Der Irrtum mit den Rohgewinnaufschlagsätzen nach der Richtsatzsammlung
Von RA Dr. jur. Jörg Burkhard, Fachanwalt für Steuerrecht und Strafrecht
Wenn das FA die Buchführung verworfen hat und nicht der Besteuerung nach § 158 AO zugrunde legen will, hat es die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen. Daher ist das Augenmerk der BP auf Verwerfungsgründe gerichtet. Welcher Prüfer will schon als unfähig gelten und ohne Mehrergebnis von einer Betriebsprüfung nach Hause ins Amt kommen. Der wird ja von seinen Kollegen ausgelacht, wenn er etwa einen bargeldintensiven Betrieb prüft und keine Verwerfungsgründe findet.
Auf die Unzulässigkeit der Wahl der Rohgewinnsaufschlagsätze nach der Richtsatzsammlung als Schätzungsmethode habe ich bereits in meinem Aufsatz in der BBP 2017, 14 ff. hingewiesen.
Kernaussage ist dort, dass die Richtsatzsammlung keine brauchbare seriöse Schätzmethode, sondern eine unbrauchbare intransitive Mogelpackung ist. Die dort gesammelten Werte sind vorselektiert, daher manipuliert und spiegeln nicht die realen Marktverhältnisse wieder.
Das sieht man schon auf den ersten Blick, da es nach der Richtsatzsammlung keine Betriebe mit Verlusten gibt.
Die Insolvenzgerichte sind nach der Richtsatzsammlung offenbar nur eine Fata Morgana. Da es eben keine Betriebe mit Verlusten danach gibt und natürlich erst Recht keine Insolvenzen.
Unter dem Deckmantel der seriös klingenden aber falschen Bezeichnung „amtliche Richtsatzsammlung“ werden in der Richtsatzsammlung (RSS) vorausgewählte spezielle richtsatzgeprüfte Betriebe herangezogen, die irreführend vorgeben Durchschnittswerte darzustellen.
Tatsächlich sind hier die Primus -Betriebe ausgewählt und lächerlicher Weise werden Normalbetriebe hieran an dieser Messlatte verglichen und die Finanzverwaltung kommt dann – oh welch Wunder – zu der erstaunlichen Erkenntnis, dass ihre Primusbetriebe bessere Zahlen erbrachten, als die normalen Betriebe – die Berichtsbetriebe.
Das ist natürlich eine missbräuchliche Mogelpackung, die unseriös ist und vor allem intransparent.
Der Inhalt der RSS bzw. der dort zusammengefassten Betriebe und insbesondere deren Eckwerte werden nicht offenbart.
Es wird nicht erwähnt, dass z.B. bei den Gaststätten nur die besten Nobelbetriebe oder jedenfalls die mit den ertragsstärksten Ergebnissen Eingang in die Richtsatzsammlung finden. Das sind Betriebe in Bestlagen.
Der konkrete Berichtsbetrieb kann sich daher dahingehend nicht verteidigen. Auch nicht, wenn er die Besonderheiten der Vergleichsbetriebe herausarbeitet und daher seine schlechteren Zahlen zu den Vergleichsbetrieben erläutert. Ihm werden die Vergleichsbetriebe als angeblich vergleichbar vorgegaukelt. In Wahrheit stecken dahinter die Bestbetriebe seiner Branche und er wird belehrt, dass die Differenzen nur deswegen zustande kommen, weil er angeblich hinterzogen habe.
Ich will Ihnen diese Mogelpackung der Finanzverwaltung verdeutlichen und die Unseriosität dieser Materialsammlung als Vergleichsgröße deutlich machen.
Wir gehen nun zu den Hochsprung-Europameisterschaften nach Berlin und schauen uns die dortigen Ergebnisse an und nehmen dort einen repräsentativen Querschnitt und nennen ihn amtliche Hochsprungsammlung.
Die Berliner Morgenpost zu den Hochsprungwerten:
„Nervenstark überwand der 26 Jahre alte Przybylko alle Höhen bis 2,35 Metern im ersten Versuch und stellte damit seine persönliche Bestleistung ein. Zweiter wurde der Weißrusse Maxim Nedasekau mit 2,33 Metern, Bronze holte der unter neutraler Flagge startende Russe Ilja Iwanyuk mit 2,31 Metern. Eike Onnen aus Hannover wurde mit der übersprungenen Anfangshöhe von 2,19 Metern Achter. Im März hatte Przybylko bereits über Bronze bei der Hallen-Weltmeisterschaft in Birmingham gewonnen.“
Quelle: https://www.morgenpost.de/sport/Leichtathletik_EM/article215066419/Hochspringer-Przybylko-holt-Gold-bei-Leichtathletik-EM.html
Also liegt für die ersten acht Sprünge die Bandbreite zwischen 2,19 m bis 2,35 m. Der Durchschnittswert also bei 2,27 m. Das wäre also unser Mittelwert. Der Oberwert liegt bei 2,35 m, der unter Wert bei 2,19 m. Alle die davon abweichend springen, sind auffallend und fallen aus der Norm.
Nun, ich bin mir nicht sicher, wie hoch Sie springen. Ich für meinen Teil schaffe jedenfalls nicht einmal ansatzweise den Unterwert, geschweige denn den Mittelwert.
- Was folgt daraus?
- Muss ich nun so lange trainieren, bis sich auch mindestens den Unterwert schaffe?
- Und was ist mit Ihnen?
- Müssen Sie auch solange trainieren?
Der Denkfehler liegt natürlich auf der Hand: In diesem Beispiel habe ich einfach eine Vergleichsmenge genommen, die aus extremen Spitzenathleten besteht.
Sie als Otto Normalsportler, kommen da natürlich niemals mit und niemals an diese Sprunghöhen heran.
Der Kniff ist einfach: wir können das auf alle beliebigen Vergleichsmengen so praktizieren: Ich wähle die Vergleichsgruppe aus und ich wette mit Ihnen, dass Sie scheitern.
Oder nehmen wir Ihre Schulzeit: Sie waren vielleicht gut aber nicht der Beste. Selbst wenn Sie der Klassenbeste waren, nehme ich einfach die Schulbesten unter die Landesbesten oder die Bundesbesten und vergleiche die mit Ihnen. Sie können nur verlieren.
Ich setze meine Vergleichsgruppe immer mindestens eine Stufe höher als sie realistisch ist bzw. ich realistischerweise von Ihnen erwarten kann.
Wir können das so mit Ihrem Examen spielen, mit Ihrer Körpergröße, mit Ihrem Gewicht, mit Ihrem IQ, mit Ihrer Lauf-Geschwindigkeit, oder Ihrer Ausdauer oder Ihrer sportlichen Fitness. Nehmen Sie was Sie wollen.
Ich nehme die Bezugsgröße und die Vergleichsgruppe und halte sie Ihnen entgegen und Sie werden verlieren.
- Sie finden, das ist ein doofes Spiel?
- Sie finden das ist grausam und unfair?
- Nur weil Sie immer verlieren?
- Sie haben Recht.
- Und warum ist das anders bei der amtlichen Richtsatzsammlung?
Die Richtsatzsammlung ist auch noch unter vielen anderen Aspekten völlig unseriös und unbrauchbar und eben kein objektiver Vergleichsmaßstab.
Dass die Vergleichswerte vorausgewählt sind und damit denknotwendig die Berichtsbetriebe immer schlechter abschneiden als die Musterbetriebe, die für die Richtsatzsammlung herausgesucht werden, habe ich bereits oben ausführlich dargelegt und bewiesen.
Damit muss der Vergleich mit der Richtsatzsammlung immer zu einem Ergebnis führen.
Das hat natürlich nichts mit einem fairen Verfahren zu tun und ist genau genommen nichts anderes als ein Betrug. Hier werden manipulierte Daten vorgelegt und dann den armen Normalbetrieben mit ihren Musterzahlen als angebliche Vergleichsbetriebe oder Durchschnittsbetriebe vorgegaukelt. So ist das natürlich nicht.
Das ist das Niveau von Hütchenspielern.
Es ist aber noch viel schlimmer. Bei 8 Millionen Betrieben bundesweit derzeit werden ca. 200.000 Betriebe jährlich geprüft bzw. entstehen rund 200.000 Betriebsprüfungsberichte.
Losgelöst von der Frage, ob die Ergebnisse aus den Betriebsprüfungsbericht später so umgesetzt und bestandskräftig werden oder sich im Rechtsbehelfsverfahren oder Klageverfahren modifizieren, werden nach Angaben des BMF nur 4865 Betriebsprüfungsberichte für die Richtsatzsammlung ausgewertet.
- Wenn also nur schon 2,5 % der Betriebe geprüft werden, warum werden dann aus diesen 2,5 % Betriebsprüfungsberichte nur 2,4 % für die Richtsatzsammlung ausgewertet?
- Oder anders formuliert nur 0,0006 % aus der Gesamtmenge der Betriebe?
- Das soll repräsentativ sein?
Und wenn man dann noch weiter bedingt, dass die Richtsatzsammlung sich in 68 einzelne Branchen untergliedert, die ihrerseits wiederum in ein bis 4 Betriebsgrößen untergliedert werden, ergeben sich damit 136 verschiedene Fächer, auf die die 4865 Betriebsprüfungsbericht aufgeteilt werden können.
In welches Fach viele und in welches Verhalten wenige Betriebsprüfungsergebnisse fallen ist völlig unbekannt und wird vom BMF nicht mitgeteilt.
Ob rein theoretisch alle 4865 Betriebsprüfungsberichte in ein Fach fallen oder ob sie sich gleichmäßig oder ungleichmäßig auf die anderen Fächer verteilen, teilt das BMF nicht mit. Und wenn wir jetzt hier rein theoretisch mal eine Gleichverteilung auf die 136 verschiedenen Fächer annehmen, würden rein rechnerisch 35,78 Betriebsprüfungsergebnisse pro Fach entfallen.
- Aber können wir das?
- Und dann ist natürlich die Frage, ob beispielsweise bei den Pizzerien nur besonders ertragreiche Pizzerien aus Hamburg München Berlin Düsseldorf Eingang finden?
- Werden die ganzen anderen Pizzerien daran gemessen?
- Und wer weiß schon ob bei einer bestimmten Betriebsgröße oder bei einer bestimmten Lage nicht besonders hohe Umsätze und besonders hohe Augenaufschlagsätze durchsetzbar sind?
- Die auf dem platten Land oder in Normal-Lagen nicht erzielbar sind?
- Und wer weiß schon, aus welchem Jahr die Betriebsprüfungsberichte stammen?
Die Richtsatzsammlung aus 2016 kann doch unmöglich die Werte der Betriebsprüfungen aus dem Jahr 2016 enthalten, da hier 2016 weder abgeschlossen war, noch erklärt war, noch veranlagt war, geschweige denn hierfür Betriebsprüfungen erfolgt sind.
- Also sind hier Betriebsprüfungen aus den Jahren 2008-2010 oder 2011-2012 oder Betriebsprüfungen aus den Jahren 2013-2015 enthalten?
- Oder von allen Betriebsprüfungszeiträumen etwas?
- Sind da also Jahre vor MiloG und nach MiloG enthalten?
- Und in dem Vorspann zu der Richtsatzsammlung heißt es, dass grundsätzlich die Bilanzierung zugrunde gelegt wird. D. h. dass größere Betriebe geprüft wurden.
- Sind aber die Ergebnisse aus größeren Betrieben tatsächlich ohne Anpassungen anwendbar auf die kleineren Betriebe?
Gerichtssaal Sammlung meint nein. Es sollen die Anpassungen vorgenommen werden.
- Aber wenn ich die Eckwerte der Vergleichsbetriebe aus der Richterzange nicht kenne, wo soll ich wie was umrechnen?
- Woher weiß ich, welche Stellparameter bei dem Berichtsbetrieb anders sind als bei denen in der Richtsatzsammlung, wenn ich die Betriebe aus der Richtsatzsammlung nicht kenne?
Ich weiß, ich weiß, da kommt gleich Paragraf 30 AO.
- Aber wenn die Vergleichsbetriebe aus der Richtsatzsammlung nicht benannt werden können, welchen Sinn macht dann die Anpassung und welchen Sinn macht dann überhaupt die Richtsatzsammlung?
Überhaupt hat die Finanzverwaltung aufgrund der elektronisch einzureichenden Steuererklärungen und Steueranmeldungen sowie der E-Bilanzen und elektronischen Einnahmen Überschussrechnungen ein ganz anderes Erkenntnispotenzial als die amtliche Richtsatzsammlung.
Aufgrund der elektronischen Erklärungen und E-Bilanzen sind bei der Finanzverwaltung doch auch Verlustbetrieb elektronisch abgespeichert.
- Warum werden Werte der manipulierten Richtsatzsammlung vorgeschoben, die echten Werte aller Betriebe vorliegen?
- Warum werden die nicht veröffentlicht und warum werden die reginal passenden Betriebe nicht veröffentlicht?
- Es müsste doch ein leichtes sein, alle Betriebsergebnisse aus Rheinland-Pfalz oder noch konkreter aus Grünstadt oder Frankenthal und Umgebung, sagen wir in einem Umkreis von 30 km um Frankenthal anonymisiert zu veröffentlichen.
- Welche Durchschnittswerte an Rohgewinnsaufschlagsätzen würden wir da erhalten?
Auch bei einer formell und materiell ordnungsmäßigen Buchführung führt eine Richtsatzverprobung denklogisch immer zu einem Mehrergebnis gegenüber der Buchführung, da die Vergleichswerte der Primusbetriebe immer höher liegen als die Werte eines Durchschnittsberiebes.
Daher liegt der Methodenfehler der RSS darin, dass diese immer zu einem Mehrergebnis führt. Das ist also kein fairer Vergleih, sondern deswegen eine Mogelpackung.
Kurzum: die Richtsatzsammlung ist völlig unbrauchbar.
Interessant ist, dass es einige Finanzgerichte gibt, die sich von der Aufschrift „amtliche Richtsatzsammlung“ haben blenden lassen und geglaubt haben, dass das Wort amtlich gleichbedeutend mit seriös oder geprüft oder belastbar oder valide ist.
Nach der Rechtsprechung gelten Richtsätze als anerkanntes Hilfsmittel für Verprobung undSchätzung der Umsätze und Gewinne (BFH BStBl II 84, 88; FG Hamburg EFG 91, 507; BFH BFH/NV 91, 573; Braun PStR 2003, 80; a.a. Burkhard, BBP 2017, 14 ff.).
Das FG Düsseldorf sah in Abwägung verschiedener Schätzungsmethoden den Vergleich mit der Richtsatzsammlung noch als die realistischste Schätzungsmethode an (FG Düsseldorf, Urteil vom 24.11.2017 – 13 K 3811/15 G, U: „Unter den verbleibenden Schätzungsmethoden, nämlich der von der Klägerin vorgeschlagene Vergleich mit dem E, einer Schätzung nach Richtsätzen und dem Abstellen auf die im Rahmen der Durchsuchung aufgefundenen Z-Bons hat die letztgenannte Schätzungsmethode die größtmögliche Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich.“)
Das ist es aber in diesem Fall nicht.
Die Richtsatzsammlung ist intransparent und eben eine Mogelpackung. Sie führt immer zwangsläufig zu einem Mehrergebnis, da bei den Primusbetrieben die Betriebsergebnisse immer besser sind. Damit wird der Normalbetrieb auf Ergebnisse des Primusbetriebes hochgeschleust.
Interessanterweise haben die Finanzgerichte, die die Richtsatzsammlung als probate Vergleichsmethode bzw. Schätzungsmethode anwandten, sich keine Gedanken darüber gemacht, woher diese Zahlen stammen bzw. wie sie zusammengesetzt sind. Sie prüften nie, ob sie statistisch valide und belastbar sind und ob sie tatsächlich eine belastbare Vergleichsgrundlage darlegen.
Der BFH geht sogar noch in einer Entscheidung von einer gewissen Bundungswirkung der Richtsätze aus und formuliert (BFH v. 23.4.2015): „Führt die Schätzung auf der Grundlage der Richtsatzsammlung bei einer Gesamtwürdigung zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung, entfällt die Bindungswirkung der Richtsatzsammlung.“ (Aktenzeichen: BFH v 23.ß4.2015, Az V R 32/14).
- Aber kann eine Richtsammlung für eine Branche verbindlich sein?
- Wenn die Werte intransparent und manipulativ weil vorausgewählt und jedenfalls nicht repräsentativ sind? Und was ist mit den Branchen, für die es keine Richtsätze gibt?
- Kann z.B. für einen Blumengroßhandel, der nicht in den Richtsätzen enthalten ist, von Werten von Primusbetrieb aus dem Blumeneinzelhandel, die in den Richtsätzen enthalten sind auf den Großhandel umgerechnet oder näherungsweise hochgerechnet werden?
- Und wenn ja, wie?
In jedem Fall ist wegen der erheblichen Hebelwirkung der methodischer Fehler aus der Anwendung der durch die Vorauswahl manipulierten Richtsatzsammlung bei nur einem Prozentpunkt von realistischen Zahlen, die gegenüber der ordnungsgemäßen Erhebung von Vergleichswerten entstehen würden, auf eine besonders sorgfältige Ermittlung der Vergleichsgrundlagen zu achten.
Sonst werden Äpfel mit Birnen verglichen.
Ein Schätzungsergebnis muss schlüssig, wirtschaftlich möglich, vernünftig und plausibel sein (vgl. auch das BFH-Urteil vom 12.11.2009, Aktenzeichen: VI. B 66/09).
Die Richtsatzsammlung führt indes stets bei Normalbetrieben zu Zuschätzungen. Das ist Systembedingt, weil die Primusbetriebe höhere Rohgewinnaufschlagsätze am Markt durchsetzen können. Wenn aber auch bei einem Normalbetrieb, bei dem nichts hinterzogen ist, der Richtsatzvergleich stets zu einem höheren Ergebnis führt, dann stimmt dogmatisch etwas mit dem Richtsatzvergleich nicht. Er ist dann keine Verprobungsmethode, die zu einem zutreffenden, schlüssigen steuerlichen Ergebnis kommt und erst Recht nicht im Falle einer Hinterziehung den vermutlich richtigen Erlös widerspiegelt, weil der Berichtsbetrieb eben nicht oder nicht zwingend ein Primusbetrieb ist.
Auch wenn der BFH in seinem Zeitreihenvergleichsurteil zwar grundsätzlich es der Finanzverwaltung belässt, die Schätzungsmethode zu wählen, verlangt er jedoch von ihr, eine sachgerechte Schätzungsmethode nach § 5 AO zu wählen.
Die Wahl kann insoweit ermessensfehlerhaft sein. Das Ermessen der Behörde ist aber gerichtlich überprüfbar.
Der BFH schreibt insoweit im Zeitreihenvergleichsurteil vom 25.03.15 hierzu wie folgt:
„Rechtliche Grundlage dieser Einschränkungen ist die Vorschrift des § 5 AO in Verbindung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da die Wahlfreiheit des FA bei der Auswahl zwischen mehreren in Betracht kommenden Schätzungsmethoden nach den für die Ausübung pflichtgemäßen Ermessens geltenden Grundsätzen eingeschränkt ist und dabei auch Verhältnismäßigkeitserwägungen zu beachten sind. Jede Schätzung hat zum Ziel, Besteuerungsgrundlagen mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen zu ermitteln, wenn eine sichere Tatsachenfeststellung trotz des Bemühens um Aufklärung nicht möglich ist (BFH-Urteil vom 2. Februar 1982 VII R 65/80, BFHE 135, 158 BStBl II 1982, 409, unter 1. c).
Die Auswahl zwischen verschiedenen Schätzungsmethoden steht grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des FA bzw. FG (vgl. BFH-Beschluss vom 3. September 1998 XI B 209/95, BFH/NV 1999, 29, unter II. 2. b). Ermessensleitend ist dabei das Ziel, die Besteuerungsgrundlagen durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen so zu bestimmen, dass sie der Wirklichkeit möglichst nahe kommen (BFH-Urteil vom 18. Dezember 1984 VIII R 195/82, BFHE 142, 558, BStBl II 1986, 226 unter 2.). Kommt eine bestimmte Schätzungsmethode diesem Ziel voraussichtlich näher als eine andere, ist die erstgenannte unter Ermessensgesichtspunkten vorzugswürdig.
[61] Darin liegt keine Abweichung von der – vom FA angeführten – Rechtsprechung, wonach der Steuerpflichtige grundsätzlich keinen Anspruch auf die Anwendung einer bestimmten Schätzungsmethode hat (vgl. hierzu Senatsbeschlüsse vom 1. März 2005 X B 158/04, BFH/NV 2005, 1014, unter 2. a, und vom 27. Januar 2009 X B 28/08, BFH/NV 2009, 717, unter 3. b). Denn dies lässt die Geltung der Grundsätze für die Ausübung pflichtgemäßen Ermessens unberührt. Im Übrigen betrafen diese Entscheidungen Fälle, in denen der Steuerpflichtige begehrte, das Ergebnis einer ordnungsgemäß angewendeten Schätzungsmethode durch Anwendung einer anderen, jedoch nicht vorrangigen oder besser geeigneten Methode zu überprüfen (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 290, unter II. 2. b, und in BFH/NV 2009, 17, unter 3. b: keine Überprüfung einer Aufschlagkalkulation durch eine Geldverkehrs- bzw. Vermögenszuwachsrechnung erforderlich; BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 1014, unter 2. a: keine Überprüfung einer Geldverkehrsrechnung durch eine Nachkalkulation erforderlich). Darum geht es vorliegend indes nicht.“
Quelle: https://lexetius.com/2015,1915, BFH, Urteil vom 25. 3. 2015 – X R 20/13 (lexetius.com/2015,1915)
Damit ist die Finanzverwaltung verpflichtet, ein sachgerechtes Ermessen dahingehend auszuüben, was die geeignetste Schätzungsmethode wäre.
Ausweislich des Fallheftes der BP hat sich indes die Finanzverwaltung hierüber keine Gedanken gemacht. Insoweit liegt ein vollständiger Ermessensausfall vor. Sie hat nicht überprüft, ob andere Schätzungsmethoden zu einem naheliegenden Ergebnis kämen. Sie hat sich keine Gedanken darüber gemacht, ob und warum die Richtsatzsammlung überhaupt eine adäquate Vergleichsgrundlage darstellt oder nicht.
Das wollte aber die BP aus hier nicht bekannten Gründen nicht.
In dem Fall der BP sind hierzu keine Überlegungen dokumentiert, warum dieser interne Betriebsvergleich nicht durchgeführt werden soll.
War das die Angst davor, dass diese Zahlen das Ergebnis der WP widerlegen würden?
Praxishinweis: Zum Beweis der Tatsache, dass die Richtsatzsammlung keine mathematisch-seriöse, statistisch korrekte ermittelte Sammlung von Durchschnittswerten ist, beantragen Sie in einem Finanzrechtsstreit die Einholung eines Sachverständigengutachtens durch einen Mathematiker bzw. Stochastiker.
Typischerweise macht die BP in solchen Fällen keine Verprobung, ob die Mehrergebnisse anhand der Richtsatzsammlung durch andere Schätzungsmethoden betätigt werden.
Das muss sie auch angeblich nicht nach der Rechtsprechung. Entsprechend wird in solchen Fällen nie über alternative Schätzungsmethoden nachgedacht oder diese alternativ durchgerechnet.
Es wird z.B. nie über eine Vermögenszuwachsrechnung als Kontroll- oder Verprobungsrechnung nach Anwendung des Richtsatzvergleichs nachgedacht.
Die von ihr anhand der Richtsatzsammlung ermittelten Mehrergebnisse müssten doch wirtschaftlich irgendwo sein. Die BP weiß natürlich ganz genau, dass diese Mehrergebnisse nirgendwo sind. Denn diese Mehrergebnisse entstehen naturgemäß immer, wenn ein Normalbetrieb mit einem Primusbetrieb verglichen werden, sich irgendwo finden lassen. In einem oder mehreren großen teuren Autos, Häusern, Umbauten, großen Geldbeständen oder hohen Depotwerten, Ferienhäusern, Schmuck, teuren Uhren oder teuren Hobbies oder sich in einem sonst nicht finanzierbar teuren Lebenswandel abzeichnen.
Die BP weiß natürlich ganz genau, dass die so behaupteten Mehrergebnisse nur fiktiv sind und nicht echt sind.
Sie müssen vielmehr immer dann entstehen, wenn einfach die höheren Rohgewinnsaufschlagsätze aus leistungsfähigeren Betrieben – eben den Primusbetrieben – den Normalbetrieb demgegenüber gehalten werden und die Normalbetriebe so rechnerisch hochgeschleust werden mit fiktiven Gewinnen, die sie nie hatten.
Diese Mehrergebnisse tatsächlich zu suchen, wäre natürlich albern, weil sie natürlich gar nicht vorhanden sind und folglich nie gefunden werden können. Eine solche Suche müsste immer zu dem frustrierenden Ergebnis bei der Geldverkehrsrechnung oder der Vermögenszuwachsrechnung führen. Diese geschätzten Mehrergebnisse sind tatsächlich gar nicht vorhanden. Dieses Ergebnis würde damit bestätigen, dass die Mehrergebnisse aus der Richtsatzsammlung nur Luftnummern sind, die sich einfach aus dem Vergleich mit den Primusbetrieben immer wieder errechnen werden, aber tatsächlich eben nicht vorhanden sind.
Das Prinzip ist auch denkbar einfach:
Ein Richtsatzbetrieb, eben ein Primusbetrieb, der Lagevorteile hat und z.B. in einer Bestlage höhere Preise verlangen kann als ein Betrieb in der Randlage oder mit anderen Nachteilen, muss einfach höhere Rohgewinnsaufschlagsätze strukturell haben, als der schwächere Betrieb. Dieser beteiligt sich am Preiskampf, also niedrigere Angebotspreise oder größere Essensmengen und sich seinen Anteil an der Kundschaft zu erobern.
Da aber auch für den Lagebenachteiligten oder preisniedriger anbietenden Wettbewerber die Einkaufspreise nicht billiger sind. Dieser kauft die gleichen Produkte wie der Mitbewerber in der besseren Lage keinesfalls billiger. Deshalb muss dieser Normalbetrieb niedrigere Rohgewinnaufschlagsätze haben, da er sich über den Preiskamp Marktanteile erkämpft.
Genauer noch ist es sogar bei den Einkaufspreisen für den Normalbetrieb noch schwieriger, zu denselben Konditionen einzukaufen, wie der Primusbetrieb.
Derjenige, der die schlechtere Lager hat, hat vermutlich einen geringeren Umsatz und bekommt weniger Preisnachlässe bzw. Boni auf seine geringeren Einkäufe als der Mitbewerber in der Bestlage, der einen höheren Umsatz fährt.
Der Primusberieb wird umworben mit Angeboten von Lieferanten, weil diese in dem Primusbetrieb vertreten sein wollen.
Stellen Sie sich nur eine In-Gaststätte vor, in der die Profi-Fußballer des lokalen Bundesligavereins Stammgäste sind.
Wer wollte da nicht Anbieter in dieser Gaststätte sein? Da geht der Kampf beim Bier über andere Produkte los und jeder möchte dort mit anbieten. Hier beginnt ein Unterbieten um in dieser In-Gaststätte gelistet zu sein. Diese Angebote wird der Normalbetrieb niemals erhalten. Damit sind die Einkaufspreise möglicherweise beim Großhändler für den Mitbewerber in der Bestlage oder in der In-Location deutlich geringer als für den nur durchschnittlichen Anbieter oder gar nur den Geringabnehmer.
Letzterer muss vielleicht sogar noch Mindermengenzuschläge zahlen. Oder er muss für seine kleineren Portionen trotzdem Anfahrtpauschalen oder Lieferservice bezahlen. Vielleicht holt er die Ware selber ab, und vergeudet viel Zeit und Geld für das Abholen. Derjenige, der in größeren Mengen einkauft, hat der Vorteil, da er die Produkte billiger kauft.
Kurzum: die Primus -Betriebe kaufen vermutlich noch günstiger ein als die Normalbetriebe. Sie haben aufgrund von Lagevorteilen oder anderen hervorragenden Qualitätsmerkmalen eine Alleinstellungsfunktion. Damit können höhere Preise durchsetzen als die normalen Vergleichsbetriebe. Und das bei niederigen Einkaufspreisen.
Wen wundert es da, dass diese Primusbetriebe bessere Rohgewinnaufschlagsätze haben als die Normalbetriebe?
Das hat aber nichts damit zu tun, dass die Normalbetriebe genauso leistungsfähig wären und der niedrigere Rohgewinnaufschlagsatz nur durch eine reduzierte illegale Einnahmereduktion sich ergäbe. Das wird bei der Hochschleusung aber auf die Musterbetriebe letztlich unterstellt.
Damit muss natürlich ein Vergleich mit der Richtsatzsammlung und den dortigen Ansammlungen von Musterbetrieben immer zu einem katastrophalen Mehrergebnis für den Normal-Unternehmer führen. In Wahrheit hat er es gar nicht eingenommen.
Die BP erspart sich stets Kontrollrechnungen, ob ihr Mehrergebnis nach der Richtsatzsammlung passt. Sie erspart sich stets Vergleiche mit Vermögenszuwachsrechnungen, internen Betriebsvergleichen oder anderen externen Vergleichen. Denn diese müssen denknotwendig immer scheitern und die BP das auch weiß.
Aber ist dann die Richtsatzsammlung bzw. die dortigen Rohgewinnaufschlagsätze die geeignete Schätzungsmethode im Sinn des BFH-Urteils vom 25.03.15?
Bei der BP liegt jedenfalls in der Regel bei solchen Fällen (was Sie erst nach Lektüre des Fallheftes der BP herausbekommen) ein vollständiger Ermessensausfall vor. Sie macht sich hierzu in der Regel keine Gedanken und dokumentiert hierzu nichts im Fallheft.
Jegliche Ausführungen zu § 5 AO fehlen i.d.R. insoweit im Fallheft oder in den Einspruchsentscheidungen und sind nach Aktenlektüre auch nirgends erkennbar.
Fazit: Die Richtsatzsammlung ist als Schätzungsmethode nicht anzuerkennen. Da hilft es auch nicht, dass A „amtlich“ davorzusetzen.
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