Arbeitgeberstrafrecht – Probleme mit FKS, Beitragsvorenthaltungen im Sinn des § 266 a StGB, Zahlungspflichten, Haftung & Co.
Vorsätzliches Vorenthalten iSd. § 266 a StGB durch Betriebsangehörige oder andere mit der Beitragsentrichtung betraute Personen (etwa Steuerberater oder externe Buchhalter) muss sich der Arbeitgeber als eigenes Fehlverhalten sozialversicherungsrechtlich zurechnen lassen (BSG, Urteil v 26.01.2005, B 12 KR 3/04 R, NZS 2005, 654).
Umgekehrt gibt es keine gesetzliche Verpflichtung, einen Steuerberater oder Fachmann bei der Befolgung und Umsetzung der Arbeitgeberpflichten nach dem SGB IV einzuschalten. Jeder Unternehmer ist also für sich selbst alleinverantwortlich und genauso alleinverantwortlich für die Erfüllung der sozialversicherungsrechtlichen Melde-und Zahlungsverpflichtungen. Das ist ein Ausschluss der Unternehmerchancen und der Unternehmerrisiken. So mancher, der sich im Nachhinein alleingelassen fühlt, fehlende Hinweise oder Anforderungen reklamiert, muss sich also entgegenhalten lassen, dass er als mündiger Bürger alleinverantwortlich und selbstständig sein Unternehmen führt und sich daher rechtzeitig sich um seiner gesamten Verpflichtungen kümmern muss und sich notfalls vorher erkundigen muss, Rechtsrat einholen muss und sich so organisieren muss, dass er eben alle seine Verpflichtungen rechtzeitig und ordnungsgemäß erfüllt. Das ist bei der Menge der Anforderungen nicht immer einfach. So ist aber der Grundsatz.
Damit ist der Unternehmer im Prinzip auf sich allein gestellt und es ist eine Sache, wie er sich organisiert: stellt er eigene Mitarbeiter mit eigener Fachkunde ein oder kennt er die Verpflichtungen selbst und erfüllt er sie in eigener Person oder bedient er sich externer Berater.
Daraus, dass der Gesetzgeber hier nicht vorgeschrieben hat, Fachberater stets zu beauftragen bzw. zu konsultieren, entbindet der Verzicht auf eine fachkundige Beratung nicht von der sorgfältigen Erfüllung dieser Verpflichtungen einschließlich des Erwerbs der erforderlichen Sachkunde zur Beurteilung der eigenen Pflichten im Hinblick auf die Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages (LSG NRW, Beschluss v 06.11.12, L 8 R 193/12 B ER).
Immer wieder tauchen Probleme bei Unternehmern auf, die sich darüber beklagen, Details nicht gewusst zu haben oder auch hierüber nicht informiert worden zu sein. Die Rechtsprechung folgt solchen Ansätzen aber nicht: der Unternehmer ist darf ohne sozialversicherungsrechtliche Prüfung ein Unternehmen gründen und führen, aber er muss sich -so wie der Gastwirt etwa über hygienerechtliche Anforderungen- über die Sozialversicherungsrechtlichen Anforderungen informieren und ist dann für den Betrieb seines Unternehmens selbst verantwortlich. Jeder ist seines Glückes Schmied. Er muss sich dabei natürlich auch an die sozialversicherungsrechtlichen Anforderungen halten. Dass er Fachmann auf seinem Gebiet ist, genügt nicht. Sozialversicherungsrecht muss er „nebenbei“ auch können. Wie er das lernt und organisiert, ist sein Problem. Notfall durch eingekauften externen Rat und externe Überwachung. Man mag dabei beklagen, dass man nicht immer den Dschungel der vielfältigen Anforderungen und Gesetze überblicken kann. Eine Erstschulung bei Unternehmensbeginn würde aber dieses Problem auch nicht lösen können, da ständige Weiterschulungen erforderlich wären. Und stellen Sie sich vor, Sie müssten erst einmal eine Art sozialversicherungsrechtliche Führerscheinprüfung bestehen, bevor sie sich selbstständig machen dürften … wäre das besser und würde das die laufenden Probleme bei Änderungen lösen?
Die Erfüllung der beitragsrechtlichen, strafbewehrten Pflichten zählen zu den ureigensten Aufgaben jedes Arbeitgebers. Er darf und kann sie übertragen, muss dann aber stets selbst Überwachungsmaßnahmen vornehmen.
Beim BGH (Urteil v 28.05.2002, 5 StR 16/02, dort RN 24 ff) klingt das dann wie folgt:
„Das Landgericht hat im Ergebnis zutreffend beide Angeklagte als strafrechtlich verantwortlich im Sinne des § 14 StGB für die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge angesehen. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe wird ausreichend deutlich, daß der Angeklagte B die internen kaufmännischen Angelegenheiten eigenständig erledigt hat. Seine Stellung als mit diesen Fragen auch tatsächlich befaßter faktischer Geschäftsführer trägt bei ihm die Annahme einer strafrechtlich relevanten Verantwortlichkeit (vgl. BGHSt 21, 101, 103). Die Verantwortlichkeit der Angeklagten B ergibt sich hier daraus, daß sie bewußt den mit einem Berufsverbot belasteten W B die ihr obliegende Pflicht zur Beitragsabführung überlassen hat, obwohl die wirtschaftliche Situation der Firma bereits angespannt war.
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Zwar begründet schon allein die Stellung der Angeklagten K B als formelle Geschäftsführerin ihre Verantwortlichkeit als Organ der Gesellschaft nach außen, was insbesondere auch ihre Einstandspflicht für die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten einschließt (BGH wistra 1990, 97 f.). Der Geschäftsführer braucht jedoch die in sein Ressort fallenden Pflichten nicht in eigener Person erfüllen (vgl. BGHSt 37, 106, 123 f. grundlegend zur strafrechtlichen Relevanz von Ressortzuständigkeiten). Er kann sie auch delegieren, ihre Erfüllung anderen Personen überlassen (BGHZ 133, 370, 378; hinsichtlich steuerlicher Pflichten vgl. auch BFHE 141, 443). In diesen Fällen muß er durch geeignete organisatorische Maßnahmen die Begleichung sozialversicherungsrechtlicher Verbindlichkeiten sicherstellen. Jedenfalls nach einer angemessenen und beanstandungsfreien Einarbeitungszeit darf er sich dann grundsätzlich auf die Erledigung dieser Aufgaben durch den von ihm Betrauten verlassen, solange zu Zweifeln kein Anlaß besteht (vgl. BGHZ 133, 370, 378). Es trifft ihn dann jedoch eine Überwachungspflicht. Wie diese ausgestaltet ist, wird nach den Umständen des Einzelfalles zu bestimmen sein.
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Diese Grundsätze müssen auch dann gelten, wenn der Geschäftsführer eine Person mit so weitreichenden Handlungsvollmachten gewähren läßt, daß diese ihrerseits als faktischer Geschäftsführer zu qualifizieren ist. Selbst wenn der Geschäftsführer hinnimmt, daß sich ein faktischer Geschäftsführer etablieren kann, führt dies nicht zwangsläufig zu einer Zurechenbarkeit von dessen Straftaten. Auch insoweit ist die strafrechtliche Schuld nach allgemeinen Grundsätzen festzustellen. Der formelle Geschäftsführer handelt demnach nur dann vorsätzlich pflichtwidrig im Sinne des § 266 a StGB, wenn er Anhaltspunkte für eine unzureichende Erfüllung der sozialversicherungsrechtlichen Pflichten durch den faktischen Geschäftsführer erlangt und dennoch nicht die notwendigen Maßnahmen ergriffen hat. Solche sich dem formellen Geschäftsführer aufdrängende Verdachtsmomente brauchen sich nicht unmittelbar auf die Verletzung sozialversicherungsrechtlicher Pflichten beziehen. Es kann nach den Umständen des Einzelfalls auch ausreichen, wenn für den formellen Geschäftsführer schon Anzeichen dafür bestehen, daß die Verbindlichkeiten nicht ordnungsgemäß erfüllt werden (vgl. BGHZ 133, 370, 379). Dies gilt insbesondere dann, wenn die Handlungsweise des faktischen Geschäftsführers – wie hier durch den andauernden Verstoß gegen ein Berufsverbot – in einem rechtswidrigen Gesamtzusammenhang steht und dem formellen Geschäftsführer dies bekannt ist. Im vorliegenden Fall mußte deshalb die Angeklagte B in Anbetracht der schwierigen wirtschaftlichen Situation die Abführung der Beiträge selbst sicherstellen.“
Weiter muss der sozialversicherungsrechtliche Beitrag abgeführt werden losgelöst davon, ob der späterer Arbeitslohn tatsächlich bezahlt wird oder nicht um der ansonsten drohenden zivilrechtlichen Haftung zu entgehen. Der BGH führt in dem vorgenannten Urteil vom 28.05.2002 (5 StR 16/02) dies wie folgt unter den Rn. 12 fortfolgende wie folgt aus:
„Das Landgericht, das keine Feststellungen zu tatsächlichen Lohnzahlungen getroffen hat, stellt für die Strafbarkeit nach § 266 a StGB zutreffend allein auf die sozialversicherungsrechtliche Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge ab. Die Strafbarkeit hängt nämlich nicht davon ab, daß Lohn ausbezahlt wurde (so aber Gribbohm JR 1997, 479 ff.; Bittmann wistra 1999, 441; Bente wistra 1996, 115; jeweils mit umfänglichen Nachweisen). Die sozialversicherungsrechtliche Beitragspflicht entsteht nach § 22 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 1 und § 7 Abs. 1 SGB IV allein durch die versicherungspflichtige Beschäftigung eines Arbeitnehmers gegen Entgelt. Der Anspruch wird gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV unabhängig von der tatsächlichen Zahlung von Arbeitslohn fällig (BSGE 75, 61, 65). Jedenfalls seit Änderung der ursprünglichen Strafbestimmung und Einfügung des § 266 aAbs. 1 StGB in das Strafgesetzbuch (durch das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 15. Mai 1986 – BGBl. I 721) ist das Merkmal entfallen, wonach es sich um „einbehaltene Beiträge“ handeln muß (vgl. zum früheren Rechtszustand BGHSt 30, 265, 266 f. m. w. N.). Maßgebend ist seither allein noch das „Vorenthalten“ von Beiträgen des Arbeitnehmers (vgl. ausführlich zur Entstehungsgeschichte BGHZ 144, 311).
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Alleiniger Schuldner des Arbeitnehmeranteils ist gemäß § 28 e Abs. 1 SGB IV der Arbeitgeber. Damit fehlt auch ein irgendwie geartetes Treuhandverhältnis des Arbeitgebers gegenüber seinem Arbeitnehmer im Hinblick auf die Arbeitnehmerbeiträge. Diese hat der Arbeitgeber nicht von einem gedachten Bruttolohn zu separieren, sondern er selbst ist originär zur Leistung der Sozialversicherungsbeiträge verpflichtet und darf dann seinerseits erst im Rückgriff (und nur für einen bestimmten Zeitraum) nach § 28 g SGB IV seine Leistungen vom Bruttoarbeitslohn des Arbeitnehmers abziehen. Da die Schuld hinsichtlich der Arbeitnehmerbeiträge unabhängig vom gezahlten Lohn besteht und sich auch aus dem Tatbestand des § 266 a Abs. 1 StGB eine solche Einschränkung nicht entnehmen läßt, ist kein Raum für eine einengende Auslegung, die eine Strafbarkeit nach § 266 a StGB von der tatsächlichen Lohnzahlung abhängig macht (BGHZ 144, 311; vgl. auch BGH ZIP 2002, 261, 262).“
Zivilrechtlich -nicht strafrechtlich- muss der Geschäftsführer einer GmbH auch in der finanziellen Krise des Unternehmens über die Einhaltung von erteilten Anweisungen zur pünktlichen zahlungfälliger Arbeitnehmer beitrage zur Sozialversicherung durch geeignete Maßnahmen sich vergewissern – andernfalls haftet er persönlich auf Schadenersatz wegen der nicht rechtzeitigen oder nicht vollständigen Abführung der sozialversicherungsrechtlichen Beiträge. Beim BGH in Zivilsachen (BGH, Urteil vom 9. 1. 2001 – VI ZR 407/99; OLG Naumburg; LG Halle) klingt das wie folgt:
„Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Berufungsgericht im wesentlichen ausgeführt, der Beklagte habe objektiv den Tatbestand des § 266 a Abs. 1 StGB erfüllt, weil die F. -GmbH die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung für den Monat August 1995 in Höhe von 39.311,90 DM zum Zeitpunkt der Fälligkeit, dem 15. September 1995, nicht abgeführt habe. Ob die Löhne für den Monat August 1995 ausgezahlt worden seien, sei unerheblich. Der Arbeitgeber müsse durch besondere Maßnahmen die Abführung der Arbeitnehmeranteile sicherstellen, wenn sich ihm konkrete Bedenken aufdrängten, ob am Fälligkeitstag ausreichende Mittel für diese Verpflichtung zur Verfügung stünden. Zur Überzeugung des Berufungsgerichts stehe fest, daß der Beklagte weder Rücklagen gebildet noch einen Liquiditätsplan aufgestellt habe, um die Beitragszahlung für den Fall der Zahlungsunfähigkeit der F. -GmbH sicherzustellen, obwohl diese bereits lange vor Sommer 1995 wirtschaftliche Probleme gehabt habe.
[9] Der Beklagte habe auch pflichtwidrig gehandelt. Er habe sich nicht auf telefonische Mitteilungen des Chefbuchhalters bzw. des Mitgeschäftsführers verlassen dürfen, sondern hätte sich vor Ort selbst um die Angelegenheit kümmern müssen. Er habe zumindest bedingt vorsätzlich unterlassen, die geschuldeten Arbeitnehmeranteile abzuführen, weil ihm die Pflicht zur Abführung bekannt gewesen sei und er dennoch in der seit Jahresanfang beginnenden Krisensituation der Gesellschaft keine Maßnahmen getroffen habe, um die Bezahlung der Beiträge sicherzustellen. Ein Irrtum über diese Pflicht sei vermeidbar gewesen.“
(…)
Das Berufungsgericht hat ein „Vorenthalten“ der Arbeitnehmerbeiträge im Sinn des § 266 a Abs. 1 StGB für den Monat August 1995 bejaht, obwohl die Löhne und Gehälter für diesen Monat nicht ausbezahlt worden sind. Das steht im Einklang mit dem nach Erlaß der angefochtenen Entscheidung ergangenen Senatsurteil vom 16. Mai 2000 (- VI ZR 90/99 – NJW 2000, 2993 = VersR 2000, 981, zum Abdruck in BGHZ bestimmt; ebenso neuestens Senatsurteil vom 14. November 2000 – VI ZR 149/99 – zur Veröffentlichung bestimmt, Umdruck S. 8, 9). Wie der erkennende Senat dort ausgeführt hat, entsteht die Beitragspflicht zur gesetzlichen Sozialversicherung durch die versicherungspflichtige Beschäftigung eines Arbeitnehmers gegen Entgelt (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Es kommt dafür nicht darauf an, ob das Entgelt für die Tätigkeit bereits geleistet oder empfangen ist. Gleiches gilt für die Fälligkeit der Beiträge. Der Senat hat in dieser Entscheidung ausführlich dargelegt, das für die Verwirklichung des Straftatbestands des § 266 a Abs. 1 StGB entscheidende „Vorenthalten“ der Beiträge gegenüber der zuständigen Stelle verlange lediglich die Nichtabführung der Arbeitnehmerbeiträge bei Fälligkeit; von einem „untreueähnlichen Verhalten“ des Arbeitgebers als die Strafbarkeit erst begründendem Element könne nach der heutigen Rechtslage nicht mehr ausgegangen werden. Rechtfertigung für die strafrechtliche Sanktion einer bedingt vorsätzlichen Nichtzahlung der Arbeitnehmerbeiträge sei die besondere Schutzbedürftigkeit der Aufbringung der Mittel zur Sozialversicherung.
(…)
Auch die sonstigen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 266 a Abs. 1 StGB hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler bejaht.
[17] Vergeblich beanstandet die Revision, der Beklagte habe nicht vorsätzlich gehandelt. Für den Vorsatz, wie ihn § 266 a Abs. 1 StGB voraussetzt, ist das Bewußtsein und der Wille erforderlich, die Abführung der Beiträge bei Fälligkeit zu unterlassen. Im Rahmen des hier ausreichenden bedingten Vorsatzes sind diese Voraussetzungen auch dann erfüllt, wenn der Arbeitgeber trotz Vorstellung von der Möglichkeit der Beitragsvorenthaltung diese gebilligt und nicht in dem erforderlichen Maße auf Erfüllung der Ansprüche der Sozialversicherungsträger auf Abführung der Arbeitnehmerbeiträge hingewirkt hat (vgl. BGHZ 134, 304, 314).“
Nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 01.07.2010 ist die Unkenntnis von einer Zahlungspflicht stets schuldhaft. Das Verschulden kann auf vorsätzlichem Verhalten wie auch auf fahrlässigem Verhalten beruhen. Insbesondere müssen organisatorische Vorkehrungen getroffen werden, damit der Unternehmer stets rechtzeitig von seinen Zahlungsverpflichtungen weiß bzw. informiert ist um diese erfüllen zu können. Andernfalls liegt ein sogenanntes Organisationsverschulden vor. Beim BSG klingt das in der Entscheidung vom 01.07.2010 (B 13 R 67/09 R) wie folgt:
„Ein Fall der unverschuldeten Unkenntnis der Klägerin von ihrer Pflicht zur Beitragszahlung iS von § 24 Abs 2 SGB IV, der der Erhebung des Säumniszuschlags entgegenstehe, habe die Klägerin nicht glaubhaft gemacht. Sie habe seit Erhalt der Anzeige der Personalstelle für Referendare am 7. 12. 2000 von der Zahlungspflicht gewusst und sei dennoch über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr untätig geblieben. Erst ab 7. 2. 2002 habe die Klägerin den Nachversicherungsvorgang bearbeitet. Sie habe selbst eingeräumt, dass der lange Zeitraum der Untätigkeit auf einer Fehlorganisation in der Personalverwaltung bzw auf einem Organisationsverschulden beruht habe. Hierfür spreche, dass die Klägerin in einer Vielzahl von Fällen (einige Hundert) die Nachversicherung verspätet durchgeführt habe. Auch im Zeitraum ab der erstmaligen Kontaktaufnahme mit der Referendarin (Schreiben vom 7. 2. 2002) bis zur Durchführung der Nachversicherung Anfang des Jahres 2003 habe keine unverschuldete Unkenntnis von der Zahlungspflicht vorgelegen. Die schuldhafte Kenntnis der Klägerin bis 6. 2. 2002 habe sich nicht dadurch in eine schuldlose Unkenntnis der Zahlungsverpflichtung mit der Folge schuldloser Säumnis gewandelt, dass die Referendarin auf keines der Schreiben der Klägerin reagiert habe. Die Klägerin hätte die Nachversicherungsbeiträge – wegen Fehlens von Aufschubgründen – sofort entrichten und so eine Säumnis vermeiden können. Der Klägerin sei es auch zumutbar gewesen, personelle oder verfahrensordnende Vorkehrungen zu treffen, um eine Verzögerung bei der Durchführung der Nachversicherung zu vermeiden.
(…)
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 24 Abs 2 SGB IV. Sie ist der Meinung, das LSG habe den im Senatsurteil vom 12. 2. 2004 (BSG SozR 4—2400 § 24 Nr 2) aufgezeigten Anwendungsbereich der Norm auf Nachversicherungsbeiträge verkannt. Sie räumt ein, bis zum Beginn der Bearbeitung des Nachversicherungsvorgangs im Februar 2002 fahrlässig in Unkenntnis der Zahlungsverpflichtung gewesen zu sein. Allerdings sei die Verzögerung in der Bearbeitung ab Juli 2002 bis zur Zahlung der Nachversicherungsbeiträge im Februar 2003 allein auf die fehlende Mitwirkung der Referendarin zurückzuführen.
(…)
Der unverschuldeten Unkenntnis von der Zahlungspflicht steht sowohl fahrlässiges wie auch vorsätzliches Verhalten iS von § 276 BGB entgegen. Bei Körperschaften des öffentlichen Rechts schließt das Außerachtlassen ausreichender organisatorischer Vorkehrungen (sog Organisa-tionsverschulden) eine unverschuldete Unkenntnis iS von § 24 Abs 2 SGB IV aus. Das Fehlen notwendiger organisatorischer Maßnahmen bedingt, dass sich die Organisation das Wissen einzelner Mitarbeiter zurechnen lassen muss (vgl Senatsurteile vom 17. 4. 2008 – BSGE 100, 215 = SozR 4—2400 § 25 Nr 2, RdNr 18; vom 29. 11. 2007 – BSGE 99, 227 = SozR 4—2600 § 186 Nr 1, RdNr 29; vom 12. 2. 2004 – BSGE 92, 150 = SozR 4—2400 § 24 Nr 2, RdNr 26; zum Verschuldensmaßstab vgl Udsching aaO RdNr 11; Segebrecht in Juris PraxisKomm, Stand 2006, § 24 SGB IV RdNr 32; VerbKomm, Stand 2008, § 24SGB IV RdNr 5; Seewald in Kasseler Komm, Stand 2008, § 24 SGB IV RdNr 14a). Soweit in der Literatur die Frage aufgeworfen wird, ob erst Vorsatz die unverschuldete Unkenntnis von der Zahlungspflicht ausschließt (vgl Roßbach in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Komm zum Sozialrecht, 2009, § 24 SGB IV RdNr 8), ergibt sich für diese Auffassung kein Anhaltspunkt in der Rechtsprechung des BSG (Urteile des 12. Senats vom 26. 1. 2005 – SozR 4—2400 § 14 Nr 7 RdNr 28 und vom 30. 3. 2000 – SozR 3—2400 § 25 Nr 7 S 35 f). Aus diesen Entscheidungen lässt sich eine Einengung des Verschuldensmaßstabes in § 24 Abs 2 SGB IV auf Vorsatz nicht herleiten. Lediglich die bei der Beurteilung des Vorsatzes iS des § 25 Abs 1 Satz 2 SGB IV (Verjährung der Ansprüche auf Beiträge) entwickelten Maßstäbe sind hiernach auch bei der Prüfung des subjektiven Tatbestandes von § 24 Abs 2 SGB IV anzuwenden; dh es ist eine konkret-individuelle Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Dies aber gilt auch für die Prüfung der glaubhaft gemachten unverschuldeten Unkenntnis von der Zahlungspflicht der Nachversicherungsbeiträge.“
Kurzum: die Zahlungs- und Anmeldepflichten muss der UNternehmer/Arbeitgeber kennen. Er kommt aus seiner Verpflichtung nicht raus. Ob er sich externer Dritter oder eigener Mitarbeiter bedient, ist ihm überlassen – aber er bleibt stets für die korrekte und pünktliche Anmeldung/Zahlung verpflichtet. So einfach ist das. Ausreden und Entschuldigungen gibt es nicht.
§ 266 a StGB lautet wie folgt wörtlich:
„§ 266a StGB Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt
(1) Wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer als Arbeitgeber
1. der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder
2. die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt
und dadurch dieser Stelle vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält.
(3) Wer als Arbeitgeber sonst Teile des Arbeitsentgelts, die er für den Arbeitnehmer an einen anderen zu zahlen hat, dem Arbeitnehmer einbehält, sie jedoch an den anderen nicht zahlt und es unterlässt, den Arbeitnehmer spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach über das Unterlassen der Zahlung an den anderen zu unterrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Satz 1 gilt nicht für Teile des Arbeitsentgelts, die als Lohnsteuer einbehalten werden.
(4) In besonders schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
1. aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß Beiträge vorenthält,
2. unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Beiträge vorenthält,
3. fortgesetzt Beiträge vorenthält und sich zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege von einem Dritten verschafft, der diese gewerbsmäßig anbietet,
4. als Mitglied einer Bande handelt, die sich zum fortgesetzten Vorenthalten von Beiträgen zusammengeschlossen hat und die zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege vorhält, oder
5. die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht.
(5) Dem Arbeitgeber stehen der Auftraggeber eines Heimarbeiters, Hausgewerbetreibenden oder einer Person, die im Sinne des Heimarbeitsgesetzes diesen gleichgestellt ist, sowie der Zwischenmeister gleich.
(6) In den Fällen der Absätze 1 und 2 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn der Arbeitgeber spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach der Einzugsstelle schriftlich
1. die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt und
2. darlegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich ist, obwohl er sich darum ernsthaft bemüht hat.
Liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 vor und werden die Beiträge dann nachträglich innerhalb der von der Einzugsstelle bestimmten angemessenen Frist entrichtet, wird der Täter insoweit nicht bestraft. In den Fällen des Absatzes 3 gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.“
Strafrechtlich ist bezogen auf die Tatbestandsmerkmale der Absätze 1 bis 3 Vorsatz erforderlich. Bedingter Vorsatz genügt. Er muss insbesondere auch die Stellung der Beteiligten als AG und AN umfassen.
Im Fall der Unmöglichkeit der Zahlung zum späteren Fälligkeitszeitpunkt setzt die Zurechnung des Vorverschuldens voraus, dass der Täter die Anzeichen von Liquiditätsproblemen, welche besondere Maßnahmen zur Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit erfordert hätten, erkannt hat (BGHSt 47, 318, 323).
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