Kann man mit einer Ausbeutekalkulation wirklich die Buchführung verwerfen?
von Dr. jur. Jörg Burkhard, Wiesbaden, Fachanwalt für Steuerrecht und Strafrecht = der Spezialist für Steuerstrafrecht
Kommt die Finanzverwaltung aufgrund einer Ausbeutekalkulation zu einer starken Abweichungen vom erklärten Ergebnis (ca. 10 bis 15 % mehr Umsatz oder gar mehr), vermutet sie, dass Einnahmen verkürzt wurden. Aber: Ist dieser Schluss logisch, gar zwingend oder nur der einzig mögliche? Folgt aus der Feststellung, dass aufgrund der Ausbeutekalkulation theoretisch mehr Umsatz hätte erzielt werden können, zwingend die Annahme oder gar der Beweis, dass tatsächlich auch mehr Umsatz generiert wurde und der Inhaber einen Teil der Umsätze nicht erklärt hat oder nach dem Bonieren wieder gelöscht hat und damit hinterzogen hat?
Aus der Nachkalkulation (wenn sie fachlich richtig gemacht ist), folgt nur die Erkenntnis, dass ein höherer Umsatz theoretisch erzielbar gewesen wäre. Das heißt aber noch lange nicht, dass es einen höheren Umsatz tatsächlich gab – mit einem solchen Ergebnis aus der Nachkalkulation ist nur die Möglichkeit eines theoretisch höheren Umsatzes nachgewiesen.
Häufig werden diese Gedankengänge in der BP verkürzt dargestellt und aus einer höheren errechneten Ausbeute gleich auf Verkürzung geschlossen. Ein solcher Schluss wäre nur zutreffend, wenn dies die einzige mögliche Erklärung wäre. Das ist aber so nicht. Die erklärten Einnahmen können trotzdem vollständig erfasst sein, auch wenn das theoretisch höhere rechnerische Ausbeuteergebnis nicht erklärt wurde, sondern der erklärte Umsatz deutlich darunter zurückbleibt, also etwa 10 oder 15 % oder noch deutlicher darunter liegt. Neben den obigen Faktoren kann die eingekaufte Ware von unterschiedlicher Qualität sein oder durch falsche oder zu lange Lagerhaltung unbrauchbar geworden sein. Fleisch von minderer Qualität führt zu mehr Abschnitten. Salate, Obst und Gemüse können zwar heute in den Kühlhäusern länger frisch gehalten werden, doch kann durch Fehlplanungen und Verschätzungen des Bedarfs auch hier große Abfallmengen entstehen. Nur weil theoretisch aufgrund des Wareneinsatzes ein höherer Umsatz erzielbar gewesen wäre, kann damit nicht einfach ein höherer Umsatz als deklariert geschätzt werden. Es dreht sich auch nicht die Beweislast dahingehend, dass nun der Gastronom beweisen müsste, dass er den theoretisch möglichen Mehrumsatz nicht hatte. Unverändert muss das FA den tatsächlichen Mehrumsatz auch beweisen. Der theoretisch mögliche Mehrumsatz kann nicht einfach besteuert werden. Denn dann würden möglicherweise Fehlplanungen in der Küche, hoher Schwund, Verschwenderischer Umgang mit Produktionsstoffen dem Gastronom als fiktiver Umsatz der Besteuerung zugrunde gelegt. Dafür gibt es keine rechtliche Grundlage.
Das Problem liegt nun mit darin, dass die Finanzverwaltung nicht wirklich eine Ursachenforschung betreibt, warum nun eine Differenz zwischen erklärten und theoretisch möglichen Umsatz entstand. Sie behauptet einfach, dass diese Differenz zwischen erklärtem und theoretisch möglichem Umsatz hinterzogen sei. Dabei macht sie nicht einmal Abschläge, die aber -weil die Ausbeutekalkulation natürlich nur eine Schätzung ist, denknotwendig hierin enthalten sind. Nein, sei schlägt in voller Höhe die Differenz als nicht versteuerten Umsatz dem Inhaber des Unternehmens zu, obwohl die Ursachenfür den Unterschied zwischen theoretisch möglichem und tatsächlichem Verkauf vielfältig sein können: Im Handelsbetrieb können Kundendiebstähle oder Mitarbeiterdiebstähle die tatsächliche Verkaufsmenge beeinflussen. Dieser Schwund steht also für den Umsatz nicht zur Verfügung. Bruch und Verderb tun ein Übriges.
In verarbeitenden Betrieben, etwa in der Gastronomie, Bäckereien, Metzgereien, Eisdielen werden die Produkte nicht rein, sondern nach Rezepten verarbeitet und die so hergestellten Endprodukte verkauft. Damit werden die meisten Produkte dort nicht isoliert verkauft (außer einigen Getränken in Gaststätten), sondern gemischt (Speisen, Kuchen, Bäckereiwaren, Wurst). Da können im Herstellungsprozess erheblicher Schwund liegen: Verschnitt, Ausmehlen, Bebuttern, Einfetten, Würzen, Salzen, Zuckern führen zu einem Verbrauch von Produkten, die zwar eingekauft wurden, die aber kaum Kosten im Herstellungsprozess bei der einzelnen Portion für den Kunden verursachen, in der Masse der Herstellungsprozesse aber erhebliche Kosten verursachen. In der Ausbeutelkalkulation dürfen diese „kleinen“ Positionen nicht untergehen.
Dann gibt es immer wieder Produktionsfehler. Der Klassiker ist, dass der Bäcker sich vergreift und Salz statt Zucker nimmt oder zu stark salzt. Aber auch Lager und Transportfehler führen zu verderb: die Brötchen werden über dem Kuchen gestapelt und beim Ausladen ist der Kuchen mit Brötchenkrümmeln und Sonnenblumenkernen und anderen herbgefallen Mohn- Sesam- und anderen KörnerZutaten übersät.
Auch werden durch Versuche und Experimente Waren verbraucht. Je nach Sparsamkeit der Küche bzw. der am Produktionsprozess beteiligten Mitarbeiter können erhebliche Mengen Schwund mehr erfolgen, als bei idealisierter Betrachtungsweise im Rechenmodell vorstellbar oder berücksichtigt. Häufig meint die BP, 3 % würden für Schwund genügen. Wie die BP auf solche Werte kommt, ist schlicht unerfindlich. Theoretiker, die keine Messwerte über den echten Produktionsprozess haben, behaupten 3 % seien realistisch oder genug … da müssten dann schon Vergleichsermittlungen im Echtbetrieb angestellt werden, um den echten Schwund beim Produktionsprozess zu ermitteln. Für zurückliegende Zeiträume ist dies schlecht zu ermitteln, zumal bei Nachstellung der Prüfer immer an Übertreibungen und Schutzbehauptungen und der Steuerpflichtige an unrealistisch geringe Schwundmengen denken wird.
Natürlich kommen auch bei Produktionsprozessen Schwund durch Mitarbeiter (von Rohstoffen oder vom Endprodukt) in Betracht, ebenso wie Schwund durch Kunden (Diebstahl, Zechpreller) und einfache Fehler des Personals (versehentlich nicht abgerechnete Waren durch Verzählen oder versehentliches Nichterfassen) sowie durch Unterschlagungen (Freihalten von Freunden und Familienangehörigen) in Betracht.
Der große Rest geht in den Verkauf. Dieser Wareneinsatz bringt dann den Umsatz und damit letztlich den Gewinn (Umsatz minus Kosten).
Es ist also schon ganz schön mühselig, eine richtige Nachkalkulation zu erstellen. Im Schreibtisch in der Amtsstube klappt das schon gar nicht. Die Betriebsabläufe müssen genau analysiert werden. Schlimmer noch: da es um die Kalkulation der Speisen und Getränke im PZ geht, müssen die damaligen Abläufe rekonstruiert werden. Gab es Mitarbeiterwechsel? Hat der Koch gewechselt? Gab es andere Geräte, andere Rezepte, andere Konzepte, wie ist damals mit den Waren umgegangen worden, wieviel Schwund gab es damals? Es ist also eine Reise in die Vergangenheit und in die Besonderheiten des damaligen Betriebes. Das ist schwer und zeitaufwendig, wenn man es richtig machen will.
Diesen Anforderungen wird die Nachkalkulation der Betriebsprüfung dann nicht gerecht, wenn die tatsächlichen Abläufe im Betrieb nicht bei der Nachkalkulation nachgestellt und nachvollzogen werden. So hatte z.B. ein Prüfer bei der Verprobung der Getränke in einer Bar nicht berücksichtigt, dass überwiegend Mixgetränke veräußert wurden. Der Verkauf von Cocktails und sonstigen Mixgetränken bildete nach der in den Akten enthaltenen Artikelstatistik im Jahr 2008 den maßgeblichen Anteil des Umsatzes der Berichtsfirma. Der Prüfer, der die Kalkulation durchführte, hat indessen diese Mix-Getränke nicht als solche kalkuliert, sondern statt dessen deren Einzelbestandteile als verkaufte Getränke behandelt. Damit hat er die Kalkulation nicht auf die tatsächlichen Geschäftsabläufe in der Bar, sondern auf von ihm erdachte Verkaufsvorgänge mit zum Teil auch erdachten Verkaufspreisen bezogen. Dies entspricht nicht den dargelegten Maßgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung, denn danach muss sich die Kalkulation auf die tatsächlich gehandelten Waren und deren Verkaufspreise beziehen. Der Prüfer hätte mithin die Cocktails und sonstigen Mixgetränke als solche nachkalkulieren müssen. Die Kalkulation der Getränkebestandteile als Einzelgetränke lässt unbeachtet, dass die maximal ansetzbare Verkaufszahl eines Mixgetränkes ihre Grenze in dem Getränkebestandteil findet, der in geringster Anzahl vorhanden ist. Da zudem Getränkebestandteile wie etwa Sirupe und Obst bei der Kalkulation ganz außer Betracht blieben, lässt sich die Kalkulation dem Geschäftsbetrieb der Bar insgesamt nicht mehr hinreichend zuordnen (Sächsisches Finanzgericht, Urteil vom 26. Oktober 2017 – 6 K 841/15 –, juris).
Da die Ausbeutekalkulation häufig zu grob ist (wie z.B. vorstehendes Beispiel der Nachkalkulation einer Bar zeigt) und schon regelmäßig beim Wareneinsatz Fehler bei den Verprobungen vorkommen, muss man daher die Richtigkeit der Ausbeutekalkulation natürlich stets sehr sorgfältig überprüft werden.
Aus meiner Sicht ist die Ausbeutekalkulation eines der spannendsten Themen im Betrieb – betriebswirtschaftlich und steuerlich. Die richtige Ausbeutekalkulation erfordert viele Versuchs- und Verprobungsreihen. Vorurteilsgemäß wird der Prüfer tendenziell mit zu kleinen Portionen und zu kleinem Schwund rechnet, der Unternehmer riesige Schwundmengen und wahnsinnig große Portionen als normalen Wareneinsatz ansehen: So folgen nach der Berechnung des Gastwirts z.B. aus 1 Kg Lende unter Abzug von 300 Gr, Schwund, Verderb, Verschnitt 2 Portionen a 350 Gr., die dann nach dem Braten mit einem Bratverlust von 30 % mit 230 Gr. Bratfleischeinwaage auf den Teller des Gastes kommen. Bei dem Prüfer folgen aus 1 KG Lende 4 Portionen, die abzüglich Bratschwund von 25 % 190 Gr. Fleischeinwaage auf den Teller des Gastes zaubern. Da die Lende dann 18 € pro Teller kosten, sind pro KG aus Sicht des Gastwirts ein Umsatz von 36 €, aus Sicht des Prüfers ein Umsatz von 72 € erfolgt. Bei 1.400 Kg Lende im Jahr (bei unterstellt richtiger Abgrenzung von Anfangs- und Endbestand) sind das dann nach Auffassung des Gastwirts vorbehaltlich Unterschlagungen, Schwund und Eigenverbrauch und Personalverköstigung nicht 1.400 * 2 Portionen = 2.800 Portionen a 18 € = 50.400 €, sondern allenfalls 2.500 verkaufte Portionen zu 18 €, also ein Umsatz von 45.000 € bei diesem Gericht. Der Prüfer geht „natürlich“ von 1.400 Kg * 4 Portionen = 5.600 Portionen zu 18 € = 100.800 € Umsatz aus und glaubt bei der teuren Lende weder den Eigenverbrauch (sondern vermutet eher Resteessen aus Verschnitten) noch die Personalverköstigung (sondern glaubt hier eher an Pizzen oder Nudeln a la Bolognese o.ä.) und glaubt die Unterschlagungen durch nicht abgerechnete Portionen nicht. Das gibt allein bei diesem Produkt eine kleine Differenz im Umsatz von 100.800 € – 45.000 € = 55.800 € … Und wenn Sie sich dann vorstellen, dass es in einer Gaststätte vielleicht 40 bis 60 verschiedene Speisen angeboten werden, könnte das leicht eine Kalkulationsdifferenz von 40 bis 60 mal 55.800 € 2-2,5 Mio. € im Speisenbereich erbringen wenn die anderen Produkte genauso häufig und in ähnlicher Umsatzstärke umgesetzt werden würden … und dann kommen dann noch die Kalkulationsdifferenzen im Getränkebereich dazu …
Besinnt man sich aber auf die Grundaussage der Ausbeutekalkulation, so besagt diese nur, dass theoretisch ein höherer Umsatz möglich gewesen wäre. Theoretische Umsätze sind aber nicht die Bemessungsgrundlage für die Steuer. Damit bleibt es bei den alterhergebrachten Grundsätzen, dass die Finanzverwaltung das Mehrergebnis behaupten und beweisen muss. Dass ein höheres Ergebnis theoretisch möglich gewesen wäre, genügt aber nicht dafür, dieses der Besteuerung zugrunde zu legen. Da sich die Beweislast auch nicht dreht und der StPfl jetzt nicht beweisen muss, dass er das theoretisch mögliche Ergebnis doch nicht hatte, muss also die Finverw beweisen, dass der StPfl dieses theoretisch mögliche Mehrergebnis auch tatsächlich hatte. Dies gelingt ihr im Regelfall nicht. Die bloße Möglichkeit genügt jedenfalls nicht für eine Zuschätzung.
Da eine Nachkalkulation mit Unsicherheitsfaktoren verbunden ist und ihrem Wesen nach selbst eine Schätzung darstellt, so dass also die Schätzungsbefugnis erst durch eine Schätzung begründet wird, müssen an diese hohe Anforderungen gestellt werden, gerade dann, wenn die Buchführung formell ordnungsgemäß ist und keine Beanstandungen gefunden werden und jetzt über die Nachkalkulation die eigentlich für nicht beanstandungswürdig gehaltene Buchführung jetzt durch eine Nachkalkulation zu Fall gebracht werden soll. Sie muss einwandfrei erfolgen, den Unsicherheiten Rechnung tragen und zu dem Ergebnis führen, dass das Buchführungsergebnis nicht richtig sein kann. Insofern besteht zwischen einer Schätzung, die das wahrscheinliche Gewinnergebnis feststellen soll, und einer Nachkalkulation, die dartun soll, dass das formell richtig erscheinende Buchführungsergebnis sachlich falsch ist und deshalb außer Acht gelassen werden kann, die also erst eine Schätzung ermöglichen soll, ein wesentlicher Unterschied (BFH, Urteil v. 25.06.1970, IV 17/65, BStBl 1970 II, 838 m.w.N.). Die Richtigkeitsvermutung einer formell ordnungsmäßigen Buchführung ist nur entkräftet, wenn das Finanzamt nachweist, dass das Buchführungsergebnis sachlich schlechterdings nicht zutreffen kann; an die Methodik einer solchen Schätzung sind wesentlich strengere Anforderungen zu stellen als in Fällen, in denen wegen festgestellter Buchführungsmängel ohnehin eine Schätzung der Einnahmen durchgeführt werden muss (BFH, Urteil v. 25.03.2015, X R 20/13, BStBl 2015 II, 743 m. w. N.). Solange also bei einem zwar theoretisch höheren Ergebnis aufgrund einer Nachkalkulation die Richtigkeitsvermutung des erklärten Ergebnisses nicht zerstört ist, also durch Schwund, verschwenderischen Verbrauch der Materialien, Produkversuche, Experimente und andere Faktoren die vermisste Differenz auch verbraucht sein kann, kann die BP nicht behaupten, das erklärte Ergebnis könne nicht stimmen. Sie kann damit, wenn die Möglichkeit besteht, dass das erklärte Ergebnis stimmt, nicht die Buchführung mit Erfolg verwerfen.
Fazit:
Ist die Ausbeutekalkulation zutreffend und gibt es eine erhebliche Differenz bei der möglichen theoretischen Ausbeute im Verhältnis zum erklärten Umsatz ist nach den Ursachen für die Differenz zu forschen (dies macht die BP nie). Die Differenz sind keineswegs immer hinterzogene Umsätze (wie die BP standardisiert meint) – die Ursachen können vielfältige andere sein. Der Prüfer trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass es tatsächlich höhere Umsätze gab – die theoretisch bloße Möglichkeit genügt dafür nicht. Bleibt unklar, ob es tatsächlich höhere Umsätze gab oder ist das Material ggf. Anderweitig aufgebraucht worden, ohne dass es zu Umsatzerlösen kam, bleibt das FA seiner Beweislast (Feststellungslast) schuldig und eine Verwerfung der Buchführung und Zuschätzungen lassen sich auf die Ausbeutekalkulation nicht stützen.
Fragen hierzu? Ähnliche Probleme? Dann rufen Sie an: 0611-890910: Dr. Jörg Burkhard, den Spezialisten im streitigen Steuerrecht, im Steuerstrafrecht und bei Betriebsprüfungen, bundesweit tätig