Der Soldat und der Steuerzahler
Es treffen sich ein Soldat und ein Steuerzahler. Sie kommen ins Gespräch. Der Soldat beklagt sich darüber, dass er bei allen Erfolgen und Leistungen doch immer nur Kanonenfutter ist. Egal was er für die Truppe, den Staat und die Gesellschaft leistet, er geht unter in der Masse, ist unbedeutend, ist ein Nichts. Dabei ist seine Aufgabe so wichtig. Er putzt seine Stube, putzt seine Waffe, seine Stiefel, ist nie krank, ist bei allen Übungen dabei, führt alle Befehle sorgsam aus und ist ohne Fehl und Tadel. Seine Kameraden können sich auf ihn stets verlassen und sein Feldwebel sowieso. Er ist ein Idealist, bekennt sich zum Staat, will Recht und Gesetz verteidigen und dient deswegen an der Waffe. Aber irgendwie werden seine Leistungen und sein Einsatz nicht honoriert.
Klar, er bekommt seinen Sold. Aber wenn er mal was braucht, wenn er mal was will, hat er sich hinten anzustellen und eventuell ist nichts für ihn da, nimmt keiner auf ihn Rücksicht, trotz aller tollen Leistungen schwimmt er irgendwie nur in einer anonymen Masse. Im Krisenfall ist keiner für ihn da. Gefühlt jedenfalls. Vielleicht ist doch der eine oder andere Kammerad dann da – aber er hat das Gefühl, dass er zumindest erst mal und im Ernstfall ganz allein auf sich gestellt ist. Aber wird das meiner ganz wichtigen Funktion gerecht? Ich bin doch ein Teil der Armee und die Armee ist nichts ohne solche Teile …
Der Steuerzahler hört ihm aufmerksam zu. Nach einer Weile des Schweigens schaut der Steuerzahler ihn nachdenklich von oben bis unten an und fragt ihn, ob er glaube, dass es ihm, dem Steuerzahler besser erging. Der Soldat stutzt. Eigentlich will er mit „ja, natürlich“ antworten, doch er merkt, dass der Steuerzahler weiterreden will. Also schweigt er und hört dem Steuerzahler zu. Der Steuerzahler beklagt sich darüber, dass er bei allen Erfolgen und Leistungen doch immer nur in der Allgemeinheit untergehe. Egal was er für den Staat und für seinen Betrieb, seine Mitarbeiter und das Gemeinwohl geleistet hat, er geht in der Masse unter und ist unbedeutend, ist ein Nichts. Ein sauberer Arbeitsplatz, neueste Bildschirme, optimale Tische und augenfreundliche Lampen, beste rückfreundliche Stühle, Mutter-Kind-Arbeitsplätze mit Zuschüssen für die KiTa, später Heimarbeitsplätze, Betriebsfahrzeuge usw. Dabei ist seine Aufgabe so wichtig. Er hat eine kleine Firma gegründet. Gibt 7 Leuten Arbeit und Brot, zahlt seine Gehälter, Kosten, Mieten, Leasinggebühren, Materialkosten und all das andere
… und vor allem die Steuern: die Lohnsteuer, Umsatzsteuer, Sozialabgaben, Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer, Anliegerbeiträge bei seinen Privathaus und Anliegerbeiträge bei dem Firmengrundstück, Grundsteuer, Hundesteuer, Versicherungen und sonst noch alles mögliche und natürlich hunderttausende von Euro im Jahr an indirekten Steuern. Er ist ein Idealist, bekennt sich zum Staat, wendet Recht und Gesetz an und achtet Gerichte und Behörden und arbeitet gefühlt 24 Stunden 7 Tage in der Woche. Aber wenn er mal was braucht, wenn er mal was will, hat er sich hinten anzustellen und eventuell ist nichts für ihn dar, nimmt keiner auf ihn Rücksicht trotz aller tollen Leistungen in seinem Betrieb und für das Gemeinwesen. Seine Spenden für Kirche, Kindergarten Brot für die Welt, Tierheim und anderer Organisationen würdigt irgendwie keiner.
Dass er neben seiner Familie auch noch 7 andere Familien ernährt, interessiert auch keinen. Die Straße zu seiner Firma hat Schlaglöcher, als er letzteren war – gefühlt tot sterbenskrank – musste er in der Notaufnahme etliche Stunden warten, bis er endlich an die Reihe kam. Dabei zahlt er Millionen an Steuern und es wäre doch so wichtig, im Gegenzug dafür ihn auch zu pflegen und ärztlicherseits gut zu behandeln. Aber irgendwie schien er nicht wichtig. Er gehörte zu einer grauen Masse von Patienten, in die in der Notaufnahme warteten und mehr oder weniger der Reihe nach abgearbeitet wurden. Klar, er hat es irgendwie überlebt. Aber die Stunden des Wartens gaben ihm schon zu denken. Seine Steuern zahlt er immer pünktlich. Da muss das Finanzamt nie warten. Wenn er aber mal etwas will oder braucht, ist keine für ihn da. Nun ja, im Krankenhaus waren die ja für ihn da – gefühlt aber waren viel zu wenige da und haben ihn viel zu lange warten lassen.
Er schaut den Soldaten nachdenklich an.
„Auch ich bin nur eine kleine unbedeutende Nussschale im großen Ozean und schwimme irgendwie in einer anonymen Masse. Im Krisenfall ist für mich keiner da – vielleicht schon irgendwann irgendwie – vielleicht ist das dann aber auch zu spät. Vielleicht ist meine Familie erst einmal da, wenn ich einen Herzinfarkt habe oder einen Schlaganfall, vielleicht kommt dann auch irgendwann ein Krankenwagen und vielleicht kümmert man sich auch dann irgendwann um mich – aber wird das meiner so wichtigen Position in der Gesellschaft gerecht? Ich bin doch ein ganz wichtiger Baustein im sogenannten Mittelstand. Die Gesellschaft und das Wirtschaftssystem sind doch nichts ohne mich und wie kann es da sein, dass die Straßen zu mir kaputt sind, ich im Krankenhaus warten muss, ich vielleicht aber von Rettungswagen warten muss, wo ich doch so ein wichtiges Glied bin und ich so viele Steuern zahle? Wird das dann gar nicht irgendwie gewürdigt?“ fragt der Steuerzahler den Soldaten halb klagend.
Und dann erzählt der Steuerpflichtige weiter: er hatte letzt eine Betriebsprüfung. Da sind Kleinigkeiten beanstandet worden, die eigentlich unbedeutend sind. Und doch hat es mich irgendwie geärgert. Knapp 30.000 € sollte ich nachzahlen. Irgendwie war das ja noch erträglich. Meine Geschäfte laufen gut und ich konnte mir das leisten. Und trotzdem hat es mich geärgert. Kein Dank für all das, was ich zahle. Kein Dank und keine Anerkennung für all das, was ich richtig mache. Ich rackere Tag ein und Tag aus. Ich versuche alles richtigzumachen. Arbeite rund um die Uhr. Und dann werden mir Vorwürfe gemacht, ich hätte hier und da kleine Fehler gemacht.
Ist das nicht menschlich? Ist das nicht normal? Und schließlich habe ich doch auch noch dafür meinen Steuerberater, der sich um alles kümmert und gerade Fehler vermeiden soll. Trotzdem musste ich zahlen. Ich zahle schon so viel. Ich spende auch noch freiwillig. Ich kümmere mich freiwillig um den Kindergarten, bin in der Feuerwehr und ich spende auch für die Kirche und manch andere Organisation. Und trotzdem wurde ich getreten wegen vermeintlicher Fehler oder vielleicht auch tatsächlich kleiner Fehler. Nie kommt ein Dank. Nie kommt eine Anerkennung. Alles das ist angeblich selbstverständlich. Und bei Kleinigkeiten, ja Nichtigkeiten von Fehlern bekommst Du einen Tritt statt Dank.
… und auch noch Hinterziehung unterstellt. Ein Strafverfahren gab’s, dann auch noch gegen mich … das ist dann zwar nach langem Kampf dann endlich sanktionslos eingestellt worden … aber entschuldigt hat sich keiner bei mir für die ungerechtfertigten Vorwürfe … ich hatte sogar den Eindruck, dass die erwarteten, dass ich mich, für die längst überfällige Einstellung des Verfahrens hätte bedanken sollen …
Der Soldat nickt zustimmend: „Das kenne ich. Ist die Stube nicht akkurat aufgeräumt oder der spinnt nicht ordentlich, der Haarschnitt zu lang oder der Bart erst noch im Werden, bekommst Du sofort einen Anpfiff. Dank und Lob, das gibt es nicht. Es ist das gleiche Lied bei Dir wie bei mir: du musst einfach nur funktionieren und die Klappe halten. Und wenn Du Dich nicht 100-prozentig akkurat verletzt, gibt’s Sanktionen.“
Nach einer langen Pause legt der Soldat seine Hand dem Steuerpflichtigen vorsichtig auf die Schulter, klopft leicht, fast väterlich auf diese und beide schauen sich nachdenklich an. Der Soldat ergreift zuerst das Wort und sagt leise und langsam, doch klar und betont: „Unsere Pflichterfüllung wird von uns erwartet und doch sind wir nichts. Gehorchen wir nicht, gibt es Sanktionen. Funktionieren wir, so ist das selbstverständlich. Wir sind namenlose funktionierende Glieder in einer Kette und doch würdigt uns niemand, obwohl es die Kette ohne uns nicht gäbe.“
Der Steuerzahler dreht sich ein wenig ab, so als wollte er fast schon grußlos gehen, verharrt, blickt in die Ferne und murmelt zum Soldaten halb rückwärts gewandt: „Einen Unterschied gibt es doch: in Gedenken an die vielen gefallenen Soldaten gibt es immer wieder mal Denkmäler für Euch. In Gedenken an die vielen namenlosen kleinen und mittelständischen Betriebsinhaber, die sich für den Staat aufzehren und aufreißen, gibt es nicht einmal ein Denkmal.“
Der Soldat schaut ihn irritiert an und schüttelt ungläubig den Kopf: „na, wenn das der Unterschied ist, dann pfeife ich drauf. Ein Denkmal, wenn ich mal tot bin, brauche ich nicht. Und würde dir das weiterhelfen oder dich glücklicher machen, wenn du wüsstest, du bekämst ein Denkmal nach Deinem Tod für Deine Leistung oder es würde ein Denkmal erstellt für die namenlosen Unternehmer im Klein- und Mittelstand, die den Aufbau Deutschlands (mit) geleistet haben? Würde dich das glücklich machen? Ist es das, was du willst?“
Da schüttelt der Steuerzahler traurig den Kopf: „nein, das will ich nicht und es würde mich auch nicht glücklich machen. Das Aufzehren für den Staat einerseits und die Sanktionen und das Herumhacken auf uns andererseits, wenn mal etwas nicht 100-prozentig funktioniert ist einerseits wenig erfreulich und wenig menschlich, macht uns aber klar, dass wir einfach nur ein kleines unbedeutendes Glied in der Kette sind, dass zu funktionieren hat. Das ist bei dir so. Das ist bei mir so.“
„Also willst Du mehr Dank und mehr Menschlichkeit zu Lebzeiten?“ Fragt der Soldat.“Wie stellst Du Dir das vor? Wie soll das gehen?“
Der Steuerpflichtige nickt, „ja, das will ich. Aber wie es gehen soll, weiß ich auch nicht. Aber es liegt doch auch an der Einstellung der Beamten und Richter uns gegenüber oder genauer an der Einstellung der gesamten Gesellschaft …. Und dem Respekt, den man uns gegenüber entgegenbringt oder auch nicht … Es geht vielleicht nur über das Bewusstsein der Menschen, wenn die sehen, was wir leisten … und wie es wohl ohne uns wäre …“
Da schüttelt der Soldat den Kopf: „solange nur genügend nachkommen, kommt es auf den einen nicht an. Da gehen wir unter in der grauen anonymen Masse … und wenn einer wegfällt, treten andere an seine Stelle, das ist bei dir so, das ist bei mir so.“
Der Soldat und der Steuerpflichtige schauen sich lange tief in die Augen, nicken sich schließlich freundlich und verständnisvoll zu und gehen wieder ihrer pflichtgemäßen Aufgabenerfüllung nach, tauchen wieder ein in die graue anonyme Masse und erfüllen stumm und klaglos ihre Pflichten – zu unser aller Wohl.
Ein stummer Dank an dieser Stelle an diese beiden und an all die anderen, die ich hier nicht erwähnt habe und die genauso ihre Pflichten erfüllen.