Keine Steuererklärung abgegeben … Schätzungsbescheid vom Finanzamt erhalten – was tun?
Immer wieder beobachte ich das Problem, das Steuerpflichtige nicht wissen, was sie gegen Schätzungsbescheide bei unterlassener Abgaben von Steuererklärungen machen sollen. Das Finanzamt hat eins, zweimal gemahnt und dann einen Schätzungsbescheid erlassen. Was jetzt?
Das Finanzamt darf schätzen, wenn Sie keine Steuererklärung einreichen. Eine Schätzung soll in sich schlüssig sein; ihre Ergebnisse sollen wirtschaftlich vernünftig und möglich sein. Ziel der Schätzung ist es deshalb, diejenigen Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, die die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben.
Dabei ist das Finanzamt grundsätzlich gehalten, diejenigen Erkenntnisse, deren Beschaffung und Verwertung ihm zumutbar und möglich sind, auszuschöpfen. Das Finanzministerium NRW schreibt zu den Fällen des Unterlassens der Steuererklärung:
„Eine Schätzung ist aber nicht schon deswegen rechtswidrig, weil sie von den – später bekannt gewordenen – tatsächlichen Verhältnissen abweicht; solche Abweichungen sind notwendig mit einer Schätzung verbunden, die in Unkenntnis der wahren Gegebenheiten erfolgt. Die Unsicherheit, die einer Schätzung anhaftet, kann daher nicht zu Lasten der Finanzverwaltung gehen, weil der Steuerpflichtige durch seine Säumigkeit den Anlass für die Schätzung gegeben hat.“
Es ist dabei sogar ermessensgerecht, wenn sich das Finanzamt bei den Einnahmen an der oberen, und bei Betriebsausgaben (Werbungskosten) an der unteren Grenze des vermutlich richtigen Ergebnisses orientiert, weil der Steuerpflichtige durch die Nichtabgabe seiner Erklärung möglicherweise Einkünfte verheimlichen will, und nicht besser gestellt werden soll als der sich erklärende Steuerpflichtige (vgl. BFH, Urt. v. 18.12.1984 – VIII R 195/82, BStBl II 1986, 226; v. 20.12.2000 – I R 50/00, BStBl II 2001, 381). Instruktiv: das FinMin NRW hat sich zur Schätzung von Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO wegen Nichtabgabe der Steuererklärung geäußert (Erlass v. 25.07.2013 – S 0335).
Eine Schätzungsbefugnis besteht auch bei einem unverschuldeten Verlust von Buchführungsunterlagen bzw. Aufzeichnungen.
Aber nichtig sind solche Schätzungen eigentlich nie – auch wenn die Schätzungen aus Ihrer Sicht vielleicht überzogen oder abwegig sind: Nichtigkeit ist selbst bei gröbsten Schätzungsfehlern gibt es eigentlich nicht, selbst wenn die überhöhten Festsetzungen auf einer Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten oder der wirtschaftlichen Zusammenhänge beruhen und die Ergebnisse eigentlich nicht möglich sind … verlassen Sie sich nie auf eine Nichtigkeit solcher Schätzungen.
Das FinMin NRW schreibt dazu:
„Nichtigkeit ist selbst bei groben Schätzungsfehlern, die auf einer Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten oder der wirtschaftlichen Zusammenhänge beruhen, regelmäßig nicht anzunehmen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Finanzamt sich nicht an den wahrscheinlichen Besteuerungsgrundlagen orientiert, sondern bewusst zum Nachteil des Steuerpflichtigen geschätzt hat. So kann es sich verhalten, wenn das Schätzungsergebnis trotz vorhandener Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären und Schätzungsgrundlagen zu ermitteln, erheblich von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht und in keiner Weise erkennbar ist, dass überhaupt und ggf. welche Schätzungserwägungen angestellt wurden. Die Schätzung darf nicht dazu verwendet werden, die Steuererklärungspflichtverletzung zu sanktionieren und den Steuerpflichtigen zur Abgabe der Erklärungen anzuhalten. „Strafschätzungen eher enteignungsgleichen Charakters” gilt es zu vermeiden (a. a. O.).“
Legen Sie also immer fristgemäß Einspruch ein! Selbst wenn die Schätzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen, § 164 AO, und daher „immer“ änderbar sind. Legen Sie trotzdem Einspruch ein, denn nur dann können Sie auch eine Aussetzung der Vollziehung beantragen! Bedenken Sie: Schätzfehler führen (eigentlich immer) nur zur Rechtswidrigkeit des Schätzbescheids, der deshalb mit einem Einspruch angefochten werden muss (z.B. BFH Urteil vom 18.4.2006, VII R 77/04, BStBl II 2006, 578). Machen Sie das nicht, wird der Bescheid bestandskräftig und wenn er nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht, § 164 AO oder unter die punktuelle Vorläufigkeit gestellt ist, ist er dann auch nicht mehr änderbar!
Also, die richtigen Antworten bzw. Handlungsanweisungen zu obigem Fall: Sie müssen:
1. fristgemäß Einspruch einlegen
-und-
2. Die entsprechenden ausstehenden Steuererklärungen zutreffend schnellstmöglich einreichen.
-und-
3. es muss hier sogleich Fristverlängerung beantragt werden zur Einreichung der ausstehenden Steuererklärung deren Anfertigung und Einreichung Sie mit der Fristverlängerung ankündigen. Sollten noch maßgebende Belege oder Unterlagen fehlen oder ein Sachverhalt noch zu klären sein, sollte darauf hingewiesen werden. Notfalls sind diese Teilbereiche zu schätzen, wenn hier Ersatzbelege oder Originalbelege noch fehlen sollten oder Teilbereiche noch geklärt werden müssen und dann sollte eine eigene Steuererklärung mit einigen geschätzten Teilbereichen (die klar als eigene Schätzungen zu kennzeichnen sind) beim Finanzamt eingereicht werden. Nur einen Einspruch gegen den Schätzungsbescheid einzulegen, ist zu wenig. Der Einspruch muss begründet werden.
Da hilft bei der Begründung aber nicht die Aussage, das Finanzamt sei nicht zu einer Schätzung befugt. Denn nach dem Fristablauf und dem Mahnlauf kann das Finanzamt Zwangsgelder androhen und dann später festsetzen oder es kann die Besteuerungsgrundlagen schätzen. Da hilft nur der Vortrag, die Schätzung ist falsch und dies begründet sich nur durch eine Abgabe der richtigen Steuererklärung ggf. mit den dazugehörigen Belegen. Oder einfacher. Die korrekte Steuererklärung wird erstellt und eingereicht und der Einspruch unter Hinweis auf die parallel eingereichte Steuererklärung mit dieser Begründet. Etwa so: der Schätzungsbescheid ist falsch. Die richtigen Besteuerungsgrundlagen ergeben sich aus der parallel elektronisch übertragenen Steuererklärung. Diese füge ich hier rein vorsorglich in Kopie zur Einspruchsbegründung nochmals anbei und mache sie zum Gegenstand des hiesigen Vortrags. Ich bitte um Änderung des Schätzungsbescheides auf die sich aus der Erklärung ergebenden Steuern. Mit freundlichen Grüßen …“
-und-
4. ggf. beantragen Sie noch die Aussetzung der Vollziehung in dem Umfang, den der Schätzungsbescheid die richtigen, nun erklärten Einkünfte übersteigt, § 361 AO.
Und: der Steuerpflichtige bleibt auch nach einer Schätzung des Finanzamtes sowieso zur Abgabe der Steuererklärung verpflichtet. Gem. § 149 Abs. 1 Satz 4 AO bleibt die Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung auch nach Schätzung der Besteuerungsgrundlagen weiterhin bestehen. Dies bedeutet, dass ein nachfolgendes Zwangsmittelverfahren oder das Weiterbetreiben eines bereits begonnenen Zwangsmittelverfahrens grundsätzlich möglich ist:
Es kann also nach dem Schätzungsbescheid die Androhung und dann später die Festsetzung eines Zwangsgeldes erfolgen und wenn dann immer noch kein Bescheid abgegeben wurde, kann mit der Festsetzung des Zwangsgeldes gleich das nächste, noch höhere Zwangsgeld angedroht und dann nach Fristablauf festgesetzt werden usw. Irgendwann wird allerdings nicht mehr die 4. Androhung eines Zwangsgeldes erfolgen und dessen Festsetzung, sondern dann kommt der Hausbesuch: dann kommt die Steuerfahndung oder es wird das Strafverfahren Ihnen per Postzustellungsurkunde bekannt gegeben.
Das pflichtwidrige Unterlassen der Abgabe der Steuererklärung ist eine Steuerhinterziehung. Mit der Schätzung durch das Finanzamt entfallen natürlich nicht die eigenen Erklärungspflichten. Also ist die dann einzureichende Steuererklärung ggf. Selbstanzeige und Begründung des Einspruchs. Möglicherweise setzt die Wirksamkeit der Selbstanzeige dann auch die Zahlung von Zuschlägen nach § 398 a AO voraus. Aber: nur die Einreichung der Erklärung allein reicht auch nicht aus: Der fristgemäße Einspruch gegen den Schätzungsbescheid gehört auch dazu, sonst könnte die später eingereichte Steuererklärung nur als Abänderungsantrag verstanden werden.
Der BFH hat das wie folgt noch einmal klargestellt:
„Das FA hat keinen Verfahrensfehler dadurch begangen, dass es die Einsprüche gegen die Schätzungsbescheide für die Streitjahre als unbegründet zurückgewiesen hat, nachdem die Klägerin keine Steuererklärungen eingereicht hatte. Zur Abgabe der Steuererklärungen blieb die Klägerin verpflichtet; denn der Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen zu den vorgeschriebenen Terminen steht es nicht entgegen, dass angeblich vorgreifliche steuerliche Verhältnisse betreffend frühere Besteuerungszeiträume noch nicht abschließend geklärt sind (vgl. BFH-Beschluss vom 30. April 2001 VII B 325/00, BFH/NV 2001, 1227, Rz 9).“
Quelle: BFH, Beschluss vom 20.2.2018, XI B 129/17
Es ist also keine gute Idee, die Einkommensteuer 2018 noch nicht abzugeben, weil die Folgen aus der Betriebsprüfung aus den Veranlagungszeiträumen 2015-2017 noch nicht abschließend geklärt sind.
Anders formuliert: Der Streit mit der Betriebsprüfung über 2015-17 rechtfertigt nicht die Nichtabgabe 2018 ff.
Die verspätete Abgabe führt zudem immer auch zu einem Verspätungszuschlag nach § 152 AO, der aber korrigiert werden kann, wenn die verspätete Abgabe hinreichend entschuldigt wird.
Fragen dazu? Hilfe nötig?
Dann rufen Sie an:
Rechtsanwalt Dr. jur. Jörg Burkhard,
Fachanwalt für Steuerrecht und Strafrecht, Wiesbaden
Tel. 0611-890910
Der Spezialist für Betriebsprüfung, Fahndungsprüfung, Steuerfahndung, Zollfahndung, Kassen, Verprobungen, digitale Betriebsprüfung, Steuerstrafverfahren.