Feststellungslast für Mehrergebnisse liegt beim Finanzamt, Auslandssachverhalt, § 90 Abs. 2 AO, verlängerte Festsetzungsverjährung, § 169 Abs. 2 Satz 2 AO
Nach der Rechtsprechung des BFH spricht eine allgemeine Lebenserfahrung dafür, dass hohe Geldbeträge, wenn sie nicht alsbald benötigt werden, zins- und ertragbringend angelegt werden (BFH-Beschl. v. 21.01.2005 – VIII B 163/03 – BFH/NV 2005, 835).
(Anmerkung: Dies wäre jedenfalls damals so. Ein Zinshoch hatten wir etwa 1988: damals gab es 9-10 % p.a. auf Kapitalanlagen. Bundesanleihen emittierten damals mit teilweise über 10 %-igen Zinstendern. Seitdem sind die Zinsen kontinuierlich gefallen. Etwa 23 Jahre später – so ab etwa 2011 gibt es auf Sparkonten, Girokonten und Festgelder bei den Banken keine Zinsen mehr.
Die Rechtsprechung des BFH aus 2005 muss man also vor diesem Zeitgeist sehen, dass es damals natürlich Habenzinsen auf Geldanlagen gibt und damit niemand sein Geld brach zu Hause im Tresor nutzlos liegen lässt. Das sind also damals (2005) wirtschaftlich naheliegende Vermutungen gewesen, die damals naheliegend waren – heute aber ganz offensichtlich nicht mehr passen. Heute ist es fast sinnvoller das Geld zu Hause im Tresor liegenzulassen, bevor man bei der Bank Strafzinsen zahlen muss.)
Dies allein begründet aber im Allgemeinen noch keine Schätzungsbefugnis des Finanzamtes für den Ansatz von Kapitaleinkünften. Hinzukommen müssen vielmehr weitere Umstände, die es nahelegen davon auszugehen, dass derartige Beträge tatsächlich zinsbringend angelegt worden sind (FG Stuttgart, Urteil vom 26.11.2010 – 10 K 43/10 – EFG 2011, 804; FG Berlin-Brandenburg, Urteil v 20.04.16, 14 K 14207/15).
Die Finanzbehörden tragen für die Verwirklichung der gesetzlichen Tatbestände der Einnahmeerzielung die objektive Beweislast. Dies gilt natürlich erst recht bei der Annahme einer verlängerten Festsetzungsverjährungsfrist. Soweit also die Finanzbehörde etwa 10 Jahre wegen angeblicher Steuerhinterziehung plus die Anlaufhemmung von bis zu 3 Jahren zurück nachträglich angebliche Zinserträge festsetzen will, muss das Finanzamt nicht nur die Hinterziehung (hinsichtlich objektiver und subjektiver Tatbestand) nach Paragraf 169 Abs. 2 Satz 2 AO für die verlängerte 10-jährige Festsetzungsverjährungsfrist nachweisen, sondern auch den Zeitpunkt der Abgabe der damaligen Steuererklärungen um die Anlaufhemmung von 1 bis 3 Jahren nachweisen können.
Denn gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO beträgt die Festsetzungsfrist grundsätzlich vier Jahre. Länger sind Steuerbescheide zurück grundsätzlich wegen neuer Tatsachen oder neuer Beweismittel nicht änderbar. Es sei denn, es liegt eine leichtfertige oder vorsätzliche Hinterziehung vor, dann beträgt die Festsetzungsverjährungsfrist im ersten Fall 5, im 2. Fall 10 Jahre. Gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO beträgt sie zehn Jahre, soweit eine Steuer hinterzogen ist und fünf Jahre, soweit sie leichtfertig verkürzt worden ist.
Gemäß § 170 Abs. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres, in dem die Steuer entstanden ist. Abweichend hiervon beginnt gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO die Festsetzungsfrist, wenn eine Steuererklärung abzugeben ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist.
Darüber hinaus muss das Finanzamt natürlich auch die Höhe des Kapitalstocks und die Höhe der erwirtschafteten und angeblich nicht erklärten Zinsen nachweisen. Dabei sind natürlich auch eventuelle Werbungskosten zugunsten des Steuerpflichtigen mitzuberücksichtigen.
Kann das Finanzamt schon nicht den Kapitalstamm und den Zinsertrag nicht beweisen oder die Zurechnung des Kapitals zu dem Steuerpflichtigen, ist natürlich auch die Steuerhinterziehung und die daran anknüpfende verlängerte Festsetzungsverjährungsfrist nicht nachweisbar.
Es kommt dann auf die Grundsätze von in dubio pro reo, die auch im Steuerrecht Anwendung finden, gar nicht mehr an, da das Finanzamt schon seiner ihm obliegenden Feststellungslast nicht nachkommt.
Daran ändert auch die in § 90 Abs. 2 AO den Steuerpflichtgen allgemein auferlegte, erhöhte Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten nichts, wenn bereits auf der Stufe zuvor ein zur Überzeugungsbildung des Gerichts für den Auslandssachverhalt ausreichender Nachweis für eine bestehende Geschäftsbeziehung des Steuerpflichtigen zu einer ausländischen Bank und einer dortigen Kapitalanlage seitens des beklagten Finanzamtes nicht gelungen ist.
Das Finanzamt kann also nicht die bei ihm liegende Feststellungslast dadurch umdrehen, dass es einen Auslandssachverhalt behauptet und diesen zwar nicht beweist, aber den Steuerpflichtigen eines solchen Auslandssachverhalts bezichtigt und ihm dann auferlegt, er müsse sich nun Ex kopieren.
Wenn dies würde zu einer Umkehr der Beweislast führen und letztendlich würde damit die Behauptung, jemand hätte ein Auslandssachverhalt verwirklicht, diesen in die Beweisnot bringen, dass ein solcher Auslandssachverhalt gerade nicht existiert. Paragraf 90 Abs. 2 AO ist damit keine Blankettnorm, die zur Umkehr der Beweislast und zur Entlastungspflicht des Steuerpflichtigen führen würde, nur weil man ihm einen Auslandssachverhalt anhängt.
Das FG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 20.04.16 -14 K 14207/15-) formuliert das zutreffend so:
„Würde man die Feststellungslast bei steuerbegründenden Tatsachen mit Auslandsbezug umkehren, so hätte dies zur Folge, dass der Steuerpflichtige zum Beispiel das Nichtvor- handensein einer bei einer ausländischen Bank unterhaltenen Kapitalanlage nachweisen müsste. Das Nichtvorhandensein steuererheblicher Tatsachen nachzuweisen (so genann- ter Negativnachweis) ist aber nicht möglich, weshalb für einen Negativbeweis auch keine Mitwirkungspflicht gemäß § 90 AO besteht (Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 14.12.2011 2 K 1427/11, NZWiSt 2012, 398; Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 25.02.2003 11 K 5466/00 -juris; -Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur AO/FGO, § 90 AO Rn. 116). Es besteht daher keine Verpflichtung eines Steuerpflichtigen nachzuweisen, dass er im Ausland kein Konto unterhält (Rätke in Klein, AO, 12. Auflage 2014 § 90 Rn. 22).“
Erfreulich sind solche Entscheidungen, wie die des FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.04.16 – 14 K 14207/15 – hier. Die Abwehrspezialisten können so manches traurige Lied davon singen, wie schwer es ist, in den Instanzen die eigentlich so völlig klaren Grundsätze, wie sie hier das FG Berlin-Brandenburg so erfrischend richtig und klar dargelegt hat, zu erkämpfen. Manchmal möchte man dann solche Richter richtig vor Dankbarkeit drücken, die die Sache so zutreffend und klar wie hier formulieren.
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