Der BGH zu Schwarzarbeit und Scheinrechnungen
Harald und Katrin mit Problemen bei § 266 a StGB
von RA Dr. jur. Jörg Burkhard, Fachanwalt für Steuer- und Steuerstrafrecht
Der Angeklagte Harald betrieb als geschäftsführender Gesellschafter ein Bauunternehmen in der Rechtsform einer GmbH mit Sitz in Offenbach am Main. Seine Ehefrau, die mit Angeklagte Katrin, erledigte in dem Unternehmen im Wesentlichen die Büroarbeiten. In den Jahren 2006-2012 nahm der Angeklagte Harald wegen des Umfangs der von ihm betreuten Bauvorhaben in erheblichem Maße Fremdleistungen in Anspruch.
Nach den Feststellungen des HZA … ließ der Angeklagte dabei viele Arbeiten durch Schwarzarbeiter verrichten, für die weder Lohnsteuer angemeldet noch Sozialabgaben abgeführt wurden. Mit den paar beschäftigten und angemeldeten Arbeitern konnte Harald die Arbeiten in Millionenhöhe auch unmöglich selbst durchgeführt haben. Die Ehefrau ist trotz der gemeinsamen Einkommensteuererklärung natürlich nicht wegen einer Steuerhinterziehung des Ehemanns zu verurteilen.
Es gibt keine Ehegattenverantwortlichkeit (Burkhard, Deutsche Steuer-Zeitung –DStZ– 1998, 829; ders., Beihilfe des Ehegatten durch bloße Mitunterzeichnung im Rahmen der Zusammenveranlagung? StB 2001, 47; Burkhard/Adler Betriebsprüfung und Steuerfahndungsprüfung, Kommentar 1. A., § 193 RN 63). Dass sie lediglich im Büro der Baufirma Büroarbeiten machte, genügt nicht für die Annahme einer Mittäterschaft hinsichtlich des Ankaufs oder der Verwendung von Scheinrechnungen, der Beauftragung von Schwarzarbeit noch der Lohnsteuerhinterziehung oder der Annahme der Vorenthaltung von Sozialabgaben.
Zur Verschleierung dieser Schwarzlohngeschäfte verwendete der Angeklagte Harald Abdeckrechnungen zweier angeblicher Bauunternehmen, die Subunternehmerbauleistungen über insgesamt rund 3,6 Millionen € auswiesen und die in die Buchhaltung der GmbH eingestellt wurden.
Die eine Baufirma kam aus Frankfurt/M, die andere aus Hanau. Beide hatten denselben Geschäftsführer. Die gefälschten Rechnungen waren von dem mittlerweile flüchtigen Geschäftsführer der Hanauer und der Frankfurter Baufirma erstellt und für 8 % bzw. 10 % Provision an Harald verkauft worden. Diese Eingangsrechnungen überwies Harald jeweils prompt nach Rechnungseingang ohne Abzüge, während andere Eingangsrechnungen meist 3-4 Wochen liegen blieben und häufig Kürzungen erfuhren.
Die Eingangsrechnungen dieser beiden Firmen waren nicht gefaltet und wurden stets ohne Kürzung ein bis 2 Tage nach Eingang überwiesen. Sie hatten keine Prüfvermerke, weder auf sachlich noch auf rechnerische Richtigkeit, während sonst fast alle anderen Eingangsrechnungen solche Prüfstempel oder wenigstens handschriftliche Prüfvermerke aufwiesen. Bei diesen Eingangsrechnungen der Frankfurter und der Hanauer Subunternehmerfirmen gab es noch nicht einmal Massen- oder Zeitkontrollen, keine Anmerkungen oder Prüfvermerke auf den Rechnungen. Umgekehrt gab es bei den beiden Rechnungsausstellern gleich am selben Tag des Zahlungseingangs oder spätestens einen Tag später Barabhebungen in fast der gleichen Höhe des Rechnungseingangs.
Auf den Konten der Rechnungsausstellerfirmen sind noch andere Beträge eingegangen, die ebenfalls in fast der Höhe der jeweiligen Rechnungsbeträge am Tag des Eingangs oder am Folgetag wieder abgehoben wurden. Nach den Feststellungen des Zolls waren zwar nie exakt 8 oder 10 % weniger abgehoben wurden, aber in etwa stimmte das – die Abhebungsbeträge waren geglättet und in etwa den Provisionen angepasst.
Mit der Anzahl der angemeldeten Mitarbeiter können diese beiden Rechnungsausstellerfirmen die Arbeiten nach Auffassung des Zolls nicht erbracht haben. Dass diese beiden Firmen Subunternehmer hatten, konnte der Zoll nicht feststellen.
Dass die von den Fremdfirmen fakturierten Arbeiten nicht von diesen ausgeführt worden sein konnten, machte der Zoll zudem daran fest, dass auf den Baustellen Torkontrollen erfolgt waren und dort nie Arbeiter der Hanauer und Frankfurter Subunternehmerfirmen erfasst waren, sondern neben anderen Firmen nur Arbeiter des Angeklagten. Dabei waren auch mehr Arbeiter unter seiner Firma bei den Torkontrollen erfasst, als er angemeldet hatte. Haralds Einwand, das natürlich die Arbeiter der Hanauer und Frankfurter Firma mit seinen Leuten die Baustellen betreten hätten und sich als seine Arbeiter ausgegeben hätten, ließ der Zoll nicht gelten.
Zudem sei in den Bauverträgen mit Harald von dem Generalübernehmer vereinbart, dass Harald keine Subunternehmerfirmen einsetzen dürfe bzw. in dem späteren Folgevertrag war vereinbart, dass er die Namen der Subunternehmerfirmen, die er einsetze, benennen und sich genehmigen lassen müsse. Da Harald keine Subunternehmerfirmen benannt hätte und keine Genehmigungen für den Einsatz von, ging der Zoll davon aus, dass es sich hier nur um Schutzbehauptungen von Harald handelte. Und bei dem 1. Teilabschnitt hätte er gar keine Subunternehmerfirmen einsetzen dürfen. Der Zeugin davon aus, dass sich Harald daran auch mangels anderer Nachweise gehalten habe.
Mit der Anklageschrift wirft die Staatsanwaltschaft den Angeklagten vor, durch diese Barabhebungen die Gelder vorbehaltlich der 8 bis 10 % Provision zurückzuhalten zu haben und hiervon Schwarzlöhne gezahlt zu haben. 66,2/3 Prozent der zurückgeflossenen Beträge seien in Schwarzlöhne geflossen, der Rest sei verdeckte Gewinnausschüttung. Aus den Nettolohnsummen berechnet der Zoll Lohnsteuer und die Vorenthaltung von Arbeitnehmeranteilen, § 266 a StGB.
Hierdurch seien in den Jahren 2006 bis 2012 Körperschaft-, Gewerbe- und Einkommensteuer sowie Solidaritätszuschlag in einer Gesamthöhe von rund 3,2 Millionen € verkürzt worden. Eine Umsatzsteuerhinterziehung lag nicht vor, da es sich um § 13b Rechnungen, also solche ohne Umsatzsteuerausweis, sondern solche mit Übergang der Steuerschuldnerschaft auf den Rechnungsempfänger, handelte.
Die Staatsanwaltschaft verwies darauf, dass die Kammer die Höhe der Hinterziehung schätzen könne und müsse. Die Schätzung kann dabei etwa anhand repräsentativer Stichproben erfolgen, auch um einen unverhältnismäßigen Untersuchungsaufwand zu vermeiden (BGH StV 2008, 9). Gerade dann, wenn sich solche Feststellungen bei angemessenem Aufklärungsaufwand nicht treffen lassen, darf das Tatgericht eine an den Umständen des Falles orientierte Schätzung unter Beachtung des Zweifelssatzes vornehmen (BGH NStZ 2002, 438, 439) (BGH 1 StR 283/09 – Beschluss vom 10. November 2009).
Dieselben Grundsätze gelten für die Schätzung von Bemessungsgrundlagen bei der Berechnung hinterzogener Lohnsteuer und vorenthaltener Sozialversicherungsbeiträge. Auch hier muss nach der Überzeugung des Tatgerichts ein strafbares Verhalten des Täters feststehen. Steht die Strafbarkeit fest, kommt eine Schätzung des Schuldumfangs namentlich dann in Betracht, wenn mangels entsprechender Buchführung des Angeklagten eine konkrete Berechnung der Bemessungsgrundlage nicht vorgenommen werden kann (vgl. BGHSt 40, 374, 376; NStZ 2001, 599, 600; wistra 2007, 220 f., jew. m.w.N.).
Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen muss zudem nach steuerrechtlichen Grundsätzen in sich schlüssig sein. Das ist namentlich dann der Fall, wenn ihre Ergebnisse hinsichtlich aller Bemessungsgrundlagen wirtschaftlich vernünftig und möglich sind (BGH wistra 1992, 147; NStZ 1999, 581, BFH BStBl II 1986, 226). (BGH 1 StR 283/09 – Beschluss vom 10. November 2009 (LG Stuttgart)
Die Staatsanwaltschaft verwies weiter darauf, dass es ist ein bestimmender Strafschärfungsgrund (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO), wenn in Fällen der vorliegenden Art ein Arbeitgeber nach Gesetz buchungs- oder aufzeichnungspflichtige Vorgänge nicht oder nicht richtig verbucht oder verbuchen lässt, d.h. Lohnunterlagen nicht oder unrichtig führt.
Der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer illegal beschäftigt, verwirklicht dadurch neben den Straftaten nach § 266a StGB, § 370 AO Ordnungswidrigkeitentatbestände. So führt er die nach § 28f SGB IV erforderlichen Lohnunterlagen nicht (Ordnungswidrigkeit nach § 111 Abs. 1 Nr. 3 bzw. Nr. 3a SGB IV; siehe auch § 5 Abs. 1 Nr. 6 AEntG). Daneben kommen Ordnungswidrigkeiten nach § 379 AO in Betracht.
Wenngleich die Ordnungswidrigkeiten regelmäßig durch die verwirklichten Straftatbestände verdrängt oder im Hinblick auf die Straferwartung von der Verfolgung ausgenommen werden, kann bei der Strafzumessung – nach entsprechendem Hinweis an den Angeklagten – strafschärfend berücksichtigt werden, dass zur Ermöglichung und Verschleierung der Straftaten Ordnungswidrigkeiten begangen wurden (vgl. BGHSt 23, 342, 345). Der Strafschärfungsgrund kann sich bei der Strafzumessung innerhalb des gefundenen Strafrahmens, aber auch schon bei der Strafrahmenwahl auswirken. (BGH 1 StR 283/09 – Beschluss vom 10. November 2009)
Die Staatsanwaltschaft begehrte eine Hochrechnung der Schadenssummen wie folgt: Die der Schadensberechnung zugrunde gelegten Lohnsummen errechnete die Staatsanwaltschaft dem Zoll und der DRV und der AOK folgend daher auf der Grundlage einer branchenüblichen Lohnquote von 66,66 % bezogen auf die um anerkannte Subunternehmerleistungen bereinigten monatlichen Nettoumsätze.
Dass die Lohnquoten im Baugewerbe nach den Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes nur bei etwa 25 % liegen, beeindruckte die Staatsanwaltschaft dabei nicht wirklich. Die so ermittelten Lohnsummen wurden für die Berechnung der vorenthaltenen Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherungsbeiträge nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auf ein Bruttogehalt hochgerechnet.
Auf der Grundlage dieser fiktiven Bruttolohnsumme wurden die vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge errechnet, von denen in einem letzten Schritt die Sozialversicherungsbeiträge, die für die angemeldeten Arbeitsverhältnisse gezahlt worden waren, abgezogen wurden. Für die Berechnung der hinterzogenen Steuern und die vorenthaltenen Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung erfolgte demgegenüber keine Hochrechnung der geschätzten Lohnsumme nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV.
Das Landgericht hat sich zwar davon überzeugt, dass die jeweils eingestellten Rechnungen der Frankfurter und Hanauer Baufirmen Scheinrechnungen waren. Es meinte aber, dass den Rechnungsbeträgen tatsächlich bewirkte Zahlungen an unbekannt gebliebene Dritte gegenübergestanden haben, nämlich Lohnzahlungen, sodass Betriebsausgaben insoweit entstanden seien.
Jene Dritte hätten im Umfang der Rechnungsbeträge tatsächliche Bauleistungen erbracht und entsprechende Beträge schwarz vereinnahmt. Zu dieser Erkenntnis ist das Tatgericht aufgrund einer von der Steuerfahndung vorgenommenen und an der Richtsatzkartei angelehnten Nachkalkulation gelangt. Ausgehend von dieser Schätzung der Steuerfahndung hat das Landgericht die bar abgehobenen Beträge als Herbert zurückgeflossen und von diesem an andere Lohnempfänger als gezahlt angesehen, sodass Betriebsausgaben, nämlich Lohnzahlungen, entstanden seien, die in gleicher Höhe wie die mit Scheinrechnungen unterlegten, tatsächlich falsch erklärten Betriebsausgaben einnahmemindernd zu berücksichtigen seien. Im Ergebnis sei daher eine Hinterziehung von Ertragsteuern zu verneinen; die Angeklagten seien daher freizusprechen.
An der Ausurteilung der durch das festgestellte Geschehen verwirklichten Straftaten (Lohnsteuerhinterziehung nach § 370 AO sowie der Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt, § 266 a StGB) sah sich das Landgericht in Ermangelung einer auch diese Taten umfassenden Anklage gehindert.
Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft waren nach Auffassung des BGH begründet (BGH 5 StR 461/04 – Urteil vom 17. März 2005)
Der BGH hob das freisprechende Urteil des LG aus folgenden Gründen mit Urteil vom 17.03.05 auf:
„1.
Wie der Generalbundesanwalt zutreffend hervorgehoben hat, kann das angefochtene Urteil schon deshalb keinen Bestand haben, weil die Begründung der Freisprüche an durchgreifenden Darstellungsmängeln leidet und den Anforderungen des § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO daher nicht genügt.
Ein freisprechendes Urteil muß aus sich heraus verständlich sein und so viele Angaben enthalten, daß dem Revisionsgericht eine sachlich-rechtliche Prüfung ermöglicht wird. Hierbei muß das Tatgericht zunächst diejenigen Tatsachen feststellen, die es für erwiesen erachtet, bevor es in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen weiteren Feststellungen nicht getroffen werden konnten (vgl. nur BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 2, 4, 5, 7, 8). Dabei hat es vor allem diejenigen Gesichtspunkte zu erörtern, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden (§ 267 Abs. 1 Satz 1 StPO) und die entweder festgestellt oder nicht festgestellt werden können. Dazu gehören bei einer angeklagten Steuerstraftat namentlich in erster Linie Erörterungen zum Inhalt der abgegebenen Steuererklärungen und zu den von den Finanzbehörden festgesetzten Steuern.
Diesen Anforderungen werden die Freisprüche nicht gerecht. Mit der Begründung des Landgerichts, eine Verkürzung der Steuern sei im Hinblick auf das Vorhandensein gleichwertiger, aber anderer Betriebsausgaben nicht eingetreten, sind konkrete Feststellungen zum genauen Inhalt der Steuererklärungen und zu den jeweils durch die Finanzbehörde festgesetzten Steuern nicht entbehrlich. Die insoweit getroffenen Feststellungen, daß die „abgeflossenen Beträge in den gemeinsam von den Angeklagten abgegebenen Erklärungen steuerlich insgesamt als Zahlungen auf Fremdleistungen und damit als Betriebsausgaben deklariert“ wurden, ermöglichen keine sachlichrechtliche Überprüfung des Urteils durch das Revisionsgericht. Namentlich fehlt es hier an näheren Feststellungen dazu, was genau von den Angeklagten „deklariert“ wurde, insbesondere ob die erklärten Betriebsausgaben – etwa unter Vorlage der gefälschten Belege oder auf andere Weise – näher erläutert wurden.
Aufgrund dieses Erörterungsmangels verschließt sich das Landgericht der steuerrechtlich maßgeblichen Frage, ob die zu den „abgeflossenen Beträgen“ gemachten Angaben im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO falsch waren. Jedenfalls in den Fällen, in denen nicht lediglich ein bloß zahlenmäßiger Saldo in den Erklärungsvordrucken ohne nähere Erläuterung oder urkundliche Unterlegung der Betriebsausgaben erklärt wird, liegt ein tatbestandlicher Steuerschaden deshalb nahe, weil die mit Abdeckrechnungen verschleierten Schwarzlohnzahlungen dann einen „anderen Grund“ im Sinne von § 370 Abs. 4 Satz 3 AO darstellen könnten. Jene nicht geltend gemachten Schwarzlohnzahlungen wären dann – allerdings nur hinsichtlich der Körperschaft- und der Gewerbesteuerhinterziehung – wegen des Kompensationsverbotes nicht tatbestandlich, sondern erst auf der Strafzumessungsebene berücksichtigungsfähig.
Die Sache bedarf insoweit weiterer tatrichterlicher Aufklärung. Es kann daher offenbleiben, ob hier bereits die schlichte zahlenmäßige Angabe der saldierten Betriebsausgaben in den Erklärungsvordrucken dann eine falsche Erklärung im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO darstellen würde, wenn gefälschte Rechnungen lediglich in die Buchhaltung des Steuerpflichtigen eingestellt und daher nur für eine etwaige Überprüfung des Finanzamtes vorgehalten werden. Hierfür könnte sprechen, daß das Einstellen der gefälschten Belege in die Buchhaltung – welches bis zur Abgabe der Steuererklärung fraglos nur eine straflose Vorbereitungshandlung darstellt – mit der Abgabe der Steuererklärung zu einer Verknüpfung der gemäß §§ 140 ff. AO zu führenden Bücher mit dem Zahlenwerk aus den Erklärungsvordrucken führt.
Diese innere Verknüpfung könnte den Erklärungsgehalt der Steuererklärung über das bloße Zahlenwerk („Saldo“) hinaus erweitern. Ob die in der Literatur vertretene Auffassung (vgl. Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 6. Aufl. § 370 Rdn. 71 m.w.N.), wonach in den Fällen, in denen der allein erklärte Saldo trotz Berücksichtigung fingierter Betriebsausgaben wegen nicht erklärter aber berücksichtigungsfähiger Betriebsausgaben in gleicher Höhe im Ergebnis eine „richtige“ Erklärung im Sinne des § 370 Abs. 1 AO darstellt, daher zutreffen kann, bedarf hier mithin noch keiner abschließenden Bewertung.
2.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
Das angefochtene Urteil enthält auch insoweit einen durchgreifenden Rechtsfehler, als das Landgericht seine Überzeugung, daß die im Zusammenhang mit den Scheinrechnungen entnommenen Geldbeträge vollständig zur Bezahlung von Schwarzlöhnen verwandt wurden, allein auf ein im Urteil nicht näher erläutertes Zahlenwerk einer als Zeugin vernommenen Beamtin der Steuerfahndung gestützt hat. Die Ermittlung und Darlegung der Besteuerungsgrundlagen einschließlich der eigenverantwortlichen Schätzung obliegt aber dem Tatrichter in freier und eigenverantwortlicher richterlicher Überzeugungsbildung.
Deswegen sind Verweise auf Betriebsprüfungs- oder Steuerfahndungsberichte ebenso wie die ungeprüfte Übernahme von Aussagen, die Finanzbeamte zur Behandlung steuerlicher Fragen gemacht haben, unzureichend (st. Rspr., vgl. nur BGH wistra 2001, 22, 23). Das neue Tatgericht wird daher etwaig in die Hauptverhandlung eingeführte Schätzungen der Finanzbehörden eigenverantwortlich nachzuprüfen und im Urteil darzulegen haben, warum es von der Richtigkeit der Schätzungen auch unter Berücksichtigung der vom Besteuerungsverfahren abweichenden strafrechtlichen Verfahrensgrundsätze überzeugt ist.
Hier wird sich das neue Tatgericht insbesondere zu fragen haben, ob eine vollständige Übernahme der Werte aus der Richtsatzkartei, die auf Vergleichszahlen der legalen Wirtschaft beruht, nicht deshalb ausscheidet, weil Schwarzarbeit im Regelfall deutlich geringer entlohnt wird. Bejahendenfalls wäre der bisherigen Annahme des Landgerichts, dass alle durch die Angeklagte Katrin vorgenommenen Zahlungen aus der Kasse vollständig zur Bezahlung von Schwarzarbeitern verbraucht wurden, die Grundlage entzogen.“
Orte und Namen sind natürlich verändert. Teilaspekte aus anderen Verfahren und Urteilen sind hier (wie zitiert) mit eingeflossen, um in dem Fall die heute regelmäßig interessierenden Rechtsfragen in diesem Themenbereich hier mitzubeleuchten.
Heute wird meist die Ertragsteuerhinterziehung nicht angeklagt/verfolgt, weil Zollfahndung bzw. Steuerfahndung von einer Verwendung der so freigesetzten Gelder für Schwarzlöhne vermutet wird. Natürlich kann aber auch ein Teil (oder das gesamte) frei gesetzte Geld für private Zwecke (z.B. Trink-, Drogen-, Spielsucht, Bordellbesuche, Autos, teurer Lebenswandel) verwand worden sein und dann gerade nicht für Arbeitslohn verwandt worden sein. Bei der GmbH, in deren Buchführung die Scheinrechnungen eingebucht worden sind, wären das dann verdeckte Gewinnausschüttungen nach § 8 I KStG.
Von besonderem Interesse ist der Ansatz der 66, 2/3 % als übliche Lohnquote.
Beispielsweise ist der Anteil in % am Bruttoproduktionswert für die Kostenpositionen nach Leistungssparten im Baugewerbe sehr unterschiedlich hoch. Dazu weisen die Aussagen nach Destatis vom 28. Juni 2019 auf Grundlage der Kostenstrukturerhebung für 2017 folgende Anteile in % vom Bruttoproduktionswert aus:
Leistungssparte | Materialverbrauch einschl. Nachunternehmerleistungen | Personalkosten | sonstige Kosten |
Baugewerbe ges. | 52,8 | 27,4 | 12,3 |
Bauhauptgewerbe | 55,5 | 25,5 | 13,2 |
Bau von Gebäuden | 64,5 | 21,5 | 9,5 |
Bau von Straßen | 53,1 | 25,8 | 15,5 |
Leistungstiefbau | 44,7 | 32,7 | 17,0 |
sonstiger Tiefbau | 50,4 | 28,5 | 17,4 |
Abbrucharbeiten | 39,6 | 26,1 | 20,8 |
Ausbaugewerbe | 47,0 | 32,7 | 11,0 |
Bauträger | 61,4 | 8,5 | 9,4 |
Die Summe der ausgewiesenen Kosten als gesamte Kostenbelastung ist vergleichbar mit der Kennzahl „Kostensatz“ als Ausdruck der gesamten Kostenintensität. Der Restanteil bis 100 % entspricht dem anteiligen Ergebnis als Gewinn. Im Ausbaugewerbe war nach der Aussage die Kostenintensität geringer als im Bauhauptgewerbe.
Quelle: https://www.bauprofessor.de/kostenstruktur-baugewerbe/
Wie sich vor diesem Hintergrund die These aufbauen lässt, dass 66 2/3 der frei gewordenen Gelder Lohn seien, wo doch nach dieser Kostenstrukturanalyse die Löhne nur c. 25 % betragen, ist schwer verständlich. Natürlich kommt der BGH damit zu viel hohen angeblichen Lohnzahlungen in seinen Schätzungen und da die Höhe der Hinterziehung maßgebende Bemessungsgrundlage für die Strafhöhe ist, zu viel zu hohen Strafen.
Interessant sind die Ausführungen des BGH zur Unzulässigkeit der ungeprüften Verweise auf Betriebsprüfungsberichte oder Steuerfahndungsberichte in den Urteilsgründen. Nur allzu häufig werden die Aussagen der Fahnder unkritisch übernommen und Widersprüche und Unklarheiten nicht weiter verfolgt.
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