Eine Sicherheitsleistung kann bei langer Verfahrensdauer und hohen Steuerforderungen auch ohne konkrete Gefährdung des Steueranspruchs gerechtfertigt sein (Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 08. Juli 2015 – 6 V 2435/14).
Bei der Frage der Aussetzung mit oder ohne Sicherheitsleistung sind nach Auffassung des FG Rh-Pf. auch die Höhe der Forderungen und die zu erwartende Dauer in ihrer Gesamtschau und mögliche, potentielle Vermögensverschlechterungen auch bei heute guter Vermögenslage zugunsten des Staates und damit zugunsten einer Anordnung einer Sicherheitsleistung zu würdigen. Bei zu erwartenden zwei Instanzen und einer evtl. EuGH-Vorlage ist von einer mehrjährigen Verfahrensdauer auszugehen. In dieser Zeit kann viel passieren, so dass die derzeitige Vermögenslage wenig aussagekräftig ist. Es können z.B. Umstrukturierungen bei der Ast. vorgenommen werden. Hierbei ist auch nicht außer Acht zu lassen, dass die Gesellschafter sich im außereuropäischen Ausland befinden und Vermögensverschiebungen dorthin vornehmen könnten. Ungeachtet dessen kann auch völlig ohne Verschulden der Ast. der Markt sich verändern und dadurch die Vermögenslage sich verschlechtern. Gerade bei dem Betätigungsfeld der Ast. besteht hierfür eine gewisse Wahrscheinlichkeit (nach einer Meldung der Rheinpfalz vom 08.10.2014 hatte eine Frischzellenbehandlung zu einer Infektion mit Q-Fieber geführt).
Unter diesen Gegebenheiten erscheint ein Sicherungsbedürfnis der Finanzverwaltung auch bei gegenwärtig guter Vermögenslage gegeben, so das FG Rh-Pf in seiner Entscheidung vom 08.07.15. Einer weiter gehenden Konkretisierung der Gefährdung des Steueranspruchs bedarf es nach Auffassung des Senats unter derartigen Umständen nicht.
Nach § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder dessen Vollziehung eine für den Betroffenen unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte darstellen würde.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten bei der Beurteilung von Tatfragen bewirken (Gräber, FGO-Kommentar, § 69 FGO, Rz. 77 m.w.N.). Dabei genügt, dass ein Erfolg der Klage in der Hauptsache ebenso wenig auszuschließen ist wie deren Misserfolg (Tipke/Kruse § 69 FGO, Tz. 10). Eine Pattsituation zwischen den Argumenten, die für die Rechtmäßigkeit des Bescheides und den gegen die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen genügt für die Aussetzung. Die AdV setzt nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (Beschluss des BFH vom 25.11.2005 – V B 75/05). Soweit die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes auf ungeklärten Rechtsfragen beruhen, ist über diese nicht im summarischen Verfahren abschließend zu entscheiden; vielmehr ist in diesem Fall die Aussetzung der Vollziehung zu gewähren (Beschluss des BFH vom 25.11.2005 – V B 75/05).
Ernstliche Zweifel in tatsächlicher Hinsicht sind zu bejahen, wenn in Bezug auf die im Einzelfall entscheidungserheblichen Tatsachen Unklarheiten bestehen, die anhand der vorliegenden Akten sowie präsenter Beweismittel nicht beseitigt werden können. Weiter gehende Sachverhaltsermittlungen braucht das Gericht nicht vorzunehmen (Gräber § 69 FGO, Rz. 82 und 105). Anmerkung: Insbesondere folgt das FG nicht Beweisanträgen und entscheidet ohne mündliche Verhandlung und ohne Beweisaufnahme. Es werden nur die präsenten Beweismittel gewürdigt. Soweit es auf Zeugen ankommt, können diese im Aussetzungsverfahren nicht vernommen werden, es können aber im Vorfeld von diesen schriftliche Stellungnahmen eingeholt und zur Akte gereicht werden, so dass diese Urkunden zu würdigen sind. Ebenso können eidesstattliche Versicherungen von den Zeugen oder den Beteiligten (Kläger) zur Akte eingereicht werden, die dann als Zeugenaussage bzw. Urkunden gewürdigt werden müssen.
Das FG Rh-Pf. weiter: Eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte liegt vor, wenn dem Steuerpflichtigen durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes wirtschaftliche Nachteile drohen, die nicht oder nur schwer wieder gut zu machen sind oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz führen würde (Koch in Klein § 69 FGO, Rz. 105 m.w.N.). Da nur ein vorläufiger Rechtsschutz gewährt werden soll, muss demgemäß die unbillige Härte gerade darin liegen, dass der Verwaltungsakt vor Unanfechtbarkeit vollzogen werden soll (Dumke in Schwarz § 69 FGO, Rz. 86 m.w.N.). Darüber hinaus soll die grundsätzliche Vollziehbarkeit von Verwaltungsakten verhindern, dass Einspruch und Klage nur zu dem Zweck eingelegt werden, die Leistungspflicht hinauszuzögern. Demgemäß ist die Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte nur vertretbar, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen. Dies gilt selbst dann, wenn nach den persönlichen Verhältnissen des Antragstellers die Vollziehung tatsächlich eine unbillige Härte zur Folge hätte (Dumke a.a.O. m.w.N.). Entgegen dem Wortlaut ist vom Zweck der Vorschrift her die Aussetzung der Vollziehung bei unbilliger Härte daher keine echte Alternative zur Aussetzung der Vollziehung wegen ernstlicher Zweifel (Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 08. Juli 2015 – 6 V 2435/14).
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 FGO kann auch die finanzgerichtliche Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Durch die Verknüpfung mit einer Sicherheitsleistung sollen Steuerausfälle bei einem für den Steuerpflichtigen ungünstigen Verfahrensausgang vermieden werden. Eine diesbezügliche Gefahr kann insbesondere aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen bestehen. Andererseits entfällt das öffentliche Interesse an der Vermeidung von Steuerausfällen, wenn mit Gewissheit oder großer Wahrscheinlichkeit ein für den Steuerpflichtigen günstiger Prozessausgang zu erwarten ist. Es ist also auf den Grad der Gefährdung des Steueranspruchs durch die Aussetzung abzustellen, der einerseits von den Erfolgsaussichten des Klageverfahrens und andererseits von den Vermögensverhältnissen des Antragstellers abhängig ist. Der Antragsteller, der Aussetzung ohne Sicherheitsleistung begehrt, muss die Umstände glaubhaft machen, die dem Sicherungsbedürfnis des Finanzamts genügen oder dieses als unangemessen erscheinen lassen (Tipke/Kruse § 69 FGO, Tz. 109 m. w. N.). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt es im Rahmen sachgerechter Ausübung des richterlichen Ermessens, die dem Antragsteller zugebilligte Aussetzung der Vollziehung mit der Anordnung einer Sicherheitsleistung in Höhe des Umfangs der Aussetzung zu verknüpfen (BFH Beschluss vom 25.11.2005 – V B 75/05).
Mit Beschluss vom 22.09.2009 – 1 BvR 1305/09 hat das BVerfG entschieden, dass der Rechtsvorteil der Aussetzung der Vollziehung bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids – auch bei fortlaufend veranlagten und festgesetzten Steuern wie Lohn- und Umsatzsteuer – nicht grundsätzlich versagt werden darf, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen eine Sicherheitsleistung nicht zulassen.
Anmerkung: Ob die These des FG Rheinland-Pfalz zutreffend ist, dass eine theoretisch immer mögliche Verschlechterung der Vermögensposition auch bei derzeit guter Vermögenslage eine Einforderung einer Sicherheit ermöglicht, erscheint mehr als zweifelhaft. Denn mit diesem Argument ließe sich bei jedem Fall eine Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung ablehnen und ein Bedürfnis des Staates nach Stellung einer Sicherheit behaupten. Denn auch wenn das Zeitmoment jedenfalls im Gesetz keine Rolle spielt, ist auch das Zeitmoment für die Vermögensveränderung nicht entscheidend: es kann schließlich jeder Kläger entweder durch Umstrukturierungen oder durch Schicksalsschläge oder unvorhersehbare Ereignisse in Vermögensverfall geraten, so dass eigentlich immer eine Vermögensverschlechterung möglich ist und damit die Aussetzung ohne Sicherheitsleistung bei einem heute (noch) wirtschaftlich potenten Steuerpflichtigen immer abgelehnt werden müsste, weil sich seine Vermögensverhältnisse morgen verschlechtern könnten. Nur der arme Steuerpflichtige, der sowieso nichts hat und auch keinen Kredit bekommt, der bekäme die Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung, weil auch bei einer Verschlechterung seiner Vermögenslage sich die Situation für den Staat nicht verschlechtern könnte, der staatliche Anspruch also nicht gefährdet werden könnte …Damit müsste der reiche Steuerpflichtige stets zahlen – sei es unmittelbar oder wenigstens eine Sicherheitsleistung – in derselben Höhe, wie die Aussetzung. Damit hat er zwar den Trost, dass er keine Aussetzungszinsen zahlen muss im Unterliegensfall, das das Geld dem Staat zur Verfügung stand, aber ihm fehlt die Liquidität … z.B. für geplante Investitionen.
Aber wenn das FG schon auf ein Zeitmoment abstellt und eine mögliche Vermögensveränderung, warum stellt es nicht in seine Überlegungen ein, dass sich das Vermögen auch positiv entwickeln könnte: da es sich offenbar um eine reiche Steuerpflichtige handelt, könnte das Vermögen sich auch weiter vermehren, so dass nicht erkennbar ist, wodurch sich ein Sicherungsbedürfnis des Staates ergäbe. Warum also auf nun nur hypothetisch stets möglicher Vermögensverschlechterung hin das staatliche Sicherungsbedürfnis gesehen wurde, lässt sich aus dem Gesetzestext nicht verstehen. § 69 FGO lautet wie folgt:
„(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.
(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
1. die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2. eine Vollstreckung droht.
(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.“
Schließlich ist sehr problematisch, dass das FG Rh-Pf gerade an der Stelle, an der man eine Argumentation erwarten dürfte oder müsste, es meint, dass es „einer weiter gehenden Konkretisierung der Gefährdung des Steueranspruchs es nach Auffassung des Senats unter derartigen Umständen nicht bedarf.“ Dies ist ein Begründungsausfall an einer zentralen Frage des Beschlusses. Denn ob tatsächlich eine Verschlechterung der Vermögensverhältnisse der Antragstellerin zu besorgen war und ob diese Verschlechterung so tiefgreifend war, dass der Steueranspruch im Unterliegensfall gefährdet war, ist, soweit der Beschluss veröffentlicht wurde, nicht ersichtlich. Und schließlich soll nicht jede auch noch so kleine Vermögensverschlechterung bei einem umfangreichen Vermögensbestand zu einer Gefährdung des Steueranspruchs führen. Die Formulierung, dass gerade bei dem Betätigungsfeld der Antragstellerin für die Vermögensverschlechterung eine gewisse Wahrscheinlichkeit bestehe (nach einer Meldung der Rheinpfalz vom 08.10.2014 hatte eine Frischzellenbehandlung zu einer Infektion mit Q-Fieber geführt), ist nicht so ohne weiteres eingängig, da es sich offenbar um eine reiche Steuerpflichtige handelt, deren Geschäftsmodell ihr die gute wirtschaftlichen Verhältnisse immerhin erst einmal bescherte. Zwar gibt es keine Garantie, dass ein bis heute gutes Geschäftsmodell auch künftig erfolgreich sein wird, aber damit lässt sich –außer bei armen Steuerpflichtigen- stets besorgen, dass stets künftig so große Umschichtungen bzw. Veränderungen der Verhältnisse eintreten, so das der Steueranspruch gefährdet sein könnte, so dass nur gegen 100% Sicherheitsleistung (also bei gelichzeitiger Hinterlegung des ausgesetzten Betrages) auszusetzen wäre… Damit gibt des FG in seinem Beschluss vom 08. Juli 2015 – 6 V 2435/14 Steine statt Brot und wendet zu hohe Anforderungen an die Aussetzung ohne Sicherheitsleistung an.
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