Eine kleine Metzgerei auf dem Lande an einer kleinen, mäßig befahrenen Hauptstraße.
Früher gab es hier noch eine Post, zwei Bäcker, noch eine andere Metzgerei und sogar eine Quelle-Agentur, eine Tankstelle und noch ein paar andere Geschäfte sowie drei Gaststätten und einen Schleckermarkt.
Das Bild des Ortes hat sich schon lange geändert.
Zuerst war die Quelle-Agentur weg. Dann eine Metzgerei, ein Bäcker, dann Schlecker, dann die Post. Jetzt sind noch drei Gaststätten, eine Bäckerei und er übrig – und in der Tankstelle ein Blumenladen mit Zeitschriften, Schulsachen und ein paar Spielsachen. Gelbe Fliesen sind außen an der Metzgerei. Weiße Neon-Reklame prankt über dem Laden: „Metzgerei Mayer“ steht dort in sachlich klarer Schrift.
Aber einige der Neonröhren funktionieren nicht mehr, so dass sie der Mayer nie einschaltet. Warum auch. Die Leute kennen ihn. Strahlende Leuchtwerbung braucht er nicht. Das war eine Idee seines Vaters. Der ist vor 8 Jahren gestorben. Viel zu früh. Gott hab ihn selig.
Für Mayer ist das ganz klar: Entweder die Leute kaufen bei ihm oder nicht. Mit Leuchtreklame oder ohne. Da steckt er kein Geld rein. Eine große Glasscheibe über fast die gesamt Ladenfront im gold-schwarzen Metallrahmen. Vier Stufen vom Gehweg in seinen Laden, dann die Glaseingangstür im Metallrahmen. 70erJahre-Style.
40 Jahre Metzgerei Mayer prangt in weißer Schrift im Teilkreis in großen Lettern an der Glasscheibe.
Im Schaufenster steht eine Tafel mit den aktuellen Angeboten. Innen grau melierte Fliesen. Die Innenwände weiß gefliest. Etwas über Kopfhöhe hängt eine rundumlaufende Metallstange, an der an Fleischerhaken zahlreiche Würste und Schinken hängen. Die Theke ist unten schwarz verkleidet, mit schwarzer Ablage in Kniehöhe für Körbe und Taschen der Kundschaft.
In der Glastheke liegen viele Sorten Wurst, Aufschnitt, Fleisch. Auf der Arbeitsfläche stehen diverse Waagen, ein Fleischwolf, eine Wurstschneidemaschine, verschiedene Messer, ein Fleischerbeil, Stapelkörbe, Fleisch- und Auslegbleche, Schneidebretter und andere Utensilien. Und natürlich eine elektronische Kasse. Von der Decke hängen zwei Neonlampen und ein Deckenventilator.
Die Metzgerei hat schon bessere Tage gesehen.
Jedenfalls nach der Optik, dem äußeren Anschein nach. Aber das Finanzamt interessiert nicht die Optik. Nicht wie modern die Metzgerei nach außen wirkt. Das Finanzamt ist auf die Metzgerei aufmerksam geworden, weil sie seit Jahren deutlich unter den amtlichen Richtsätzen lagen. Die Rohgewinnaufschlagsätze betrugen im Jahresmittel für 2006 nur 20,57 %, für 2007 nur 44,5 % und für 2008 lediglich 50,37 %.
Nach der amtlichen Richtsatzsammlung betragen die Rohgewinnaufschlagsätze für Metzgereien und Fleischereien in den Prüfungszeiträumen, hier 2006 bis 2008 zwischen 85-163 %, im Mittel 117 %.
Richtsätze des BMF für die Jahre 2005 bis 2008: | |||||
Gewerbeklassen | Rohgewinnaufschlag auf den Wareneinsatz bzw. Waren- u. Materialeinsatz | Rohgewinn I in v. H. des wirtsch. Umsatzes | Rohgewinn II in v. H. des wirtsch. Umsatzes | Halbreingewinn in v. H. des wirtsch. Umsatzes | Reingewinn in v. H. des wirtsch. Umsatzes |
ohne Gewerbe- klassenunter- | 85 – 163 (Mittelwert: 117%) | 46 – 62 (MW: 54%) | 23 – 44 (MW: 34%) | 3 – 20 (MW: 10%) |
Der Betrieb fällt dem Veranlagungsbezirk schon seit einigen Jahren auf und es ist nicht ersichtlich, warum die Rohgewinnaufschläge sogar unter den durchschnittlich untersten Rohgewinnaufschlagsätzen liegen.
Also wird, nach internen Besprechungen ein Prüfungsvorschlag an die BP im Hause geschrieben.
Die Finanzverwaltung möchte Großbetriebe grundsätzlich lückenlos, andere Betriebe dagegen in zeitlichen Abständen prüfen – entweder nach einem Zufallsprinzip oder aus gegebenem Anlass (§ 4 der Betriebsprüfungsordnung (Steuer) – BpO(St) 2000-). Neben den damit bezeichneten Routineprüfungen (Anschluss- oder Zufallsprüfungen) kann die Finanzverwaltung auch dann eine Betriebsprüfung anordnen, wenn der Sachverhalt aus besonderem Anlass prüfungswürdig erscheint, es also Auffälligkeiten gibt, wie etwa hier die überraschend niedrigen Rohgewinnaufschlagsätze über Jahre hinweg (vgl. BFHE 138, 407, BStBl. 1983 II, 621; BFH, Urteil vom 24.1.1985, IV R 232/82, BStBl. 1985 II, 568).
Aufgrund des Prüfungsvorschlags wird der Betrieb im Prüfungsplan vorgesehen. Der Fall bekommt eine Tagebuchnummer, Abschriften ergehen an den Veranlagungsbezirk, der so sieht, dass seinem Vorschlag gefolgt wird und in diesem Jahr eine Prüfung stattfindet. Das Ergebnis wird dem Bezirk mitgeteilt werden, der es letztlich in Bescheide umsetzen muss, sofern es zu Feststellungen und Steueränderungen kommt.
Der Sachgebietsleiter der BP teilt den Prüfungsfall einem seiner Prüfer zu, der neben 6-8 anderen Prüfungen diesen Fall parallel prüft. Der Prüfer plant die nächsten Monate und als klar ist, dass ein Fall abgeschlossen wird, schreibt er die Prüfungsanordnung an den Betriebsinhaber, schaut sich schon mal die Steuerakten und die letzten BP-Berichte an. Da stellt er fest, dass dieser Betrieb vor 14 Jahren das letzte Mal geprüft wurde. Da wurde der Betrieb offenbar noch vom Vater des heutigen Steuerpflichtigen geführt…
Nun läuft die Prüfung seit 4 Wochen mit Unterbrechungen, d.h. der Prüfer war 4 Mal im Betrieb und hat an Amtsstelle verschiedene Verprobungen gemacht. Der Prüfer verzieht das Gesicht. In dem Betrieb stimmt gar nichts. Nicht nur die Rohgewinnaufschlagsätze. Diese schwanken auffällig stark. Warum soll ein Betrieb im ersten Prüfungsjahr einen Aufschlagsatz von rund 20, im dritten von über 50 % durchsetzen können.
Bei dem lokal begrenzten Wirkungskreis und der einfachen, ländlichen Struktur, hat der Betrieb seinen festen Kundenstamm. Warum kann er solche Preiserhöhungen problemlos durchsetzen und warum ist der Aufschlagsatz so niedrig? Der Prüfer will die Kasse stürzen. Was ist das? Das kommt begrifflich noch von früher, indem die Kasse umgestürzt wurde. Das sagen wir heute auch noch umgangssprachlich: einen Kassensturz machen, gucken was drinnen ist – ob man sich das leisten kann, was man kaufen möchte. Kasse umdrehen, entleeren und zählen und dann verproben mit dem, was nach dem Kassenbuch oder dem Registrierstreifen drinnen sein müsste. Also einen Abgleich mit dem rechnerischen, buchhalterischen Stand und dem tatsächlichen Stand.
Normalerweise muss das identisch sein, wenn es nicht mal Wechselgeldfehler gibt.
Hier ergibt sich eine Differenz von über dreihundert €. Die Kasse scheint nur rechnerisch geführt zu sein. Es gibt keine Zählprotokolle. Dann schaut sich der Prüfer den Wareneingang an. Der ist aufzuzeichnen. Zeitnah, zutreffend, vollständig. Das sind die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung. Es ergibt sich aber ein negativer Warenbestand. Wie kann das sein? Der Metzger kann doch nicht mehr verkauft haben, als er eingekauft hat. Minus-Fleischwürste oder negativen Schinken gibt’s halt nicht.
Wenn die Auslage leer ist, gibt’s nichts mehr zu verkaufen. Ein nichts kann man nicht verkaufen. Ist die Leber ausverkauft, kann man keine Leber mehr verkaufen. Der Metzger aber scheinbar doch .. dann gibt’s nur eine Erklärung: der Einkauf ist nicht ordnungsgemäß erfasst. Das ist aber mehr als nur ein formeller Fehler. Denn wenn der Wareneinkauf nicht stimmt, dann stimmt auch der Wareneinsatz, also die Menge, die in den Verkauf geht und auf die sich der Rohgewinnaufschlagsatz beziehen muss nicht mehr.
Bei den vielen Wurst- und Fleischsorten müsse ein hoher Umsatz da sein. Mayer meint, der Umsatz sei mäßig, wie seine Buchführung zeige. Er müsse viel wegwerfen bzw. Kindern verschenke er immer eine Scheibe, wenn sie mit ihren Eltern einkaufen kämen und häufig müssten er oder seine Verkäuferin ausgetrockneten Anschnitt oder auch mal eine ganze Wurst wegwerfen.
Der Verderb sei hoch. Und die große Sortiment müsse er anbieten, damit überhaupt einer käme. Hätte er nur ein paar Wurstsorten im Aufschnitt in der Auslage, könne er seinen Laden gleich ganz schließen. Der Prüfer setzt sich dann hin und macht einen Zeitreihenvergleich. Dabei geht man davon aus, dass man einen kompletten Warenumschlag hat, also keine Waren auf Lager genommen werden. Solche Zeitreihenvergleiche gehen besonders gut, wenn binnen kurzer Zeit- etwa einem zehnwöchigen Zeitraum der komplette Einkauf mindestens ein Mal umgesetzt wird.
Dann kann man die Buchhaltung in kleine Scheiben zerschneiden und etwa einen 10-Wochen-Zeitraum als verkürztes Wirtschaftsjahr einmal durchspielen.
Eigentlich müssten dann die 5 Teile a´ 10 Wochen sich stark gleichen und diese auch jeweils den Jahresdurchschnitt widerspiegeln, wenn nicht starke saisonale Unterschiede bestehen. Der Prüfer ist der Auffassung, dass bei dem kleinen Betrieb und den geringen Kühlmöglichkeiten der Wareneinsatz in ein bis zwei Wochen einmal komplett gedreht wurde und nimmt daher, um sicher zu gehen, dass auch wirklich alle verderblichen Waren ein Mal umgesetzt wurden, einen dreiwöchigen Zeitraum für seinen Zeitreihenvergleich. Damit – so seine These, müsste das Jahr in 17 malige Dreiwochenzeiträume unterteilt werden können und in jeder Zeitreihe müsste sich als sozusagen kleines, verkürztes Wirtschaftsjahr der Rohgewinnaufschlagsatz des Jahres widerspiegeln. Er kommt jedoch zu erheblichen Schwankungen und meint, damit seien die Manipulationen bewiesen. Er verwirft die Buchführung und schätzt weiteren Wareneinkauf hinzu.
Dieser Wareneinkauf sei von schwarzen Erlösen gekauft worden. Da der unehrliche Steuerpflichtige nicht besser stehen dürfe, als der ehrliche, korrekt aufzeichnende, schätzt er pro Jahr 20.000 € weiteren Wareneinsatz hinzu und auf den gesamten Wareneinsatz wendet der dann zwar nicht den höchsten Rohgewinnaufschlagsatz an, weil die Metzgerei schließlich keine Großstadt-Innenlage habe, nicht in einer stark frequentierten Fußgängerzone liege, aber 130 % Rohgewinnaufschlagsatz – also deutlich über dem Mittelwert hält er für angemessen, zumal es die einzige Metzgerei an dem nicht gerade kleinen Ort sei und ein Einkaufsmarkt und andere Metzgereien mindestens 15 km entfernt lägen, so dass er eine gewisse lokale Monopolstellung habe.
Keiner würde in die über 25 km entfernte Großstadt für etwas Fleisch oder Wurst oder Aufschnitt extra fahren und wenn man mal schnell etwas bräuchte oder vergessen habe, würde die Metzgerei davon profitieren, zumal man auch nach Geschäftsschluss durch den Hof noch was abends spät oder auch am Samstagnachmittag oder sogar am Sonntag bei ihm bekäme, wie die freundliche ältere Nachbarin am Fenster gegenüber dem Prüfer erzählt habe.
„Wenn der Mayer da is, und der is fast immer da, musste nur in den Hof gehen und klingeln, da kannste auch Grillwürste noch am Sonntag kriegen“, hatte sie dem Prüfer erzählt. Während Mayer dem Prüfer entgegenschleudert, dass dies alles nur Gerüchte und Verleumdungen sind und er alles ordnungsgemäß aufgezeichnet und erklärt habe, meint der Prüfer, dass die Zuschätzung vom FG Köln auch in vergleichbaren Fällen gehalten hätte und verweist auf eine Entscheidung des FG Köln vom 9. Oktober 2013, Aktenzeichen: 10 K 2165/12.
Herr Mayer merkt, dass ihm die Prüfung nicht nur Probleme, sondern ernsthaft schlaflose Nächte bereiten wird.
Sein Steuerberater kann ihm nicht helfen. Der hat die gelieferten Zahlen verbucht und ist über die Ergebnisse des Prüfers überrascht, die dieser in einer Zwischenbesprechung präsentiert. Herr Mayer sucht Rat bei einem Fachanwalt. Was der ihm wohl rät?
Der Fachanwalt wird nicht auf das Urteil des BFH vom 24.01.1985, IV R 232/82, BStBl. 1985 II, 568) hinweisen, wonach dann, wenn bei einem Steuerpflichtigen außerhalb des allgemeinen Prüfungsrhythmus aus besonderem Anlass eine Betriebsprüfung durchgeführt werden, hierfür Gründe in den betrieblichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen vorliegen müssen und die Finanzbehörde hierbei erwägen muss, ob die erforderliche Aufklärung auch ohne Betriebsprüfung erreicht werden kann.
Denn ein solcher Ansatz würde erfordern, dass die Prüfungsanordnung angefochten worden wäre und letztlich dieser Gedanke als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gegen den Erlass der Prüfungsanordnung mit Erfolg vorgebracht werden könnte. Doch dafür ist es zu spät. Die Prüfungsanordnung ist ordnungsgemäß bekannt gegeben und längst rechtskräftig. Wiedereinsetzungsgründe sind nicht ersichtlich, so dass die Prüfungsanordnung nicht mit Erfolg mehr angefochten werden kann.
Aber ist der Zeitreihenvergleich für einen Drei-Wochen-Zeitraum zulässig? Ist der Zeitreihenvergleich überhaupt ein geeignetes Mittel um die Unrichtigkeit der Buchführung zu belegen? Das FG Münster bejaht dies: FG Münster, Urt. v. 26.07.2012 – 4 K 2071/09 E,U. Aber genau dieser Rechtsfrage ist beim BFH unter dem Aktenzeichen X R 20/13 nun anhängig. Hält der Zeitreihenvergleich?
Klar ist, dass das FA eine Schätzungsbefugnis dem Grunde nach hat, wenn die Buchführung nicht ordnungsgemäß ist. Nach § 162 AO hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, wenn sie sie nicht ermitteln kann. Da die Buchführung nach Auffassung der Finanzverwaltung zu verwerfen ist und andere vollständige Aufzeichnungen nicht vorhanden sind, insbesondere der fehlende Wareneinkauf und infolgedessen der fehlende Wareneinsatz nicht ermittelt werden kann, ist er zu schätzen.
Der Prüfer weist darauf hin, dass bei der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen das Finanzamt sich an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientieren kann, weil der Steuerpflichtige –gerade wie hier- möglicherweise Einkünfte verheimlichen will und beruft sich auf einen Beschluss des BFH vom 12.12.2013, Aktenzeichen: X B 205/12, BFH/NV 2014, 490, 491. Dort hat der BFH auch entscheiden, dass selbst dann, wenn eine überzogene Schätzung diesen Rahmen verlässt, so hat dies im Allgemeinen nur die Rechtswidrigkeit der Schätzung, nicht aber bereits deren Nichtigkeit zur Folge.
Eine solche ist vielmehr selbst bei groben Schätzungsfehlern, die auf einer Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten oder der wirtschaftlichen Zusammenhänge beruhen, regelmäßig nicht anzunehmen.
Der Prüfer meint, selbst wenn er nun einen Rohgewinnaufschlagsatz von 160 % annehme, könne dies allenfalls im FG-Verfahren minimal nach unten korrigiert werden, wenn das FG seine Schätzung für überzogen halte und an seiner Stelle eine eigene Schätzung setzt. Aber er –der Prüfer- meine es ja gar nicht so, er wolle nur eine gerechte gleichmäßige Besteuerung und hier die offensichtlich nicht erfassten Umsätze zu den wohl zutreffenden Aufschlagsätzen einer Nachversteuerung unterziehen. Hinzu kommen dann noch Hinterziehungszinsen und ein Steuerstrafverfahren. Den Vorbehaltsvermerk nach § 201 Abs. 2 AO werde er in den Bericht aufnehmen.
Welche Fehler entdeckt der Fachanwalt? Was kann man hier noch tun?
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Nachsatz: die Metzgerei Mayer ist natürlich frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.