In dubio pro reo
In dubio pro reo im Steuerrecht- Zweifel bei der Annahme einer Steuerhinterziehung
viele Sachverhalte sind unklar
Viele Sachverhalte sind mit der Finanzverwaltung unstreitig und unklar. Alleine die Frage, ob eine Schätzungsbefugnis vorliegt oder ob nicht vielmehr die Besteuerungsgrundlagen, die aufgezeichnet sind, nach § 158 AO der Besteuerung zugrundezulegen sind, ist meist schon streitig. Die Finanzverwaltung zählt hier meistens formelle und materielle Fehler auf und leitet daraus eine Schätzungsbefugnis ab. Sie verwirft dann die Buchführung und ist der Auffassung, dass sie nicht mehr schätzen darf, sondern schätzen muss.
Aufzeichnungsfehler und Aufbewahrungsfehler
Probleme bereiten also die Fragen was aufzubewahren ist und was wie zu dokumentieren ist. Insoweit sind Aufzeichnungsfehler und Aufbewahrungsfehler häufig ein Streitpunkt. Der Finanzverwaltung geht es hier nicht um ein Verschulden. Sie beurteilt alleine, was objektiv vorliegt. Fehlt etwas, weil es einfach nicht aufgezeichnet wurde oder nicht aufbewahrt wurde, für dies aus Ihrer Sicht häufig zu einer Schätzungsbefugnis nach § 162 AO.
Beweislast
Hierbei ist natürlich die Frage zu beurteilen, was aufgezeichnet werden muss, wer also die Beweislast trägt, wenn etwas nicht aufgezeichnet ist. Dabei gilt der alte Grundsatz, dass alles was steuererhöhend oder steuerbegründend ist, die Finanzverwaltung beweisen muss. Alles was steuermindernd oder steuernegierend ist, muss der Steuerpflichtige beweisen.
Feststellungslast
Einfacher formuliert: Wer sich auf etwas beruft, was für ihn vorteilhaft ist, muss dies auch beweisen. Im finanzgerichtlichen Verfahren spricht man hier von der Feststellungslast. Das ist letztlich nichts anderes als die Beweislast. Man muss den Begriff aber kennen.
Problem: was könnte später mal streitig sein – was muss man aufheben oder aufzeichnen?
Der Teufel liegt hierbei im Detail: Man könnte natürlich alles Mögliche beweisen und dokumentieren, wenn man wüsste, dass es in der nächsten BP darauf ankommt. Die Probleme entstehen jedoch dann, wenn die BP zwei oder drei Jahre später kommt und die Beweise dann nicht mehr nachträglich zu erbringen sind, etwa weil die Mitarbeiter nicht mehr greifbar sind, der Subunternehmer nicht mehr am Markt ist oder verstorben ist oder weggezogen ist oder seinen Betrieb aufgegeben hat. Oder wenn bestimmte Leistungen zwar als erbracht angesehen werden aber unklar ist, von wem sie erbracht wurden.
Wie wollen sie drei Jahre nach Leistungserbringung beweisen, wer damals die Reinigungsleistung oder die Beratungsleistung oder die Verputzleistungen erbracht hat? Das damals gereinigt wurde, weil deswegen auch der Endkunde bezahlte, ist dann vielleicht nicht mehr streitig. Wenn aber der Rechnungsaussteller die Leistung angeblich nicht erbracht haben kann oder soll, sondern ein anderer oder eine schwarz bezahlten Kolonne, ist es schwierig zu beweisen, dass eben Mitarbeiter des damaligen Subunternehmers tatsächliche Leistung erbracht haben.
BMF v 23.05.15 zu § 153 AO, Tz 2.5
Nicht jeder objektive Fehler im Steuerrecht bedeutet gleich, dass ein Hinterziehungsvorsatz vorliegt. Im BMF-Schreiben vom 23.05.16 zu § 153 AEO heißt es vom BMF in Tz 2.5 dazu völlig zutreffend: „Es ist zwischen einem bloßen Fehler und einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit (§§ 370, 378 AO) zu differenzieren. Nicht jede objektive Unrichtigkeit legt den Verdacht einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit nahe. Es bedarf einer sorgfältigen Prüfung durch die zuständige Finanzbehörde, ob der Anfangsverdacht einer vorsätzlichen oder leichtfertigen Steuerverkürzung gegeben ist. Insbesondere kann nicht automatisch vom Vorliegen eines Anfangsverdachts allein aufgrund der Höhe der
steuerlichen Auswirkung der Unrichtigkeit der abgegebenen Erklärung oder aufgrund der Anzahl der abgegebenen Berichtigungen ausgegangen werden.“
Liegt ein Steuerhinterziehungsvorsatz vor?
Ähnlich schwierig ist es, wenn es um die Frage geht, ob damals ein Steuerhinterziehungsvorsatz vorlag. Für die Frage der Inhaftungnahme oder der verlängerten Festsetzungsverjährungsfristen oder eines umfangreicheren Zinslaufs muss eine Steuerhinterziehung tatbestandsmäßig nachgewiesen werden. Ist es streitig, ob eine Steuerhinterziehung vorliegt oder nicht, ob der Steuerpflichtige damals wohl einen Hinterziehungsvorsatz hatte oder nicht. Wird ein solcher Hinterziehungsvorsatz etwa hinsichtlich bestimmter Einnahmen bejaht, sind diese eben auch über die verlängerte Festsetzungsverjährungsfrist hinaus bis zu zehn Jahren plus bis zu 3 Jahren Anlaufhemmung korrigierbar und noch nachträglich festsetzbar.
Sachverhalt auf des Messers Schneide
Manchmal stehen die Sachverhalte auf des Messers Schneide. Eine Entscheidung könnte so oder so ausfallen.
Und Richter sind nicht immer wirklich in Gerichtsverhandlungen kommunikativ. Manchmal ist trotz einer Erörterung völlig unklar, wo das Gericht eigentlich steht und in welche Richtung es tendiert. Nicht immer wird offen diskutiert und verhandelt. Manchmal ist vielleicht auch tatsächlich der Senat völlig uneins und die Entscheidung fällt vielleicht nur knapp in die eine oder andere Richtung in der Beratung. Das Problem von Überraschungsentscheidungen steht förmlich zum Greifen nah in der Luft. So mag jeder der Beteiligten das eine oder andere für sich werten und das Gericht das vielleicht doch ganz anders beurteilen. Manchmal möchte man dann schon gerne im Nachhinein mit dem Gericht diskutieren, warum denn die Entscheidung so oder so ausgegangen ist. Aber das sieht die FGO nicht vor. So eine Art pro forma Urteilsverkündung, damit man dazu vielleicht noch was sagen und das Gericht das Bedenken könnte, gibt es nicht.
Hinweispflichten, Überraschungsentscheidungen
Die Grenzen zwischen einem fairen Verfahren und den Hinweispflichten contra rechtswidrigen Überraschungsentscheidungen und den Argumentationsschemata des BFH, dass ein professionell verteidigter Steuerpflichtige eben die richtigen Anträge stellen müsse und sachgerecht vortragen müsse und rechtzeitig vor Schluss der mündlichen Verhandlung die notwendigen Verfahrensrügen erheben müsse, verdeutlichen die Problematik.
nur einstufiges Gerichtsverfahren, Fehlen einer 2. Tatsacheninstanz
In diesem Spannungsfeld befinden sich die Steuerpflichtigen, für die es meist um sehr viel geht, manchmal um ein wirtschaftliches Überleben und die natürlich nur eine Tatsacheninstanz vor sich sehen, sodass eine Reparatur in einer Berufung nicht möglich ist. Da das finanzgerichtliche Verfahren nur einstufig ist, ist der gerichtliche Rechtsschutz für den Steuerpflichtigen kurz und schwierig.
in dubio pro fisco?
Da kommt mancher Steuerpflichtige auf die Idee, die Grundsätze von „in dubio pro reo“ für sich zu reklamieren. „In dubio pro reo“ heißt in etwa: „im Zweifel für den Angeklagten bzw. den Kläger“. Nach der Urteilsverkündung merkt er dann vielleicht, dass das Gericht dies anders gesehen hat und meint, das Gericht habe „in dubio pro fisco“ angewandt.
in dubio pro reo bei der Frage, ob eine Steuerhinterziehung vorliegt?
Im zu entscheidenden Fall ging es um die Frage, ob das Finanzgericht bei der Annahme einer Steuerhinterziehung nicht zugunsten der Steuerpflichtigen den Grundsatz in dubio pro reo anwenden musste.
Der nachfolgende Fall des BFH setzt sich mit den Grundsätzen des „in dubio pro reo“ bei der Frage, ob eine Steuerhinterziehung vorlag, auseinander. Diese Entscheidung macht deutlich, dass „in dubio pro reo“ ein Recht trügerisches Glatteis sein kann: Hat der Einzelrichter oder der Senat (mehrheitlich) geben keine Zweifel, hat das ein Ende mit „in dubio“.
Ist also unklar, ob eine Steuerhinterziehung vorliegt, muss das Gericht im Zweifel zugunsten des Klägers entscheiden und darf nicht einfach eine Steuerhinterziehung zu seinen Lasten unterstellen.
BFH, Beschluss vom 11.11.22, VIII B 97/21: welches Gewicht hat in dubio pro reo? Wie leicht ausschaltbar ist in dubio pro reo? Kann man nicht immer sagen, man sei so oder so überzeugt …
Der BFH hat sich in dem Beschluss vom 11.11.22 – VIII B 97/21- mit in dubio pro reo“ im Hinblick auf die vom Kläger bestrittenen aber von der Finanzverwaltung behaupteten Steuerhinterziehungsvorwürfe wie folgt auseinander gesetzt:
Auch soweit die Kläger mit der Beschwerde geltend machen, das FG habe den Grundsatz „in dubio pro reo“ verletzt, liegt der geltend gemachte Verfahrensfehler nicht vor. Denn der –grundsätzlich auch im finanzgerichtlichen Verfahren zu beachtende (BFH-Beschluss vom 29.01.2002 – VIII B 91/01, BFH/NV 2002, 749, m.w.N.)– Grundsatz „in dubio pro reo“ greift nur ein, so lange Zweifel nicht zu beheben sind.
Gericht darf und muss ermitteln, bis es zu einer Überzeugung gelangt ist
Er untersagt dem FG indes nicht, wie im Streitfall aufgrund vielfältiger Feststellungen aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu der vollen Überzeugung zu gelangen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), dass der Tatbestand einer Steuerhinterziehung zu bejahen ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 18.11.2013 – X B 237/12, BFH/NV 2014, 369, und vom 26.11.2020 – VI B 29/20, BFH/NV 2021, 443).
Klar ist aber, dass das FG nicht das Vorliegen einer Steuerhinterziehung bloß vermuten oder schätzen darf. Doch ist das nicht nur eine Darstellungsfrage? Kann man nicht relativ frei und unüberprüfbar als Richter behaupten, man sei von dem Voriegen einer Steuerhinterziehung in diesem Fall überzeugt? Wo ist die Grenze zur Willkür? Inwieweit ist eine solche Behauptung revisibel? Gar nicht! Der in dubio-Satz hat also relativ kurze Füße!
Amtsermittlungsgrundsatz so lange, bis in dubio preo reo tot ist?
Abgesehen davon wird im Besteuerungsverfahren der Amtsermittlungsgrundsatz durch die (erweiterten) Mitwirkungspflichten der Beteiligten begrenzt. Zwar müssen auch im Besteuerungsverfahren die subjektiven und objektiven Voraussetzungen der Steuerhinterziehung dem Grunde nach mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustellen sein (BFH-Urteil vom 07.11.2006 – VIII R 81/04, BFHE 215, 66, BStBl II 2007, 364).
eigene Schätungsbefugnis des FG hinsichtich der Höhe der Hinterziehung
Hinsichtlich der Höhe der hinterzogenen Einkünfte hat das FG jedoch bei einer Verletzung der Mitwirkungspflicht –anders als im Strafverfahren– eine eigene Schätzungsbefugnis (vgl. BFH-Beschluss vom 09.03.2011 – X B 153/10, BFH/NV 2011, 965, Rz 8).
steht die Hinterziehung aus Sicht des Gerichts fest, kann es die Besteuerungsgrundlagen schätzen
Das FG durfte daher die Besteuerungsgrundlagen für die Jahre 2005 bis 2010 ohne Verstoß gegen den „in dubio pro reo“-Grundsatz schätzen, da die Kläger für die in diesem Zeitraum geltend gemachten Betriebsausgaben keine Aufzeichnungen oder Belege vorgelegt hatten und sich solche auch nicht aus dem parallel laufenden Strafverfahren, das nur für die Jahre 2011 bis 2015 geführt worden war (vgl. S. 2 des Schriftsatzes von XY vom 24.07.2020), ergaben.
Das Fehlen einer Verpflichtung zur Aufzeichnung der Betriebseinnahmen oder -ausgaben führt nicht zu einem anderen Ergebnis, denn dies bedeutet nicht, dass das FA die erklärten Gewinne oder Verluste stets ungeprüft hinnehmen muss. Auch wenn der Kläger nicht verpflichtet war, seine Betriebseinnahmen und -ausgaben aufzuzeichnen und entsprechende Belege aufzubewahren, so trägt er doch wie jeder andere Steuerpflichtige die Gefahr, dass das FA oder das FG die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen können und deshalb die Voraussetzungen für eine Schätzung gemäß § 162 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AO erfüllt sind.
alter Grundsatz: die Betriebsausgaben muss der StPfl beweisen
Es ist anerkannt, dass Betriebsausgaben nur insoweit berücksichtigt werden können, als sie der Steuerpflichtige auf Verlangen durch Vorlage von Belegen nachweist (BFH-Urteil vom 15.04.1999 – IV R 68/98, BFHE 188, 291, BStBl II 1999, 481, unter II.3., m.w.N.; vgl. auch BFH-Urteil vom 25.08.2009 – I R 88, 89/07, BFHE 226, 296, BStBl II 2016, 438, unter C.II. bbb). Die (ggf. freiwillige und im eigenen Interesse liegende) Aufbewahrung aller Belege ist im Regelfall notwendige Voraussetzung für den Schluss, dass die geltend gemachten Betriebsausgaben als durch den Betrieb veranlasst angesehen werden können (BFH-Beschluss vom 07.02.2008 – X B 189/07, juris, unter 3.c; BFH-Urteil vom 12.12.2017 – VIII R 6/14, BFH/NV 2018, 606, Rz 56 f.).“
Quelle: BFH, Beschluss vom 11.11.22 – VIII B 97/21
tönern klingende Worte
Die Worte des BFH mögen für den betroffenen Steuerpflichtigen wenig naheliegend klingen, wenn er selbst nicht von einem Steuerpflichtigen Tätigkeit ausging. Was machte eBay-Verkäufer der sich als privater Verkäufer wähnt, von der Finanzverwaltung aber Jahre später als Händler angesehen wird? Da klingende Worte des BFH tönern, der StPfl. hätte seine Betriebsausgaben-Belege aufbewahren müssen. Wer hebt schon für die privat gehaltenen Einkäufe Belege über viele Jahre auf in der Annahme, das Finanzamt könnte später einmal behaupten, es handele sich hier um eine unternehmerische Tätigkeit.
Gegenthese:
Und einmal andersherum die Gegenthese: wem würde man glauben, wenn er sagt, er habe nicht angenommen, dass diese Tätigkeit steuerpflichtig sei, er habe nur mal prophylaktisch eine Buchhaltung hierfür rein vorsorglich gemacht und alle Belege ordnungsgemäß gesammelt und abgeheftet. Gut, der wird dann ggf beweisen können, dass es Liebhaberei war …
Fazit:
Die Entscheidung macht klar, dass sich der Profi besser nicht auf in dubio verlässt, sondern Beweisanträge stellt und rein vorsorglich für den Fall deren Nichterhebung zu Protokoll am Ende der Sitzung erklärt dies in der Nichtzulassungsbeschwerde rügen zu wollen.
Sie brauchen im Finanzrechtsstreit den Vollprofi: Sie brauchen den Steueranwalt Dr. Jörg Burkhard
Dr. Jörg Burkhard ist Fachanwalt für Steuerrecht und Fachanwalt für Strafrecht. Anwalt für Betriebsprüfungen und Steuerstrafrecht. Fachmann bei Steuerfahndung und Zollfahndung. Steueranwalt bei Selbstanzeige und Tax Compliance, Kasse, Kassenproblemen und Kassennachschau. Vom Betriebsprüfungscoaching und Kassentest bis zur Verfahrensdokumentation. Anwald für Einspruchsverfahren, Klageverfahren vor allen Finanzgerichten bis zum BFH. Dr. Jörg Burkhard, Fachanwalt eben, durch und durch. Frankfurt, Wiesbaden, Rhein-Main, bundesweit, 0611-890910.