nicht. Er hat da mittlerweile über 500.000 €. Ein Teil ist noch von seinem Vater. Die werfen ihn schon nicht raus. Die nicht! So vergeht die Zeit. 2012 kommt – und geht. 2013 kommt – und geht. 2014 kommt – und – hier läuft etwas anders. Es kommt eine Prüfungsanordnung. Für die Prüfungszeiträume 2010 bis 2012.
Hatte sein Vater zuletzt gehabt, der bis vor acht Jahren die Apotheke geführt hatte und dann altersbedingt aufhörte. Das war 2005. Oder 2006? Nein, 2005. Er lebte noch zwei Jahre als Pensionär und verstarb dann ganz plötzlich, viel zu schnell. Hatte gar nichts von seiner Pensionärszeit. Wollte mit seiner Mutter immer Weltreisen machen im Alter.
Wollten in Südfrankreich leben, zumindest über den Winter. Doch dann hatte sie sich den Fuß gebrochen, sie blieben hier und fuhren nicht in Urlaub. Keine Weltreise. Eine Reise in die USA machten sie noch, 12 Wochen USA, Route 66 und so. Sie kamen zurück, wollten nach Ägypten, doch das ließen die Spannungen nicht zu – also gut, dann die Türkei für vier Wochen. Und dann verstarb schon sein Vater. Jetzt sitzt seine Mutter allein zu Hause und will nicht allein weg. So will er später als Pensionär nicht leben.
Er macht früher Schluss, verkauft die Apotheke, wenn nicht einer seiner Söhne die Apotheke überninmmt. Er ist jetzt 48. Er weiß gar nicht mehr so richtig, wie das damals mit der Prüfung lief. Das hat alles sein Vater erledigt. Er brauchte sich darum gar nicht zu kümmern. Er bekam nun nur von Armin die Kopie der Prüfungsanordnung per Email geschickt mit der Bitte um Rücksprache – was sollte es da schon zu besprechen geben? Er wird in den nächsten Tagen Armin mal anrufen. Hatte er heute schon auf dem Plan – es war aber so viel los. Das macht er morgen. So vergeht die Zeit. Ein kurzes Gespräch mit Armin, eher belanglos – und die Prüfung beginnt.
Es kommt der Betriebsprüfer in die Apotheke. Er wollte in der Apotheke prüfen. Armin wollte das verhindern. Doch da ausreichend Platz in der Apotheke ist, ein hinteres Zimmer mit einem Schreibtisch und Stuhl sowieso leer steht, sollte der Prüfer ruhig in der Apotheke prüfen. Was sollte auch schon passieren? Der Kassensystemaufsteller, der dem Apotheker die neue Kasse und den Commander 2007 oder 2008 verkauft hatte, sagte, das mit dem Commander sei absolut wasserdicht. Die Stornos wären nicht zu rekonstruieren. Selbst der Grand total, also der Gesamtsummenzähler, könne über den Commander eingestellt werden. Ansonsten würde alles gelöscht bzw. genullt.
Da bliebe nichts zurück. Alles ohne Risiko, so versprach der Kassensystemverkäufer.
Also: der Prüfer war da. Ein junger, netter Mann – aber da muss man ja immer vorsichtig sein, bei denen vom Finanzamt. Sind auch nicht blöd. Am besten, wenn er endlich wieder weg ist. Nach der Vorstellung zusammen mit Armin wollte der Prüfer die Apotheke besichtigen. Betriebsbesichtigung, sagte er, sei das.
Der Apotheker hat ihm ein bißchen was gezeigt. Armin hat das meiste erklärt am ersten Tag. Dann sollte Armin für weitere Fragen auf Abruf zur Verfügung stehen. War kein Problem. Lief alles prima. Der Apotheker hatte zuerst ein wenig Angst, weil der Prüfer vor der Prüfung die CDs mit den Daten wollte. Schon vor dem Prüfungsbeginn forderte er sie an, in der Prüfungsanordnung soll das schon gestanden haben. Er bekam dann erst einmal einen Schrecken, als Armin ihn auf die CDs ansprach.
Als der Apotheker das hörte, dachte er zuerst: „Jetzt hat er mich mit der Schweiz und der Daten-CD!“, doch dann war klar, dass dann die Fahndung die CD-Daten schon selbst hätte und sie diese nicht erst noch von ihm ausgehändigt haben wollte. Armin sah wohl sein verdutztes Gesicht und erklärte dem Apotheker, dass er da nichts machen müsse, er habe schon die Daten (DATEV-CDs) von seiner Buchhaltung angefordert und an den Prüfer geschickt. Das organisierte sein Armin. Der Apotheker musste erleichtert lachen. Er erklärte, das sei wegen dem CD-Datenzugriff.
Naja, er hatte dann doch Bedenken, ob der Prüfer etwas merken würde. Wenn er die CDs im Vorfeld schon hatte? Mit Armin konnte er das nicht besprechen. Mit ihm besprach er eigentlich alles. Auch die Krise mit seiner Frau und über die wirtschaftlichen Folgen einer Scheidung hat er mit ihm gesprochen. Aber nur über Isabell nicht. Und nicht über den Commander und das Schweizer Konto.
Die Stunden vergingen. Die Tage vergingen. Nix. Dem Prüfer fiel nichts auf. Mal war er da, dann wieder nicht. Armin meinte, das sei normal so. Also alle Sorgen völlig grundlos. Die Prüfung verlief prima. Der Prüfer merkte echt nichts. Je länger die Prüfung dauerte, um so sicherer wurde der Apotheker. „Der hätte doch sonst was gesagt – oder?“ Hatte doch sein Kassensystemverkäufer recht – der kann gar nix merken, der Commander ist so sicher. Und der war gar nicht mal teuer. Der Apotheker musste seinem Kassensystemaufsteller nur versprechen, den Commander niemandem zu zeigen und mit niemandem darüber zu sprechen. Er durfte den Commander auch nicht offiziell anschaffen und nicht abschreiben. Deswegen musste er ihn auch bar bezahlen – aus Sicherheitsgründen ohne Rechnung und Quittung. Das sei so besser für alle Beteiligten, hatte damals sein Kassensystemverkäufer gesagt. Aber die 10.000 € waren gut angelegtes Geld. Sehr gut sogar.
Irgendwann fragte ihn der Prüfer, wie der letzte Urlaub so gewesen sei. Sie kamen ins Plaudern. War ihm recht. Besser sie quatschen über Skifahren oder Mallorca, als dass er die Buchführung genauestens prüft. Sie stellten sogar fest, dass sie beide Borussiafans waren. Netter Kerl eigentlich. In Sölden war er noch nicht.
Der Apotheker erzählte ihm, wie toll es dort war und gab ihm die Adresse von dem Hotel, in dem sie wieder mal gewesen waren. Ob er sich das wird leisten können? Aber er war auch ein so begeisterter Skifahrer – vielleicht würde er sich eine andere Pension suchen. Aber die Gaislachkogel müsse er unbedingt abfahren – von über 3.000 m runter ins Tal, einfach gigantisch. Sie waren im März da, tolles Wetter, tolle Schneeverhältnisse.
Wann genau er da war, wollte der Prüfer wissen. Als ob das eine Rolle spielte, Anfang März, so um den 10., meinte der Apotheker. Er müsse nachschauen, wenn der Prüfer es genau wissen wolle. Aber auf ein paar Tage käme es da nicht an. Na egal, Anfang März seien das Wetter und die Schneeverhältnisse dort immer toll zum Skifahren. Das wusste er von den anderen Malen, wo er dort war.
Später überraschte der Prüfer ihn, als er unvermittelt sagte, er sei bestimmt vom 08. bis zum 15. Mäz 14 in Sölden gewesen. Der Apotheker hatte kurz zuvor nachgesehen und tatsächlich, es war so. Da verblüffte er ihn doch ein wenig.
Warum kam es bei ihrer so netten und unverfänglichen Unterhaltung auf die genaue Reisezeit an?
Und warum wusste der Prüfer sie schon? Woher?
Die Prüfung verlief dann völlig unproblematisch so weiter. Das Geplauder über den Urlaub geriet in Vergessenheit – beim Apotheker wenigstens. Irgendwann wollte der Prüfer die Urlaube der Mitarbeiter haben – schon wieder das Thema Urlaub. Diesmal wurde der Apotheker gleich hellhörig. Doch der Prüfer sagte das so völlig normal: er wolle irgendwas wegen Urlaub und Resturlaub und Urlaubsabgeltungen prüfen.
Also gut. Abgehakt. Alles normal: der Apotheker zeigte ihm den Urlaubskalender, in welchen alle Mitarbeiter und er die Urlaube eintrugen, damit die Besetzungen und die Notdienste im Vorfeld rechtzeitig und richtig geplant werden konnten. Der Prüfer wollte dann noch die Urlaubskalender der Vorjahre haben. Er schien sehr zufrieden mit der Prüfung. Er meinte, er sei bald fertig. Der Apotheker wusste doch, dass er nichts finden konnte.
Nach 4 oder 5 Prüfungstagen war der Prüfer dann tatsächlich fertig. Das war so nach ca. drei Wochen. Er war mal da, dann wieder weg. Sagte, er käme übermorgen oder Donnerstag erst wieder – dann war er fertig. „Hurra“ hätte der Apotheker brüllen können, doch das verkniff er sich. Der Prüfer müsse noch was recherchieren, dann gäbe es die Schlussbesprechung. Sprach’s und verschwand. War eigentlich ganz easy, diese Prüfung, dachte der Apotheker. Da hatte sein Vater damals mehr gestöhnt. War doch alles halb so wild. … Dachte er.
Zu Armin meinte er nur, der sei jetzt fertig. Hat nichts gefunden. Eine Abschiedsbesprechung wolle er aber noch machen. Das verstand Armin nicht. Wenn es doch keine Änderungen gäbe? Von dem vielen Smalltalk hatte er Armin gar nichts erzählt. Das war ja nur zur Ablenkung des Prüfers, damit der nicht zum Prüfen kommt. Sie hatten auch über Leid und Freud bei der Borussia gesprochen. Aber damit brauchte er Armin gar nicht zu kommen. Der ist kein Fußballer.
Und dann, … dann kam alles ganz anders, als er sich das so vorgestellt hatte …
Einige Wochen später kam nicht die Einladung zur Schlussbesprechung, sondern die Steuerfahndung. Zwölf Steuerfahnder standen auf einmal morgens um ihn herum, als er kurz vor halb acht die Seitentür zur Apotheke aufschließen wollte. Er dachte erst, das sei ein Überfall. So schnell standen die um ihn rum, er wusste gar nicht, wo die auf einmal herkamen, sie schienen aus dem Boden zu wachsen.
Er wollte schon um Hilfe schreien, da stellte sich einer von denen als Fahnder vor, zeigte seinen Ausweis und einen Durchsuchungsbeschluss vom hiesigen Amtsgericht. Ob das eine Verwechslung war? Ob das vom Schweizer Konto war? War er doch auf der CD? Dann entdeckte er den Betriebsprüfer da hinten, bei den anderen. Der Apotheker grüßte ihn und fragte verwirrt, ob er das klären könne, er habe doch geprüft und alles sei in Ordnung gewesen. Ob das ein Missverständnis sei, das er aufklären könne? Da schüttelte der Prüfer nur ernst den Kopf. „Wollen wir nicht erst mal rein gehen?“ fragte er. „Das wollen Sie doch nicht hier draußen mit uns erörtern – oder?“
Also schloss der Apotheker weiter auf und sie alle gingen in die Apotheke. Er setzte sich erst mal. Auf seinen fragenden Blick nach dem ersten Schrecken klärten ihn der Fahndungsleiter und der Betriebsprüfer auf: die Urlaube haben ihn verraten. In den Urlaubszeiten war niemand da, der die Kassen manipulierte. Da tauchten zahlreiche Umsätze mit Pflegeprodukten, Büchern, Weihnachts- und Osterartikeln je nach Jahreszeit bzw. Urlaub auf – die während seiner Arbeitszeit so gut wie nicht verkauft wurden. Dies könne nur bedeuten, erklärte der Fahndungsprüfer weiter, dass er systematisch die Einnahmen dieser Zusatzprodukte der Apotheke aus den Umsätzen gelöscht habe. Anders sei das auffällige Käuferverhalten, das die Kasse abzeichne, nicht zu erklären.
Man würde nun das Zusatzmodul zur Kasse suchen. Es sei der Steuerfahndung bekannt, dass es einen Commander zu diesem Kassensystem gäbe, mit dem man die Kasse manipulieren könne. Der Apotheker solle ihn hergeben und aufklären und gestehen, das würde strafmildernd wirken und eine ggf. ansonsten ganztägige Durchsuchung der Apotheke verhindern. Und dass die Steuerfahnder in der Apotheke herumliefen und die Kunden das alles mitbekämen, wolle er doch sicher nicht.
Der Apotheker wollte dann mit seinem Anwalt sprechen – doch auch davon riet ihm der Fahnder ab: der macht die Sache nur teurer – nicht besser. Außerdem sei es noch vor acht – welcher Anwalt sei in seinem Büro vor acht schon zu erreichen? Ob der Apotheker seine Handynummer hätte und was der Anwalt bewirken könne oder solle? Sie würden jedenfalls nicht warten. Sie würden – Anwalt hin oder her – gleich durchsuchen, wenn er nicht mitwirke … und gleich ab acht kämen dann Kunden und dann ginge es in der Stadt rund, dass bei ihm die Steuerfahndung sei – oder ob er ein Schild an die Tür hängen wolle, „heute wegen tragischem Zwischenfall geschlossen“ oder so? Dann würden die Kunden nicht schlecht staunen, wenn die Türen zu blieben, aber innen zahlreiche Fahnder ausgiebig suchten, Schubladen aufzögen und alles auf links drehten. Nach kurzem Überlegen und Nichterreichen seines Anwalts (Armin wollte er immer noch nicht anrufen), gab er auf und zeigte den doppelten Boden in der Schublade seines antiquarischen Arbeitstisches.
Der Fahnder grinste: „Den schönen alten Schreibtisch hätten wir sowieso auseinander genommen“, sagte er trocken. „Wir wissen, dass die alten Schreibtische trickreich gebaut wurden und hätten den wirklich auf den Kopf gestellt …“.
Und dann kam es doch wieder ganz anders: die Steuernachzahlungen brachten den Apotheker fast um. Seine Bank wollte die Steuerschulden nicht wirklich finanzieren und bot ihm unglaublich schlechte Zinskonditionen für den Steuerkredit an. Ein Einfamilienhaus musste er schließlich verkaufen, um einen Großteil der Steuerschulden, Zinsen und Strafe zu bezahlen.
Bei der Strafe kam er mit 360 Tagessätzen und einer Geldstrafe von 72.000 € davon. An sein Schweizer Depot konnte er nicht gehen, da dieses erfreulicherweise dem Finanzamt irgendwie nicht bekannt geworden war. Wie hätte er erklären können, woher das Geld kommt, wenn das Konto weiterhin unbekannt bleiben sollte?
Das war´s. Dachte er. Doch dann meldete sich das zuständige RP. RP? Das ist das Regierungspräsidium. „Was wollen die denn?“, dachte er, als er die Post aufriss. Da stand zu seiner großen Überraschung: Anhörung im Gewerbeuntersagungsverfahren gegen ihn. Unglaublich! War bestimmt falsch. Er ging damit wieder zum Anwalt. Der kämpfte, aber es half nichts. Alle Gespräche und Telefonate, alle Schreiben im Vorfeld waren nutzlos: es kam dann nach einiger Zeit der Gewerbeuntersagungsbescheid. Den focht er natürlich mittels Klage an. Machte sein Anwalt.
Das Verwaltungsgericht bestätigte jedoch den Gewerbeuntersagungsbescheid durch Gerichtsbescheid: durch den jahrelangen Einsatz einer Manipulationssoftware käme eine derart hohe kriminelle Energie zum Vorschein, dass die Zuverlässigkeit nach § sowie Apothekergesetz nicht mehr bejaht werden könne.
Der Apotheker musste das mehrmals lesen, um so langsam zu verstehen. Erschwerend käme hinzu, dass täglich die Kassenbestände bzw. Einnahmen von ihm manipuliert worden seien. Auf den Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung änderten in der mündlichen Verhandlung weder das Verwaltungsgericht noch der Vertreter des Regierungspräsidiums ihre Meinung.
Dabei hatte der Apotheker doch mittlerweile alle Steuern und Zinsen nachbezahlt. Auch seine Strafe hatte er schon bezahlt. Der Vertreter des Regierungspräsidiums meinte jedoch, dass durch das fortwährende Manipulieren mit dem Commander und die mehrfach falschen Einkommen-, Umsatz- und Gewerbesteuererklärungen seine Unzuverlässigkeit zwingend anzunehmen sei. Da gäbe es keine Zweifel und keinen Beurteilungsspielraum mehr. Einer der Richter vom Verwaltungsgericht fragte den Apotheker, ob er nicht angesichts der klaren und eindeutigen Verfehlungen seinerseits die Klage zurücknehmen wolle? Die anschließenden Argumente bekam dieser nur noch wie durch eine Nebelwand mit.
Was sollte er jetzt machen? Apotheke verkaufen? Schließen? Was würden die Nachbarn, Freunde und die Bekannten sagen? Was war überhaupt mit der Öffentlichkeit? Er hatte noch gar nicht im Zuschauerraum nach Reportern geguckt. Beim Steuerstrafverfahren war damals der lokale Gerichtsreporter anwesend gewesen. Dieser hatte aber nur einen kurzen Bericht verfasst. Die Umsätze in der Apotheke waren seitdem rückläufig. Armin hatte er schon lange nicht mehr gesehen und gesprochen. Eine Mitarbeiterin von ihm war zur Konkurrenz gewechselt. Blödes Ding. Was sagte der Vertreter des Regierungspräsidiums gerade?
„Die Schwere der Taten durch den Einsatz des Commanders bzw. der Manipulationssoftware lasse nur auf die charakterliche Unzuverlässigkeit schließen. Rechtsgrundlage: § 4 Abs. 2 Satz 1 ApoG i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 4 ApoG. Danach ist die Betriebserlaubnis zum Betrieb der Apotheke zu widerrufen, wenn nachträglich die für den Betrieb einer Apotheke erforderliche Zuverlässigkeit (entsprechend § 35 GewO) entfallen ist.“
Das Verwaltungsgericht vertrat die Auffassung, dass bei der Prüfung der Zuverlässigkeit nicht nur apothekenrechtliche Vorwürfe zu prüfen seien, sondern die Zuverlässigkeit insgesamt unter Berücksichtigung des gesamten charakterlichen Verhaltens zu beurteilen sei – und man nur von einer Zuverlässigkeit sprechen könne, wenn in jeder Hinsicht das Verhalten gegenüber Behörden tadellos sei. Bei jemandem wie ihm, der so eklatant die steuerlichen Pflichten nachhaltig verletze, können man da nicht mehr von einer zuverlässigen Person im Sinne des Apothekergesetzes sprechen, die Gewähr dafür biete, alle ordnungsrechtlichen und behördlichen Anforderungen stets vorbildlich und bedingungslos zu erfüllen. So ging das noch eine Weile im Gerichtssaal hin und her. Als die mündliche Verhandlung zu Ende war, war der Apotheker völlig fertig, schweissgebadet, er hatte kaum etwas mitbekommen. Sein Rechtsanwalt hatte engagiert gekämpft, aber es hat alles nichts geholfen.
Wie geht es nun weiter? Berufung? Apotheke verkaufen? Wieviel Zeit hat er, bis er schließen muss? Kann er die Bestellungen noch abwickeln? Seine Kinder sind noch zu jung, gehen noch in die Schule, können noch keine Apotheke übernehmen, müssen erst mal die Schule beenden und dann müssten sie erst noch Pharmazie studieren. Ob man die Stilllegung so lange noch irgendwie aufhalten kann, bis die Kinder fertig sind? Eines wenigstens? Wann ist das Urteil rechtskräftig? Wie kann er das rausschieben? Wovon soll er dann leben? Das ist doch eine echte Doppelbestrafung. Er muss seinen Anwalt noch mal fragen, ob das wirklich geht…
Gibt’s nicht? Gibt’s doch: frei nach VG Ansbach, Urteil v 26.11.2013, AN 4 K 13.01021, PStR 2014, 36.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen, sind nicht beabsichtigt und wären rein zufällig. Fragen? +49 (0)611 89 09 10