Rudi Rupp lebt … überall unter uns … auch im Steuerrecht und Steuerstrafrecht
Rudi Rupp, geboren 1949, wohnte mit seiner Frau, seinen beiden Töchtern und seinem Schwiegersohn in spe in seinem heruntergekommenen kleinen Bauernhof. Er war pleite, stand kurz vor der Insolvenz und war schwer krank: Diabetes 2 und die Diagnose, dass ein Bein amputiert werden müsse, plagten ihn. Eines Freitagabends ging er in seine Stammkneipe, trank 5 Bier im Laufe des Abends und verschwand danach spurlos. Er wird wohl nach dem Kneipenbesuch nach Hause gefahren sein… wohin auch sonst? Aber weder hatte er jemandem konkret gesagt, dass er nun nach Hause führe, noch hatte ihn dort jemand ankommen sehen: Nachweise dafür, dass er wirklich nach Hause fuhr oder jedenfalls in diese Richtung oder gar dort ankam, gab es indes nicht. Dies war im Herbst 2001. Seine Frau meldet ihn drei Tage später als vermisst. Die Polizei checkte Unfälle, Krankenhauseinlieferungen, suchte die Umgebung ab, fand aber keine Spur von Rudi Rupp oder seinem 200er Mercedes Diesel.
Da es eine Lebensversicherung gab, fragte seine Frau bei der Versicherung an, wann denn nun die Versicherungssumme ausgezahlt würde. Sie konnte das Geld gut gebrauchen. Während sich im Ort die Gerüchte verdichteten, dass die 4 ihren Mann, Vater, fast-Schwiegervater beseitigt hätten um die Versicherungssumme zu kassieren, konnte die Kripo weder den Wagen noch den Rudi Rupp – weder tot noch lebend- finden. Die Kripo entschloss sich, die 4 auf dem Hof zu vernehmen, erst mal informell zu befragen, dann auf die Wache mitzunehmen und getrennt voneinander zu vernehmen. Erst als Zeugen mit entsprechender Belehrung, später als Beschuldigte. Schließlich gab es irgendwann Widersprüche zwischen den verschiedenen Aussagen, dann wurde diese wechselweise vorgehalten, dann gab es im Laufe der Monate erste Teilgeständnisse, schließlich einen ermittelten Sachverhalt, der nach zahlreichen Vernehmungen sich immer mehr anglich und der dann im Wesentlichen der Verurteilung auch später zugrunde gelegt wurde.
Strafprozessual spannend ist, wieso die Kripo die Zeugen einfach mitnehmen konnte. Auf welcher Rechtsgrundlage? Zwar sehen wir das immer wieder im Fernsehen, dass Personen auf die Wache mitkommen müssen … in einen Polizeiwagen verfrachtet werden, ihr Kopf nach unten in den Wagen gedrückt wird, damit sie sich nicht am Dach des Pkws beim Einsteigen stoßen …. aber bei einem informell Befragten oder einem Zeugen gibt es keine Grundlage ihn zu verpflichten, mit zur Polizei zu kommen. Oder gegen seinen Willen an einen anderen Ort zu verfrachten. Jeder hat das Recht einen auf frischer Tat Betroffenen nach § 127 StPO vorläufig festzunehmen … § 127 StPO lautet wie folgt wörtlich:
„§ 127 StPO Vorläufige Festnahme
(1) Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen. Die Feststellung der Identität einer Person durch die Staatsanwaltschaft oder die Beamten des Polizeidienstes bestimmt sich nach § 163b Abs. 1.
(2) Die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes sind bei Gefahr im Verzug auch dann zur vorläufigen Festnahme befugt, wenn die Voraussetzungen eines Haftbefehls oder eines Unterbringungsbefehls vorliegen.
(3) Ist eine Straftat nur auf Antrag verfolgbar, so ist die vorläufige Festnahme auch dann zulässig, wenn ein Antrag noch nicht gestellt ist. Dies gilt entsprechend, wenn eine Straftat nur mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgbar ist.
(4) Für die vorläufige Festnahme durch die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes gelten die §§ 114a bis 114c entsprechend.“
In der Fassung aufgrund des Gesetzes zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29.07.2009 (BGBl. I S. 2274) m.W.v. 01.01.2010.
Aber um eine solche vorläufige Festnahme handelt es sich hier gerade nicht. Selbst Vorladungen der Polizei bräuchte weder der Zeuge noch der Beschuldigte zu beachten. Nur den Ladungen des Staatsanwalts oder des Richters müssten die Zeugen bzw. Beschuldigten Folge leisten.
Wenngleich solche Aktionen fast der Regelfall sind, gibt es hierfür keine Ermächtigungsgrundlage: die Polizei kann die Zeugen oder Beschuldigten nicht zwingen, auf die Wache mitzukommen oder auszusagen. Die meisten sind nur zu überrascht, um sich gegen solche rechtsgrundlosen Anordnungen zu wehren. Und da gibt es natürlich den Obrigkeitsgehorsam: wenn die Polizei das so sagt, dass man mitkommen müsse, dann wird’s ja wohl auch stimmen …
Wie dem auch sei: die Vernehmungen brachten dann nach und nach die folgende Geschichte zu Tage: Die Ehefrau soll den Rudi die Treppe heruntergeworfen haben. Als aber Rudi am Treppenende unten ankam, war er noch nicht tot … er lebte noch. Daraufhin nahm der fast-Schwiegersohn Rudi mit in den Keller und erschlug ihn mit einem spitzen Zimmermannshammer. Auch die eine Tochter soll Die Ehefrau und der Schwiegersohn sollen dann Rudi im Keller zerstückelt und die Teile dann den Schweinen bzw. den Hunden zum Fraß vorgeworfen haben. Während Anfangs die Taten vollständig bestritten wurden, dann nach zahlreichen Vernehmungen und Vorhalten sich die Aussagen dem zuletzt der Verurteilung zugrundeliegenden Sachverhalt annäherten, kam es schließlich zu Tatortrekonstruktionen, die per Video festgehalten wurden. Hierbei zeigten die Beschuldigten dann ihren Tatbeitrag, zeigten u.a. wie der Schwiegersohn mit dem Hammer den Schädel von Rudi zertrümmerte usw. Welche kriminalistische List und welche Techniken zu den schließlich passenden Gesamtbild führten, bliebt unaufgeklärt.
Der 200er Mercedes soll dann beim nahegelegenen Schrotthändler in der Presse gelandet sein. Dieser bestritt dies –sogar unter Eid- und wurde deswegen wegen Meineids zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.
Ermittlungstaktisch spannend ist, dass bei dieser Geschichte eigentlich Blutspuren überall im Haus hätten gefunden werden müssen. Auch trotz gründlichster Reinigung der Treppe und des Kellers ist nicht nachvollziehbar, dass hier keine Blutpartikel und keine Knochenreste von Rudi gefunden wurden. Auch bei den Schweinen und Hunden hätten Blutspuren und Knochenreste zwingend gefunden werden müssen, wenn diese Story sich so ereignet hätte….
Dann hätte der Mercedes Reifenspuren auf dem Hof bzw. dem Weg hierhin hinterlassen müssen. Auch hätte der Schlüssel gefunden werden müssen.
Die fehlenden Blutspuren hätten besonders zu denken geben müssen. Der Zimmermannshammer hätte voller Blut sein müssen, zahllose Blutspritzer vom mehrfachen Zuschlagen mit dem Hammer aber auch vom Zerlegen hätten im Keller gefunden werden müssen. Allein der nach dem ersten Schlag blutige Hammer hätte bei der Schlagbewegung dann eine kleine Blutspur entsprechend der Schlagrichtung an den umliegenden Wänden bzw. der Decke hinterlassen müssen Daraus ließe sich die Lage des Opfers, die Stellung des Täters und das Tatgeschehen rekonstruieren. Auch muss Rudi beim Erschlagen bzw. Zerlegen Blut verloren haben. Diese Tat hinterlässt wieder andere Spuren. So zeichnet das Blut die Stellung des Opfers, des Täters und das Tatgeschehen nach. Auch müssen beim Zuschlagen Blut gespritzt haben. Je nach Geschwindigkeit, Kraft und Winkel kann man dann den jeweiligen Standort, die Schlagrichtung, Tatwerkzeug usw. bestimmen. Sind die Blutverteilungsmuster nicht zu der Story passend, stimmt etwas nicht: entweder hat der Täter Details weggelassen oder die Geschichte hat sich ganz oder teilweise anders ereignet. Dass keine Blutspuren gefunden wurden, kann eigentlich auch bei gründlichsten Reinigungsleistungen nicht sein. Dass auch keine Tatwaffe, kein Schlüssel zum Mercedes, keine Knochenreste gefunden wurden, hätte die gemeinschaftliche Tötung nicht nur in Frage stellen können, sondern sogar stellen müssen.
Die Geständnisse wurden von den dann mittlerweile verteidigten Beschuldigten widerrufen. Entlastungsindizien wie fehlende Blutspuren und fehlende Knochenreste wurden nicht kritisch gewürdigt. Die Aussagen wurden durch Vorhalte, kriminalistische List und sich immer mehr annähernden Aussagen schließlich passend gemacht. Aus Sicht der Fahnder wurde nur durch wiederholte Vernehmungen und Vorhalte das hartnäckige Lückengebäude aufgegeben und schließlich die Wahrheit zu Tage gefördert. Aus Sicht der Kriminalisten ein Erfolg.
Im Jahr 2005 verurteilte das Landgericht Rupps Ehefrau und den Schwiegersohn wegen Totschlags zu je achteinhalb Jahren Haft. Die beiden Töchter wurden zu zweieinhalb bzw. dreieinhalb Jahren Jugendstrafe wegen Beihilfe durch Unterlassen verurteilt. Die Revision wurde als offensichtlich unbegründet verworfen. Dabei prüft der BGH nie, ob der Sachverhalt richtig ermittelt wurde oder zweifelhaft erscheint. Es genügt, wenn die Würdigung des Gerichts möglich erscheint und nicht gegen Denkgesetze verstößt.
Ach ja: der Mercedes: der wurde nicht gefunden … der konnte demnach nur beim nächstgelegenen Schrotthändler in der Presse gelandet sein. Der wurde befragt, bestritt dies aber. Auch vor Gericht bleib er konstant bei seiner Aussage, den 200er Mercedes von Rudi Rupp nicht angenommen zu haben. Da er auch unter Eid bei dieser Aussage blieb, wurde er wegen Meineids angeklagt und schließlich verurteilt.
2009 wurde in der Donau an einer Staustufe im Rahmen einer Routineuntersuchung der Staumauer Rudi Rupps Mercedes gefunden. Da der Mercedes bei den Wartungs- und Kontrollarbeiten störte und er auch aus Umweltgesichtspunkten dort nicht liegen bleiben konnte, wurde er geborgen. Man dachte an eine Umweltstraftat, jemand habe den Mercedes rechtswidrig in der Donau entsorgt … aber weder brachte man den Wagen mit Rudi Rupp in Verbindung, noch holte man die Kripo dazu. Während der Wagen aber aus dem Wasser gezogen wurde, wobei die Frontscheibe wegen des immensen Wasserdrucks zerbarst, entdeckte man eine skelettierte, ansonsten aber unversehrte Leiche auf dem Fahrersitz…. Wie sich anhand des Zahnbildes ergab: zweifelsfrei der seit 2001 als vermisst gemeldete Rudi Rupp. Er war aber weder zerstückelt, noch war sein Schädeleingeschlagen: die Schädeldecke war vielmehr völlig unversehrt.
Obwohl dadurch klar war, dass wesentliche Teile der vom Landgericht in seinem Urteil getroffenen Feststellungen nicht stimmen konnten, lehnte die Justiz ein Wiederaufnahmeverfahren lange Zeit ab; immerhin könnten die 4 den Rudi auch anders umgebracht haben, er war schließlich tot und auf die Details käme es schließlich nicht an … tot ist tot …. Und das war er schließlich nun mal, das war mittlerweile klar beweisen. Erst 2011 (alle Verurteilten waren mittlerweile nach Verbüßung von mehr als zwei Dritteln ihrer Freiheitsstrafen aus der Haft entlassen worden) kam es zu einem zweiten Wiederaufnahmeverfahren, in dem ein anderes Landgericht die Angeklagten freisprach. Trotz der Freisprüche zeigte sich das Gericht aber weiter davon überzeugt, dass einer oder mehrere der Angeklagten den als Tyrann geltenden Landwirt getötet hätten, und schloss einen Unfall aus. Es lasse sich lediglich nicht feststellen, wer für den Tod verantwortlich sei. Wie er aber umgekommen sein soll, ob überhaupt ein Gewaltverbrechen vorlag, konnte das Landgericht nach rund 8 Jahren Wasserleiche auch nicht mehr feststellen. Rudi Rupp war tot. Klar. Aber ob er eines gewaltsamen Todes gestorben war, ob es Suizid war oder ein Unfall wurde nicht untersucht und erst Recht nicht geklärt. Natürlich war auch nicht klar, wenn es ein Verbrechen war, wer es begangen hatte: alle 4 Verurteilten, einer oder 2 von ihnen der ein oder mehrere ganz andere Täter?
Wie die detaillierten falschen Geständnisse vor dem ersten Prozess zustande gekommen waren, ist juristisch nicht aufgearbeitet. Die Polizei veröffentlichte Videos, die zeigen, wie die Beamten die angebliche Tat mit den Beschuldigten auf deren Hof nachstellte. Obwohl sich die Aussagen massiv widersprachen und teilweise geradezu gegenseitig ausschlossen, weckte dies offensichtlich keine Zweifel. Das urteilende Gericht nahm vielmehr zulasten der Angeklagten alle einzelnen Aussagen als wahr an und verknüpfte sie zu einem einheitlichen Tatgeschehen. Henning Ernst Müller, Professor für Strafrecht an der Universität Regensburg, sprach nach der Analyse der Videoaufzeichnung der Tatrekonstruktion von „inquisitorischen und suggestiven Fragen. So kann man doch niemanden vernehmen.“ Trotzdem wurden den letztlich Freigesprochenen vom Landgericht Landshut die Haftentschädigungen mit der Begründung verweigert oder gekürzt, sie seien wegen ihrer falschen Aussagen selbst schuld an der Verurteilung. Die ungeklärten Umstände des Zustandekommens der Geständnisse spielten dabei dem Gericht zufolge genauso wenig eine Rolle wie der Umstand, dass die Geständnisse noch vor dem Prozess wieder zurückgezogen worden waren. Dagegen eingereichte Beschwerden blieben beim Oberlandesgericht München und beim Bundesverfassungsgericht erfolglos.
Ach ja, da war ja noch was: die Strafverfolgung des Schrotthändlers
Dem in der Nähe von Rudi Rupps Gehöft ansässigen Schrotthändler war von der Kriminalpolizei die Beseitigung von Rudolf Rupps verschwundenem Mercedes vorgeworfen worden. H. saß deswegen 2004 fünf Monate unschuldig in Untersuchungshaft, da er standhaft leugnete: er habe den 200er Mercedes von Rudi Rupp nicht angekauft und dann in der Schrottpresse zerquetscht bzw. zermahlen.
Die Verhörmethoden der Polizei beim Schrotthändler waren Jahre später Gegenstand eines Strafverfahrens gegen ihn. Im Wiederaufnahmeverfahren gegen die vier verurteilten Personen im Fall Rudolf Rupp hatte der Schrotthändler 2010 als Zeuge vor dem Landgericht geschildert, wie er seinerzeit von der Kriminalpolizei bedrängt worden war, seine Beteiligung an der Tat zu gestehen. Der Vernehmungsbeamte habe ihm damals seine Dienstpistole mit den Worten „Wir können auch anders“ an die Schläfe gehalten, als der Schrotthändler sich geweigert hatte, das Vernehmungsprotokoll zu unterschreiben. Die Staatsanwaltschaft klagte daraufhin 2012 den Schrotthändler –und nicht etwa den Polizisten– vor dem Amtsgericht wegen falscher Verdächtigung an, ohne die Vorwürfe des Schrotthändlers überhaupt geprüft zu haben. In seinem Plädoyer in der Hauptverhandlung bezeichnete der Staatsanwalt den angeklagten Schrotthändler als „Abschaum“ und forderte eine Haftstrafe von 20 Monaten ohne Bewährung …. Der Schrotthändler wurde jedoch freigesprochen…
Und noch was: der, der zu Unrecht in Haft sitzt, bekommt eine Haftentschädigung. Nichts, womit man reich würde oder was sich gar rentierte: Eine Haftentschädigung wird für eine verbüßte Freiheitsstrafe gezahlt, wenn die Verurteilung im Wiederaufnahmeverfahren oder sonst, nachdem sie rechtskräftig geworden ist, fortfällt oder gemildert wird. Im Falle der Untersuchungshaft besteht ein Anspruch, soweit der Betroffene freigesprochen oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird oder soweit das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn ablehnt. Kein Anspruch auf Haftentschädigung nach dem StrEG besteht für freiheitsentziehende Maßnahmen auf der Basis anderer Rechtsgrundlagen, insbes. nach §§ 415 ff. FamFG, also z. B. für zu Unrecht erlittene Abschiebungshaft. Da in diesen Fällen jedoch dem Grunde nach ein Entschädigungsanspruch auf anderer Rechtsgrundlage vorliegt (Art. 5 Abs. 5 EMRK), orientieren sich die zuständigen Behörden häufig bei der Bemessung der Höhe der Entschädigung an den Vorschriften des StrEG und wenden diese entsprechend an. Die Entschädigung erfüllt dabei die Funktion eines Schadensersatzes und Schmerzensgeldes. Sie ist in Deutschland im Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) geregelt und beträgt für „den Schaden, der nicht Vermögensschaden ist“, 25 € für jeden angefangenen Tag der Freiheitsentziehung (§ 7 Abs. 3 StrEG). Zusätzlich kann Entschädigung für Vermögensschaden geleistet werden, wenn der nachgewiesene Schaden den Betrag von 25 € übersteigt und der Schaden nicht ohne die Strafverfolgungsmaßnahme eingetreten wäre (§ 7 Abs. 1 StrEG). Aber eine solche Entschädigung gab es für die Ehefrau und deren beiden Töchter und den fast-Schwiegersohn nicht: sie seien selbst an ihrer Verurteilung Schuld gewesen, da sie die Taten ursprünglich gestanden hatte. Dass diese Geständnisse möglicherweise nur aufgrund des psychischen Drucks bzw. einer kriminalistischen List –die zulässig sein soll — zustande gekommen sein könnten, bzw. Zeugen und Beschuldigte bei langer, intensiver Befragung Verzerrungen in der Erinnerung bzw. Wahrnehmungen haben können und bei genug falscher Infiltration tatsächlich an einen unzutreffenden Sachverhalt glauben, ist längst nachgewiesen …
Ob und wann die Lebensversicherung auszahlte, ist nicht überliefert und soll im Weiteren hier auch keine Rolle spielen.
Ist der Fall Rudi Rupp ein extremer Ausreißer, ein bedauerlicher Einzelfall – oder einfach nur eines von ganz vielen Fehlurteilen, das nur insoweit auffiel, weil nachgewiesen wurde, dass die Urteilsfeststellungen definitiv falsch waren und dies in den meisten anderen Fällen so nicht gelingt bzw. passiert? Denn wäre die Routineuntersuchung an der Staustufe nicht erfolgt oder wäre der Mercedes woanders liegen geblieben, wäre der Fall Rudi Rupp bis heute nicht publik geworden …
Zunächst mal ein ganz anderer Gedanke: wenn in den Zivilverfahren ca. 1/3 der Urteile in der Berufungsinstanz aufgehoben werden, weil sie für falsch gehalten werden, stellt man sich die Frage, warum dies etwa im Strafrecht anders sein sollte. Da viele Richter auch mal zur Staatsanwaltschaft wechseln müssen und auch mal zivilrechtliche Dezernate übernehmen, fragt man sich, ob die Fehlerquote, die wir im Zivilrecht sehen, sich nicht generell in allen Urteilsfindungen ungefähr in gleicher Höhe wiederfindet. Es wäre jedenfalls auf den ersten Blick verwunderlich, wenn einem Zivilrichter Auslegungs- und Bewertungsfehler unterliefen, die zu ca. 1/3 Aufhebungen führten und derselbe Richter als Strafrichter zu 100 % richtig läge … Wenn dieser Gedanke richtig ist, dann stellt sich die Frage, warum dies in der Spezialgerichtsbarkeit, also bei den Verwaltungsgerichten oder den Finanzgerichten anders sein sollte …
Dann gibt es da noch ganz viele Phänomene, die einen grübeln lassen können: der Mensch neigt dazu, seine eigenen Entscheidungen für richtig zu halten –sonst hätte er sie so nicht getroffen – und rechtfertigt sich selbst und vor anderen damit, dass er sie verteidigt. So wird ein Mensch immer seine getroffene Entscheidung, wenn er sie mit anderen –etwa Kollegen, Freunden, Bekannten– bespricht immer als richtig darstellen und sie verteidigen. Freunde, Bekannte, Kollegen werden aus Sympathie oder zumindest Höflichkeit beipflichten, bestärken … und die die kritisch dagegen halten, sind dann nicht mehr Freunde, Bekannte oder Kollegen, mit denen man so was bespricht… diese vermeintlich kritische Selbstbetrachtung nähert sich dann eher einer Selbstbeweihräucherung unkritischer, freundlich gesonnener Mitmenschen, die aus verschiedensten Gründen nicht widersprechen…
Gehen wir nur mal auf eine Beschwerde gegen einen Durchsuchungsbeschluss ein: kein Ermittlungsrichter hebt auf die Beschwerde seine Durchsuchung auf, obwohl er die Beschwerdegründe prüfen und daraufhin abhelfen könnte bzw. müsste. Er findet aber keinen Fehler. Erst das Landgericht, dem er dann vorlegen muss, geht kritischer in die Prüfung und hebt so manchen Durchsuchungsbeschluss auf … obwohl der Vortrag beim Amtsgericht in der Beschwerde exakt derselbe war und beim Landgericht nichts ergänzendes oder anders vorgetragen wurde, kommt dann das Landgericht in einigen Fällen zu ganz anderen Ergebnissen als der Amtsrichter/Ermittlungsrichter. Aber da ist der Grundrechtseingriff durch die Durchsuchung schon längst geschehen. Da ist Art 13 GG längst verletzt. Aber der Amtsrichter verteidigt seinen Durchsuchungsbeschluss als richtig, hilft der Beschwerde nicht ab …es sieht teilweise nach einem Abblocken und nicht nach einem selbstkritischen Nachdenken aus …
Schauen wir uns mal Schöffen oder im finanzgerichtlichen Verfahren die ehrenamtlichen Richter an: wer von denen widerspricht den Fachleuten, den hauptberuflichen Richtern? Fachausbildung, jahrelange Berufsausübung und Erfahrung sollen dann von einem Laienrichter übertrumpft werden. Der Richter, der ständig argumentiert und nicht nur sprachlich, ausbildungsmäßig, vom Fachwissen, von der Berufserfahrung dem „Hobbyrichter“, dem Schöffen im Strafprozess bzw. dem ehrenamtlichen Richter im Finanzgerichtsprozess überlegen ist, dann ggf. im Gegensatz zum Schöffen oder ehrenamtlichen Richter auch noch promoviert oder ggf. habilitiert ist, der in schwarzer, gewichtiger Amtsrobe vor ihm sitzt, dem widerspricht der Schöffe? Dem widerspricht der ehrenamtliche Richter im Senat. Der Schöffe, ehrenamtliche Richter hat die Akte nicht gelesen und darf dies auch nicht. Und der stellt jetzt das Gegengewicht zum Richter da, kommt aus dem Volk, denkt nicht juristisch, sondern mit normalem Menschenverstand und widerspricht oder stellt kritische Fragen? Der entscheidet dann aber mit im Namen des Volkes…. In vielen oder vielleicht allen Verhandlungen stellt sich die Frage, ob diese nur ihre Zeit absitzen, inaktiv sind und nur als „Stimmvieh“ mit den Richtern unwissend, nicht verstehend, unkritisch entscheiden oder besser gesagt nur den Fachleuten zustimmen. Ist das aber Selbstkontrolle? Ist das vom System her eine wirksame Kontrolle? Hilft diese Ausgangssituation Fehler vermeiden? Ist diese Stellung von Anfang an geeignet und in der Lage, Fehler aufzudecken und wirksam zu verhindern? Die Frage ist doch, wie man wirksam die Rudi-Rupp-Fälle verhindern oder jedenfalls reduzieren kann …
Dann fällt auf, dass es in verschiedenen Konstellationen nur eine Tatsacheninstanz gibt. Beginnt das Strafverfahren beim Landgericht, gibt es keine zweite Tatsacheninstanz … nur die Revision zum BGH. Im Steuerrecht ist das genauso: es gibt nur das Finanzgericht als Tatsacheninstanz und dann die Revision -zumeist über die sehr mühsame Nichtzulassungsbeschwerde- zum BFH. Die Obergerichte setzen aber schon die formalen Zugangsvoraussetzungen in Schwindelerregende Höhen, so dass nahezu alle Revisionen im Strafrecht offensichtlich unbegründet, teilweise unzulässig sind und beim BFH die meisten Nichtzulassungsbeschwerden unzulässig oder jedenfalls unbegründet sind. Entsprechen denn Revisionsgerichte noch der Justizgewährungspflicht und dem Rechtsstaatsprinzip, wenn es sie angeblich gibt, aber letztlich wegen der ins fast unendliche hochgeschraubten Zugangsvoraussetzungen nicht mehr wirklich erreichbar sind? Müssen dann nicht die vom Gesetzgeber zu Recht vorgesehenen Kontrollen ausfallen, weil „kein“ Fall mehr zur Kontrolle wirklich angenommen wird?
So was gibt’s nicht im Steuerrecht? Nun, im Rahmen einer Schätzung wird etwa bei einer Wareneinsatzverprobung behauptet, der Wareneinsatz hätte zu mehr Umsatz führen müssen. Denn der Wareneinsatz, z.B. Lebensmittel, Getränke, der eingekauft und verbraucht wurde, muss dann in Form von Speisen, Getränken verkauft worden sein. Ergeben sich aber aufgrund der eingekauften Mengen nach Abzug eines kleinen Anteils von Schwund und Verderb von ca. 3 % und einem minimalen Eigenverbrauch immer noch eine Differenz, so muss das nach dem Verständnis der Finanzverwaltung ein schwarzer Umsatz sein ….könnte nicht aber auch der Verderb oder der Eigenverbrauch höher sein? Könnten nicht Bedienstete was für zu Hause mitgenommen haben oder an Freunde, Bekannte Speisen und Getränke herausgegeben haben ohne zu kassieren? Könnten nicht manche Getränke oder (Ersatz-)Speisen „aufs Haus“ gegangen sein? Meist fehlen hier Nachweise, Eigenbelege etc. Dann ist es immer der schwarze Umsatz …. Im Zweifel zum Nachteil des Steuerpflichtigen … wie viele Fehlurteile, wie viele Fehleinschätzungen gibt es hier? Wie viele Rudi Rupp Fälle gibt es hier? Scheinbar wenige … weil eben in diesen Fällen, anders als bei Rudi Rupp, nicht später aufgrund der neuen Beweislage das Fehlurteil durch die Naturgesetze bzw. die Denkgesetze der Logik so klar widerlegt werden … aber die Frage der Fehleinschätzung, die Frage nach der Höhe der menschlichen Fehler in der Beweiswürdigung, im Verständnis und der Analyse des Falls bleiben dennoch ….
Rudi Rupp ist so verstanden ein Wachruf, eine Mahnung, sorgsam mit dem Sachverhalt und kritisch mit den Beweisen umzugehen. Ein wake up call, auch Indizien, etwa das fehlende Blut, zugunsten der Beschuldigten zu würdigen. Auch Alternativüberlegungen vorzunehmen, wie es denn sonst gewesen sein könnte und ob auch dies ein schlüssiges Bild abgibt: also ob der fehlende Umsatz vielleicht da war, aber aus der Kasse von der Bedienung genommen wurde, die dann den entsprechenden Umsatz stornierte oder erst gar nicht bongte oder die Getränke und Speisen gratis an Freunde etc. herausgab statt eine Hinterziehung des Gastwirts einfach anzunehmen? Ich habe noch nie erlebt und auch noch nie in einem Urteil in den Fachzeitschriften gelesen, dass man etwa einen Teil des ermittelten Mehrumsatzes auch auf Veruntreuungen des Personals oder Waren- oder Gelddiebstahl des Personals aus den Ausbeutekalkulationen als Betriebsausgabe ansetzte. Das durch die Ausbeutekalkulation ermittelte Delta ist immer gedanklich der schwarze Umsatz des Unternehmers … aber stimmt das denn (immer)? Gibt es hierfür Nachweise? Sind das die denklogisch einzigen Erklärungen? Und wenn man es nicht klären kann, wer muss denn eigentlich das steuerliche Mehrergebnis beweisen?
Rudi Rupp so verstanden ist auch eine Mahnung, einen widersprüchlichen oder unklaren Sachverhalt nicht einfach passend zu machen, sondern aufmerksam das Für und Wieder abzuwägen. In dubio pro reo vielleicht wieder zu reanimieren … Und nicht zuletzt ein deutliche Aufforderung, das empfindliche Rechtsgut Recht immer fortzubilden und kritisch im Sinne von nach Verbesserungsmöglichkeiten in den Gesetzen und der gelebten Rechtspraxis nachzudenken ….
Nachsatz: die Geschichte basiert auf wahren Tatsachen, soweit veröffentlicht … der Sachverhalt ist z.B. in http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-77222581.html veröffentlicht. Im Zweifel gilt der Inhalt der Originalakten ….